Geteilte Erinnerung – zwischen Palästina, Israel und Deutschland
In diesem Podcast geht es um Erinnerung und Identität; um Palästina, Israel und Deutschland. Gemeinsam mit unseren Gäst:innen sprechen wir über die Beziehung zwischen diesen Orten - und darüber, welche persönlichen Geschichten damit verbunden sind.
Wir führen diese Gespräche mit Blick auf die vollständige Zerstörung Gazas durch die israelischen Streitkräfte. Die deutsche Regierung schickt Waffen und stellt sich an die Seite der israelischen Regierung, wenn diese wegen Kriegsverbrechen angeklagt wird. All das ist vermeintlich Teil der sogenannten deutschen „Staatsräson“. Doch wie konnte es dazu kommen, dass die Lehre aus der Shoah zur Rechtfertigung eines Genozids in Gaza führt und was hat die sogenannte Erinnerungskultur in Deutschland damit zu tun?
Intro
Erinnerung ist eine Form der Identitätsbildung. In diesem Podcast gehen wir dieser – deutschen – Identität auf die Spur. Wir schauen uns an, warum es in Deutschland oft nur um sich selbst geht, wenn um Palästina und Israel gesprochen wird statt um die Realitäten vor Ort.
Wir, Valentin und Kian, sind zwei Freunde, die sich im Studium kennengelernt haben. Im Herbst 2023 zogen wir nach Palästina, um Arabisch zu lernen. Valentin ist in Deutschland in einem Umfeld groß geworden, in dem es lange nur Israel gab. Kian hat einen palästinensischen Hintergrund, ist in Österreich aufgewachsen und später nach Deutschland gezogen. Wir haben oft und viel über die bizarren Dynamiken des deutschen öffentlichen Diskurses zu Palästina-Israel gesprochen. Letztendlich war es unsere Zeit in Palästina und die Zuspitzung des öffentlichen Diskurses in Deutschland seit dem 7. Oktober 2023, die uns dazu bewegt haben, unsere Gespräche und Fragen nach außen zu tragen.
#1 Palästinensisch-Sein in Deutschland und der Schweiz – mit Sarah El Bulbeisi
Mit Dr. Sarah El Bulbeisi, Forscherin und Akademische Rätin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sprechen wir über das Palästinensisch-Sein in Deutschland.
Wer oder was Palästinenser:innen in Deutschland sind, wird medial oft im Kontext von diffamierenden Berichten über Solidaritätsproteste diskutiert. Dann gibt es noch das Bild der Palästinenser:innen als Opfer von Krieg und Hunger. Zwischen der Entmenschlichung und der Reduktion auf verletzte, hilflose Körper, fragt selten jemand: Was bedeutet die palästinensische Identität eigentlich für Palästinenser:innen selbst? Über diese Frage sprechen wir mit Sarah El Bulbeisi.
Sarah hat im Laufe ihrer Doktorarbeit zum Palästinensich-Sein in Deutschland und der Schweiz geforscht. Über Jahre hinweg führte sie Interviews mit Palästineser:innen verschiedener Generationen, die in Deutschland und der Schweiz leben. Die Ergebnisse hat sie in ihrem Buch „Tabu, Trauma und Identität“ veröffentlicht.
Was ist die Geschichte der palästinensischen Community hierzulande und was für Erfahrungen und Lebensgeschichten prägen sie? Wieso werden Äußerungen der palästinensischen Identität in Deutschland so massiv unterdrückt bzw., in Sarah El Bulbeisi’s Worten, „tabuisiert“? Wie hängt der Holocaust, die deutsche Täterrolle und die Frage der Schuld damit zusammen? In diesem Gespräch teilt Sarah ihre Forschungsergebnisse, Erfahrungen und Einsichten mit uns. Gemeinsam gehen wir den Fragen auf den Grund.
Sarah spricht mit uns außerdem über ihre persönliche Laufbahn und was der Anstoß für sie war, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Vor allem beleuchtet diese Episode die Komplexität und Vielfältigkeit der palästinensischen Identität und wie verschiedene Generationen von Palästineser:innen in Deutschland mit ihrer Ausgrenzung und der „Tabuisierung“ ihrer Identität umgegangen sind.
Das Interview wurde am 10. April 2025 aufgenommen.
#2 Genocide and Staatsräson - with Dirk Moses
In our second episode, we switch from German to English and talk with Dirk Moses, Professor of International Relations at the City College of New York, CUNY. Dirk is one of the world’s leading experts on genocide, as well as a long-term observer and sharp critic of German memory politics.
The Israeli state is currently being accused of the crime of genocide against the Palestinian people before the International Court of Justice. In our conversation with Dirk, we take a step back and ask when and how the idea of “genocide” originated, in order to better understand how it is used today. How can genocide, as a concept and a law, help us identify and stop mass violence? Dirk identifies, as the title of his recent book puts it, “The Problems of Genocide” and proposes a new framework to better understand why states destroy entire groups of people.
The German state has made the remembrance of the genocide against the Jewish people - as a unique crime, and the corresponding support for Israel, a cornerstone of its post-war identity. We ask Dirk why he thinks the Holocaust is not a Zivilisationsbruch—a rupture in an otherwise progressive civilization—but rather part of a broader history of Western racism and colonialism that has targeted a variety of different groups. Dirk argues that because German memory politics does not include this broader history, certain elements of the Nazi past remain unaddressed and continue to resonate in the present.
The Interview was recorded in September 2024.
Throughout our conversation, we refer to various books and articles. If you’re interested, you can find a compiled list here:
- Dirk Moses: The Problems of Genocide: Permanent Security and the Language of Transgression. Cambridge University Press, 2021
- Dirk Moses: The German Catechism, Geschichte der Gegenwart, 2021.
- Dirk Moses (Hrsg.): Genocide and Settler Society: Frontier Violence and Stolen Indigenous Children in Australian History. New York: Berghahn Books, 2004
- Dirk Moses: German Intellectuals and the Nazi Past, Cambridge University Press, 2007.
- Hans Kundnani: Joschka Fischer und die deutsche Beteiligung am Krieg gegen Serbien, in: Kriegerische Tauben, 2019, S. 141-157.
- Michael Burleigh, and Wolfgang Wippermann, The Racial State, Cambridge University Press, 1991.- Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Hermann Luchterhand Verlag, 1962.
- Michael Rothberg: Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization, Stanford University Press, 2020.
- Michael Rothberg, Jürgen Zimmerer: Enttabuisiert den Vergleich!, in: Die Zeit, 2021, https://www.zeit.de/2021/14/erinnerungskultur-gedenken-pluralisieren-holocaust-vergleich-globalisierung-geschichte.
- Jürgen Zimmerer (Hrsg.): Erinnerungskämpfe: Neues deutsches Geschichtsbewusstsein, Reclam, 2023.
#3 Anti-Antisemitismus – mit Elad Lapidot
In unserer dritten Podcast Folge sprechen wir mit dem Philosophen Elad Lapidot darüber was Antisemitismus ist, wie er definiert wird, wie er in Deutschland „bekämpft“ wird und was das mit dem Blick auf Palästina-Israel zu tun hat.
Elad ist in Israel geboren und aufgewachsen, aber lebt seit über 20 Jahren in Berlin. Unser Gespräch fängt mit Elad’s Israelischer - und Deutscher - Identität an. Wir wollen wissen, was Deutschland für Elad bedeutet und welche Rolle ihm als Israeli und Jude in Deutschland zugeteilt wird.
Unser Gespräch dreht sich jedoch nicht nur um Elad’s persönliche Erfahrung sondern auch um sein Buch, welches auf Deutsch unter dem Titel “Anti-Anti-Semitismus - Eine philosophische Kritik” erschien. Was zeichnet den Kampf gegen Antisemitismus aus? Warum beinhaltet er oft die Unterdrückung von Solidarität mit Palästina? Und inwiefern reproduziert Anti-Anti Semitismus - also der Kampf gegen Antisemitsmus - gewisse Formen des Antisemitismus?
Gegen Ende sprechen wir noch über Erinnerungskultur in Israel und was diese mit dem andauernden Genozid in Gaza zu tun hat - aber auch über Solidarität als Alternative zu Spaltung und Repression im Kampf gegen Antisemitismus und Rassimus.
#4 Spuren der Gewalt – mit Asal Dardan
In unserer vierten Podcast-Folge sprechen wir mit der Autorin und Essayistin Asal Dardan über die Verstrickungen der deutschen Gewaltgeschichte mit gegenwärtigen Formen rechter Gewalt und wie uns Erinnerungsarbeit dabei helfen – oder daran hindern kann – diese Verbindungen offenzulegen.
Asal macht sich in Ihrem neuen Buch „Traumaland“ auf eine Spurensuche durch deutsche Vergangenheit und Gegenwart. In unserem gemeinsamen Gespräch heute verfolgen wir mit ihr diese Spur. Sie führt uns nach Schöneberg und Hanau, aber auch nach Palästina und Israel. Auf dem Weg fragen wir Asal, wie eine andere Erinnerungskultur aussehen kann, welche Gewalt nicht nur in die Vergangenheit verdrängt, sondern gegenwärtig Menschen dient.
Was ist die Rolle von Menschen, die sich öffentlich mit der deutschen Erinnerunsarbeit auseinandersetzen, vor allem wenn der deutsche Staat hierzualande im Namen der Erinnerung Menschen ausgrenzt und in Gaza materiell einen Genozid unterstützt?
#5 Völkerrecht, Verantwortung & Staatsräson – mit Nahed Samour
In unserer fünften Podcast Folge sprechen wir mit der Völkerrechtswissenschaftlerin Nahed Samour über Deutschlands vermeintliche Pflicht dem Völkerrecht gegenüber, was diese Pflicht mit der Verantwortung gegenüber der eigenen Vergangenheit zu tun hat und wie die Realität der Unterstützung Israels da rein passt – oder nicht rein passt.
In unserem Gespräch mit Nahed versuchen wir, dem Konzept der Staatsräson auf die Spur zu gehen. Was bedeutet diese „Räson“ eigentlich – Ist es ein Gesetz? Hat es rechtliche Wirkung? Was für Bedeutung hat sie in der deutschen Außenpolitik und was für Auswirkungen hat sie in Deutschland selbst?
Wir sprechen auch darüber, wie sich eine zunehmened politisierte Zivilgesellschaft, die sich durch den Genozid in Gaza mobilisiert hat, immer öfter auf die Sprache des Völkerrechts beruft. Hat diese steigende Popularität des Völkerrechts Potential?
Auf dem Weg, diesen Fragen nachzugehen, diskutieren wir auch über Naheds persönliche Erfahrungen. Zum Beispiel, ob sie in Zeiten wie diesen noch Hoffnung aus dem Völkerrecht schöpfen kann. Und was Berlin und Deutschland im Kontext der Entwicklungen der letzten Jahre Palästina-Israel gegenüber, sowohl außen- wie auch innenpolitisch, für sie bedeutet.
Im Laufe der Folge wurden u.a. diese Literaturquellen erwähnt:
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Rabea Eghbariah: „Toward Nakba as a Legal Concept“, in: Columbia Law Review
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Hanan Badr und Nahed Samour: „Arab Berlin: Dynamics of Transformation“, transcript Verlag, 2023.
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