24.06.2020
Handel im Konjunktiv
Illustration: Milad Nemati
Illustration: Milad Nemati

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Iran sind wechselhaft. Gerade in der Wirtschaft sind die Gesprächsfäden trotz aller Umstände jedoch nie ganz gerissen. Das gleicht einer ständigen Wette auf die Zukunft.

Dieser Text ist Teil des Dossiers „Deutsche Außenpolitik in WANA. Alle Texte des Dossiers finden sich hier. Das Projekt wurde durch das Grow-Stipendium von Netzwerk Recherche e.V. und der Schöpflin Stiftung gefördert. 

Die Euphorie war groß im Herbst 2016, als die deutsche Wirtschaftsdelegation nach dem Ende des Atomembargos in Teheran eintraf. Deutschland könne wieder „der wichtigste Handelspartner Irans werden“, prophezeite der damalige Vize-Chef der iranischen Handelskammer, Gholam Reza Shafei. Der damalige Wirtschaftsminister, Sigmar Gabriel, gab sich etwas zurückhaltender. Man wisse, es würden „keine Wunder geschehen.“

Doch allein die mit über 120 Personen außergewöhnlich starke Delegation im Reisetross des SPD-Vizekanzlers sprach eine eindeutige Sprache. Nach einer langen Durststrecke hegten Firmen in beiden Ländern große Hoffnungen, von den Anfang 2016 größtenteils aufgehobenen Sanktionen gegen Iran profitieren zu können.

Rund vier Jahre später ist die Realität eine andere. Im Mai 2018 brach US- Präsident Donald Trump mit dem Atomabkommen, machte die Aufhebung der bilateralen Sanktionen rückgängig und führte zusätzliche Strafmaßnahmen ein. Schon vor der Corona-Pandemie und dem Einbruch des Ölpreises war die iranische Wirtschaft in einem desolaten Zustand. Laut Internationalem Währungsfonds schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2019 um 7,6 Prozent. Für das laufende Jahr wird ein Rückgang zwischen sechs und bis zu zwanzig Prozent erwartet.

Deutsche Firmen ziehen sich zurück 

Externe Schocks wie die Pandemie oder der Ölpreiskampf sind nicht die einzigen Gründe für die wirtschaftliche Misere. Missmanagement und Korruption haben daran wesentlichen Anteil. Dennoch erschweren die US-Sanktionen die Situation immens. Das lässt sich vor allem am Rückgang ausländischer, auch deutscher Investitionen beobachten.

Laut Dagmar von Bohnstein, Geschäftsführerin der Deutsch-Iranischen Handelskammer (AHK Iran) in Teheran, ist die Zahl der in Iran tätigen deutschen Firmen von 120 bei ihrem Höchststand 2018 auf etwa zwei Dutzend zurückgegangen. Deutsche Firmen fürchten um ihr US-Geschäft und scheuen daher das Risiko. Zudem ist die finanzielle Abwicklung von Geschäften aufgrund der Sanktionen deutlich schwieriger geworden.

Dass die deutsch-iranischen Handelsbeziehungen überhaupt eine recht große Rolle spielen, mag bei einem Blick auf die Zahlen indes überraschen. Seit 1990 hat der Wert der deutschen Ausfuhren nach Iran die Grenze von 4,5 Milliarden Euro nie überschritten. Im Wachstumsjahr 2017 lag der Exportwert knapp unter drei Milliarden Euro – das entspricht gerade einmal 0,2 Prozent des gesamten Exportvolumens der Bundesrepublik. Mit etwa 400 Millionen Euro fällt der Wert der Importe aus Iran noch einmal deutlich niedriger aus (0,04 Prozent). Das macht Deutschland zwar zu einem der wichtigsten europäischen Handelspartner Irans. Asiatische Länder, allen voran China und Indien, haben Europa aber schon vor Jahren als wichtigste Handelspartner abgelöst.

Nichtsdestotrotz steht das Land bei deutschen Firmen relativ hoch im Kurs, wie der Run nach dem Atomabkommen zeigte. Zudem hat das Siegel „Made in Germany“ ungebrochen große Anziehungskraft in Iran. Die dortige AHK-Zweigstelle zählt nach eigenen Angaben rund 2300 Mitglieder. Sie ist damit die drittgrößte Gliederung weltweit, wobei ein Großteil der Mitglieder iranische Firmen und Unternehmer sind.

Eine solche Diskrepanz wirft die Frage nach den Gründen für den offenbar großen Vertrauensvorschuss auf. Diese liegen zu einem Gutteil in der Kontinuität des deutschen Engagements in Iran. Kein anderes, im inneriranischen Diskurs als „westlich“ bezeichnetes Land, hat die Brücken aus der Schah-Zeit in die Islamische Republik so unbeirrt erhalten wie die Bundesrepublik.

Kadscharen und Pahlavis im Ruhrgebiet

Einen ersten Höhepunkt dieser Geschichte stellte der Besuch Naser ad Din Schahs in Essen im Juni 1889 dar. Der Kadscharen-Schah besuchte Europa in seiner mehr als fünfzig Jahre währenden Herrschaft insgesamt drei Mal. Wie für viele andere Regent*innen seiner Zeit, galt der Besuch der berühmten Krupp-Werke als prestigeträchtiger Termin, bot sie Naser ad-Din Schah  doch die Möglichkeit, sich im Lichte des schnell modernisierenden Deutschen Reiches zu sonnen.

Erheblich geschäftiger wurde es jedoch erst, nachdem die Kadscharen abgedankt hatten. Reza Schah Pahlavi modernisierte Iran in den 1920er und -30er-Jahren mit eiserner Hand. Vor allem für die großen Infrastrukturprojekte, den Bau von Eisenbahnnetz und Brücken, waren deutsche Firmen erste Wahl. Das lag nicht zuletzt an dem guten Image, das Berlin gegenüber den in der Region aktiven Kolonialmächten Großbritannien oder Frankreich in weiten Teilen der iranischen Elite hatte.

Unter der NS-Regime erlebte die Zusammenarbeit keinen Rückgang. Wie der türkische Autokrat Mustafa Kemal Atatürk hatte Reza Schah wenig Berührungsängste mit den Nationalsozialist*innen. Vielmehr gab es zahlreiche iranische Bewunderer*innen des europäischen Faschismus. Im August 1941 setzten die Alliierten diesem gefährlichen Flirt ein Ende. Britische und sowjetische Truppen sicherten sich die Kontrolle über den logistisch wichtigen „Persischen Korridor“ und die iranischen Ölfelder.

Nach 1945: Regenbogenpresse und Petrodollars

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten die iranischen Beziehungen mit der neugegründeten Bundesrepublik eine rasche Wiederbelebung. Im Alltag der Deutschen war das Land in den 50ern durch die zahlreichen Geschichten der Regenbogenpresse über die „geliehene Kaiserin“[1] Soraya überaus präsent. In den 1960er-Jahren kamen Tausende iranische Studierende in die Bundesrepublik und engagierten sich teils in der Opposition. Das Pamphlet „Persien – Modell eines Entwicklungslandes“ des wohl bekanntesten iranischen Oppositionellen in Deutschland, Bahman Nirumand, katapultierte Iran zeitweise auf die Agenda der linken Studierendenschaft. Die Tumulte rund um den Schah-Besuch 1967 verstärkten diese Tendenz.

Auf die wirtschaftlichen Beziehungen hatten diese Turbulenzen jedoch keinerlei negative Auswirkungen. Seit den 1950ern wuchs das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern stark an. Getrieben wurde diese Entwicklung einerseits von der deutschen Nachfrage nach Öl, andererseits startete der Schah im Jahr 1963 ein umfassendes Modernisierungsprojekt, die sogenannte „Weiße Revolution“. Folglich wuchs der Bedarf an Industriegütern „Made in Germany“. Doch auch deutsche Rüstungsexporte spielten fortan eine immer wichtigere Rolle.

Ab Mitte der 1970er-Jahre wurde Iran zum wichtigsten Absatzmarkt der Bundesrepublik nach Europa und den USA. Im Gegenzug stieg Iran zum wichtigsten Öllieferanten der Bonner Republik auf. Zu diesem Zeitpunkt hatten fast 140 deutsche Firmen eine Zweigstelle in Iran.

Der Schah reinvestierte die „Petrodollars“ auch direkt in Deutschland – und wandelte dabei in gewisser Weise auf den Spuren des späten Kadscharenherrschers Naser ad-Din Schah. Ab Mitte der 70er-Jahre erwarb Iran Sperrminoritäten bei gleich zwei deutschen Großkonzernen: Bei der Deutschen Babcock und beim besagten Essener Stahlkonzern, der Friedrich Krupp AG.

So stark die wirtschaftlichen Verflechtungen auch waren, sie spiegelten sich nicht in besonderer politischer Nähe wider. Kanzler Helmut Schmidt reiste nur ein einziges Mal nach Iran, sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher in der Ägide der sozialliberalen Koalition gar nicht. Die Bundesregierung und die „Deutschland AG“ pflegten ein funktionales, auf wirtschaftliche Vorteile bedachtes Verhältnis zu Iran und ließen sich dabei auch durch die immer lauter diskutierten Menschenrechtsverletzungen des Schahs nicht beirren.[2]

Im bipolaren Zeitalter des Kalten Kriege orientierte sich der Schah mitnichten nur am „Westblock“, sondern verfolgte eine aktive Außenpolitik mit Bezügen zu den Staaten des Warschauer Pakts und zum Bündnis Unabhängiger Staaten. Die Beziehungen der DDR zu Iran blieben jedoch weit hinter jenen der Bundesrepublik zurück. Ein anvisiertes Handelsabkommen konnte nicht mehr realisiert werden.

Die Revolution kappt die Bande nicht ganz

Die Umbrüche im Zuge der Islamischen Revolution 1978/79 machten auch vor den deutschen Unternehmen nicht Halt. Die neuen iranischen Machthaber verstaatlichten zahlreiche Firmenableger. Großprojekte wie der Bau des Kernkraftwerks in Buschehr durch KWU/Siemens wurden eingefroren und Vermögen konfisziert. Vereinzelt wurden deutsche Manager gegen ihren Willen festgehalten, wie Akten des Auswärtigen Amtes zeigen.[3]

Besonders im Vergeich zu anderen klar in der Sicherheitsordnung des „Westblocks“ verankerten Ländern lässt sich jedoch festhalten, dass die Bundesrepublik auch in den äußert schwierigen 1980er-Jahren bemerkenswert gute Beziehungen zur nunmehr Islamischen Republik Iran unterhielt. Das historisch im Vergleich zu etwa Großbritannien weniger vorbelastete Verhältnis, sowie die universitäre Deutschlanderfahrung von Teilen der Revolutionselite, spielten hier eine Rolle. In Person des Botschafters Gerhard Ritzel konnte die Bundesregierung etwa maßgeblich zur Freilassung der US-Geiseln in der Teheraner Botschaft 1981 beitragen.[4]

Ging die Bundesregierung in den Frühjahren der Islamischen Republik noch von einem möglichen Zusammenbruch des Systems aus, arrangierte man sich bald schon mit den neuen Führungsriege – nicht zuletzt aus antikommunistischen Motiven. Im Sommer 1984 reiste Hans-Dietrich Genscher als erstes hochrangiges Regierungsmitglied aus dem Westen nach Teheran. Über die 1980er-Jahre war die Einschätzung weitverbreitet, dass man sich für den Wiederaufbau nach dem Iran-Irak-Krieg (1980-88) bereithalten müsse. Es begann, was man „Handel im Konjunktiv“ nennen könnte: Das Verharren in den Startlöchern und die ständige Wette auf die Zukunft. Auf eine mögliche Besserung des Investitionsklimas.

Doch die politischen Realitäten verdarben das erhoffte Geschäft. Zwar standen die frühen 1990er-Jahre in Iran ganz im Zeichen von Wiederaufbau und wirtschaftlicher Liberalisierung. Doch zusätzlich zu den Belastungen durch die Lage der Menschenrechte, den revolutionären Anspruch und die anti-israelische Rhetorik, wurden die politischen Repressionen durch die Kettenmorde an oppositionellen Intellektuellen zunehmend auch ins europäische Ausland getragen. Das Berliner „Mykonos“-Attentat auf kurdische Politiker im September 1992 ist hierfür das bekannteste Beispiel.

Die Diplomatie suchte einen Ausweg aus der verfahrenen Lage. Das Ergebnis war der „kritische Dialog“, den die europäischen Außenminister im Herbst 1992 ins Leben riefen. Diese Mittlerfunktion Europas, insbesondere Deutschlands (in klandestinerer Weise auch der Schweiz) charakterisiert das Verhältnis zu Iran im Grunde bis heute. Mit der Unterzeichnung des Atomdeals sah sich Berlin sich in seiner ausgleichenden Linie bestätigt.

Viele Hürden bleiben, so oder so

Ganz in sozialdemokratischer Manier, sprach Sigmar Gabriel dann ebenfalls bei seinem Besuch 2016 von einem „Wandel durch Handel und Annäherung“. Doch auch ohne Donald Trump wären viele der Probleme geblieben: Für deutsche Firmen ist die mangelnde Rechtssicherheit trotz Absicherungen der Bundesregierung ein Risiko.

Die sehr langsame Bankenreform und die ebenso langsame iranische Bürokratie stellen die Nerven europäischer Unternehmensvertreter*innen regelmäßig auf die Probe. Auch erzeugt die oft überzogene Erwartungshaltung seitens der Iraner*innen gegenüber der deutschen Seite und deren Fähigkeiten, schnell für große Verbesserungen zu sorgen, eine beständige Schieflage. Letztendlich stellen die Menschenrechtssituation, Irans Kriegsbeteiligung etwa in Syrien und das Verhältnis zu Israel ein Spannungsfeld dar, das sich so schnell nicht ändern wird.

Vorerst bleibt es also dabei, dass die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen eine Wette auf die Zukunft sind. Dass es dabei auch wieder Phasen der Euphorie wie vor vier Jahren geben wird, ist natürlich nicht ausgeschlossen.

 

[1] Vgl. Fernschreiben TEH-BON vom 01.03.1984, Petersen, „Betr.: Fall Glaser“, PA/AA, B/36, Bd. 137763.

[2] Vgl. Bösch, Frank: „Zwischen Schah und Khomeini. Die Bundesrepublik Deutschland und die islamische Revolution im Iran“, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 63/39, 2015, S. 319-349. 

[3] Vgl. Derix, Simone: „Soraya. Die "geliehene Kaiserin" der Deutschen.“, in: Paul Gerhard (Hrsg.): Das Jahrhundert der Bilder. Band II: 1949 bis heute, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 2008, S. 186-193. 

[4] Vgl. Weißgerber, Bettina: „Die Iranpolitik der Bundesregierung 1974-1982“, utzverlag, München, 2019.

 

Daniel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF). Er interessiert sich für internationale und Globalgeschichte, Dekolonisierung und Ideengeschichte mit einem Schwerpunkt auf Iran. Er ist seit 2015 bei dis:orient aktiv, dabei von 2016 bis 2020 im Vorstand. Für Alsharq REISE ...
Redigiert von Daniel Marwecki, Anna-Theresa Bachmann