31.03.2018
„Meinungsfreiheit ist die DNA unserer Sendung“ – Interview mit „Shababtalk“-Moderator Jaafar Abdul Karim
Diskussion in Bizerte, Tunesien zum Thema: Warum wollen junge Leute Tunesien verlassen? Copyright Deutsche Welle.
Diskussion in Bizerte, Tunesien zum Thema: Warum wollen junge Leute Tunesien verlassen? Copyright Deutsche Welle.

Jaafar Abdul Karim moderiert Shababtalk (Deutsche Welle Arabic), die erfolgreichste Sendung für junge Leute in arabischen Ländern. Darin diskutiert er mit jungen Menschen kritisch über gesellschaftliche und politische Themen in Westasien, Nordafrika und Europa. Mitunter erntet auch die Sendung selbst dafür Kritik.

Shababtalk ist ein arabischsprachiges Programm der Deutschen Welle Arabic. Folgen kann man der Sendung auf Youtube und Facebook.  

dis:orient: Jaafar Abdul Karim, du lebst seit 2001 in Deutschland und hast einen Master-Abschluss der Quadriga Universität in „Leadership and Communication“. Das Medium Magazin wählte dich 2016 auch wegen deiner Sendung Shabatalk zum Reporter des Jahres. Wie ist die Sendung entstanden?

Jaafar Abdul Karim: Shababtalk ist ein Kind des Arabischen Frühlings. In dieser Zeit war ich für die Deutsche Welle viel in Ägypten, Tunesien und Libyen unterwegs. Im Kontakt mit den jungen Menschen vor Ort spürte ich, dass es die junge Generation leid war, keine Stimme zu haben. Bis dahin bestanden die arabischen Medienangebote für sie zumeist aus Comedy oder Entertainment-Sendungen wie Arab Idol. Es gab keine Formate, in denen offen über gesellschaftsrelevante Themen gesprochen werden konnte. Der Wille der jungen Menschen, sich frei zu äußern und zu diskutieren, war da – es fehlte nur noch eine Plattform dafür. Die Deutsche Welle unterstützt die Presse- und Meinungsfreiheit. Daher begannen wir im November 2011 mit Shababtalk.

…und seid damit extrem erfolgreich: Drei Jahre in Folge, von 2015 bis 2017, wurde Shababtalk von der Arab States Broadcasting Union (ASBU) zur besten arabischsprachigen Talkshow gewählt. Die Anna Lindh Foundation zeichnete eure Sendung mit dem Mediterranean Journalist Award aus, und im Libanon wurdest du zuletzt zu den 100 wichtigsten Persönlichkeiten gezählt.

Ja, das stimmt. Im letzten Jahr hatte Shababtalk allein auf Social-Media-Kanälen über 150 Million Views und auch übers Fernsehen erreichen wir viele Millionen. Die meisten Zuschauer und Zuschauerinnen haben wir in Ägypten, Algerien, Marokko, im Irak, Saudi-Arabien und sogar in Deutschland. Wir streben danach, die gesamte Bandbreite der arabischen Welt abzudecken. Bisher haben wir in Libanon, Jordanien, Marokko, Ägypten, Tunesien, Qatar, Irak, Irakisch-Kurdistan, Sudan und Mauretanien Shows aufgenommen. Täglich bekommen wir hunderte Zuschriften von jungen Menschen, die sich wünschen, dass wir auch zu ihnen kommen und ihnen eine Stimme geben. Gerade auch aus Ländern wie den Golfstaaten, Algerien, Libyen und Syrien, in denen wir noch nicht auftreten konnten.  

Selfie nach der der Sendung in Tunesien. Copyright Deutsche Welle.

 

Wie wird Shababtalk von arabischsprachigen Menschen in Deutschland aufgenommen?

Unsere Zuschauerzahlen in Deutschland steigen stark an, vor allem auf den Social-Media-Kanälen. Unsere Sendung schauen sowohl in Deutschland geborene Menschen an, als auch jene, die erst im Laufe ihres Lebens hierhergekommen sind, vor allem Geflüchtete. Besonders für Menschen, die noch nicht so gut Deutsch können, sind wir mittlerweile eine wichtige Informationsquelle geworden, da wir kritisch über die Entwicklungen in den arabischen Staaten sowie in Deutschland und Europa berichten. Das gestiegene Interesse merke ich auch ganz persönlich: Egal wo ich in Deutschland unterwegs bin, werde ich von arabischsprachigen Menschen angesprochen. Auch die deutsche Politik hat die Bedeutung unserer Sendung erkannt: Wir hatten schon eine Reihe von Politikern zu Gast.

Wie stehen die Regierungen arabischer Staaten zu Shababtalk – lässt man euch einfach agieren?

Nicht überall ist es einfach, es gibt immer große Herausforderungen. Mit der Popularität der Show wächst auch der Druck auf die arabischen Politiker, denen eine Absage an uns immer schwerer fällt. In Ägypten ist die Lage nicht einfach; das DW-Programm Qantara – Dialog mit der islamischen Welt ist dort beispielsweise weiterhin gesperrt. Unsere Maxime ist, dass wir mit der Sendung keine Meinung vertreten, sondern eine Dialog-Plattform darstellen. Alle dürfen bei uns ihre Meinung äußern, solange sie nicht rassistisch ist oder zu Gewalt aufruft. Die Meinung der Regierung darf und soll vertreten sein – aber es muss gleichzeitig erlaubt sein, dass junge, kritische Stimmen den Positionen der Regierung widersprechen. Die Meinungs- und Pressefreiheit ist so etwas wie die DNA unserer Sendung.  

Gerade auf eurer Facebook-Seite finden sich auch viele negative Kommentare. Wie geht ihr mit Kritik um?

Negativ heißt nicht automatisch schlecht. Oft hat jemand nur eine andere Meinung als die, die von Gästen in der Sendung vertreten wird. Es ist essentiell, dass wir einander zuhören. Der Diskussionsbedarf ist riesig; die Leute sind geradezu hungrig danach. Viele der Kommentarschreiber kritisieren, dass wir Tabuthemen ansprechen, dass wir Traditionen und die religiöse Praxis infrage stellen und sie fragen, warum wir uns in diese Dinge einmischen. Darunter finden sich auch rassistische und menschenverachtende Kommentare, die wir natürlich entfernen: Unsere Moderation endet nicht nach der Sendung, sondern wird auf Social-Media-Kanälen weitergeführt.

Dann erklären wir, dass sehr viele unserer Sendungen auf Themenvorschlägen basieren, die uns von jungen Leuten aus der gesamten arabischen Welt zugeschickt werden. Jeden Tag erhalten wir hunderte Zuschriften von Menschen, die ihre Geschichte teilen wollen. Das zeigt uns, welches Vertrauen wir bei unserem Publikum genießen. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass die Mehrheit der Zuschauerinnen und Zuschauer uns sehr positiv begegnet. Wir erfahren viel Lob für unser Konzept, und dafür, dass wir zu kritischen Diskussionen anregen.

Welche Themen interessieren euer Publikum besonders?

Unsere Zuschauerinnen und Zuschauer interessiert ein breites Themenspektrum, besonders gesellschaftliche Themen. Dazu zählen Fragen über Religion, Identität und Nationalität; Beziehungen und Sexualität; Migration, Integration und Diskriminierung; Erziehung, Arbeit und Studium. Und Frauenrechte. Diese Themenfelder überlappen sich in fast allen unseren Sendungen. Viele der bei uns behandelten Themen werden auch in arabischen Ländern besprochen – jedoch auf eine ganz andere Art und Weise: Atheismus und Homosexualität beispielsweise werden häufig als Krankheiten abgetan. Wir schenken den Menschen selbst Gehör und lassen sie ihre Sicht auf die Dinge vorstellen.

Würdest du sagen, ihr habt mit eurem Programm einen Trend gestartet?

In Algerien und im Sudan gibt es schon konzeptionell ähnliche Programme, die sich sogar an unsere Namensgebung anlehnen. Diese Entwicklung ist fantastisch – es freut mich, wenn das Shababtalk-Konzept, offen und kritisch über gesellschaftliche Fragen zu diskutieren, populärer wird.

Fragen um Migration und Integration beherrschen weiterhin die Diskussionen in Deutschland – was sind deiner Meinung nach die größten Herausforderungen?

Ich kann dir nur meine persönliche Meinung geben, basierend auf den Begegnungen, die ich in Deutschland und der arabischen Welt erlebe. Es muss noch viel mehr für die Integration getan werden, beide Seiten brauchen noch viel mehr Aufklärung und es sollten weitere Begegnungsräume geschaffen werden. Für junge Menschen mit Migrationshintergrund bedarf es mehr sichtbarer Vorbilder, denn die können für diese Generation eine Inspiration sein.  

Beim Besuch des Flüchtlingslagers Bar Elias im Libanon. Copyright Deutsche Welle.

 

Und welche Herausforderungen siehst du für die arabische Welt?

Jedes Land ist anders. Generell gilt aber, dass die jungen Menschen im arabischen Raum endlich als gleichberechtigte Stimmen in ihrem Land wahrgenommen werden müssen. Ein Drittel der arabischen Bevölkerung der Welt sind junge Leute! Die hohe Arbeitslosigkeit drängt die gut ausgebildeten jungen Menschen ins Ausland, da sie in ihrer Heimat häufig keine Chancen sehen. Der Arabische Frühling war ein Zeichen dafür, dass sie keine Geduld mehr haben. Das müssen die Politiker dort endlich ernst nehmen.

Die jungen Leute sollten nicht als Feind, oder als Gefahr, sondern als Chance gesehen werden. Mit ihren Ideen, ihrer Arbeitskraft und ihrem Potenzial können sie die arabischen Länder entscheidend mitentwickeln. Doch bisher profitieren die Staaten davon nicht, sondern unterdrücken die jungen Menschen.

Tatsächlich lässt die Lage in Syrien, Libyen oder dem Jemen nur wenig Hoffnung für die Zukunft zu. Ist damit der Arabische Frühling gescheitert?

Das glaube ich nicht, denn mit dem so genannten Arabischen Frühling ist etwas ins Rollen gekommen, das sich nicht mehr aufhalten lässt. Die Menschen haben erkannt, dass sie etwas wert sind und dass sie etwas verändern können. Sie wollen frei atmen, ihre Meinung sagen und mitdiskutieren. Durch das Internet haben sie immer mehr Zugang zu Bildung und sehen, wie das Leben in anderen Gesellschaften aussieht. Sie fragen sich zu Recht, warum sie nicht wie europäische junge Menschen ihre Träume verwirklichen dürfen. Die einzige sinnvolle Perspektive ist es, sie wahr- und mitzunehmen und dadurch ihr Gestaltungspotenzial für die Gesellschaft nutzen.

Mit Shababtalk widmest du dich dieser Aufgabe nun schon seit vielen Jahren. Was ist deine ganz persönliche Rolle in der deutschen Gesellschaft?

Ich kenne beide Seiten, die arabische und die deutsche, sehr gut. Man kann mich nicht wirklich in eine Ecke einordnen und sagen, dass ich mehr Arabisch oder mehr Deutsch wäre. Dieses Gefühl teilen in Deutschland sehr viele Menschen mit einem Migrationshintergrund. Ich versuche im Privaten wie in meiner Arbeit als Vermittler zwischen der deutschen und arabischen Kultur aufzutreten und für gegenseitiges Verständnis zu werben. Für Shababtalk reise ich viel durch Deutschland und auch durch die arabische Welt und beschäftige mich viel mit Fragen zur Migration und Integration. Diese Themen greife ich auch in einem Videoblog bei Spiegel Online und in einer Kolumne in der Zeit auf. Aber auch für Anliegen jenseits dieses Themenspektrums mache ich mich stark, zum Beispiel als Gesicht der UN Women Kampagne #heforshe.

Wie sieht die Zukunft von Shababtalk aus?

Mit dem Format begleiten wir die gesellschaftlichen Realitäten und Veränderungen im Leben junger Menschen im arabischen Kultur- und Sprachraum. So wie sich diese sehr heterogene Community von Nordafrika über die Golfregion bis in den Nahen Osten verändert, möchte auch die Sendung als Spiegel dieser Generation den Entwicklungen gerecht werden. Es wird bei Shababtalk immer wieder Neuerungen geben, das erwarten die Zuschauerinnen und Zuschauer von uns.

Vielen Dank für das Gespräch!

Jan promoviert derzeit zur urbanen, sozialen und ökonomischen Geschichte Libanons im 20. Jahrhundert an der University of Cambridge. Zuvor studierte er Nahost-, Geschichts-, und Islamwissenschaft in Beirut und Freiburg. Zwischen 2016 und 2020 war er bei dis:orient im Redaktionsteam sowie als Autor aktiv. Neben der Forschung schreibt er...