06.11.2013
Ägypten: wer das Sagen hat
Deutsche Welle: Shabab Talk vom 5. November 2013
Deutsche Welle: Shabab Talk vom 5. November 2013

Diese Woche wurde auf der Deutschen Welle Arabic der „Shabab Talk“ ausgestrahlt, eine politische Diskussionsrunde, zu der auch Alsharq eingeladen war. Der Verlauf der Diskussion gibt einen guten Einblick in die gegenwärtigen Verhältnisse in Ägypten – vor allem, weil sie zeigt, wer mit welchen Themen die Auseinandersetzung bestimmt.

Das Thema der Sendung war die aktuelle politische Situation in Ägypten, die von der aufgeladenen Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der Muslimbrüder und dem abgesetzten Präsidenten Mohamed Mursi auf der einen Seite und den Anhängern des Militärs auf der anderen Seite geprägt ist.

Die einen beziehen Position gegen den Militärputsch von Ende Juni und pochen auf die Legitimität des gewählten Präsidenten Mursi; derweil fordern die anderen, dass das Militär die Sicherheit Ägyptens wieder herstellen müsse, weil die Muslimbrüder die Stabilität des Landes gefährdeten.

Angesichts dieser Konfrontation und Polarisierung ging es im „Shabab Talk“ darum, ob und wie sich eine Alternative etablieren kann, die es weder mit dem Militär, noch mit den Muslimbrüdern hält. Aktuelle Aufhänger der Diskussion waren der Auftakt des Prozesses von Mursi, der mit 14 anderen Muslimbrüdern für Mord angeklagt ist, sowie die Absetzung von Bassem Youssefs Polit-Satireshow „El Bernameg“.

Der Verlauf des Gesprächs hat unweigerlich Ausdruck über die gegenwärtigen Verhältnisse in Ägypten gegeben. Alsharq kam dabei eher die Rolle des kommentierenden Beobachters zu:

Da war zum einen Hosam Hazem, Mitglied des politischen Büros der Bewegung zur Verteidigung der Republik und ausgesprochener Nasserist. Er bekannte sich entschieden zum Militär. Hazem, der über Telefon aus Kairo zugeschaltet war, redete am meisten und lies sich von Moderator Jaafar Abdul Karim selten stoppen. Er war häufig polemisch in seinen Aussagen und teilte forsch gegenüber Ahmed Elhossini aus, der im Deutsche-Welle-Studio die Opferrolle der Muslimbrüder hervor hob.

Mit dem Impetus der Stärke erklärte Hazem die Muslimbrüder zu Staatsfeinden und leitete davon das Recht für die Militärführung Ägyptens ab, die Kontrolle im Land zu übernehmen. In seinen Anklagen spielt es für ihn dabei keine Rolle, dass die Konfrontation zwischen den Muslimbrüdern und dem Militär sehr asymmetrisch ist: Die Muslimbrüder sehen sich einer Staatsgewalt gegenüber, die seit jeher den Machtanspruch vertritt, den die Muslimbrüder ihrerseits aus ihren Wahlerfolgen ableiten wollten. Für Kritik am Vorgehen des Militärs bleibt dabei kein Raum. Stattdessen steht für Hazem fest, dass der Prozess an Mursi dessen Schuld belegen und die Rechtmäßigkeit der Machtübernahme des Militärs bestätigen wird.

Ahmed Elhossini, Ingenieur von der al Azhar Universität in Berlin, kommt darüber seinerseits schnell in die Defensive. Er versucht seine Position zu finden und selbst Forderungen zu stellen, muss sich dabei aber persönlich viel für Vorwürfe verteidigen, die allgemein an das Vorgehen der Muslimbrüder gerichtet sind. Sein Verweis auf die Notwendigkeit, Mursi ein faires Verfahren zu ermöglichen, geht so beispielsweise fast in den Anklagen von Hazem unter. Dieses Lavieren ist vielleicht Ausdruck dessen, dass den Muslimbrüdern in den vergangenen Wochen und Monaten viele Sicherheiten genommen wurden. Während sich Hazem nämlich selbstverständlich mit dem Militär identifiziert, wird der Druck für Elhossini deutlich, sich von den Muslimbrüdern abzugrenzen.

Ahmed Maher, Mitbegründer der Jugendorganisation 6. April, der ihr aber mittlerweile nicht mehr vorsteht, sondern sie berät, war vorsichtig in seinen Aussagen. Schließlich ging es ihm darum, einen sogenannten dritten Weg zwischen Militär und Muslimbrüdern zu finden. Er hob hervor, dass die Menschenrechtssituation aktuell noch schlimmer sei als unter Mubarak oder Mursi. Direkte Anklagen machte er aber keine. Das hat vielleicht auch mit der weit verbreiteten Angst vor Repressionen zu tun, die für ihn auch hinter der Entscheidung des Senders CBC steht, die populäre Sendung „El Bernameg“ abzusetzen. Die aktuelle Auseinandersetzung sei so polarisierend, dass für die Bemühungen um eine gemeinschaftlichere Alternative daher kaum Platz bliebe.

Die „Debatte“ verläuft so nach den inhaltlichen Vorgaben des Moderators, aber die Positionen sind eigentlich von Beginn an klar. Wirklich miteinander ins Gespräch kommen wollen oder können die Beteiligten dabei nicht. Jeder – weibliche Teilnehmerinnen sind in solchen Runden leider ohnehin viel zu selten anwesend – argumentiert daher für sich und spult seine Vorträge auch in dieser Sendung routiniert ab. Andere Meinungen dienen dabei höchstens als Angriffsfläche, um die eigene Position zu vertreten, nicht, um sich damit inhaltlich (oder gar empathisch) auseinander zu setzen.

Zum Abschluss dann soll in wenigen Sekunden ein Lösungsansatz zu den Problemen Ägyptens umrissen werden; Probleme, das wird klar, die auch darin bestehen, dass Schuld hin- und hergeschoben wird. Doch für Lösungen – oder eine Diskussion darüber – bleibt wenig Raum. Wenn überhaupt, dann kommen die gebotenen „Lösungen“ recht allgemein und abgegriffen daher.

Einzig Hosam Hazem muss sich dazu aber nicht mehr zu Wort melden. Seine Position – und die Position derer, die er im „Shabab Talk“ vertreten hat – ist ohnehin klar. Denn wer in Ägypten momentan das Sagen hat, hat der Verlauf der Sendung exemplarisch gezeigt.

 

Die ägyptische Zeitung „Shorouk News“ hat über die Sendung berichtet, die bei Erstausstrahlung rund 250.000 Menschen gesehen haben.

Johannes kam 2011 zu Alsharq und freut sich sehr, dass daraus mittlerweile dis:orient geworden ist. Politische Bildungsarbeit zur WANA-Region, die postkoloniale Perspektiven in den Vordergrund rückt und diskutiert, gibt es im deutschsprachigen Raum nämlich noch viel zu wenig. Zur gemeinsamen Dis:orientierung beschäftigt sich Johannes daher vor...