29.02.2024
Tunesische Frauen in der Landwirtschaft: Kampf um Schutz und Rechte
 Die Olivenplantagen zählen zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Anbauprodukten in Tunesien. Für die Ernte werden oftmals Landarbeiterinnen eingesetzt. Foto: istock/urf
Die Olivenplantagen zählen zu den wichtigsten landwirtschaftlichen Anbauprodukten in Tunesien. Für die Ernte werden oftmals Landarbeiterinnen eingesetzt. Foto: istock/urf

In der Antike war Tunesien berühmt für seine reich gefüllten Kornkammern – heute kämpft das Land mit einer Vielzahl an landwirtschaftlichen Problemen. Das hat direkten Einfluss auf die Arbeitsbedingungen, unter denen vor allem Frauen leiden.

Landwirte in Tunesien kämpfen mit Wassermangel und den enorm gestiegenen Preisen für Futter und Dünger. Um weiterhin Gewinn zu erwirtschaften, setzen sie Landarbeiter:innen prekären Arbeitsbedingungen aus: soziale Abhängigkeiten, unsichere Beschäftigungsverhältnisse und schlechte Bezahlung sind ein Problem, das insbesondere Frauen trifft, die einen zentralen Beitrag zur Landwirtschaft des Landes leisten.

Durch den ausgeschöpften Arbeitsmarkt in den Städten und versperrte Migrationsrouten bleibt ihnen oft keine andere Wahl, als diese Umstände zu akzeptieren. Der Ursprung dieser miserablen Konditionen für tunesische Landarbeiterinnen hat seine Wurzeln in der Kolonialgeschichte des Landes.

Wirtschaftspolitischer Fokus auf Exportlandwirtschaft setzt Kleinbäuer:innen zunehmend unter Druck

Die Prekarität der Agrararbeiter:innen Tunesiens findet ihren Ursprung in der von den französischen Kolonialherren als Grundpfeiler der kolonialen Wirtschaftspolitik etablierten Exportlandwirtschaft. Dabei kam es zu Landenteignungen und Vertreibungen, um die maximale Kontrolle über die Exporte und damit auch den höchstmöglichen Profit zu erlangen. Nach der Unabhängigkeit 1956 hofften viele Landwirt:innen, ihr Land zurückzubekommen. Da die neue Regierung unter Habib Bourguiba jedoch die Industrialisierung des Landes mithilfe von Phosphatminen und moderner Landwirtschaft vorantreiben wollte, hatte sie wenig Interesse an kleinbäuerlichen Strukturen. Folglich blieb die Rückgabe der Ländereien an die Landwirt:innen aus und die Pläne der Regierung für eine großflächige Landwirtschaft konnten leichter umgesetzt werden. Die neuen Reformen waren eindeutig auf die Exportlandwirtschaft und Großbetriebe ausgerichtet – ein lukrativer Wirtschaftszweig, der auch nach der Unabhängigkeit Tunesiens die Macht der Regierung sicherte. Für den Export angebaut werden vor allem Oliven und Datteln.

In den 60er- und 70er-Jahren kam es im Zuge sozialistischer Modernisierungsbestrebungen zu der Gründung riesiger Kooperativen, die de facto dazu führten, dass viele Kleinbäuer:innen zusätzlich zu ihrem Land auch Produktionsmittel wie Saatgut oder Erntemaschinen verloren. Nachdem diese Zwangskollektivierung von oben Ende der 70er Jahre scheiterte, wurde Land teilweise zurückgegeben. Doch die Landwirt:innen hatten immer größere Schwierigkeiten, an subventioniertes Saatgut und Erntemaschinen zu gelangen, und globale Entwicklungen ließen die Preise für Futter und Dünger stetig steigen. Ebenso verstärkte die steigende Konkurrenz um Wasser im Laufe der Jahre den Druck auf Landwirt:innen, der sich nahtlos auf die Schultern der hart schuftenden Landarbeiter:innen übertrug.

Bis heute zieht die tunesische Landwirtschaftspolitik eine Verarmung der Landbevölkerung nach sich. Bisherige Forderungen der Bäuer:innen nach Reformen, die die Lebensbedingungen auf dem Land verbessern sollten, wurden aufgrund des bestehenden Fokus auf den Export politisch und international vereitelt. Diese Politik beeinträchtigt weiterhin die Nahrungsmittelsicherheit der tunesischen Bevölkerung.

Gefangen in Abhängigkeiten: Realitäten der Landarbeiterinnen

Die Auswirkungen der misslungenen Agrarpolitik treffen ländliche Frauen doppelt, denn sie sind in besonderem Maße in die Subsistenzlandwirtschaft (autarke Wirtschaft ohne Überschussproduktion oder Geldwirtschaft) und die Reproduktionsarbeit eingebunden. Letzteres bedeutet, dass die Frauen eine wichtige Rolle für die wirtschaftliche Sicherheit der ärmsten Haushalte spielen, da sie einen großen Teil ihres Einkommens für die Ernährung, Gesundheit und Bildung der anderen Haushaltsmitglieder, einschließlich der Kinder, ausgeben. Der finanzielle und materielle Druck, der durch den Ausbau der Exportlandwirtschaft entsteht, macht sich gerade in diesen Bereichen schnell bemerkbar. Einem 2016 veröffentlichten Bericht des tunesischen Ministeriums für Landwirtschaft, Wasserressourcen und Fischerei zufolge machen Landfrauen 35 Prozent aller tunesischer Frauen aus und ganze 58 Prozent der ländlichen Arbeitskräfte. Durch ihre Arbeitskraft und ihren Beitrag zur Ernährungssicherheit des Landes sind Landfrauen somit ein wichtiges Glied im tunesischen Agrarsektor.

Es sind jedoch gerade die Frauen, die im Rahmen ihrer beruflichen Beschäftigung kaum Schutz erhalten und so in ihrer persönlichen Situation gefangen sind. Verfügt eine Familie über Landbesitz, wird dieser meist an die männlichen Familienmitglieder übertragen. Eine längerfristige Absicherung für die Frauen bleibt demnach häufig aus. Eine Kette von Abhängigkeiten und mangelnden finanziellen Ressourcen erschwert es den Frauen, sich aus dieser Situation zu befreien oder für ihre Rechte einzustehen.

Dattelplantage in der Nähe einer Oase. Foto: istock/BTWImages

Aufgrund von mangelnden Alternativen und hoher Arbeitslosigkeit in den Städten, sowie fehlender staatlicher Unterstützung, sind Frauen in der Landwirtschaft zudem oft gezwungen, jeden verfügbaren Lohn anzunehmen, insbesondere wenn ihre Familien auf das Geld angewiesen sind. Zu den Niedriglöhnen kommen unverhältnismäßige Arbeitszeiten und bedenkliche Vertragskonditionen hinzu: Das Überschreiten der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von neun Stunden pro Tag um bis zu 13 Stunden bei hohen Temperaturen gehört zur Tagesordnung. Die Arbeit findet fast ausschließlich im informellen Rahmen statt, wodurch es oft wenig bis keinen Verhandlungsspielraum gibt.

Vielen Arbeiterinnen stehen keine eigenen Transportmittel zur Verfügung, weswegen sogenannte Mittelsmänner den Transport bereitstellen und die Frauen an verschiedene landwirtschaftliche Betriebe vermitteln. Im Gegenzug dazu behalten sie einen Teil des ohnehin schon sehr geringen Lohns der Arbeiterinnen ein. Was zunächst nach einer halbwegs fairen Lösung klingt, ist für die Frauen problematisch. Oftmals ist der Transport sehr gefährlich, da die Frauen meist auf der Ladefläche von alten Pick-ups transportiert werden und sowohl die Straßen als auch die Fahrweise ein besonderes Risiko für sie darstellen. Die Organisation Forum Tunisien des Droits Economiques et Sociaux (FTDES; dt. Tunesisches Forum für ökonomische und soziale Rechte) zählte zwischen den Jahren 2015 bis 2021 landesweit 50 Todesfälle und rund 700 verletzte Landarbeiterinnen.

Mehr Schutz ohne Mittelsmänner? Lösungsansätze in einer verfahrenen Situation

Staatlicher Schutz bleibt den Landarbeiterinnen aufgrund ihrer informellen Anstellung in der Regel verwehrt. Eine Ausnahme stellen diejenigen Agrararbeiterinnen dar, die nicht mit Mittelsmännern zusammenarbeiten: Während in nördlichen Regionen mit großflächiger Agrarwirtschaft, sowie in der Gegend um Kairouan und Sidi Bouzid häufig auf das Prinzip der Mittelsmänner zurückgegriffen wird, findet Agrararbeit von Frauen in den südlichen Regionen und von Familienwirtschaft geprägten Gegenden vermehrt in einem nachbarschaftlichen Verhältnis statt.

Das soziale Gefüge zwischen den Landwirt:innen und den Arbeiterinnen führt hierbei häufig zu besseren Arbeitsbedingungen. Die Bäuer:innen profitieren davon, dass die Frauen, die als informelle Erntehelferinnen arbeiten, sich mit dem Betrieb und den Erntetätigkeiten auskennen. Für die Landarbeiterinnen ergibt sich der Vorteil, dass sie nicht auf einen Transport angewiesen sind und durch das nachbarschaftliche Verhältnis mehr Spielraum haben, um ihren Lohn auszuhandeln. Zudem gibt es in einigen Regionen eine soziale Absicherung, indem die Frauen über ein formell angestelltes, meist männliches Familienmitglied mitversichert werden.

Nichtsdestotrotz besteht auch hier weiterhin eine komplexe Kette von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten, insbesondere für Frauen, die neben der Lohnarbeit weiterhin einen Großteil der Reproduktionsarbeit übernehmen und hierdurch vulnerabler für ausbeuterische Arbeitsverhältnisse sind. Während Nachbarschaftsvereinbarungen meist mehr Schutz und oftmals höhere Löhne versprechen, im Gegensatz zu der Arbeit mit Mittelsmännern, bedarf es weiterhin ganzheitlicher Lösungen für Lohngerechtigkeit und speziellen Schutz von Landarbeiterinnen: vertraglich geregelte Arbeitsverhältnisse, Mindestlöhne und alternative Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des Agrarsektors. Es liegt in der Verantwortung des tunesischen Staates, das in der Verfassung festgeschriebene Recht auf soziale Absicherung oder auch den Schutz der Frauen zu stärken. Doch auch eine Reform der Agrarpolitik, z.B. in Form von gerechten Preisen für landwirtschaftliche Produkte, ist notwendig, um nachhaltig die Nahrungssicherheit zu gewährleisten. Das betrifft auch jegliche Handelspartner:innen und Konsument:innen, die von günstigen Exportprodukten aus Tunesien profitieren und damit eines von vielen Rädchen in der Kette der Abhängigkeiten sind.

 

 

 

Josephine hat Kulturgeographie und Politikwissenschaft in Erlangen und Rennes studiert. Verschiedene Auslandsaufenthalte führten sie zuletzt nach Marokko und Tunesien, wobei sie sich inhaltlich dabei vor allem mit den Themen Migration und Feminismus im ländlichen Raum beschäftigt hat.
Redigiert von Mona Zaqqa, Hannah Jagemast