29.01.2015
Ein Herz für Ägypten?! – Die Auswirkungen von Finanzhilfe aus dem Golf
Mit saudischer Finanzhilfe wird ein Bild konstruiert: Hier vom gerade verstorbenen König Abdullah als Friedensnobelpreiskandidat. Foto: Abdulrahman Al-Zahrani (flickr, CC BY-NC-SA 2.0)
Mit saudischer Finanzhilfe wird ein Bild konstruiert: Hier vom gerade verstorbenen König Abdullah als Friedensnobelpreiskandidat. Foto: Abdulrahman Al-Zahrani (flickr, CC BY-NC-SA 2.0)

Seit dem sogenannten „Arabischen Frühling“ hat der Geldfluss aus den Monarchien der Golfregionen in andere arabische Staaten massiv zugenommen. Dabei geht es nicht vordergründig darum, der Bevölkerung bessere Lebensbedingungen zu bieten. Vielmehr werden dabei regionale Machtverhältnisse ausgehandelt, wie das Beispiel Ägypten eindrucksvoll belegt. Von Tobias Zumbrägel

Obwohl die Golfländer seit langem Entwicklungsgelder vergeben, zählen sie dennoch zu der Gruppe der „neu aufkommenden“ Geberländer. Ein Blick auf die Geschichte zeigt allerdings ein anderes Bild. Beispielsweise erklärte sich Saudi-Arabien nach der Niederlage der arabischen Staaten von 1967 dazu bereit, die direkt vom Krieg betroffenen Länder wie Jordanien, Syrien und Ägypten mit umfangreichen Spenden zu unterstützen. Vor allem die 1976 gegründete Gulf Organization for the Development of Egypt (GODE) offenbart die lange Gebertradition der Golfländer nach Ägypten. Dennoch beäugen viele Saudi-Arabiens Tätigkeiten im Bereich der Entwicklungshilfe misstrauisch. Grund dafür ist vorwiegend eine Furcht in den westlichen Ländern, dass den traditionellen Formen von Entwicklungshilfe, beispielsweise durch den Internationalen Währungsfonds, allmählich der Rang abgelaufen werden könnte. In diesem Zusammenhang ist häufig zu hören, dass die Subventionen ohne Konditionen verteilt werden und somit jegliche Minimalanforderungen für Reformen zu einer verantwortungsbewussten Regierungsführung fehlen.

Wer unterstützt wen? Ägypten und die Finanzhilfe vom Golf seit 2011

Nach dem Sturz von Langzeitherrscher Hosni Mubarak waren Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate die Ersten, die der militärischen Übergangsregierung (Supreme Council of Armed Forces) mit finanzieller Hilfe und diplomatischer Anerkennung zur Seite standen.

Nach Ägyptens ersten fairen und freien Wahlen, an deren Ende die Präsidentschaft des ehemaligen Muslimbruders Muhammad Mursi stand, übernahm Katar dann die Rolle des Mäzens. Dieses kleine Golfemirat, das in den vergangenen Jahren durch die Unterstützung unterschiedlicher islamischer Bewegungen hervortrat, half der neuen Regierung am Nil mit einem Kredit über mehrere Milliarden US-Dollar aus. Die Ablösung von Katar als Hauptsponsor, erfolgte im Sommer 2013, nachdem Mursi vom Militär mit großem Rückhalt aus der Bevölkerung abgesetzt wurde. Wieder einmal waren es Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie Kuweit, die Ägypten ein Darlehen über zwölf Milliarden Dollar zur Verfügung stellten. Der Umstand, dass dieses Geld bereits eine Woche nach dem Coup überwiesen war, ist sicher „kein Zufall gewesen“, sagt Ägypten-Experte Jon B. Alterman.

Zusätzlich wurden innerhalb der Folgemonate Subventionen auf Fossilbrennstoffe in Höhe von acht Milliarden in Aussicht gestellt und zahlreiche weitere Millionen für verschiedene Entwicklungshilfeprojekte gezahlt. Der Nahostexperte Richard LeBaron kalkuliert die Höhe der Finanzhilfe dieser Länder bis Ende 2015 auf über 40 Milliarden US-Dollar. Die Grenzen zwischen Geldern, die für Entwicklungsprojekte genutzt werden – also in Bereiche wie Trinkwasser, Bewässerung, Abwasser, Stromversorgung und Gesundheitswesen gehen –, verschwimmen dabei zunehmend mit zusätzlichen Krediten, Subventionen auf Öl, oder generell vom saudischen Finanzamt ausgestellten Zuschüssen. Dies liegt unter anderem auch daran, dass die saudische Finanzpolitik nicht besonders transparent ist und viele der Gelder direkt in die von ägyptischen Militärs geleiteten Firmen fließen, deren Haushalt ebenfalls keiner öffentlichen Kontrolle unterstellt ist.

Doch Ägypten ist auf diese Finanzhilfen dringend angewiesen: Das Land  leidet bereits seit Jahren an einer hohen Arbeitslosenquote, einem immensen Schuldenberg und einem wachsenden Korruptionsapparat. Stetig verschlechtert sich zudem die Situation im Bildungs-, Gesundheits- und Sicherheitswesen, was mit den Umbrüchen der letzten drei Jahre noch zugenommen hat.

Saudi-Arabiens Eigeninteresse

Obwohl Länder wie Kuweit und die Vereinigten Arabischen Emirate auch vermehrt Geldsummen an Ägypten überweisen, kommt Saudi-Arabien eine besondere Stellung zu. Dies liegt nicht nur daran, dass Saudi-Arabien das größte Geberland ist, sondern auch die einflussreichste Regionalmacht darstellt, deren Linie die anderen Mitglieder meistens bedingungslos folgen.

Das Königshaus in Riad handelt dabei keinesfalls allein aus reiner Nächstenliebe und Solidarität, sondern verfolgt gezielt bestimmte Eigeninteressen.

So leben und arbeiten nicht nur knapp eine Millionen Ägypter im saudischen Königreich, sondern umgekehrt auch mehr als eine halbe Million saudische Auswanderer in Ägypten. Der Botschafter Saudi-Arabiens, Ahmad Kattan, betonte in diesem Zusammenhang die kommerzielle Bedeutung beider Länder: „Trade between the two states has continuously grown since the January 25th revolution. It now exceeds 5 Billion US-Dollar.“

Viel wichtiger ist allerdings die militärstrategische Bedeutung, da Ägypten über das größte Militär im Nahen und Mittleren Osten verfügt. Das erscheint im Umkehrschluss auch den Golfmonarchien nützlich, deren Streitkräfte zwar gut ausgebildet sind, denen es aber an Truppenstärke mangelt, um einen ernsten militärischen Konflikt einzugehen.

Hinzu kommt, dass in keinem anderen arabischen Land so viele sunnitische Muslime leben. Zwar wird in Saudi-Arabien mit dem Wahhabismus eine sehr viel strengere Lesart des Islams verfolgt, dennoch genügt dieser Umstand, um auf die gemeinsame konfessionelle und kulturelle Identität zu verweisen. In diesem Zusammenhang hat der Golfexperte Gregory Gause III. herausgestellt, dass sich das saudische Königshaus seit jeher als Vertreter und unangefochtener Führer aller sunnitischen Muslime betrachtet. Diesen Anspruch sah Saudi-Arabien in Gefahr, als die Muslimbruderschaft 2012 in Ägypten an die Macht kam. Zudem bestand Sorge, dass die Forderung nach einer eigenen gewählten Vertretung innerhalb der saudischen Bevölkerung zunehmen könnte, um die lange Herrschaft der Familie Al Saud zu beenden.

Ein weiterer Aspekt, der allerdings kaum berücksichtigt wird, ist, dass mit einer gezielten Finanzhilfe auch immer ein Bild konstruiert wird. So sind Aussagen, wie die des ägyptischen Präsidenten, der den vor kurzem verstorbenen saudischen König Abdullah als „the biggest of Arabs, the man of Arabs and the ruler of Arabs bezeichnet, sicherlich auch als Ausdruck internationaler Reputation zu werten. Dass sich die Strategie dieser „soft power by winning hearts and minds“ für das saudische Königshaus auszahlt, spiegelt sich in einer kürzlich durchgeführten Umfrage des Pew-Forschungszentrums wider, der zufolge 78 Prozent der Ägypter die Politik Saudi-Arabiens positiv beurteilen und 63 Prozent ihren regionalen Einfluss für gewinnbringend halten.

Regionale Konsequenzen des Geldsegens

Die Finanzhilfen mit dem Ziel, den ägyptischen Staat zu stärken, sind daher lediglich als Teilaspekt einer größeren Strategie zu sehen, bei der es vor allem um die innere Sicherheit und Stabilität als die höchste Staatsräson der Golfmonarchien geht.

Die stille Übereinkunft ist dabei offensichtlich: Die massive Geldhilfe schlägt sich in politischer sowie militärischer Loyalität Ägyptens gegenüber den erzkonservativen Nachbarn nieder. Hilfreich ist hierbei, auf einen gemeinsamen Feind zu verweisen: Beispielsweise propagierten beide Seiten jahrzehntelang die Gefahr einer schiitischen Achse, die sich vom Iran über Syrien bis in den Libanon erstrecke und auch die im Osten Saudi-Arabiens lebenden Schiiten umfasse. Seit den Umbrüchen in der arabischen Welt wird mittlerweile vermehrt vor islamischen Bewegungen – insbesondere der Muslimbruderschaft – gewarnt. So schrieb Guido Steinberg, Islamwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik, dass die Muslimbrüder in den Augen Saudi-Arabiens eine ähnlich große politische Gefahr und einen Destabilisierungsfaktor für das Regime in Riad darstellten wie einst der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser. Dieser forderte bis in die 1960er-Jahre die konservativen Monarchen heraus, indem er versuchte, die progressiven Staaten gegen sie zu mobilisieren.

Katar ausgenommen, befürchten die Golfstaaten daher durch die seit 2011 losgetretenen Entwicklungen, dass „eine revolutionäre, republikanische und transnationale Bewegung wie die Muslimbruderschaft ihre Macht nutzen könnte, um die verbleibenden Monarchien in der Region abzulösen“. Somit kann der Geldregen, den die ägyptischen Militärs nach der Absetzung Mursis von der Arabischen Halbinsel erhielten, durchaus als reward for removing the Muslim Brotherhood from power“ betrachtet werden, also einer Art politischen Steuerungsmechanismus. Ausdruck findet dies zum einen darin, dass sowohl Saudi-Arabien als auch Ägypten die Muslimbruderschaft als terroristische Vereinigung eingestuft haben. Zum anderen schlägt es sich in der Tatsache nieder, dass der neue ägyptische Präsident und frühere Verteidigungsminister, Abdel Fattah al Sisi, mit größtmöglicher Staatsgewalt gegen die Anhänger der Muslimbruderschaft angeht. Im gleichen Schritt distanziert sich die Regierung am Nil auch von dem früheren Sponsor aus Doha, der mittlerweile nur noch mit der geschassten Regierung von Mursi in Verbindung gebracht wird. Ägypten zahlt nicht nur seine Schulden an Katar zurück, vornehmlich von dem Geld der anderen Golfstaaten, sondern verbietet dem katarischen Staat auch jegliche Einmischung in innerägyptische Angelegenheiten.

Ein neuer arabischer Kalter Krieg?

Entsprechend Joseph Nyes Konzept der „soft power“ baut die Führung in Riad vor allem mit weichen Machtinstrumenten wie Finanzhilfen ihre Rolle als „counter-revolutionary power“ weiter aus. Dies steht konträr zu dem Bild des kleinen Golfemirats Katar, das sich als Unterstützer der islamisch-revolutionären Bewegungen innerhalb der Aufstände profiliert hatte.

Erstaunlich dabei ist, dass arabische Finanzhilfen, die bisher vor allem der Stärkung pan-arabischer Solidarität galten, nun auch verstärkt dazu verwendet werden, inner-arabische Konflikte zu verschärfen. Dies offenbart sich besonders für Saudi-Arabien und Katar als Mitglieder des Golfkooperationsrats. In beiden Fällen wird deutlich, dass Konflikte nicht immer militärisch auszutragen sind, sondern es auch – in Anlehnung an Michael Barnett – um  die Erschaffung eines Bildes und die damit einhergehende Selbstpräsentation geht.

Es wäre allerdings verfrüht, hierin einen neu aufkommenden Konflikt innerhalb sunnitischer Kräfte zu sehen, wie es in den vergangen Jahren getan worden ist. Man sollte wohl eher von Spannungen und regionalen Machtspielen sprechen.

Nichtsdestotrotz lässt sich an dem Beispiel der Spendengelder aus dem Golf an Ägypten erkennen, wie Finanzhilfe als politisches Instrument zur stärkeren Machtausbreitung genutzt wird. In den Worten des Politikwissenschaftlers Larry Diamond lässt sich abschließend schlussfolgern: “Foreign aid is like oil: another source of rents that regimes use for survival”.

Für die Zukunft Saudi-Arabiens ist mit der Thronbesteigung von Abdullah’s Halbruders, Salman Abdel Aziz, zu erwarten, dass der neue König den außenpolitischen Kurs seines Vorgängers beibehält. Das Königreich sieht sich mit zu großen regionalen Herausforderungen konfrontiert, als dass es einen zuverlässigen Partner wie Ägypten verlieren könnte. So ist es nicht nur die konstante Gefahr des „Islamischen Staates“ nördlich von Saudi-Arabien, sondern auch der Kampf schiitischer Huthis gegen die jemenitische Regierung im Süden der arabischen Halbinsel, die den Herrschern in Riad Sorgen bereiten. Ägypten hat wiederum zu Ehren des verstorbenen Königs Saudi-Arabiens seine Feierlichkeiten anlässlich des vierten Jahrestages der Absetzung Hosni Mubaraks am 25.01.2015 abgesagt. Ein weiteres Indiz für das enge Band beider Länder.

 

Tobias Zumbrägel besitzt einen Abschluss in Islamwissenschaften und Geschichte der Universität zu Köln (B.A.) und schreibt derzeit seine Masterarbeit über die Klimapolitik der Golfstaaten im Joint-Master Program "Comparative & Middle East Politics and Society" der Universitäten Tübingen und Kairo.

 

Weiterführende Literatur

Barnett, M. (1996): Identity and Alliances in the Middle East, in: Katzenstein, P. [Ed.]: The Culture of "National Security: "Norms and Identity in World Politics, Colombia: Colombia University Press, pp. 400-447.

Van den Boogaerde, P. (1990): The Composition and Distribution of Financial Assistance from Arab Countries and Arab Regional Intuitions, in: International Monetary Fund. Middle Easter Department.

Diamond, L. (2010): Why are there no Arab Democracies?, in: Journal of Democracy. Vo. 21 (1), pp. 93-112.

Dreher, A. / Nunnenkamp, R. / Thiele, R. (2011): Are ‘New’ Donors Different? Comparing the Allocation of Bilateral Aid Between nonDAC and DAC Donor Countries, in: World Development Vol. 39, No. 11, pp. 1950–1968.

Neumayer, E. (2003a): The Pattern of Aid Giving. The impact of Good Governance on Development Assistance, London: Routledge.

Ibid. (2003b): What Factors Determine the Allocation of Aid by Arab Countries and Multilateral Agencies?, in: The Journal of Development Studies, Vol.39 (4), pp. 134–147.

Nye, J. (2008): Public Diplomacy and Soft Power, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science, Vol. 616, pp. 94-109.

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