27.04.2016
Interview mit Tomer Ashwal: „Verhandlungen ohne Amerikaner, ohne Europäer, ohne Vorbedingungen“
Ob Angela Merkel, Federica Mogherini oder Francois Hollande, Tomer Ashwal sagt: "Netanjahu hat der EU die Stirn geboten". Photo: Moshe Milner GPO / MFA (CC 2.0 BY-NC)
Ob Angela Merkel, Federica Mogherini oder Francois Hollande, Tomer Ashwal sagt: "Netanjahu hat der EU die Stirn geboten". Photo: Moshe Milner GPO / MFA (CC 2.0 BY-NC)

Likud-Berater Tomer Ashwal spricht im Interview mit Tobias Pietsch und Christoph Dinkelaker von Alsharq über die Erfolge Benjamin Netanjahus, das umstrittene NGO-Gesetz, Doppelstandards und Perspektiven für eine Zwei-Staaten-Lösung.

Tomer Ashwal, 41, wuchs in der israelischen Kleinstadt Rosh HaAyin, 25 Kilometer östlich von Tel Aviv, auf. Die Stadt ist de facto geteilt: Der 1949 gegründete Westteil wird hauptsächlich von Juden jemenitischer Herkunft bewohnt. In den neueren Vierteln auf den Hügeln im Osten leben Einwanderer_innen aus der ehemaligen Sowjetunion und viele hochrangige Militärs im Ruhestand. Es gibt wenig Kontakt zwischen den Bevölkerungsteilen. Tomer Ashwal ist mit beiden Stadtteilen verbunden: Seine Eltern stammen aus dem Jemen, gleichzeitig unterhält er enge Kontakte zu israelischen Ministern und Militärs.

Zum Likud, der gegenwärtig stärksten Partei Israels, kam Ashwal mit 20 über dessen Studierendenorganisation. Er stieg zum Vizepräsidenten des Jungen Likud auf und berät nun Minister und Abgeordnete der Partei des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

Wie fast alle Israelis diente Ashwal drei Jahre in der Armee, zwei davon in den Besetzten Gebieten, die er selbst als „Judäa und Samaria“ bezeichnet. Auch familiär ist er diesen Gebieten verbunden: Seine Brüder sind Siedler, seine Schwester lebte bis zur Räumung des Gazastreifens in der Siedlung Gush Katif.

 

Alsharq: Sollte Benjamin Netanjahus Amtsperiode nicht vorzeitig enden, so hätte er Israel länger als Staatsgründer David Ben Gurion regiert. Was sind Netanjahus größte Errungenschaften?

Tomer Ashwal: Im Gegensatz zu den Premierministern der Arbeitspartei hat Netanjahu der EU und ihrer interventionistischen Agenda die Stirn geboten und sich den geheimen Interessen der USA entgegengestellt. Vor allem aber hat er über all die Jahre die Sicherheit Israels garantiert, das ist das wichtigste. Es geht nicht darum, den Friedensnobelpreis zu bekommen oder in europäische Hauptstädte eingeladen zu werden und von allen geliebt zu werden. Für einen israelischen Premierminister muss es in erster Linie darum gehen, sich um die Bevölkerung und das Land zu kümmern. Das macht Netanjahu sehr gut.

Netanjahu ist es nicht gelungen, die neuerliche Gewalteskalation zu verhindern. Seit Herbst 2015 erschüttern Messerattacken das Land. Netanjahu schafft es nicht, die Sicherheit der Bewohner_innen des Landes zu garantieren. Dennoch sind seine Beliebtheits- und Umfragewerte hoch. Wie ist das zu erklären?

Die Menschen in Israel erinnern sich noch gut an explodierende Busse und Selbstmordattentäter_innen. Jetzt haben wir es mit jungen Menschen zu tun, die auf Youtube oder der IS-Facebook-Seite radikalisiert werden und sich morgens entscheiden, ein Messer mitzunehmen und Menschen in Israel zu töten. Die Menschen verstehen, dass Netanjahu nicht alles kontrollieren kann. Ein arabischer Israeli aus Haifa, der morgens das Haus verlässt um Menschen zu töten, kann nicht kontrolliert werden.

Man muss das ganze Bild betrachten um zu verstehen, wie Netanjahu die Sicherheit des Landes garantiert. Vor wenigen Tagen hat Netanjahu publik gemacht, dass Israel zahlreiche Luftangriffe in Syrien durchgeführt hat. Zusammen mit der russischen Armee bekämpfen wir den „Islamischen Staat“, der nahe der Grenze zu Israel lauert. In Gaza zerstören wir sehr diskret Tunnel für Tunnel. Die Menschen bekommen gar nicht mit, was unter ihren Füßen passiert. Deshalb ist es im Moment ruhig. Trotz der jüngsten Attacken verstehen die Menschen, dass Netanjahu zusammen mit der Armee und der Grenzpolizei die Sicherheit Israels gewährleistet.

Israel diskutiert seit Monaten über sein Selbstverständnis als jüdischer und demokratischer Staat. Linke Organisationen fühlen sich von der Regierung immer öfter unter Druck gesetzt und das sogenannte NGO-Gesetz wird auch außerhalb Israels viel kritisiert. Wird Israel zu einer Souveränen Demokratie, in der die Regierung immer häufiger in die Zivilgesellschaft eingreift?

Ganz ehrlich, das ist Blödsinn. Um die Frage zu beantworten, müssen wir uns den Fakten widmen: Die israelische Regierung verlangt mit dem neuen Gesetz lediglich, dass jede NGO, die Gelder von ausländischen Regierungen bezieht, dies transparent macht. Egal ob Friedensorganisation oder Menschenrechts-NGO. Wir wollen hierüber informiert sein und fordern, dass ausländische Unterstützung für Organisationen publik wird. Ich möchte wissen, welche Staaten sich in israelische Angelegenheiten einmischen. Wenn Briten und Iren ein Problem mit Israel haben, sollen sie es diplomatisch lösen. Außerdem verstehe ich nicht, wovor alle Angst haben. Wir verlangen mit dem neuen Gesetz -– das sich an alle, also nicht nur an die linken NGOs richtet – lediglich Transparenz von den Organisationen.

Ist das nicht ein wenig verkürzt dargestellt vor dem Hintergrund, dass rechte Organisationen in Israel hauptsächlich von Privatspenden profitieren, die nicht unter das neue Gesetz fallen?

Wir haben kein Problem mit Privatspenden. Aber wenn ausländische Regierungen sich dazu entscheiden, innerhalb Israels aktiv zu werden, müssen wir das wissen. In den USA muss über jedes Lobbytreffen berichtet werden. In Frankreich können Organisationen, die gegen die Regierung arbeiten, sogar bestraft werden. Es ist sowieso ziemlich lustig, dass die Kritik an der israelischen Demokratie aus Europa kommt. Ich erinnere mich an Staatsbesuche von Angela Merkel, François Mitterand und Tony Blair in Jemen, Saudi-Arbien, Syrien, Libanon und Ägypten. Dort habe ich sie nicht über Demokratie und Menschenrechte sprechen hören. Dabei dürfen zum Beispiel Schwule und Lesben in Ägypten ihre Sexualität nicht ausleben, in Saudi-Arabien dürfen Frauen nicht Auto fahren.

Lassen Sie uns über die doppelten Standards sprechen, die Sie mit Blick auf den europäischen Umgang mit anderen Ländern der Region wahrnehmen. Machen die Missstände in anderen Ländern die Situation in Israel besser oder legitimer?

Wir haben es in Israel mit einer Menge Probleme zu tun, um die andere Länder sich nicht kümmern müssen. Wenn wir am Jahresende über einen Staatshaushalt entscheiden, wissen wir nicht ob im Januar eine Militäroperation stattfinden muss, die täglich mehrere Millionen Euro kostet und der Haushalt damit hinfällig wird. Die Situation kann sich sehr schnell verändern und wir müssen schnell reagieren. Das sollten die Europäer_innen im Blick haben, wenn sie kritische Fragen stellen.

Sie fürchten, dass linke Organisationen gegen Israel arbeiten. Aus einer anderen Perspektive könnte man argumentieren, dass diese Organisationen für Gleichberechtigung und Menschenrechte und gegen Diskriminierung arbeiten. Was entgegnen sie auf diese Sichtweise?

Mit solchen Organisationen habe ich kein Problem. Ich habe Probleme mit Organisationen, die unsere Soldat_innen an den Pranger stellen, im Ausland Haftbefehle gegen führende israelische Politiker_innen erwirken oder, wie im Falle des Goldstone-Berichts, Lügen verbreiten. Diese Organisationen arbeiten nicht gegen die Regierung, sie arbeiten gegen Israel.

2017 jährt sich der Beginn der israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete. Denken Sie, die Weltgemeinschaft wird eine anhaltende Besatzung weiter akzeptieren? Welche Perspektiven zur Beendigung der Besatzung sehen Sie?

Sie sagen, dass es eine Besatzung ist, und es ist sehr einfach das zu sagen. Ich sehe das anders. Ich möchte realistisch sein: Benjamin Netanjahu hat als erster Premierminister des rechten Lagers 2009 in seiner Bar-Illan Rede über die Zwei-Staaten-Lösung gesprochen. Wir haben viel versucht, um den Palästinenser_innen Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Situation aufzuzeigen. Wir müssen uns jedoch immer wieder zwei Fragen stellen: Mit wem verhandeln wir eigentlich – mit Mahmoud Abbas (Fatah) oder Ismail Haniyya (Hamas)? Und ist Mahmoud Abbas mutig und stark genug für einen Verhandlungsprozess? Unsere ägyptischen und jordanischen Kontakte bezweifeln das.

Zuvorderst müssen wir nach der Sicherheit für Israel fragen. Und die Vergangenheit lehrt uns, skeptisch zu sein. Ein Beispiel: Jahrelang haben die Palästinenser_innen den Abzug aus dem Gazastreifen gefordert. 2005 sind wir abgezogen und was haben wir bekommen? Raketen!

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie wir zusammen weiter verfahren können. Die erste Option ist, die Situation einzufrieren, den Status Quo aufrecht zu erhalten und auf die nächste Generation zu warten. Die zweite Möglichkeit, die ich persönlich bevorzuge und wofür ich auch innerhalb des Likud werbe, ist der anderen Seite zu sagen, dass wir uns gemeinsam an den Verhandlungstisch setzen sollten. Ohne die Amerikaner, ohne die Europäer, nur Israelis und Palästinenser. Ohne Vorbedingungen.

Auch wenn Sie mit dem Begriff der Besatzung nicht einverstanden sind, können wir doch festhalten, dass Israel die Kontrolle über die Palästinenser_innen zwischen Mittelmeer und Jordan hat. Welche Perspektiven kann der Likud den Palästinenser_innen bieten?

Wir stehen morgens nicht auf und denken uns: Lasst uns Checkpoints und Barrieren errichten, um die Palästinenser_innen zu kontrollieren. Wir möchten ihnen eine Vision und einen Traum geben. Wenn sie ein normales Leben haben, das sie genießen können, werden wir keine Probleme mehr mit Terrorismus haben. Wir brauchen die Checkpoints und Mauern nicht, um Palästinenser_innen jeden Tag stundenlang warten zu lassen, sondern um sicherzustellen, dass sich niemand in Tel Aviv in die Luft sprengt. Wir wollen niemanden kontrollieren müssen, aber wir haben keine andere Wahl.

Lassen Sie uns noch einmal nach Perspektiven fragen. Welche Aussichten in Bezug auf Wirtschaft oder Lebensqualität gibt es derzeit für Palästinenser_innen, damit diese nicht jede Hoffnung auf eine eine bessere Zukunft verlieren?

Vor einigen Jahren einigten sich der Shin Bet und die Palästinensische Autonomiebehörde auf ein geheimes Abkommen. Ohne die Öffentlichkeit zu informieren wurden 135 Gefangene freigelassen. Die meisten von ihnen kamen aus Bethlehem. Das Abkommen hat dazu geführt, dass sich die ökonomische Situation verbesserte: Es wurden mehr Arbeitsgenehmigungen für Israel ausgestellt, es kamen mehr Tourist_innen nach Bethlehem, Geschäfte öffneten wieder und alles schien gut. Dann kamen zwei Terroristen aus Bethlehem, die eine Erlaubnis hatten, nach Israel zu reisen, und töteten drei Menschen. Am Tag darauf wurde Bethlehem wieder abgeriegelt.

Aber das bedeutet doch, dass ganz Bethlehem kollektiv bestraft wird, wenn zwei Terroristen einen Anschlag verüben.

Nein, das ist nur eine Betrachtungsweise. Aus meiner Sicht bedeutet das, dass immer wieder solche Dinge passieren. Es sind ja nicht nur zwei Menschen involviert. Es kommt immer wieder zu solchen Vorkommnissen und es gibt Netzwerke dahinter. Man kommt nicht nur zu zweit an eine Autobombe heran. Es sind nicht nur die zwei Verrückten, wegen denen wir Bethlehem abriegeln.

Wie nehmen Sie die regionale Umgebung Israels aus sicherheitspolitischer Perspektive wahr?

Bedrohlich. Die Hizbollah im Libanon, der „Islamische Staat“ in Syrien, die Hamas in Gaza, Jihadisten auf dem Sinai – und dazu noch die Messerattacken von Araber_innen aus Israel und aus Judäa und Samaria: Israel wird von außen wie von innen bedroht. Es heißt nicht umsonst: „Wenn die Araber ihre Waffen niederlegen, wird es Frieden geben. Wenn Israel seine Waffen abgibt, wird es kein Israel mehr geben.“ Wir sind misstrauisch, denn wir wissen, dass zwar nicht jeder Araber ein Terrorist ist, aber jeder Terrorist ein Araber.

Früher oder später werden in Israel wieder Wahlen stattfinden. Was werden wichtige Themen sein, auf die der Likud sich konzentrieren sollte?

Es sind sind immer zwei: Der israelisch-palästinensische Konflikt als das wichtigste Thema überhaupt. Wenn wir das gelöst haben, wird die Wirtschaft florieren, mehr Tourist_innen werden kommen, es wird keine BDS-Bewegung mehr geben und wir werden gute Beziehungen zu arabischen Staaten aufbauen können. Es wäre großartig für beide Seiten.

Das zweite Thema sind sozio-ökonomische Probleme in Israel. Es geht um Gehälter, Wohnungen für junge Menschen und Lebenshaltungskosten. Aber wissen sie, sobald Hassan Nasrallah von der Hizbollah sich mal wieder dazu entscheidet, uns anzugreifen, treten die sozio-ökonomischen Fragen wieder in den Hintergrund.

Vielen Dank für das Gespräch!

Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...