08.09.2018
Freiheit in Unfreiheit: Urteil gegen Shawkan in Ägypten gefallen
Ist bald wieder in Freiheit - zumindest zwölf Stunden täglich: der ägyptische Fotojournalist Shawkan. Foto: Abdelkayoum.mohsen [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], Wikimedia Commons
Ist bald wieder in Freiheit - zumindest zwölf Stunden täglich: der ägyptische Fotojournalist Shawkan. Foto: Abdelkayoum.mohsen [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], Wikimedia Commons

Er ist frei“, jubelten Journalist*innen und Unterstützer*innen des ägyptischen Fotojournalisten Mahmoud Abu Zeid in Kairo und auf Twitter. Der unter dem Pseudonym Shawkan bekannt gewordene 31-Jährige wurde am Samstag von einem ägyptischen Gericht zu fünf Jahren Haft verurteilt, die er bereits abgesessen hat. Die Umstände seines Falls und die Situation der Pressefreiheit in Ägypten erlauben jedoch nur einen kurzen Freudentaumel.

Zaghaft steht die Sonne am Morgen des 14. Augusts 2013 über dem Rabaa al-Adawiya Platz in Nasr City. Anhänger*innen der Muslimbrüder haben hier in dem östlichen Stadtteil Kairos seit dem 4. Juli ihre Zelte aufgeschlagen - ihre Antwort auf die Absetzung des Präsidenten Mohamed Mursis durch das Militär. Gemeinsam mit der Polizei schafft dieses nun eifrig Tränengaskanister herbei. Bald schon fallen die ersten Schrotkugeln auf die Menge, gefolgt von scharfer Munition. So beschreibt ein Bericht von Human Rights Watch den Beginn des „blutigsten Tag[es] in der jüngeren ägyptischen Geschichte”, der geschätzt 1.000 Mursi-Anhänger*innen das Leben kostet.

Der damals 26 Jahre alte Fotojournalist Mahmoud Abu Zeid, besser bekannt als Shawkan, ist an diesem Tag für die britische Fotoagentur Demotix mitten im Geschehen. Doch viel Zeit zum Dokumentieren hat er nicht. Sicherheitskräfte nehmen ihn und seine beiden ausländischen Kollegen fest. Es folgt eine jahrelange Odyssee, die vom ersten Tag seiner Festnahme an von physischer und psychischer Folter geprägt ist. „Fünf Polizisten schlugen mich immer wieder mit einem Gürtel und ihren Fäusten. Sie traten mit ihren Stiefeln auf mich ein. Als ich zu Boden ging, hörten sie nicht auf.“ Diese Zeilen ließ er 2015 via Amnesty International in einem Brief über seine Haftbedigungen veröffentlichen.

Den Großteil seiner fünfjährigen Untersuchungshaft verbringt er im berüchtigten Gefängnis Tora in der Nähe von Kairo. Dort sitzen neben Kriminellen vor allem politische Gefangene der Regierung Abdel Fatah El-Sisis ein. Im Laufe der Zeit werden Shawkan immer weitere Taten von Vandalismus bis hin zu Mord zur Last gelegt. Daran können weder Kampagnen wie #FreeShawkan und #journalimsisnotacrime etwas ändern, noch die Verleihung zweier Preise – 2016 der International Press Freedom Award, 2018 der Guillermo Cano World Press Freedom Prize. Über letzteren Preis beschwert sich das ägyptische Außenministerium hingegen beim Stifter, der UNESCO.

Ein Urteil, das Schatten wirft

An diesem Samstag dann die Erleichterung: Nach über 50 verschobenen Anhörungen kommt es zum Prozess. Der mittlerweile 31-Jährige wird darin zu fünf Jahren Haft verurteilt – er hat sie bereits abgesessen. Doch das Urteil bietet keineswegs nur Grund zur Freude. Im gleichen Massenprozess der mehr als 700 Angeklagten werden gegen vermeintliche Anhänger*innen der Muslimbrüder 75 Todesurteile gesprochen. „Die ägyptischen Behörden sollten sich schämen! Wir fordern einen erneuten Prozess in einem unabhängigen Gericht und den vollsten Respekt für das Recht auf einen fairen Prozess für alle Angeklagten, ohne Anwendung der Todesstrafe“, lies die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einer Erklärung auf ihrer Website verlauten.

Nicht nur die unfairen Prozessbedingungen von Shawkans Mitangeklagten hängen wie ein Schatten über dem heutigen Urteil. Während der Fotojournalist in den nächsten Tagen das Gefängnis verlassen wird, sitzen viele seiner Berufskolleg*innen ohne internationale Bekanntheit und Unterstützung – wie etwa Ismail Alexandrani,- weiter hinter Gittern. Auch sehen sich noch praktizierende Journalist*innen in Ägypten derzeit massiven Repressionen ausgesetzt.

Auf dem World Press Freedom Index rangiert Ägypten derweil auf dem 161. Platz. Das erst im August verabschiedete neue Pressegesetz bestärkt diese Einschätzung nur: Unter anderem dürfen Journalist*innen ohne die Erlaubnis des Obersten Presserates keine Konferenzen und öffentlichen Versammlungen mehr besuchen oder Interviews mit Bürger*innen führen. Dies gilt auch für das Fotografieren im öffentlichen Raum. In schwammigen Formulierungen wird zudem festgehalten, dass der Medienrat das Recht hat, die Verbreitung von Informationen zu verbieten, die „den öffentlichen Frieden“ gefährden. Auch gelten Privatpersonen mit mehr als 5.000 Followern in den sozialen Netzwerken als Nachrichtenportale, inklusive strafrechtlicher Konsequenzen für missliebige Posts.

Anhaltende Menschenrechtsverletzungen

Auf der Ebene der internationalen Politik stießen weder das neue Gesetz noch die anhaltenden Sperrungen zahlreicher Nachrichtenseiten auf große Empörung. Schon bei ihrem letzten Ägyptenbesuch im März 2017 bemühte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel sichtlich darum, die Machthaber am Nil als Komparsen für die deutscher Migrationspolitik in Nordafrika zu gewinnen. Menschenrechtsverletzungen spielten in den Verhandlungen nur eine untergeordnete Rolle.

Shawkan selbst wird das ihm in Haft angetane Unrecht nicht so schnell hinter sich lassen können. Die Anschuldigungen gegen ihn wurden im Prozess nicht revidiert. Eine offizielle Entschädigung für die verlorenen Jahre seines Lebens wird es wohl nie geben. Auf Twitter wies der politische Aktivist Mohamed Soltan zudem darauf hin, dass Shawkan ein fünfjähriges Berufsverbot erteilt wurde.

 

Seine wiedererlangte Freiheit wird er zudem auch in Zukunft in Unfreiheit verbringen müssen: Täglich muss er zwölf Stunden auf der Polizeiwache verbringen. So lautet die Auflage.

Theresa ist freie Reporterin und Fotojournalistin mit Fokus Westasien und Nordafrika. Sie hat in Marbug, Kairo und Lund studiert, sowie eine Ausbildung an der Reportageschule Reutlingen absolviert. Seit November 2019 ist sie die Koordinatorin des dis:orient-Magazins.
Redigiert von Brandie Podlech, Bodo Weissenborn