22.06.2022
El-Kurd gegen Goethe – ein ungleicher Kampf
Mohammed El-Kurd und Johann Wolfgang von Goethe. Grafik: Pauline Jäckels.
Mohammed El-Kurd und Johann Wolfgang von Goethe. Grafik: Pauline Jäckels.

Das Goethe Institut lädt Mohammed El-Kurd aus, Kurator:innen und andere Konferenzgäste sagen daraufhin ihre Teilnahme ab. Zeit für mehr Solidarität mit palästinensischen Stimmen im deutschen Diskurs. Ein Kommentar.

Das Goethe Institut Hamburg hatte den palästinensischen Aktivisten und Schriftsteller Mohammed El-Kurd auf Vorschlag der Kurator:innen Sinthujan Varatharajah und Moshtari Hilal zu einer Konferenz mit dem Titel „Beyond the Lone Offender – Dynamics of the Global Right“ als Panelisten eingeladen. Wenige Tage vor der Konferenz des Goethe Instituts Hamburg, wurde der Aktivist vom Institut wieder ausgeladen, entgegen der kuratorischen Entscheidung von Varatharajah und Hilal.

El-Kurd, der schon von Kind an für die Rechte von Palästinenser:innen kämpft, stand vor allem seit Mai 2021 stark im Fokus. Die Enteignung palästinensischer Wohnhäuser durch rechte israelische Siedler:innen im Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah und den Widerstand dagegen brachte er mir seiner Schwester Muna El-Kurd in die breite Öffentlichkeit. Im November 2021 sprach El-Kurd sogar vor der UN und wurde zusammen mit seiner Schwester und Aktivistin Muna El-Kurd unter Time‘s 100 wichtigsten Personen des Jahres gewählt.

Die Absage begründet das Goethe Institut Hamburg zunächst laut Palästina Spricht mit „kollektiver Verantwortung“ des Veranstalters. Eine öffentliche Stellungnahme folgt erst zwei Tage später in der Kommentarspalte eines mit der Sache nicht verbundenen Instagram-Posts des Goethe Instituts. Demnach soll sich das Institut entschieden haben, dass El-Kurd aufgrund seiner Israel-kritischen Posts doch „kein passender Redner“ sei. Dies gelte „umso mehr für ein Forum, das sich mit Möglichkeiten zur Verbesserung gesellschaftlicher Diskurse auseinandersetzt.“

Augenscheinlich sind verbesserte gesellschaftliche Diskurse im Sinne des Goethe Instituts solche, die keine für die Institution politisch unkomfortablen Stimmen beinhalten.

Öffentliche, gelebte Solidarität

Viral ging das Thema durch den benannten Instagram-Post von Palästina Spricht, in dem Sinthujan Varatharajah und Moshtari Hilal ihre Solidarität mit Mohammed El-Kurd bekunden. Die beiden zogen in Solidarität mit El-Kurd direkt ihre Teilnahme an dem Event zurück.

Sie schreiben: „Unsere Absage ist eine Antwort auf den Versuch, in unsere kuratorischen Entscheidungen einzugreifen und damit ein Klima anti-palästinenscher Zensur herzustellen.“

Weiter fragen Varatharajah und Hilal in ihrem Statement: „Was ist der Nutzen einer Konferenz über rechte Gewalt, wenn der Organisator, eine staatliche Institution, die primär durch das Auswärtige Amt finanziert wird, aus Angst vor rassistischem und reaktionären Backlash präventive Zensur verhängt?“ Die Entscheidung müsse als bewusstes Deplatforming, also ein Wegnehmen von Plattformen und Bühnen in der Öffentlichkeit, verstanden werden.

Auch eine der Hauptgäst:innen der Konferenz, die Bestseller-Autorin Ijeoma Oluo, postete ein kritisches Statement auf Instagram, nachdem sie auf den Palästina Spricht Beitrag aufmerksam wurde: „Ihr wisst, dass ich meinen Namen nicht mit anti-palästinensischem Bullshit in Verbindung bringe. Ich werde immer an der Seite der Palästinenser:innen in ihrem Kampf nach Befreiung stehen.“ Einige Tage später setzte sie ihre Worte um und sagte ebenfalls ihre Teilnahme bei der Konferenz ab.

Es ist genau diese praktizierte Solidarität, das Nicht-Hinnehmen von bestehenden Hegemonien im Diskurs, die es jetzt braucht, um der aktiven und passiven Zensur palästinensischer Stimmen entgegen zu wirken.

Menschen wie Varatharajah und Hilal fallen immer wieder dadurch auf, dass sie ihre antirassistischen und antikolonialen Werte mit einem hohen Maß an Integrität in Handlungen umsetzen, auch dann, wenn sie sich öffentlicher Kritik aussetzen und ihre Präsenz in der Öffentlichkeit ­– für beide Einkommensgrundlage – aufs Spiel setzen, während Angehörige der Dominanzgesellschaft schweigen.

Die Zensur palästinensischer Stimmen als eine (west-)deutsche Tradition

Im Zeichen der Inschutznahme des israelischen Staates – laut Human Rights Watch und Amnesty International ein Apartheidsstaat – vor jeglicher Kritik, bringen dominanzgesellschaftliche Strukturen regelmäßig Palästinenser:innen zum Schweigen oder geben ihnen von vornherein keinen Raum. Weil viele Menschen in Deutschland und besonders in Westdeutschland seit Ende des zweiten Weltkrieges den unkritischen Umgang rund um Israel mit Aufarbeitung der deutschen Nazivergangenheit verwechseln, wird gerne weggehört oder attackiert, wenn Palästinenser:innen von ihren Erfahrungen mit Gewalt, Unterdrückung und anti-palästinischem Rassismus berichten.

Meistens hält dafür der Antisemitismusvorwurf her, auch wenn Kritik explizit an Handlungen des israelischen Staates und dezidiert nicht an Juden und Jüdinnen oder dem Judentum als solches formuliert wird.

Mindestens genauso wirksam ist eine zweite, unsichtbarere Art der Zensur: das laute Schweigen der Vielen, immer dann, wenn das andauernde Unrecht an Palästinenser:innen international an Öffentlichkeit gewinnt. Menschen, die zwar nicht die Politik des israelischen Staates bezüglich Palästina beklatschen, trauen sich häufig dennoch nicht, öffentlich Kritik an der Unterdrückung von Palästinenser:innen zu üben, denn es herrscht eine anti-palästinensische Cancel-Kultur in Deutschland.

Die Debatte um Nemi El-Hassan, die aufgrund ihrer Anwesenheit bei einer pro-palästinensischen Demo mit 17 Jahren ihre Moderatorinnen-Stelle beim WDR verlor, ist nur eins von vielen Bespielen.

Jüngst kam ebendiese deutsche Tradition auch bei der internationalen Kunstausstellung documenta in Kassel erneut zum Vorschein. Im Mai wurden Räume des palästinensischen Kollektivs „The Question of Funding“ mit Hass-Graffitis beschmiert, zuvor wurde den Künstler:innen auf einer dubiosen Website Antisemitismus vorgeworfen. In deutschen Mainstream Medien wurden diese Vorwürfe unkritisch übernommen, documenta reagierte nur sehr zögerlich und versäumte es, laut Kurator Yazan Khalili, das Kollektiv öffentlich und vor Ort in Schutz zu nehmen.

Auch Frank Walter Steinmeier bietet in seiner Eröffnungsrede der documenta alles andere als eine Unterstützung für die betroffenen Künstler:innen. Stattdessen statuiert er, bei Kritik an Israel habe die Kunstfreiheit ihre Grenzen und stellt in eben demselben Moment der vermeintlich progressiven, offenen deutschen Dominanzgesellschaft ein Armutszeugnis aus.

Hier ist es wichtig anzumerken, dass sich dies nicht auf das Werk des indonesischen Kollektivs ruangrupa sondern auf vorangegangene Vorwürfe gegenüber palästinensischen Künstler:innen bezieht.

In solchen Fällen ist Solidarität von oben, also von den Institutionen, die maßgeblich Mittel und Zwecke innehaben, den dominanten Diskurs zu beeinflussen, nicht zu erwarten. Oft sind es diejenigen, die selbst direkt oder die aufgrund ihrer Identität von anderen Unterdrückungsformen betroffen sind, die laut werden, wenn die meisten still die Zensur palästinensischer Stimmen und Erfahrungen hinnehmen.

Koloniale Kontinuitäten: Das Goethe Institut

Ein weiterer Aspekt, den diese Debatte aufwirft, ist die Position und Rolle von staatlich geförderten Institutionen, wie dem westdeutschen Goethe Institut, das in 98 Ländern primär im Interesse des deutschen Staates kulturelle Diplomatie betreibt. Wenn auch das Goethe Institut stets bemüht ist, die eigene Arbeit als internationale Zusammenarbeit beziehungsweise unpolitische Bildungsarbeit nach außen zu framen, so ist der erste Zweck des Goethe Instituts deutsche Agenda zu bedienen und ein positives Image Deutschlands in die Welt zu tragen.

Varatharajah kommentiert in einem Twitter Thread: „Goethe Institut folgt in postkolonialen Staaten imperialen Logiken, indem es wirtschaftliche Abhängigkeiten ausnutzt, die das Resultat von Jahrhunderten imperialer Extraktion sind. Sie nutzen weit verbreitete Knappheit an Funding in ehemaligen Kolonien zu ihrem Vorteil, um Deutschlands außenpolitische Ziele anhand von Kulturellem Engeneering zu erreichen.“

So können Institutionen wie das Goethe Institut, laut Varatharajah, kulturelles Gatekeeping betreiben und in soziale Entwicklungen vor Ort eingreifen.

Die Schriftstellerin Mariam Barghouti merkt an, das Goethe Institut Ramallah lade regelmäßig europäische Künstler:innen zu schicken Künstler:innenresidenzen ein, während sie Mohammed El-Kurd den Zugang zum deutschen Debattenraum verwehren.

Wenn wir also von Dekolonisierung sprechen, müssen wir besonders diese verschleierten kolonialen Kontinuitäten im kulturpolitischen Raum mitbetrachten, die sich durch Deutschlands Institutionslandschaften und weit über deutsche Grenzen hinausziehen.

Für Wandel braucht es die Dominanzgesellschaft

Die Ausladung El-Kurds durch das Goethe Institut Hamburg ist nur ein Fall in von vielen in einer langen Tradition anti-palästinensischer Zensur in Deutschland.

Palästinensische Aktivist:innen werden weiter laut bleiben, wie sie es schon seit Jahrzehnten der Unterdrückung sind. Auch andere Gruppen, zum Beispiel syrische Aktivist:innen wie Wafa Mustafa oder Mohammad Abu-Hajar oder eben Varatharajah und Hilal sind unermüdlich in ihrer öffentlichen Unterstützung des palästinensischen Kampfes gegen Unterdrückung. Aber vor allem von der Dominanzgesellschaft bedarf es mehr gelebter Solidarität.

Besonders diejenigen, die in Politik, Kultur oder in den Medien Machtpositionen innehaben, bräuchte es, um die Zensur palästinensischer Stimmen und anti-palästinensischen Hass in der deutschen Öffentlichkeit inakzeptabel zu machen.

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde nach der Erstveröffentlichung gekürzt.

 

Redigiert von Henriette Raddatz und Dominik Winkler