18.01.2016
„Barjam“ ist erreicht, was nun?
Hasan Rouhani. Photo: kremlin.ru (http://en.kremlin.ru/events/president/news/56154, CC BY 4.0)
Hasan Rouhani. Photo: kremlin.ru (http://en.kremlin.ru/events/president/news/56154, CC BY 4.0)

„Barjam“ ist das persische Kürzel für den Atomvertrag zwischen den fünf UN-Sicherheitsrat-Ländern, Deutschland und Iran. Es bezeichnet den „umfassenden Plan gemeinsamer Maßnahmen“, welcher am 16. Januar in die Umsetzungsphase übergangen ist. Dies ist ein wichtiger Schritt - doch bis Irans Atomprogramm von der Agenda des UN-Sicherheitsrats gestrichen wird, stehen noch wichtige Aufgaben an. Von Friedrich Schulze

Lange schon wurde der 15. Januar als Zieltermin zum Erreichen des „Implementation Day“ diskutiert, doch viele glaubten nicht dran. Zu oft waren Termine nicht eingehalten worden, zudem gab es dieses Mal keine offizielle Frist, sondern nur einen formulierten Wunsch, der besonders von Iran getragen wurde. Viele andere Zeitpunkte kursierten, die alle ihrer eigenen Logik folgten: Anfang Februar, also kurz vor den Parlaments- und Expertenratswahlen in Iran, damit Rouhani’s Unterstützer noch Aufwind erhalten. Mitte März, als Geschenk an die Bevölkerung zum iranischen Neujahr, bei dem praktisch Weihnachten und Sylvester in Iran zusammenfallen. Ende März, weil vor und während des zweiwöchigen Neujahrsfestes, dem wichtigsten Fest Irans, alles still liegt.

Nun ist es der 16. Januar geworden, was durchaus als Ergebnis dessen gewertet werden darf, dass Iran es nun gar nicht schnell genug gehen konnte. Selbstverständlich trifft dies wohl auch auf die Obama-Regierung zu, da der US-Präsident in seiner letzten Amtszeit bis November noch einiges liefern möchte. Ebenso ließe sich sogar ein deutsches Interesse an einem zügigen nächsten Schritt in dem Atomkonflikt sehen, da dies ein positives Einwirken Irans auf den syrischen Bürgerkrieg gewährleisten und damit die Chancen zur Lösung der „Flüchtlingskrise“ erhöhen würde. Doch allen voran sind die beteiligten Akteure insbesondere deswegen an der schrittweisen Aussetzung zahlreicher Sanktionen gegen Iran interessiert, um den höchst lukrativen Markt Irans zu erschließen.

Was genau bedeutet der „Implementation day“?

Der „Implementation Day" kennzeichnet die Anwendung des JCPOA (Joint Comprehensive Plan of Action) oder „Barjam“, der grundsätzlich im Juni 2015 mit der Unterschrift zwischen den 5+1 und Iran schon in Kraft trat. Danach musste vor allem Iran einige Maßnahmen umsetzen, die zuvor in den Verhandlungen vereinbart worden waren. Ob dies vertragsgemäß durchgeführt wurde, sollte dann ein abschließender IAEA-Bericht klären, der das technische „ok“ für die nächste politische Phase des JCPOA geben sollte.

Dies ist nun passiert. Dadurch werden zahlreiche US-Sanktionen ausgesetzt — das heißt, nicht aufgehoben — sowie die EU-Sanktionen aufgehoben, allerdings bleiben viele Handelsauflagen bestehen. Die wirtschaftlich wichtigsten Sanktionen betreffen hierbei den Öl- und Gasbereich, Flugzeug- und Maschinenbau und die SWIFT-Sanktionen, durch die Iran bisher praktisch vom weltweiten Geldsystem abgeschnitten war. Iran muss zudem noch das Zusatzprotokoll des Atomwaffensperrvertrages ratifizieren, welches zwar 2003 unterschrieben, allerdings nur bis 2006 freiwillig umgesetzt worden war.

Atomvertrag. Wirtschaftsdeal. Hoffnung

Durch die Aussetzung und Aufhebung dieser Sanktionen hofft Iran nun auf einen echten wirtschaftlichen Boom, der für einen nachhaltigen Aufschwung und eine grundlegende Erneuerung des gesamten iranischen Wirtschaftssystems sorgen soll. Dies ist auch bitter nötig, da im Grunde alle Bereiche der Wirtschaft mit veralteten, meist vorrevolutionären Systemen aus den 70ern arbeiten und die internationale Isolation das Rückgrat der Wirtschaft ernsthaft gefährdete. In Iran wusste man, dass ein revolutionäres „Weiter so, und zwar doller“ nicht helfen würde.

Dass in den vergangenen zehn Jahren viele der wirtschaftlichen Notstände in Iran durch chinesische Systeme und Produkte ausgefüllt wurden, beschert den iranischen Kunden eine gute Verhandlungsposition. Natürlich wissen die europäischen und amerikanischen Firmen, dass ihre Produkte sehnlichst erwartet werden in Iran, da man grundsätzlich lieber Qualität kauft, doch bewegt man sich nun auf ganz anderen Preisniveaus.

Direkt nachdem die Anwendung des JCPOA verkündet wurde, schnellte die Teheraner Börse nach oben, während die saudi-arabischen Finanzmärkte negativ reagierten. Dies lag einerseits an den guten Aussichten, doch auch an etwa 100 Mrd. US-Dollar, die nun nach und nach in Geschäftsbeziehungen frei gegeben werden.

Die ganz großen Emotionen blieben in Iran allerdings aus, da man weiß, dass die positiven Auswirkungen noch Zeit brauchen werden und es für eine  umfassende Erholung der Wirtschaft mehr braucht als nur aussetzende bzw. fallende Sanktionen. Daher arbeitet Rouhani schon lange an mehr Transparenz, weniger Korruption und höherer Rechtssicherheit. Neben diesen allgemeinen Problemen sorgen sich die Iraner aber auch darum, was mit ihren iranischen Produkten passiert, wenn sich nun der Markt öffnet, die Wechselkurse fallen und Importprodukte viel günstiger werden. Eine „Flut“ an beliebter Auslandsware könnte das Aus zahlreicher einheimischer Produktionen bedeuten, obwohl die Regierung dafür einige politische Absicherungssysteme geschaffen hat. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass der niedrige Ölpreis nun voll auf die iranische Wirtschaft schlägt, da Iran — durch die Isolation — gewissermaßen vor finanzieller Instabilität „geschützt“ war. Dies könnte für Iran nachteilig sein, da niemand so günstig Öl produziert wie Saudi-Arabien. Allerdings hat Iran mehrfach deutlich gemacht, dass es ihnen zunächst darum geht, alte Marktanteile zurück zu erobern, auch wenn dies bedeute, das Öl zu günstig verkaufen zu müssen.

Insgesamt aber ist die Stimmung sehr positiv und große wie mittelständische Firmen reichen sich zurzeit in Iran die Klinken in die Hand, um Verträge abzuschließen. Bis diese dann wie üblich über den internationalen Zahlungs- und Handelsverkehr umgesetzt werden können, dürfte es allerdings noch einige Monate dauern, da die Großbanken — die weltweit etwa 12 Mrd. US-Dollar Strafen auferlegt bekamen — erst zögerlich wieder ins Irangeschäft einsteigen.

Wie geht es weiter?

Im Laufe der nächsten sieben Jahre, das heißt bis Oktober 2023, muss Iran immer wieder bestimmte Zielsetzungen des JCPOA einhalten und positive IAEA-Berichte des verschärften Kontrollregimes erhalten, um vertragstreu zu bleiben. Die 5+1 Länder und Deutschland sind dadurch verpflichtet, keine neuen Sanktionen gegen Iran zu erlassen. Sollte dies bis 2023 halten, gibt es den „Transition Day“, mit dem alle US-Sanktionen endgültig aufgehoben werden. Dies betrifft allerdings nicht diejenigen Sanktionen, die sich auf Menschenrechtsverstöße beziehen.

Dies könnte tatsächlich zu einem Problem werden, da dieses Thema auf Druck des Revolutionsführers ausgespart wurde. Doch nun, nachdem der dominierende Atomkonflikt zumindest deeskaliert wurde, könnte es in den Vordergrund rücken und zu neuem Sanktionsdruck führen. Denn sollte sich ein Vertragspartner — insbesondere Iran — nicht an die Vereinbarungen halten, könnte dies das so genannte „Snapback“-Szenario des JCPOA auslösen. Tatsächlich wusste man beim Unterschreiben des JCPOA im Juni noch gar nicht genau, was dieses genau bedeuten würde. Doch schon bald wurde klar, dass es darum gehen werde, die bisher ausgesetzten US-Sanktionen mit sofortiger Wirkung wieder in Kraft treten lassen zu können. Dass dieses worst-case Szenario dazu führen könnte, dass viele große Unternehmen eben doch nicht in Iran investieren, war allen Beteiligten klar. Deswegen einigte man sich nun auf Regeln zum Schutz getätigter Investitionen.

Doch sollte bis zwei Jahre nach 2023 immer noch alles vertragstreu ablaufen, wird 2025 mit dem „Termination Day“ das iranische Atomprogramm letztlich von der Agenda des UN-Sicherheitsrates gestrichen. Mit diesem Schritt würde Iran dann ein gewöhnliches Mitglied des Waffensperrvertrags werden.

Chancen und Risiken

Dass noch gute zehn Jahre vor den Vertragsstaaten liegen, beinhaltet natürlich das Risiko. So könnte beim „historischen Sieg der Diplomatie“, wie der JCPOA gern von verschiedenen Spitzenpolitikern bezeichnet wird, am Ende doch noch was schief gehen. Allerdings soll diese Zeitspanne eben auch sicherstellen, dass der Vertrag letztlich tatsächlich erfolgreich ist, nämlich Iran keine Atomwaffe baut und gleichzeitig die Isolation hinter sich lässt.

Die Chance, dass Iran trotz JCPOA eine geheime Atomwaffe baut, geht nahezu gegen Null. Hierfür müsste Iran nicht wie vor dem Vertrag bloß ein oder zwei geheime Anlangen betreiben, sondern ein ganzes Atomprogramm - und das unter den verschärften Bedingungen des Zusatzprotokolls der IAEA. Die Chancen stehen daher zunächst sehr gut, dass diese Gefahr gebannt ist - gesetzt den Fall, dass es keine politischen Umwälzungen gibt. Doch genau hier liegt die Achillesferse.

In den USA und Iran entscheiden die Wahlen

In Iran stehen im kommenden Februar sowohl Parlaments- als auch Expertenratswahlen an, im März 2017 dann Präsidentschaftswahlen. Die Expertenratswahlen sind möglicherweise die wichtigsten Wahlen der Islamischen Republik Iran seit ihrer Gründung 1979 oder der Wahl Ali Khameneis zum Revolutionsführer 1989. Denn der kommende Expertenrat ist aller Voraussicht nach die Personenkonstellation, welche den nächsten Revolutionsführer bzw. das nächste Führergremium wählen wird. Niemand weiß, wie gesund oder krank der Revolutionsführer mit seinen 76 Jahren ist, doch allein die Tatsache, dass in Iran mittlerweile relativ offen und konkret über eine Nachfolgeregelung diskutiert wird, lässt genügend Raum zur Spekulation.

Die Präsidentschaftswahlen 2017 in Iran werden zudem darüber entscheiden, ob Rouhani erneut im Amt bestätigt wird oder gegebenenfalls ein Hardliner sein Amt übernimmt. Allerdings ist das eher unwahrscheinlich.

Wahrscheinlicher ist dagegen, dass sich der Politik-Stil im Weißen Haus ändern wird. Obama fuhr von Beginn an eine Iran-freundliche Außenpolitik, was zumindest in der Tendenz von allen demokratischen Präsidentschaftskandidaten gut geheißen wird. Sollte nun ein Republikaner in das mächtigste Amt der Welt gewählt werden, könnte das schwerwiegende Folgen für die US-iranischen Beziehungen haben.

Zwar könnte kein US-Präsident oder US-Kongress den JCPOA kippen, da dieser vom UN-Sicherheitsrat als Resolution verabschiedet wurde. Doch könnte ein neuer US-Präsident eigene US-amerikanische Wirtschaftssanktionen verhängen, die letztlich von Iran als Vertragsbruchs gewertet werden könnten. Auch wenn dies eine echte politische Hürde darstellt - deren Überschreitung wohl überlegt wäre - , stellt dies zusammen mit der ungewissen zukünftigen personellen Besetzung des Revolutionsführers in Iran das größte Risiko für den Erfolg des JCPOA dar.

 

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