23.09.2016
Der Tod des Vaters der Nation – Usbekistan erlebt das Ende einer Ära
„Mögest du groß und heilig sein, unabhängiges Vaterland!" Foto: Privat
„Mögest du groß und heilig sein, unabhängiges Vaterland!" Foto: Privat

Zeitgleich zur Feier der 25-jährigen Unabhängigkeit verliert Usbekistan mit dem Tod des Präsidenten Islam Karimov den bisherigen Garanten für Stabilität, der seit 1991 autokratisch regierte. Während das Land um seinen „Vater“ trauert, scheint sich der Wechsel an der Spitze der zentralasiatischen Republik aber geräuschlos und innerhalb des Machtapparates zu vollziehen.

Für mehr als 65 % der usbekischen Bevölkerung endet mit dem Tod des Präsidenten Islam Karimov eine feste Kontinuität ihres Lebens – denn knapp 17 Millionen Menschen des zentralasiatischen Landes sind unter 30 Jahre alt und haben daher nie einen anderen Präsidenten gekannt.

1938 wurde Islom Abduganijevitsch Karimov in Samarkand in sehr einfachen Verhältnissen geboren. Mehrere Jahre seiner Kindheit verbrachte er in dortigen Waisenhäusern. Nach dem Besuch der Mittelschule gelang es ihm, 1960 die Taschkenter Staatliche Technische Universität mit dem Diplom im Bereich Maschinenbau abzuschließen, 1967 erwarb er einen zweiten Abschluss der inzwischen sehr prestigeträchtigen Taschkenter Staatlichen Wirtschaftsuniversität.

In diese Jahre fiel auch der Beginn seiner politischen Tätigkeit und der Parteikarriere in der kommunistischen Partei. Inzwischen protegiert durch den ersten Parteisekretär Scharof Raschidov und durch seine zweite Heirat mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Tatyana Akbarovna, deren Familie als einflussreich gilt, in der politischen Landschaft der Hauptstadt der usbekischen Sowjetrepublik angekommen, wurde er in den 1980ern Finanzminister, dann 1989 erster Sekretär der Republik. In dieser Funktion leitete er über in die Unabhängigkeit und wurde 1991 der erste – und bisher einzige – Präsident des zentralasiatischen Staates.

Im Land geliebt, vom Ausland kritisiert

Die Zurückdrängung des russischen Einflusses zu Beginn der 1990er, die Sicherung der nationalen Wirtschaftserzeugnisse durch starke Zollbeschränkungen und Investitionsabwehr, der Aufbau eines Sicherheits- und Geheimdienstapparates sowie die Bekämpfung des islamischen Extremismus nach 2000 mittels Razzien und starker Kontrollen - das waren einige der Maßnahmen, die Usbekistan eine Stabilität, „Sicherheit“ und „Frieden“ gebracht haben. So nimmt es zumindest ein Großteil der Bevölkerung wahr, die mit Afghanistan als direktem Nachbarn bis heute das abschreckende Negativbeispiel an den eigenen Grenzen erlebt.

Die Schattenseiten wurden zwar ebenso wahrgenommen, öffentlich jedoch kaum artikuliert: Die hohe Inflationsrate, die geringen Arbeitsperspektiven der Jugend sowie die geringen Löhne und Renten haben eine stets steigende Anzahl von Arbeitsmigranten nach Russland hervorgebracht. Hinzu kommen erschwerte Ausreisebedingungen der eigenen Bevölkerung. Sehr viel weitreichender jedoch als die wirtschaftliche Situation ist der Auf- und Ausbau des Machtapparates um die führende Elite, die jegliche Opposition unterbunden und eine ständige Präsenz der Staatsmacht in Form von Kontrollen und Überwachung aufgebaut hat.

Im Land jedoch war der Präsident geschätzt, geliebt, verehrt.

Nicht nur hängt sein Bild an und in allen öffentlichen Gebäuden, auch ihm zugeschriebene Zitate sind in Schulen, Universitäten und weiteren Einrichtungen allgegenwärtig. Seine Schriften zur Nation, Geschichte und Bildung sind fester Bestandteil des nicht zu hinterfragenden (Schul- und Universitätscurriculums und sein Wirken wird als Garant für Stabilität und Größe wahrgenommen.

Nur vor diesem Hintergrund wird es verständlich, dass junge Usbeken auf die Nachricht seines Todes mit Tränen reagieren und in sozialen Netzwerken sein Porträt in Schwarz-Weiß zeigen. In diesen Bekundungen der nationalen Trauer wird deutlich, wie sehr sie ihre usbekische Identität mit der Person des verstorbenen Präsidenten verbinden.

Szenarien für die Post-Karimov-Ära

Wie das deutsch-französische Internetmagazin novastan.org berichtet, ist offiziell nicht geklärt, wann genau der Präsident verstarb. Doch bereits die Feierlichkeiten des 25-jährigen Jubiläums der Unabhängigkeit am 01. September waren deutlich verhalten, da zum ersten Mal in der Geschichte des Landes am Nationalfeiertag der Präsident nicht persönlich anwesend war und Gerüchte über seinen Gesundheitszustand in der Luft lagen.

Seine Beerdigung in Samarkand wurde zu einer großen Trauerfeier, die das gesamte Land in einen Ausnahmezustand versetzte. Züge fielen aus, Flüge wurden verschoben. Musik, Tanz, sogar Hochzeiten sind seither noch immer untersagt. Selbst die längst fälligen Anweisungen zum Start der Baumwollernte sind noch nicht erfolgt. Das Land befindet sich in einem schwebenden Zustand – in die Trauer mischt sich die Ungewissheit, wie es nun weiter gehen soll. Denn Karimov hat nie eine offizielle geregelte Nachfolge bekannt gegeben.

Szenarien einer Post-Karimov-Ära haben Beobachter der Region bereits lange beschäftigt. Insbesondere zwei Varianten wurden gezeichnet: Das des stillen Machtwechsels oder – als worst case – ein Machtvakuum. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob die Macht der Taschkenter Elite, gemeinsam mit den staatlichen Institutionen, stark genug ist, um einen stillen Übergang zu bewirken.

Ähnliche Spekulationen hatten auch den Machtwechsel beim Nachbarn Turkmenistan 2006 begleitet. In welchem Maße würde nach dem Tode des „Tukmenbaschi“ Saparmyrat Nyýazow der Staat ins Chaos fallen? Doch der Übergang an seinen Nachfolger vollzog sich geräuschlos; in den ersten Wahlen, die den vorherigen Vizeministerpräsidenten und noch heute amtierenden Gurbanguly Berdimuhamedow ins Amt brachten, entfielen fast 90 Prozent der Stimmen auf den designierten Nachfolger. Die Wahlen galten als nicht frei. Turkmenistan ist heute der am stärksten isolierte Staat der zentralasiatischen Republiken.

Es gilt als wahrscheinlich, dass auch in Usbekistan kein Machtvakuum entstehen wird. Weder China, noch Russland, noch die Nachbarstaaten hätten daran Interesse, vor allem aber auch nicht die Machtelite in der Hauptstadt. Wie fragil die Region tatsächlich ist – entgegen der stets trügerischen Ruhe im Land – zeigt der Selbstmordanschlag auf die chinesische Botschaft im Nachbarland Kirgistan am 30 August 2016, nur wenige Tage vor den dortigen Feiern zum 25-jährigen Staatsjubiläum.[6] Grund genug, keine Wagnisse einzugehen.

Derzeit laufen bereits die Vorbereitungen für eine Übergangsregierung entsprechend der Verfassung: Der Senatspräsident Nigmatulla Yuldashev hat voraussichtlich bis zu einer Wahl die Regierungsgeschäfte übernommen.[7] Beste Chancen auf die Nachfolge scheint der bisherige Premierminister, Shavkat Mirziyoyev, zu haben, der bereits das Komitee zur Organisation von Karimovs Beisetzung geleitet hat. Beide sind mit dem Staatsapparat eng verwoben und werden aller Voraussicht nach den Weg für einen geordneten Übergang ebnen.

Es bleibt zu hoffen, dass dieser Neubeginn in der Geschichte des Landes auch für die usbekische Bevölkerung, insbesondere die Jugend, neue Chancen eröffnen wird. Wahrscheinlich ist es für die kommende Zeit jedoch eher nicht.  

Die Autorin hat ein Jahr an einer Hochschule in Usbekistan verbracht. Zu ihrem Schutz und um ihre Kontakte im Land nicht zu gefährden, erscheint dieser Artikel anonym.  

 

 

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Artikel von anonym