06.05.2020
„Ein Ramadan ohne Seele“ – der Fastenmonat und Corona
In diesem Jahr ist im Fastenmonat Ramadan alles anders. Illustration: Kat Dems
In diesem Jahr ist im Fastenmonat Ramadan alles anders. Illustration: Kat Dems

Geschlossene Moscheen, Fastenbrechen ohne Gemeinschaft, Rasieren ohne Barbier: Wegen der Corona-Pandemie ist in diesem Ramadan vieles anders. Fünf Menschen aus verschiedenen Ländern Westasiens und Nordafrikas erzählen von ihren Erfahrungen.

Salma*, 24 Jahre, Kairo/Ägypten

Wegen des Corona-Virus findet vieles dieses Jahr zu Hause statt. Ausnahmsweise verbringen wir die Abende zu Hause und beten auch nicht gemeinsam in der Moschee. Andererseits bleibt uns die Freiheit, tagsüber rauszugehen und andere Menschen zu besuchen. Wenn um 21 Uhr die Ausgangssperre einsetzt, gehen die Leute in den zentralen Vierteln wie am Tahrir-Platz oder in Mohandessin nach Hause. In den informelleren Vierteln spielen die Kinder bis nachts auf der Straße und die Leute besuchen sich auch nach der Ausgangssperre. Ich habe Glück, dass ich mit meiner erweiterten Familie in einem Gebäude wohne und wir deshalb wie gewohnt zusammen das Fasten brechen können.

Wenn man tagsüber draußen ist, ist es schwer, Abstand zu halten. Zum Beispiel haben Metro und Post wegen Ausgangsbeschränkungen und Ramadan kürzere Öffnungszeiten als sonst. An den Postfilialen erhalten aber alte Menschen ihre Rente. Neuerdings bekommen auch Tagelöhner, die zurzeit ohne Einkommen sind, dort geringe Sozialleistungen. Die Leute dürfen nicht in den Gebäuden warten, deswegen sammeln sich vor der Post große Menschenmengen an. Auch die Metro ist in den wenigen Stunden, in denen sie fährt, total überfüllt.

Ich merke dieser Tage, wie wichtig mir die alltäglichen Dinge sind, die ich normalerweise außer Haus unternehme. Bei mir ist es zum Beispiel Playstationspielen! Eigentlich treffe ich mich dazu regelmäßig mit Freund*innen in Cafés. Gerade im Ramadan verbringen wir ganze Nächte dort. Ich weiß, es gibt Wichtigeres, aber das fehlt mir sehr.

Maroua, 32 Jahre, Tunis/Tunesien, freiberufliche Arabisch-Lehrerin

Durch das Corona-Virus sind die Lebensbedingungen im Moment sehr, sehr schwer. Die Menschen arbeiten nicht. Das Land steht still. Im März hatten die kleinen Unternehmen noch einige Rücklagen, aber seit April haben sie große Probleme. Die Preise sind angestiegen. Es ist nicht so, als wenn wir nichts zu essen hätten. Aber der Tisch ist dieses Jahr weniger reich gedeckt als sonst.

Normalerweise hat der Ramadan eine ganz besondere Stimmung. Tagsüber sind die Restaurants und Cafés zwar geschlossen, aber dafür ist auf eine andere Weise was los. Die Menschen gehen einkaufen und bereiten sich auf das Fastenbrechen vor. Alle sind fröhlich und wünschen sich einen gesegneten Ramadan. Nachts sitzen die Menschen beisammen oder gehen gemeinsam aus. Die Cafés und Restaurants sind voll, die Läden haben geöffnet und Kinder spielen auf der Straße.

Diese Lebendigkeit spüre ich dieses Jahr nicht. Bis auf Lebensmittelgeschäfte und Märkte hat alles geschlossen. Die Menschen gehen eilig einkaufen und dann schnell wieder nach Hause. Man grüßt sich von weitem. Nachts gilt eine Ausgangssperre. Ich bin gewohnt zu sehen, wie die Menschen zum gemeinsamen Gebet in die Moschee gehen. Nun sind alle Moscheen geschlossen. Es ist ein Ramadan ohne Seele.

Faris*, 27 Jahre, Riad/Saudi-Arabien 

Auch hier in Saudi-Arabien ist Ramadan in diesem Jahr ziemlich seltsam. Am meisten vermisse ich, dass ich meine Freunde und Kumpels nicht sehen kann, und darum geht es ja eigentlich im Ramadan. Die Ausgangssperre wurde zwar mittlerweile gelockert, momentan dürfen wir das Haus zwischen 17 Uhr und 9 Uhr nicht mehr verlassen. Das heißt aber, dass wir das Fastenbrechen am Abend nur mit der Familie machen können – zum Glück sind wir zu elft.

Wie viele andere hier liebe ich Sambosa, das ist nicht nur während Ramadan ein ganz typisches Gericht. Dazu gibt es Vimto, das ist ein Fruchtsaftgetränk aus Trauben, Himbeeren und schwarzen Johannisbeeren. Ich erinnere mich gern daran, dass wir es als Kinder vor allem während des Ramadans trinken durften.

Natürlich würden viele Muslim*innen gerade im Ramadan gerne nach Mekka, aber das darf wegen der Pandemie gerade niemand. Die Stadt ist abgesperrt. Gerade wird darüber diskutiert, was mit den schon gebuchten Hajj-Reisen passiert. Ich denke aber, dass die Leute hier der Regierung vertrauen und verstehen, dass die Maßnahmen eben sein müssen. Den meisten Menschen fehlt es an nichts, wir müssen nur abwarten.

Mich persönlich treibt gerade etwas anderes um: Weil alle Friseurläden geschlossen haben, musste ich mir den Bart selbst schneiden. Zum ersten Mal überhaupt, normalerweise gehen hier immer alle zum Barbier. Ich habe die Maschine genommen, niedrigste Einstellung, und dann ging es los. Zum Glück sieht mich hier kaum einer.

Mohammed, 23 Jahre, Beirut/Libanon, Student

Für mich ist Ramadan der Monat der Familie und eine Zeit, Gutes für Gott zu tun. Das Fasten wird normalerweise mit einem großen Tisch voller unterschiedlicher Gerichte gebrochen. Am Ende des Monats feiern wir das Zuckerfest. An diesem Tag kaufen wir neue Kleidung und viele Süßigkeiten.

Doch in Zeiten der Wirtschaftskrise und Corona sieht es anders aus. Hier im Libanon können viele Menschen nicht fasten, denn um das Fasten zu brechen, braucht man zumindest nach Sonnenuntergang eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Die können sich heute nur noch wenige Menschen leisten. Die Preise für Lebensmittel sind in die Höhe geschossen. Diejenigen, die fasten, brechen das Fasten mit viel weniger Essen.

Das Zuckerfest hat schon in den letzten Jahren an Bedeutung verloren, weil die Bevölkerung immer ärmer wird. Doch Corona hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich kann mich an einen Bericht in den Nachrichten erinnern, in dem ein Mann seine Brieftasche in die Kamera hält und zeigt, dass er nicht einmal 1000 Lira hat [etwa 60 Cent, Anm. d. Red.]. Davon kann man sich gerade mal einen Kaugummi oder ein Bonbon kaufen.

In den letzten Tagen sind die Menschen wieder zu Protesten auf die Straße gegangen. Auf der einen Seite sehe ich es positiv, dass die Demonstrant*innen ihre Rechte einfordern und Druck auf die Politik ausüben. Auf der anderen Seite gibt es viele, die momentan keine Masken tragen und sich nicht an die Abstandsregelungen halten. Diese Menschen denken, sie haben nichts zu verlieren – lieber durch das Virus sterben als durch die Misswirtschaft.

Mubarak, 32 Jahre, Amman/Jordanien, Geflüchteter aus dem Sudan

In Jordanien lebe ich nun seit sechseinhalb Jahren. Den Krieg im Sudan habe ich überstanden, aber bei Corona wusste ich erstmal nicht, wie ich mich verhalten soll. Seit dem 15. März kann ich nicht mehr arbeiten gehen. Ich war sehr besorgt, was kommen würde. Was, wenn ich Corona kriege?

Eine tägliche Routine hilft mir dabei, mir nicht zu viele Gedanken über die Zukunft zu machen. Nachmittags bin ich meist einige Stunden unterwegs, um anderen Geflüchteten Nachhilfe zu geben. Weil sie wegen Corona keinen Unterricht haben, gehe ich zu ihnen nach Hause und helfe ihnen beim Lernen für ein Online-Diplom. Danach lese ich zu Hause Nachrichten und spiele mit meinen Mitbewohnern Karten.

Jetzt ist auch eine gute Zeit, endlich wieder mit alten Freund*innen aus dem Sudan zu telefonieren. Alle zwei Tage spreche ich mit jemand anderem. Es hilft mir zu hören, dass sie sich in einer ähnlichen Situation wie ich befinden.

Vor ein paar Tagen war ich zum Fastenbrechen bei Freunden eingeladen, insgesamt waren wir zu fünft. Es gab Asida, ein sudanesisches Gericht aus Maismehl, dazu Salat und Nischa, ein Getränk auf Stärkebasis mit Orangengeschmack. Meine Freunde in ihrer Wohnung zu besuchen, war nur möglich, weil ich in der gleichen Nachbarschaft wohne. Ich ging zu ihnen, bevor um 18 Uhr die Ausgangssperre einsetzte. Zum Sonnenuntergang brachen wir das Fasten. Danach kehrte ich im Schutz der Dunkelheit nach Hause zurück. Weite Strecken zurückzulegen ist zu gefährlich, denn auf Verstöße gegen die Ausgangssperre stehen Gefängnis und eine Geldstrafe.

*Name auf Wunsch geändert

Mehr Arbeiten der Illustratorin Kat Dems finden sich auf ihrem Instagram-Account oder auf ihrer Webseite.

 

 

Maximilian hat in Leipzig, Amman und London Politik, Arabisch und internationale Entwicklung studiert. Er lebt in Leipzig, arbeitet mit Geflüchteten und schreibt nebenher als freier Autor. Bei dis:orient betreut er seit 2020 die Kolumne „Des:orientierungen“ und ist unter anderem Teil des Social-Media-Teams.
Clara arbeitet in der Wissenschaftskommunikation. Zu dis:orient kam sie 2018 und seit Februar 2022 übernimmt sie die Koordination unseres Magazins. Clara hat Internationale Migration & Interkulturelle Beziehungen in Osnabrück und Politikwissenschaft in Hamburg & Istanbul studiert. Ihre Themen sind Solidarität in der postmigrantischen...
Eva ist seit 2020 bei dis:orient im Social Media-Team und im Magazin aktiv. Sie studiert aktuell Migration Studies (M.A) an der Universität Kopenhagen und befasst sich in ihrer Masterarbeit mit Gender-Rollenwechseln bei weiblichen Geflüchteten in Jordanien. Ihre vorherigen beruflichen Stationen im Bildungsbereich und der...
Zeinab studiert Medizin an der Universität des Saarlandes. Sie hat einen libanesischen Migrationshintergrund und ihr Interessengebiet ist die Levante mit besonderem Schwerpunkt auf den Libanon, mit dem sie  eng verbunden ist. Während ihrer diversen Aufenthalte im Libanon hat sie den Julikrieg, die Müllkrise und die Wirtschaftskrise erlebt.
Christopher Resch ist Pressereferent im Berliner Team der internationalen Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) mit Fokus auf den Nahen Osten (MENA) und Südosteuropa. Er hat in Leipzig und Istanbul Journalistik und Arabistik studiert und anschließend für das Goethe-Institut in Ägypten und Saudi-Arabien gearbeitet. Er ist...
Redigiert von Maximilian Ellebrecht, Anna-Theresa Bachmann