Das Gesicht der Al Jazeera Berichterstattung zu Palästina, Shireen Abu Akleh, ist tot. Generationen des arabischsprachigen Publikums verbinden sie mit den einschneidenden Ereignissen in Palästina seit 1997. Ein Nachruf.
Es ist eine Schockwelle, die die palästinensische Gemeinschaft im In- und Ausland erfasst. Shireen Abu Akleh ist tot. Getötet am 11. Mai 2022 in Jenin im Westjordanland, getroffen von einer Kugel direkt in den Kopf. Im Sekundentakt füllen sich die sozialen Netzwerke mit Bildern, Videos, Beileidsbekundungen. Shireen Abu Akleh, gebürtig aus Ost-Jerusalem, war seit 1997 Reporterin für Al Jazeera.
In der zweiten Intifada 2002 verbrachte sie 24 lange Tage und Nächte in Jenin und dokumentierte die Zerstörung der Stadt durch die israelische Armee. Für eine ganze Generation Palästinenser:innen war sie sowohl Auge als auch Sprachrohr der zweiten Intifada. Während viele palästinensische Familien aufgrund der vom israelischen Militär verhängten Ausgangssperren zu Hause saßen, kam Shireen direkt über den Bildschirm in die Wohnzimmer, und damit auch in die Herzen.
In einer Zeit ohne schnelles Internet und rund um die Uhr verfügbare „Newsupdates“ war sie es, die die politischen Geschehnisse für alle zusammenfasste – klar, präzise und verlässlich, stündlich in den Al Jazaeera-Nachrichten. Und das nicht nur für die unter Hausarrest stehenden Palästinenser:innen in der Westbank und Gaza. Auch die palästinensischen Bürger:innen Israels und die palästinensische Exilgemeinschaft weltweit hing an ihren Lippen. Ihr Gesicht und ihre Stimme sind unwiderruflich mit der zweiten Intifada verbunden und haben sich in das kollektive Gedächtnis der Palästiner:innen eingebrannt.
Beruf und Berufung
Geboren wurde Shireen 1971 in Ost-Jerusalem. Ihre Familie stammt aus Bethlehem. Sie besuchte die Schule in Beit Hanina. An der Yarmouk Universität in Jordanien studierte sie Journalismus und kehrte anschließend wieder zurück in ihre Heimatstadt. „Ich bin Journalistin geworden, um näher bei den Menschen zu sein. Es mag nicht leicht sein, die Realität zu ändern. Aber wenigstens kann ich ihre Stimme in die Welt hinaus tragen“ erklärte sie ihre Berufswahl auf Al Jazeera.
Und das war sie, Shireen, nah bei den Menschen. Sie berichtete über die Gaza-Kriege von 2008, 2009, 2012, 2014 und 2021, sowie den Krieg im Libanon 2006. Noch vor einer Woche saß sie lachend auf den Stufen des Damaskustors am Eingang zur Jerusalemer Altstadt. Es war Eid, das Fest zum Ende des Ramadan. Sie wünschte allen frohe Feiertage und versprach, auch weiterhin immer dort zu sein, wo es ein genaues journalistisches Hinschauen brauchte und die Menschen auch in schweren Zeiten nicht alleine zu lassen.
Mittwoch, 11. Mai 2022
Dieses Versprechen hielt sie auch am Mittwoch. Gemeinsam mit ihren Al Jazeera-Kolleg:innen war sie im Morgengrauen nach Jenin aufgebrochen, um von dort über die Razzien zu berichten, die das israelische Militär dort seit den vergangen zwei Wochen fast täglich durchführt. Was nach ihrer Ankunft passierte, ist auf Video und in Bildern dokumentiert. Es fallen Schüsse, dann Schreie: „Shireen, Shireen, es ist Shireen“. Die Kamera schwenkt um eine Mauerecke. Shireens Körper liegt leblos auf dem Bauch liegend auf der Schotterstraße.
Ihre blaue Schutzweste mit der großen Aufschrift „PRESS“ glänzte in der Sonne. Ihre Kollegin kauert neben ihr, in Schockstarre. Shireens Gesicht ist nicht zu erkennen. Unter ihrem Kopf läuft Blut hervor. Eine Kugel hat Shireen getroffen, direkt unter dem Ohr, wo der Stahlhelm nicht mehr schützt. Jede Hilfe kommt zu spät. Im nächstgelegenen Krankenhaus wird sie für tot erklärt.
Wer ist für diese Kugel verantwortlich? „Israelische Scharfschützen“, sagen Shireens Kolleg:innen vor Ort. Das israelische Militär schließt das nicht aus, will aber weitere Untersuchungen abwarten. Am Ende ist ein Mensch tot. Wie so oft in diesen Tagen. Auf Shireen folgt am selben Tag Thaer Yazouri, ein 18-jähriger Teenager, der in seinem Heimatort Al Bireh in Ramallah von Querschlägern der israelischen Armee getroffen wird. Was bleibt, ist eine unendliche Trauer, die die Gemeinschaft der Palästinser:innen weltweit vereint. Und der wachsende Zorn auf einen Besatzer, der immer skrupelloser vorgeht und gezielt Menschenleben aufs Spiel setzt.