10.03.2019
„Ich wollte mehr Frauen Fahrrad fahren sehen“– Ein Portrait der Cairo Cycling Geckos
Die Cairo Cycling Geckos auf Achse, hier bei ihrem Massive New Years Ride
Die Cairo Cycling Geckos auf Achse, hier bei ihrem Massive New Years Ride

Cairo Cycling Geckos ist eine Grassroot-Initiative in Kairo, die versucht, Frauen-Empowerment und Wohltätigkeit miteinander zu kombinieren. Ihre Gründerin Nouran Salah sprach mit Alsharq über ihren Ansatz, Frauen durch Sport zu empowern, indem sie mit dem Fahrrad in ärmeren Vierteln Mahlzeiten und Sachspenden verteilen. Von Clara Taxis und Lissy Kleer

Dieser Text ist Teil der Serie Aufgehorcht. Darin stellen wir euch anlässlich des Internationalen Weltfrauentags am 8. März Einzelpersonen, Initiativen und NGOs aus der WANA-Region vor, die an den bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern rütteln. Alle Texte der Serie findet ihr hier.

25 Frauen fahren an einem Samstag mit dem Fahrrad durch Kairo – eine eher untypische Szene. Es sind die Cairo Cycling Geckos auf ihrem „New Year Massive Ride“, der zum Ziel hat, Spenden in ärmeren Vierteln zu verteilen. Dabei werden die Frauen vom Nachrichtensender MBC  begleitet. Die Cairo Cycling Geckos organisieren diese Touren seit 2016. Ihr Ziel ist es, dass Frauen auf Fahrrädern in Kairo zur Normalität werden. Erreichen wollen sie es, indem sie regelmäßig Mahlzeiten, Decken, Kleidung und andere Sachspenden in ärmeren Vierteln verteilen – immer auf dem Fahrrad.

Wir haben Nouran Salah, die 29-jährige Gründerin der Cairo Cycling Geckos, in einer Galerie nahe Sheikh Zayed City getroffen. Dort arbeitet sie momentan als Kuratorin. Neben Kunst ist Sport ihre Leidenschaft: „Ich bin auf meinen Reisen immer Fahrrad gefahren und habe es sehr genossen. Ich fand es furchtbar, dass ich es zu Hause nicht machen konnte – wegen der Straßen, der fehlenden Fahrradwege und wegen der Belästigung“, erinnert sie sich.

„Eines Tages kam ich aus dem Ausland wieder und hatte es satt. Ich beschloss, in Kairo Fahrrad zu fahren.“ Das erste Mal kam ihr absurd vor: „Pfeifen, Klatschen und Zurufe. Ich habe mich gefühlt, wie im Scheinwerferlicht und das hat mich extrem geärgert. Ich wollte mehr Frauen Fahrrad fahren sehen und ich wollte, dass es normal ist – nicht absurd.“

Zu dieser Zeit war Sport bereits ein wichtiger Bestandteil von Nourans Leben: „Mit 25 habe ich angefangen, Pole Dance zu machen. Es hat mein Selbstbewusstsein gesteigert und mir dabei geholfen, an mich selbst zu glauben. So kam ich auf die Idee, Frauen durch Sport zu empowern.“ Laut Nouran sind Frauen auf Fahrrädern in Ägypten ein Tabu, an dem sich besonders Männer stören. Sie wollte es brechen: „Auch wenn es einfach erscheint, es ist ein richtiger Kampf.“

Zwei Monate vor Ramadan, im April 2016, kam ihr eine Idee. Da in dieser Zeit traditionell Großzügigkeit gegenüber benachteiligten Menschen üblich ist, plante sie, mit dem Fahrrad Spenden zu verteilen. Jemand gab ihr den Kontakt des größten Fahrradhändlers in Ägypten, dem Gründer von Bescletta. Er spendete die ersten beiden Fahrräder für das Projekt und unterstützte Nouran weiter mit Fahrrädern, als die Initiative wuchs.

Um für ihre Idee zu werben und Spenden zu sammeln, verkauften Nouran und einige Helferinnen am frühen Morgen vor der Fastenzeit Sandwiches in den Straßen von Maadi, Zamalek und Dokki. Sie verteilten eine kleine Broschüre, die ihre Mission erklärte: „Eure letzte Mahlzeit heute ist morgen die erste Mahlzeit für jemanden anderen.“

Als Nouran zum ersten Mal in den benachteiligten Vierteln Kairos unterwegs war, begegneten ihr die Menschen auf zwei verschiedenen Weisen: „Sie sind mir entweder aus dem Weg gegangen oder waren sehr herzlich. Diejenigen, die weggingen, hatten wohl die Absicht uns zu belästigen. Sobald klar ist, dass wir kommen, um Essen zu verteilen, beschützt uns die gesamte Nachbarschaft.“ Nouran sagt, dass je öfter sie in die Viertel gehen und je besser die Frauen sie und ihr Team kennen lernen, desto mehr werden Frauen auf Fahrrädern positive Assoziationen hervorrufen.

Es ist Nourans Ziel, durch ihre Arbeit die Wahrnehmung der Leute auf diese Art zu verändern: „Sie werden sich daran gewöhnen, Frauen zu sehen, die sich nicht verhüllen, die Sport machen, Fahrrad fahren und Spenden verteilen.“ Die Cairo Cycling Geckos verteilen nicht nur Sachspenden. Sie organisieren auch längere Touren in andere Regionen Ägyptens. Nouran erklärt: „Wir fahren in andere Regionen, um auch dort die Perspektive zu verändern. Es soll Frauen ermutigen, Sport zu machen und fit zu sein.“

Nouran, die Gründerin der Cairo Cycle Geckos

Der Organisation wurde schnell eine große Medienaufmerksamkeit zuteil, vor allem aus dem Ausland. Das verhalf zwar zu neuen Mitgliedern und finanzieller Unterstützung. Der Presserummel brachte aber auch Probleme mit sich: „Das Filmen ist für die Freiwilligen sehr stressig, weil es sehr zeitaufwendig ist. Wir bekommen dauernd Anweisungen und manchmal hält uns die Polizei an, um nach der Filmgenehmigung zu fragen“, erzählt Nouran. Nach dem „New Year Massive Ride“ bekam sie die Rückmeldung aus dem Team, dass der Medienrummel die Initiative „fake“ erscheinen ließe. Nouran versuchte, den Freiwilligen klar zu machen, dass die Organisation auf Berichterstattung angewiesen ist, um Unterstützung zu bekommen.

Beim Thema soziale Medien bestätigt Nouran, dass es auch negative Kommentare gibt – allerdings ausschließlich von ägyptischen Männern. Sie lässt diese Kommentare nicht an sich heran: „Ich antworte nicht darauf, was soll ich auch sagen? Es berührt mich nicht.“

Die Balance zwischen Authentizität und Medienrepräsentation ist nicht die einzige Herausforderung für die Organisation. Viele Frauen mit verschiedenen sozio-ökonomischen Hintergründen sind an der Initiative beteiligt. Die verteilten Mahlzeiten werden von geflüchteten Frauen zu Hause gekocht – einer sehr marginalisierten Bevölkerungsgruppe in Ägypten. Nouran bestätigt, dass sie den Frauen solange ein Einkommen verschaffen, bis diese sie nicht mehr um Hilfe bitten.

Um die Unterschiede zwischen den verschiedenen sozialen Gruppen zu überbrücken, hält Nouran ihre Mitstreiterinnen, die hauptsächlich aus der Mittel- oder Oberschicht oder aus dem Ausland kommen, dazu an, den Dialog zu suchen. „Das Wichtigste ist Kommunikation. Die Leute haben nicht das Gefühl, dass wir über ihnen stehen oder dass wir sie bemitleiden. Ich sage den Freiwilligen immer, sie sollen mit den Leuten sprechen und herausfinden, was sie brauchen. Wenn wir in den Vierteln sind, werden wir immer nach Sachen für die Kinder gefragt, darauf konzentrieren wir uns jetzt.“

In einer Arte Dokumentation, die den Cairo Cycling Geckos zu viel internationaler Aufmerksamkeit verhalf, wurde ihre Arbeit in drei Aspekte eingeteilt dargestellt: Erstens, Frauen Empowerment und die öffentliche Sichtbarkeit von Frauen durch das Fahrradfahren stärken. Zweitens, die Unterstützung der geflüchteten Frauen und drittens die Spenden an Frauen in ärmeren Vierteln. Wir haben sie gefragt, was für sie der wichtigste Aspekt ist. „Wohltätigkeit. Das ist es, was Ägypten braucht. Der Ausgangspunkt für diese Initiative war aber das Empowerment von Frauen und darauf liegt für mich nach wie vor der Fokus. Wir hatten eine Zeit lang auch Männer im Team. Aber einige Frauen hatten das Gefühl, wir würden den Empowerment Aspekt verlieren. Deswegen sind wir jetzt wieder nur Frauen.“

Auf unsere Frage, ob die Revolution sich möglicherweise positiv auf die Situation der Frauen in Ägypten ausgewirkt hat, antwortet Nouran bestimmt: „Ich glaube nicht, dass die Revolution irgendetwas mit Frauenrechten zu tun hat. Wenn man etwas ändern möchte, macht es keinen Sinn, sich auf die Regierung zu verlassen. Du musst anpacken und es selbst machen.“

Der Internationale Frauentag ist von großer Bedeutung für die Cairo Cycling Geckos und laut Nouran ist die öffentliche Aufmerksamkeit für den Tag in Ägypten in den letzten Jahren gestiegen. „Wir werden eine Radtour mit mindestens 30 Frauen organisieren. Außerdem ist geplant zum französischen Institut zu gehen, wo eine Veranstaltung zum Empowerment von Frauen durch Sport stattfindet.“ Auch in Nourans Galerie wird es eine besondere Ausstellung zu diesem Anlass geben: Sechs inspirierende ägyptische Frauen werden von wiederum sechs ägyptischen Künstlerinnen dargestellt. „Visual narratives“, so der Name des Projekts, sollen die Geschichte dieser Frauen erzählen.

Zukünftig möchte Nouran mehr Ägypter*innen dazu motivieren, sich freiwillig zu engagieren. „In Ägypten bedeutet Wohltätigkeit, Geld zu spenden.“ Vor allem Menschen mit guter Bildung und finanziellen Ressourcen sollten sich engagieren, sagt sie, um beides mit weniger privilegierten Menschen zu teilen. Eine der Zukunftsvisionen der Organisation ist es, Fahrräder aus recycelten Materialien herzustellen, die dann zu niedrigen Preisen an Frauen verkauft werden können.

Konkretere Pläne für 2019 liegen in der Kooperation mit anderen NGOs, um die Interaktion mit den besuchten Vierteln breiter aufzustellen. „Wir wollen Dachgärten anlegen, Recycling Projekte aufbauen, Gebäude streichen und bemalen – in denselben Vierteln, in die wir auch normalerweise gehen. Ich brauche Kunst in meinem Leben. Es wäre großartig, wenn ich alle meine Leidenschaften in einem Projekt verwirklichen könnte: Sport, Wohltätigkeit und Kunst.“

Seit Lissy zwischen 2014 und 2016 in Palästina lebte, interessiert sie sich für die WANA-Region. Besonderes Interesse gilt der Sprache Arabisch, Israel/Palästina und anti-muslimischem Rassismus. Lissy ist Dolmetscherin und Übersetzerin für Arabisch. Im Vorstand ist sie seit 2020 für die Mitgliederbetreuung zuständig.
Clara arbeitet in der Wissenschaftskommunikation. Zu dis:orient kam sie 2018 und seit Februar 2022 übernimmt sie die Koordination unseres Magazins. Clara hat Internationale Migration & Interkulturelle Beziehungen in Osnabrück und Politikwissenschaft in Hamburg & Istanbul studiert. Ihre Themen sind Solidarität in der postmigrantischen...
Redigiert von Anna-Theresa Bachmann, Julia Nowecki