13.09.2013
Alsharq-Serie: 20 Jahre Oslo-Abkommen – Frieden verhandeln, Konflikt verwalten?

Vor 20 Jahren wurden die Oslo-Abkommen unterzeichnet. 20 Jahre, in denen viel passiert ist. Oder nur ganz wenig. Denn eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts wurde bisher nicht gefunden. Was also hat der Oslo-Prozess bewirkt? Darauf blicken wir in einer Artikel-Serie  mit einer Vielzahl von Perspektiven . Wir freuen uns über eine interessante Diskussion mit Euch.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Serie zu 20 Jahren Oslo-Abkommen. Alle Texte finden Sie hier.

Am 13. September 1993 wurde im Garten des Weißen Hauses die „Prinzipienerklärung über vorübergehende Selbstverwaltung“ unterzeichnet. Der israelische Premierminister Yitzak Rabin und Yassir Arafat, Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), reichten sich medienwirksam die Hände. Das war der Beginn einer Reihe von Abkommen, durch die der Nahostkonflikt schrittweise gelöst werden sollte. Weil die Erklärung Ergebnis von Geheimverhandlungen war, die unter norwegischer Vermittlung in Oslo stattfanden, wird seither vom „Oslo-Friedensprozess“ gesprochen.

20 Jahre sind seither vergangen. Doch was hat der Prozess bewirkt, der die Grundlage für einen palästinensischen Staat an der Seite Israels schaffen sollte? Zwei Staaten für zwei Völker – das war die viel beschworene Prämisse. Aber wie lässt sich dieser Prozess beurteilen, der eigentlich für eine Übergangsphase von fünf Jahren vorgesehen war, im Rahmen dessen aber unweigerlich Fakten geschaffen werden, die bis heute den Friedensprozess behindern?

So erschwert die anhaltende israelische Besatzung Palästinas nicht nur das Entstehen eines unabhängigen palästinensischen Staates, sie macht es bis dato unmöglich. Insofern ist Oslo gescheitert. Doch die Bedeutung der Abkommen reicht noch weiter. Sie ist vor allem in den Verhältnissen begründet, die den Alltag der israelischen und palästinensischen Bevölkerung bis heute bestimmen. Einen Einblick in diese Verhältnisse zwischen Israelis und Palästinensern, aber auch innerhalb der israelischen wie der palästinensischen Bevölkerung versuchen wir in einer Serie zu „20 Jahren Oslo“ auf Alsharq zu geben. Dafür wollen wir in den kommenden Tagen den Oslo-Prozess aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten.

Geschichtsträchtige Verhandlungen

Mit der Prinzipienerklärung von 1993, auch Oslo 1 genannt, akzeptierte Israel die PLO als offiziellen Vertreter der palästinensischen Bevölkerung. Im Gegenzug erkannte die PLO das Existenzrecht Israels an und schwor offiziell der Gewalt gegenüber Israel ab. So wurde in dieser Erklärung bereits die anhaltende Asymmetrie bestätigt, die die Verhandlungen seither bestimmt. Eine „gerechte, dauerhafte und umfassende Friedensregelung“, wie es in der Präambel der Abkommen heißt, ist so bisher unmöglich: Indem nämlich die Vertreter des Staates Israel eine palästinensische Organisation akzeptierten, um mit ihr über das Entstehen eines palästinensischen Staates zu verhandeln, verlief dessen Entstehen nach israelischen Vorgaben. Denn die Punkte, die für eine „permanente Lösung“ Ausschlag gebend sind, wie der Status Jerusalems, das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge, die israelischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten, der Grenzverlauf eines palästinensischen Staates sowie Fragen von „gemeinsamem Interesse“ (Wasser und Ressourcen), wurden von den Verhandlungen ausgeklammert und seither immer wieder vertagt.

Der Oslo-Prozess und dessen Bedeutung sind daher direkt mit den Ereignissen verbunden, die aus dieser Asymmetrie entstanden und für die eine politische Perspektive gesucht werden sollte. Von 1987 bis 1991 begehrte die palästinensische Bevölkerung in der ersten Intifada gegen die israelische Besatzung auf. Im Anschluss daran sollte die administrative Verantwortung im Gazastreifen und dem Westjordanland auf die Palästinenser übertragen werden, um deren Kontrolle durch das israelische Militär einzuschränken. Dafür wurde im Gaza-Jericho Abkommen von 1994 die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) gegründet.

Während die Prinzipienerklärung eine Woche nach der Unterzeichnung in Washington vom israelischen Parlament mit einer knappen Mehrheit ratifiziert wurde, scheiterte Arafat bei seinem Versuch im PLO-Exekutivkomitee ein entsprechendes Quorum zur Ratifizierung der Prinzipienerklärung zu erreichen. Auch hat es auf beiden Seiten nie eine Volksabstimmung gegeben, um dem Bemühen um Frieden eine breite legitime Basis zu verschaffen.

In dem „Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen“ von 1995 (kurz: Oslo 2) wurden der PA autonome Regierungskompetenzen zugesprochen. Dafür zog sich das israelische Militär aus 65 Prozent des Gazastreifens zurück und das Westjordanland wurde in drei Verwaltungszonen aufgeteilt. In den sogenannten A-Gebieten, was rund 17 Prozent des Westjordanlandes entspricht, in dem 55 Prozent der palästinensischen Bevölkerung leben, erhielt die PA Sicherheits- und zivile Autorität. In den B-Gebieten, 21 Prozent des Landes, in dem rund 41 Prozent der Bevölkerung leben, hat die PA zivile Befugnisse bei israelischen Sicherheitsautoritäten. Die C-Gebiete, knapp 62 Prozent des Landes, in dem vier Prozent der palästinensischen Bevölkerung und rund 350,000 israelische Siedler leben (sowie rund 190,000 im annektierten Ost-Jerusalem), unterstehen weiter kompletter israelischer Kontrolle.

Diese Einteilung war eigentlich vorläufig und für eine Übergangsphase von fünf Jahren vorgesehen, um palästinensische Befugnisse graduell zu erweitern. Doch auch 20 Jahre später ist es nicht dazu gekommen. Stattdessen sprechen israelische Politiker mittlerweile davon, die C-Gebiete zu annektieren, weil dort ohnehin kaum mehr Palästinenser wohnten und viel mehr Israelis siedeln.

„Talks about talks“

Der „Oslo-Prozess“ ist auch immer von innergesellschaftlichen Spannungen geprägt.

Mit der PA ist durch Oslo ein aufgeblähter Verwaltungsapparat entstanden, der allerlei internationale Unterstützung und vor allem auch finanzielle Hilfe erhält. Dadurch wird aber die zivile palästinensische Befreiungsbewegung nach offiziellen Vorgaben eingeschränkt und haben die 6,5 Millionen palästinensischen Flüchtlinge keinerlei politische Repräsentation. Seit dem gewalttätigen Konflikt zwischen der Hamas und der Fatah, den beiden stärksten palästinensischen Fraktionen, im Anschluss an die letzten Parlamentswahlen von 2006, ist der Gaza-Streifen zudem faktisch vom Westjordanland geteilt. Diese Spaltung hält bis heute an.

Und auch in Israel führte der Oslo-Prozess zu innergesellschaftlichen Konflikten. Während viele Israelis die Oslo-Abkommen als eine große Chance für den israelisch-palästinensischen Frieden sahen, hatten diese Abkommen und seine Inhalte auch viele Gegner. Kaum zwei Monate nach der Unterzeichnung von Oslo 2 wurde Yitzak Rabin von einem rechtsradikalen jüdischen Studenten erschossen. Rabins Nachfolger wurde Schimon Peres, der bei den Parlamentswahlen von 1996 jedoch Benjamin Netanjahu von dem rechtskonservativen Likud unterlag. Unter Netanjahus Regierung wurde die israelische Sicherheits- und Siedlungspolitik seither intensiviert.

Im Juli 2000 wurde unter der Vermittlung der USA ein weiteres Mal auf großer Bühne versucht eine Übereinkunft über einen permanenten Status zu finden. Am 25. Juli wurden die Camp David Verhandlungen jedoch ohne Übereinkunft abgebrochen. Beide Seiten beschuldigten sich später gegenseitig, für das Scheitern verantwortlich zu sein. An der Situation vor Ort änderte sich daher kaum etwas. Mit der zweiten Intifada, die von 2000 bis Anfang 2005 andauerte, im Zuge derer 1010 Israelis und 3354 Palästinenser ums Leben kamen, war eine endgültige Lösung des Konflikts wieder in weite Ferne gerückt. Mittlerweile durchzieht die israelische Sperranlage weite Teile der besetzten Gebiete. Sie soll Israels Sicherheit gewährleisten. Für viele Palästinenser ist die „Mauer“ dagegen ein Faktum der Besatzung.

Seither wird immer wieder versucht, Verhandlungen zu initiieren. „Talks about talks“ heißt das. So auch dieses Jahr. Doch weil auch die Pendeldiplomatie von US-Außenminister die Asymmetrie zwischen den beiden Seiten verfestigt, sind die Hoffnungen auf einen nachhaltigen Ausgleich gering. So fordert die US-Regierung bezeichnender Weise, Palästinenser sollten nicht „feindlich“ auf den Ausbau israelischer Siedlungen reagieren, weil deren Reaktion die Verhandlungen gefährden würde; das Bemühen der Palästinenser um internationale Unterstützung – nicht etwa der Ausbau der Siedlungen – würde den „Friedensprozess“ behindern.

Alsharq-Serie

In unserer Serie wollen wir daher versuchen, einen Einblick in den Alltag zu geben, der von diesen Verhältnissen geprägt ist. Dabei interessiert uns vor allem, was der „Friedensprozess“, oder das, was davon übrig bleibt, für Israelis und Palästinenser heute bedeutet. Der Konflikt scheint nämlich für viele Israelis mittlerweile in den Hintergrund gerückt zu sein, weil insbesondere die Bevölkerung im Zentrum des Landes nicht (mehr) darunter leidet. Dagegen ist die palästinensische Bevölkerung der Besatzung und dem damit einhergehenden Konflikt um Leben, Land und Ressourcen alltäglich ausgesetzt.

Die unterschiedlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren, die damit zusammen hängen, wollen wir in der Serie beleuchten. Um die Entwicklung in Israel und den palästinensischen Gebieten zu erfassen, haben wir Interviews mit Israelis und Palästinensern geführt, viele Stimmen aus der Region gesammelt, aber auch eigene Beiträge zu internationalem Recht und Unrecht der Besatzung Palästinas oder der Idee eines binationalen Staates verfasst.

Diese Beiträge werden wir in den kommenden zwei Wochen an dieser Stelle veröffentlichen und abschließend zu einem kleinen Kompendium zusammen fügen. Wir hoffen, dass unsere Beiträge Euer Interesse wecken und freuen uns über viele Kommentare, Anregungen und Diskussionen.

 

 

 

Johannes kam 2011 zu Alsharq und freut sich sehr, dass daraus mittlerweile dis:orient geworden ist. Politische Bildungsarbeit zur WANA-Region, die postkoloniale Perspektiven in den Vordergrund rückt und diskutiert, gibt es im deutschsprachigen Raum nämlich noch viel zu wenig. Zur gemeinsamen Dis:orientierung beschäftigt sich Johannes daher vor...