01.11.2011
Essam Atta & Alaa Abdel Fatah – Ägyptens Polizei foltert weiter, das Militär sperrt ein
Die beiden Bilder gleichen sich aufs Schrecklichste: Zwei junge Männer, tot, gefoltert. Das eine Foto zeigt Khaled Said, einen 28-Jährigen aus Alexandria, der im Juni vergangenen Jahres von zwei Polizisten zu Tode geprügelt wurde. Das Bild seines geschundenen Körpers verbreitete sich in Windeseile im Internet, Khaled Said wurde zu einer Ikone der Ägyptischen Revolution.

 Jetzt, knapp anderthalb Jahre später und acht Monate nach dem Sturz Husni Mubaraks, der den Wandel an den Nil bringen sollte, erschüttert ein neues Foto eines von Polizisten misshandelten und getöteten Ägypters die ägyptische Gesellschaft. Zu sehen ist Essam Atta, ein 24 Jahre alter Mann aus Kairo, der in der vergangenen Woche im berüchtigten Torah-Gefängnis starb. Seine Familie, Menschenrechtsgruppen und Mithäftlinge erklären, dass der Gefangene von Wärtern zu Tode gefoltert wurde.

 Essam Atta wurde am 25. Februar 2011 verhaftet und wenig später wegen illegaler Hausbesetzung von einem Militärtribunal zu zwei Jahren Haft verurteilt. Damit ist Atta einer von geschätzten 12000 Ägyptern, die sich seit Mubaraks Sturz vor einem Militärgericht verantworten mussten. Innerhalb von acht Monaten unter der Führung des Obersten Militärrates sind somit schon mehr Menschen von Militärtribunalen verurteilt worden als in knapp 30 Jahren unter Mubarak.

 Am vergangenen Donnerstag erhielt Attas Familie einen Anruf der Behörden. Ihr Sohn sei ins Krankenhaus eingeliefert worden und dort verstorben, teilte man den Angehörigen mit. Der Leichnam, der der Familie später übergeben wurde, wies deutliche Misshandlungsspuren auf, aus dem Mund des Toten trat Schaum.

 Polizeigewalt in Ägypten bleibt weiter ungesühnt 

 Eine unabhängige Autopsie ließen die Behörden nicht zu. Laut ihren Angaben wurde im Körper des Toten ein Päckchen Marihuana gefunden, an dem Essam Atta erstickt sei. Diese Darstellung deckt sich weder mit dem Bild der Leiche noch mit den Berichten seiner Mithäftlinge. Sie gaben an, dass der 24-Jährige mehrfach gefoltert wurde, weil er eine SIM-Karte für sein Mobiltelefon in die Zelle geschmuggelt hatte.

 Mehrfach seien dem späteren Opfer Schläuche oral und anal eingeführt worden, durch die Wasser und Seife in den Körper eingeführt wurden. Infolge dieser Folterungen habe Atta stark geblutet und mehrfach das Bewusstsein verloren. Die Familie Atta und Menschenrechtler klagen an, dass diese Misshandlungen zum Tode des Häftlings geführt hätten.

 Am Freitag zogen tausende Demonstranten mit dem Leichnam in einem Trauerzug zum Tahrir-Platz. Sie machten den Obersten Militärrat für die anhaltende Polizeigewalt verantwortlich. Für sie ist der Fall Essam Atta ein weiterer Beleg dafür, dass Ägyptens Führung nicht bereit ist, mit dem System Mubarak zu brechen.

 Die Behauptung, der Häftling sei an einem Marihuana-Päckchen erstickt, erinnert fatal an die Beteuerungen der Polizei vor anderthalb Jahren. Auch im Falle Khaled Said erklärten die Behörden, der Tote habe ein Drogenpäckchen verschluckt und sei daran gestorben. Später musste die Polizei einräumen, dass das Tütchen gewaltsam in Saids Körper eingeführt wurde.

 Umso erschütterter waren die Reaktionen auf das milde Urteil, das in der vergangenen Woche gegen die beiden Peiniger Khaled Saids gesprochen wurde. Die Polizisten, die den 28-Jährigen in Alexandria töteten, wurden lediglich zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gericht befand sie des Totschlags für schuldig, einen Mord wollte es nicht erkennen. Die verantwortlichen Offiziere blieben ebenso unbehelligt wie die Gerichtsmediziner, die die wahren Todesursache zunächst verschleierten.

 Der Zorn auf die Militärführung wächst 

 Nach dem milden Urteil für die Polizisten war der erneute Foltertod eines jungen Ägypters in Polizeigewahrsam der zwei Schlag ins Gesicht der Opposition innerhalb von nur zwei Tagen. Und ein dritter ließ nicht lange auf sich warten: Alaa Abdel Fatah, einer der prominentesten oppositionellen Blogger Ägyptens, wurde am Sonntag für 15 Tage in Gewahrsam genommen. Er sollte sich vor einem Militärtribunal verantworten, weil er im Zuge der Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Soldaten am 9. Oktober zur Gewalt gegen die Armee aufgerufen habe.

 Der 29-Jährige bestreitet die Legitimität des Militärgerichts, da er selbst Zivilist sei. Außerdem seien Militärrichter befangen, da die Armee bei den Auseinandersetzungen am 9. Oktober eine der Konfliktparteien war. Als Fatah sich weigerte die Fragen der Ermittler zu beantworten wurde er zunächst für 15 Tage ins Gefängnis gesteckt. Die Militärjustiz kann diese Strafe jedoch nach eigenem Gutdünken jederzeit verlängern.

 Abdel Fatah entstammt einer prominenten linken Familie in Ägypten, die den herrschenden Eliten seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge ist. Er selbst gehört zu den ägyptischen Bloggern der ersten Stunde, schrieb jahrelang gegen das Mubarak-Regime an und kritisierte die neue militärische Staatsführung in den vergangenen Monaten mehrfach scharf.

 Alaa Abdel Fatah kann sich zumindest der überwältigenden Solidarität der Oppositionellen in Ägypten, aber auch anderen arabischen Ländern wie Tunesien sicher sein. Tausende demonstrierten gestern in Kairo für seine Freilassung. Maikel Nabil Sanad hat es im Vergleich dazu wesentlich schlechter. Dieser Blogger wurde ebenfalls wegen Kritik an der Armee von einem Militärgericht verurteilt, befindet sich seit knapp zwei Monaten im Hungerstreik und landete zwischenzeitlich in einer Psychiatrie. Weil er aber auch Sympathien für Israel bekundete, solidarisieren sich nur wenige Oppositionelle mit Maikel Nabil Sanad. Zur Wiederaufnahme seines Verfahrens vor dem berüchtigten Militärgericht C 28 in Kairo erschien heute nur eine Handvoll Demonstranten.