25.05.2020
„Wenn du redest, stirbst du“ - Ein Interview mit Nazeeha Saeed
Nazeeha Saaed. Foto: Brad Hamilton
Nazeeha Saaed. Foto: Brad Hamilton

Nazeeha Saeed ist Journalistin aus Bahrain. Seit knapp zwanzig Jahren arbeitet sie in dem Land zum Thema Menschenrechte. Zuletzt musste sie wegen dieses Engagements den Weg aus Bahrain ins Exil wählen. Dis:orient hat mit ihr gesprochen.

Als Journalistin und Menschenrechtsaktivistin blickst du auf eine Karriere zurück, die mittlerweile zwei Jahrzehnte umspannt. Wie kamst du zum Journalismus?

Ich habe mit meiner journalistischen Arbeit vor 21 Jahren begonnen. Damals war ich noch Studentin und habe englische Literatur und Psychologie studiert, aber ich habe diesen Job sehr geliebt und so habe ich als Praktikantin bei der lokalen Zeitung Al-Ayam angefangen. Das hat sich dann so weit entwickelt, dass ich irgendwann die Möglichkeit bekam für 22 Korrespondent*innen verantwortlich zu sein. Danach wurde ich Chefin vom Dienst bei der Webseite Elaph und den lokalen Zeitungen Al-Watan und Al-Swaq. Für France24 und Radio Monte Carlo war ich Korrespondentin. Mittlerweile arbeite ich als freie Journalistin und als Trainerin für die Sicherheit von Journalist*innen und ich liebe meine Arbeit und Leidenschaft immer noch.

Was bedeutet das – „Trainerin für journalistische Sicherheit“?

Nach meiner Verhaftung 2011 habe ich mir viele Gedanken über das „Empowerment“ von Journalist*innen gemacht. Es soll darum gehen, sie in ihren Jobs zu stärken und das beinhaltet, dass Journalist*innen lernen, wie sie sich selbst in Konfliktzonen und in politischen Konfliktzonen schützen können. Ich trainiere andere Journalist*innen, wie sie strategisch handeln, wenn sie über Konfliktzonen oder politische Konfliktzonen berichten.

Ich versuche ihre Schwächen und Stärken heraus zu arbeiten, damit sie mit den Risiken und Bedrohungen, welchen sie sich ausgesetzt sehen, besser umgehen können. Auf diese Weise können sie strategische Lösungen finden, um zu verhindern, dass sie verhaftet werden. Falls es doch dazu kommt lernen sie, wie sie sich in der Situation verhalten müssen, um den Schaden für sich so gering wie möglich zu halten. Ich gebe diese Trainings meist in Zusammenarbeit mit NROs für Journalist*innen aus WANA.

Du hast bereits erwähnt, dass du 2011 in Bahrain verhaftet wurdest. Warum?

Im Rahmen des „Arabischen Frühlings“ kam es 2011 auch zu pro-Demokratie Bewegungen in Bahrain, welche von Ägypten und Tunesien inspiriert waren. Als internationale Korrespondentin habe ich diese Proteste abgedeckt und auch alle anderen Veranstaltungen dieser Zeit. In einem meiner Beiträge berichtete ich, dass ich gesehen habe, wie ein Protestierender von der Polizei getötet wurde, vor meinen Augen. Die Behörden mochten meinen Beitrag nicht und haben ihn als parteiisch eingestuft. Ich wurde beschuldigt, eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben, um das Regime zu stürzen und Lügen zu verbreiten.

Daraufhin wurde ich am 22. Mai 2011 verhaftet. Mir wurden die Augen verbunden und ich wurde am ganzen Körper geschlagen. Sie haben auch Strom benutzt und ein Polizeibeamter hat versucht, mich Urin trinken zu lassen. Sie haben mein Gesicht in die Toilette gedrückt und gespült. Auch eine Polizeibeamtin hat ihren Schuh in meinen Mund gesteckt. Dazu gab es Schläge, ich wurde verhöhnt und erniedrigt.  

Mittlerweile hast du Bahrain verlassen und lebst im Exil in Berlin.

Als Journalistin in Bahrain zu arbeiten, wurde für mich unmöglich. Die Behörden schikanierten mich in meiner Arbeit, sie kontrollierten meine Kommunikation und haben mir verboten an einigen Pressekonferenzen und Events teilzunehmen. Im Jahr 2016 haben mir die Behörden dann auch noch meine journalistische Lizenz entzogen, die ich mehr als 17 Jahre lang hatte. In Bahrain wird deine journalistische Akkreditierung jedes Jahr erneuert und hängt an den Medien, mit denen du zusammenarbeitest.

Danach haben sie mich vor Gericht gebracht und beschuldigt, ohne Lizenz zu arbeiten. Aber ich arbeitete nicht mehr, seit sie mir offiziell meine Lizenz entzogen hatten. Währenddessen haben sie mir auch verboten zu reisen. Das war im August 2016 und ehrlich gesagt, habe ich mit alldem nicht gerechnet - weder mit dem Lizenzentzug noch mit dem Gerichtsverfahren und dem Reiseverbot. Alles kam auf einen Schlag. Die Behörden hatten beschlossen, mich wegen meiner journalistischen Arbeit loszuwerden und so habe ich mich entschieden, ins Exil zu gehen, um meine Arbeit fortzuführen. Als das Reiseverbot aufgehoben wurde, habe ich 2016 das Land verlassen.

Welche journalistischen Themen hast du in Bahrain bearbeitet?

Meine Spezialität ist Politik und Menschenrechte. Beispielsweise habe ich einiges zu den Wahlen in Bahrain 2018 geschrieben. Für France24 habe ich auch Gerichtsverfahren gegen politische Gefangene kommentiert. Viel habe ich auch bei raseef22 veröffentlicht, zu Frauenrechten in Bahrain oder der Darstellung von gesellschaftlichen Diskursen im öffentlichen Raum. Generell mache ich jede Art von Journalismus. Manchmal sogar Sport und Kultur.

Welche Themen umfasst deine Arbeit jetzt im Exil?

Auch im Exil arbeite ich weiter zu den Themen, an denen ich gearbeitet habe, bevor ich mein Land verlassen habe, aber nun auf eine andere Art. Zuletzt habe ich für raseef22 zu Arbeitsbedingungen ausländischer Arbeiter*innen am Golf und der jetzigen Corona Situation geschrieben. Meine Texte haben jetzt mehr Tiefe und sind investigativer und analysierender als zuvor. Mittlerweile schreibe ich auch über Themen aus dem Exil; Themen die mit der Stadt, der Region oder dem Land verbunden sind, in dem ich nun lebe.

Als du Bahrain verlassen musstest, bist du allein gegangen oder mit deiner Familie?

Damals bekam ich einen Anruf von der Staatsanwaltschaft, die mir nur einen Satz sagte: „Du hast das Recht, heute zu reisen“. Ich wusste nicht, ob das bedeutet, dass ich heute gehen soll und es morgen ein erneutes Reiseverbot geben wird und ich bald wieder im Land eingeschlossen sein würde. Also habe ich ein Ticket gebucht und bin noch am selben Tag ohne einen Plan, wo ich hingehe und was ich tun werde, ausgereist. Demnach bin ich ohne meine Familie gegangen.

Später hatte ich dann Gelegenheit über alles nachzudenken und habe mich entschieden, zurzeit nicht zurückzukehren und lieber außerhalb von Bahrain zu leben und zu arbeiten.
Für mich und meine Familie war und ist das nach wie vor sehr schwierig – für alle von uns. Wir stehen uns als Familie sehr nahe und ganz plötzlich bin ich nicht mehr da. Ich habe zwei Neffen und kann nun leider nicht sehen, wie sie groß werden.

Wie schätzt du die Situation für Journalist*innen in Bahrain und in der Golf Region generell ein?

Bahrain rangiert auf Platz 169 im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen. Jedes Jahr geht es weiter runter, weil sie die Freiheiten einengen und Journalist*innen verbieten, ihre Arbeit zu machen. Es sind keine unabhängigen Korrespondent*innen im Land erlaubt und alle Nachrichtenblätter sind pro-Staat. Es gibt bei uns nur Staatsfernsehen und Staatsradio. Khashoggi‘s Ermordung ist ein gutes Beispiel dafür, wie Pressefreiheit am Golf aussieht: wenn du redest, stirbst du.

 

 

Henriette studierte Vorderasiatische Archäologie und Islamwissenschaft im Master in Berlin, London und Amman und arbeitete und lebte im Sudan, Tunesien, Syrien, Tadschikistan, Aserbaidschan und Russland. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin im Bereich Migration und promoviert in der Iranistik zu Kurd*innen in Russland.
Redigiert von Matthias Flug, Anna-Theresa Bachmann