15.12.2014
In der Not ist Operieren erlaubt: Syrische Ärzte in Jordanien
Ein Junge im al-Maqased-Krankenhaus in Amman. Foto: Cordelia Neumetzger
Ein Junge im al-Maqased-Krankenhaus in Amman. Foto: Cordelia Neumetzger

Offiziell dürfen syrische Flüchtlinge in Jordanien nicht arbeiten. Eine bemerkenswerte Ausnahme: das al-Maqased-Krankenhaus in Amman; hier stehen syrische Ärzte ihren jordanischen Kollegen bei der Versorgung von schwer verletzten syrischen Flüchtlingen zur Seite. Damit entlasten sie das überforderte jordanische Gesundheitssystem. Aus Amman berichtet Cordelia Fabienne Neumetzger

Der Verkehr rauscht durch Ammans Altstadt, Verkäufer haben ihre Waren auf den Bürgersteigen ausgebreitet. Die Touristen schlendern zwischen den Auslagen herum, nicht ahnend, dass nur zwei Straßen entfernt im al-Maqased-Krankenhaus syrische Ärzte um das Leben ihrer Landsleute kämpfen, die im syrischen Bürgerkrieg schwerste Verletzungen erlitten haben.

Das Krankenhaus mitten in Jordaniens Hauptstadt vermietet 40 Betten an das Projekt „Treating the wounded Syrians“, das sich allein durch Spendengelder von außerhalb Jordaniens finanziert. Initiator des Projekts ist ein syrischer Arzt, der seinen Namen nicht nennen möchte. Er hatte zunächst kleine, illegale Feldlazarette in Syrien geleitet, musste dann jedoch selbst aus Sicherheitsgründen nach Jordanien fliehen. Nun versucht er im al-Maqased mit etwa zehn anderen syrischen Ärzten, den meist schwerst verwundeten Kriegsopfern zu helfen.

Volle Zimmer voller Leid

Im ersten Stock des Krankenhauses, das eigentlich jordanische Patienten versorgt, stehen seinem Team eine kleine Intensivstation und mehrere Zimmer für Männer und Jungen zur Verfügung, im Stockwerk darüber sind es zwei Räume für Frauen, Mädchen und Kleinkinder. Hier steht Bett an Bett. Die Patienten liegen in Laken, die selten gewechselt werden. Oft waren schon andere Patienten darin gebettet, ohne dass sie danach gewaschen wurden. Die aufblasbaren Matratzen, die für Patienten, die sich nicht selbst drehen können, essenziell sind, damit sie sich nicht wundliegen, lassen sich nicht mehr aufpumpen. Fernseher und Radios plärren den ganzen Tag vor sich hin. Darunter mischt sich das Stöhnen der Verletzten, manchmal schreit eines der kleineren Kinder.

Auf dem Handy zeigt der Arzt Fotos der Patienten bei ihrer Einlieferung in Amman. Auf den ersten und auch auf den zweiten Blick ist darauf nicht viel Menschliches zu entdecken. Danach präsentiert er bei einem Rundgang durch die Zimmer stolz die Ergebnisse der Operationen, die er und die Kollegen hier durchgeführt haben. Auf den Laien wirken sie allerdings eher wie Horrorszenarien denn wie Erfolgsgeschichten. Fleckige Verbände verdecken offene Wunden, die nicht mehr zu schließen sind, weil es den Patienten dazu an Haut und Gewebe fehlt. Flache Bettdecken lassen erahnen, dass sich darunter keine Arme und Beine mehr verbergen. Manchmal müssen die Ärzte den Verletzten alle Gliedmaßen amputieren.

Syrische Ärzte inoffiziell geduldet

Doch dass diese Patienten überhaupt von syrischen Ärzten in Amman operiert werden können, ist erstaunlich. Denn offiziell dürfen syrische Flüchtlinge keiner bezahlten Beschäftigung in Jordanien nachgehen – selbst wenn es sich bei dem potenziellen Arbeitgeber um eine internationale Nichtregierungsorganisation handelt.

„Uns wurde klar verboten, eine syrische medizinische Fachkraft einzustellen“, berichtet ein deutscher Arzt, der gerade von einem mehrmonatigen Arbeitsaufenthalt für das Internationale Rote Kreuz in Jordanien zurückgekehrt ist. Eine der etwa 40 Krankenschwestern, die seinem Team assistieren sollten, stammte ursprünglich aus Syrien. „Ich musste sie wieder entlassen“, so der deutsche Arzt. „Nur wer offiziell beim Jordan Medical Board (jordanische Vereinigung der Mediziner) als Arzt oder Pfleger gelistet ist, darf eingestellt werden. Das Gesundheitsministerium kontrolliert jede einzelne Personalie.“

Die syrischen Mediziner am al-Maqased-Krankenhaus sind allerdings nicht offiziell als Beschäftigte in Jordanien gemeldet. Sie müssen – zumindest auf dem Papier – streng unter der Aufsicht jordanischer oder international registrierter Ärzte arbeiten. Die Vermutung liegt nahe, dass sie es ihrer fachlichen Kompetenz und der medizinischen Notlage zu verdanken haben, dass sie trotz des Arbeitsverbots überhaupt praktizieren können. Denn mit ihrer Arbeit unterstützen die syrischen Ärzte das jordanische Gesundheitssystem, das mit der Versorgung der Bürgerkriegsopfer aus dem Nachbarland Syrien mittlerweile an seine finanziellen und personellen Grenzen stößt. Besonders im Bereich der Unfallchirurgie, plastischen Chirurgie und Wiederherstellungschirurgie nimmt der Bedarf an Fachkräften stetig zu.

Jordaniens Gesundheitssystem leidet unter dem syrischen Bürgerkrieg

Dies bestätigt Dr. Yusif Tahat, Direktor der Ramtha-Klinik in al-Ramtha im Nordwesten Jordaniens. „Dieser Krieg wird den Medizinern und der ganzen Gesellschaft künftig noch mehr Einsatz abverlangen.“ Er schätzt, dass in seinem Haus mittlerweile etwa 40 Prozent der ärztlichen Leistungen an Syrer gehen. Die Folgen sind auch für die Jordanier selbst spürbar: Ihre Operationstermine verschieben sich, manche Behandlungen werden aus Personal- und Zeitmangel momentan gar nicht mehr durchgeführt.

Trotz dieser Umverteilung kann nicht all den verletzten Syrern geholfen werden, die aus den Feldlazaretten inmitten der Kriegsgebiete über die Grenze nach Jordanien gelangen. Jordanien habe seit Anfang 2012 bereits 37 Millionen Jordanische Dinar (etwa 52,2 Millionen US-Dollar) für die Versorgung von 264.891 kriegsverwundeten Syrern ausgegeben, sagte der jordanische Gesundheitsminister Dr. Ali Hyasat in einem Interview mit dem arabischen Sender al-Jazeera im August 2014. „Jordanien erlebt derzeit einen Mangel an finanziellen Ressourcen, um die Behandlung und Pflege der verwundeten Syrer angemessen fortführen zu können“, so Hyasat. Das Land sei auf internationale Hilfe angewiesen.

Diese kommt jedoch häufig erst verzögert an. Mehrere Ärzte, die sich selbst einige Monate im Rahmen internationaler Hilfsaktionen in Jordanien aufgehalten haben, berichten etwa, dass die Vereinten Nationen mit der zeitnahen Erstattung zumindest eines Teils der Kosten derzeit nicht hinterher kämen. Trotz mehrfacher Anfrage von Alsharq warten wir noch vergeblich auf eine Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen.

Weitere Konflikte sind absehbar

Die finanziellen Einschränkungen scheinen ein weiterer Grund dafür zu sein, dass die Syrer am al-Maqased-Krankenhaus arbeiten können. Denn sie erhalten ein geringeres Gehalt als die jordanischen Ärzte.

Doch die Anstellung der Syrer birgt auch Konfliktpotenzial und wird daher nicht publik gemacht. Der deutsche Arzt, der mit dem Internationalen Roten Kreuz vor Ort war, ist sich jedenfalls sicher, dass die zum Teil besser ausgebildeten syrischen Ärzte mittel- bis langfristig mit den jordanischen um deren Arbeitsplätze konkurrieren werden. Auch ist es für viele Jordanier und Patienten aus den Anrainerstaaten, die sich bevorzugt in Jordanien medizinisch behandeln lassen, schwer nachzuvollziehen, warum Syrer bei der Behandlung Vorrang vor ihnen genießen und dann sogar gratis versorgt werden.

Doch bisher scheinen etwaige Sorgen jordanischer Ärzte um die eigenen Arbeitsplätze unbegründet zu sein. Denn die Arbeitssituation am al-Maqased-Krankenhaus ist derzeit einzigartig in Jordanien. Ähnliche Versuche an anderen Orten sind bislang umgehend gescheitert. Mitte September hat das jordanische Militär beispielsweise ein kleines Therapiezentrum für syrische Querschnittsgelähmte geschlossen, in dem ebenfalls Syrer gearbeitet hatten. Die Patienten seien direkt an die syrische Grenze transportiert worden, berichten Augenzeugen. Den syrischen Ärzten drohten ebenfalls Ausweisung und Geldstrafen. Grundsätzlich müssen aber auch Jordanier, die Syrer illegal bei sich einstellen, mit Geldstrafen oder der Schließung ihrer Betriebe rechnen.

Die mögliche Schließung der kleinen Abteilung im al-Maqased-Krankenhaus müssen auch die syrischen Ärzte ständig fürchten Denn die finanziellen Mittel sind manchmal so knapp, dass die Mediziner am Abend nicht wissen, ob das Geld noch für die Operationen am nächsten Tag ausreicht. Dann müssen sie Patienten abweisen, wenn diese nicht selbst für ihre Behandlung aufkommen können. Für mehr als die reine medizinische Versorgung ist ohnehin kein Geld vorhanden. Es gibt noch nicht einmal Hygienespender in den Zimmern, geschweige denn irgendeine Form psychologischer oder physiotherapeutischer Betreuung.

Ende Oktober stand das „Treating the wounded Syrians“-Projekt im al-Maqased Krankenhaus tatsächlich kurz vor dem Aus, weil die Gelder aufgebraucht waren. Anfang November ist schließlich eine größere Spende eingegangen, die den Operationsbetrieb wieder eine Weile gewährleisten kann. Wie lange diese Zuwendung aber reicht und wie lange der jordanische Staat den Betrieb weiterhin toleriert, das weiß allerdings niemand.

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