08.03.2019
Female Empowerment mithilfe der Religion? – Die Qubaysiyyat in Syrien
Ausschnitt aus dem Film "The Light In Her Eyes", einem Portrait über die Lehrerin und Predigerin Houda al-Habash
Ausschnitt aus dem Film "The Light In Her Eyes", einem Portrait über die Lehrerin und Predigerin Houda al-Habash

Für Kritiker*innen stehen islamische Lehren oft im Widerspruch zu Frauenrechten und Emanzipation. Die religiöse Frauenbewegung der Qubaysiyyat aus Syrien sieht das anders. Von Stefanie Grolig

Dieser Text ist Teil der Serie Aufgehorcht. Darin stellen wir euch anlässlich des Internationalen Weltfrauentags am 8. März Einzelpersonen, Initiativen und NGOs aus der WANA-Region vor, die an den bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern rütteln. Alle Texte der Serie findet ihr hier.

Die Anfänge der Gruppe, die man heute als die Qubaysiyyat bezeichnet, liegen in den 1960er Jahren. Ihre Gründerin und Anführerin Munira al-Quabaysi (*1933) studierte Naturwissenschaften an der Universität Damaskus und unterrichtete lange Zeit an staatlichen Schulen.

Die Gruppe zählt zu den größten religiösen Frauenbewegungen für sunnitische Muslim*innen und ist pietistisch geprägt. Mithilfe des Großmuftis von Damaskus begann al-Quabaysi, Mädchen und junge Frauen um sich zu versammeln, um ihnen religiöses und weltliches Wissen zu vermitteln.

Geschichtlich und ideologisch kann man die Qubaysiyyat und auch andere religiöse Verbände im Syrien der 1980er Jahre, in die Nähe der Muslimbruderschaft rücken. Diese organisiert sich damals als politische Opposition zu Hafiz Assad, was zur politischen Verfolgung religiöser Verbände im Allgemeinen führte. Die Bevölkerung unterstützte und unterstützt diese Gruppen teilweise bis heute, da sie dem syrischen Regime die Stirn boten und bieten.

Die Qubaysiyyat im Speziellen, sehen sich selbst jedoch als unpolitische, wenn dann gesellschaftlich aktive Gruppierung. Diese Einstellung hat es ihnen ermöglicht, mehrere Jahrzehnte lang seit ihrer Gründung offen zu agieren. Dabei konnten die Frauen zu Beginn durch die Unterstützung islamischer Gelehrter in Moscheen predigen. Wegen des Generalverdachts der Regierung, dass religiöse Verbände der politischen Opposition angehören, hatte dies jedoch seit den 1980er Jahren ein jähes Ende.

Wie fühlt es sich an, Teil der Qubaysiyyat zu sein?

Das Ziel der Gruppe ist es, jedes Mädchen und jede Frau durch Bildung zu einer guten Anführerin zu machen. Die Qubaysiyyat rekrutieren viele neue Mitglieder aus der Damaszener Oberschicht. Sie verstehen sich aber auch als soziale Bewegung und bieten deshalb Unterricht für Frauen aus niedrigeren sozialen Schichten an. Wer sich hier bewährt, kann innerhalb der Organisation aufsteigen und dann selbst zu Lehrerin werden.

Die Frauen nutzen die Grenze zwischen den Geschlechtern zu ihrem Vorteil, indem sie sich meist in privaten Zirkeln treffen, zu denen Männer keinen Zugang haben. Somit schaffen sie einen exklusiven Zugang zu Bildung von Frauen für Frauen.

Die Gruppe ist streng hierarchisch aufgebaut, wobei jede Frau zugleich Schülerin und Lehrerin sein soll. Innerhalb der Bewegung gibt es einen Dresscode, der diese Hierarchie wiederspiegelt. Charakteristisch sind hierbei die Bindung des Kopftuches und die Farbe des knöchellangen, geknöpften Mantels (manto). Die zentralen Farben sind weiß, marineblau und schwarz. Je nach Farbkombination kann man den Stand der Frau innerhalb der Gemeinschaft ablesen.

Für die Qubaysiyyat haben die religiöse und die säkulare Bildung einen ähnlichen Stellenwert. Sie sehen beide Teile als elementare Bedingungen dafür eine gute Anführerin zu werden. Viele der jungen Frauen studieren naturwissenschaftliche Fächer, oder auch Politik und Wirtschaft. Sie sehen die Religion und Gott als Richtungsgeber und Stärkung für sich selbst und wollen dies in die Gesellschaft weitertragen.

Inwieweit stellt die Gruppe patriarchale Strukturen in Frage?

Das Koranstudium ist der Kern der Gruppenaktivitäten bis zum Erwachsenenalter. Mädchen können bereits im Kindergarten mit dem Unterricht beginnen und führen diesen dann jahrelang fort. Das Studium der islamischen Quellen umfasst generell sirāh (Prophetenbiographie), fiqh (Islamisches Recht) und ḥadīth. Der Koran wird zuerst auswendig gelernt und später können die Mädchen auch in der Koranrezitation (tagwid) ausgebildet werden.

Die Qubaysiyyat sehen das Koranstudium als Hilfsmittel, um die männliche Autorität in der syrischen Gesellschaft zu untergraben. Sie bilden sich, um unterscheiden zu können, wann gesellschaftliche Regeln auf den Islam oder doch oftmals eher der Fall auf Bräuche und Traditionen zurückgeführt werden.

Die Frauen der Qubaysiyyat sehen die Autorität der syrischen Frau als sehr eingeschränkt an. Es ist sowohl im Beruf als auch in der Familie schwer, den Ton anzugeben. Sie kritisieren diesen Zustand offen und machen die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen dafür verantwortlich.

Aktuelle Situation im syrischen Bürgerkrieg

Seit Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien hielten sich die Frauen wie auch schon zuvor weiterhin sehr bedeckt. Viele sind ins Ausland geflüchtet und befinden sich damit im Exil.

Das Porträt über die Lehrerin und Predigerin Houda al-Habash ist im im folgenden Video zu sehen:

Diaspora der muslimischen Frauenbewegung

Gruppen der Qubaysiyyat gab/gibt es außerdem noch in Jordanien, dem Libanon, Indonesien und Malaysia, den USA, Kanada und Großbritannien. Viele Musliminnen wanderten in den 1980er Jahren in die Vereinigten Staaten von Amerika aus und gründeten dort Lernzirkel.

Seit dem Golfkrieg und verstärkt nach den Anschlägen vom 11. September, ist die Präsenz dieser Gruppen im öffentlichen Raum jedoch stark zurückgegangen. Viele Frauen der Qubaysiyyat sahen sich seit diesem Zeitpunkt Vorwürfen der amerikanischen Öffentlichkeit ausgesetzt. Denn gerade Frauen müssen sich oft rechtfertigen, weshalb sich sie als Frau im Islam nicht unterdrückt fühlten.

Stefanie Grolig studiert Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens an der Philipps-Universität in Marburg.

Quellen und Hintergrundliteratur:

Islam, Sarah. The Qubaysiyyat: The growth of an international muslim women's revivalist movement from Syria (1960-2008). In: Masooda Bano und Hilary Kalmbach (Hg.): Women, leadership, and mosques. Changes in contemporary Islamic authority. Leiden: Brill (Women and gender, 11), 2012, S. 161–183.

Meltzer, Julia; Nix, Laura. The Light in Her Eyes. The New York Times, 16.07.2012. www.nytimes.com/2012/07/17/opinion/an-islamic-school-for-girls.html?_r=0. Aufgerufen am 2. März 2019.

Omar, Sara. Al-Qubaysiyyāt. Negotiating Female Religious Authority in Damascus. In: Muslim World103 (3), 2013, S. 347–362.

Zoepf, Katherine. Islamic Revival in Syria Is Led by Women. The New York Times, 29.08.2006. www.nytimes.com/2006/08/29/world/middleeast/29syria.html?_r=0. Aufgerufen am 2. März 2019.

 

Artikel von Stefanie Grolig
Redigiert von Anna-Theresa Bachmann, Julia Nowecki