03.12.2022
Kommerz, Menschenrechte und Fußball
Fußball lebt vor allem von der Leidenschaft und dem Engagement seiner Fans. Sie setzen sich für ihren Verein ein - innerhalb und außerhalb des Stadions. Grafik: Eva Hochreuther
Fußball lebt vor allem von der Leidenschaft und dem Engagement seiner Fans. Sie setzen sich für ihren Verein ein - innerhalb und außerhalb des Stadions. Grafik: Eva Hochreuther

Ägypten ist das Zuhause einer der größten Fan-Szenen in WANA. Wir haben uns bei Anhängern des ägyptischen Vereins Al-Ahly Kairo umgehört und mit ihnen über Fan-Sein, ihren Verein und die Fußballweltmeisterschaft in Katar gesprochen.

Dieser Artikel ist Teil unseres Dossiers zur Fußballweltmeisterschaft der Männer in Katar. Im Dossier blicken wir auf die politischen und gesellschaftlichen Berührungspunkte zwischen WANA und dem Ballsport. Alle Artikel des Dossiers sind hier zu lesen.

Beinahe zwölf Jahre ist es her, dass der ehemalige Präsident des Weltfußballverbandes FIFA, Sepp Blatter, bekannt gab, dass die Fußballweltmeisterschaft der Männer 2022 in Katar stattfinden würde. Die Kritik an der Entscheidung der FIFA reißt seitdem nicht ab – diese kommt vor allem von europäischen Fußball-Fans, Spieler:innen und Politiker:innen. Auch international tätige Menschrechtsorganisationen sprechen sich vehement gegen die Vergabe der WM an Katar aus.  

Stimmen aus Westasien und Nordafrika (WANA) kommen in der medialen Berichterstattung selten vor. Eine der größten Fan-Szenen der Region gibt es in Ägypten. Seit Ende des 19. Jahrhundert hat sich dort eine lebendige Vereins- und Fan-Kultur entwickelt, die auch außerhalb des Stadions engagiert ist. Wir haben uns bei Unterstützern des Al-Ahly Sporting Club in Kairo, einem der ältesten Fußballvereine Ägyptens, umgehört und wollten wissen, wie sie ihren Verein unterstützen und was sie über den Austragungsort denken.

Bassem (Mitte 30)

Zuhause in Ägypten unterstützt Bassem den Fußball-Club Al-Ahly Kairo, auf internationaler Ebene den FC Liverpool.

„Für mich bedeutet Fan sein, dass man seinem Verein gegenüber loyal ist – und das in guten wie in schlechten Zeiten, egal ob die Mannschaft gerade gewinnt oder verliert. Jeden Tag informiere ich mich, was gerade bei meinem Team passiert und was in den Ligen los ist.

Die Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Jahr ist, meiner Meinung nach, ein Ereignis mit vielen ersten Malen: Zum ersten Mal findet es in einem Land in WANA statt und damit auch zum ersten Mal in einem arabischen Land. Aber es wird gleichzeitig auch das wahrscheinlich letzte WM-Turnier für die beiden legendären Spieler Christiano Ronaldo und Lionel Messi sein.“

Ahmed (39)

Ahmed ist ebenfalls Fan von Al-Ahly Kairo und engagiert sich in der Fan-Szene seines Clubs.

„Fan-Sein hat für mich oberste Priorität in meinen Leben. Ich liebe Fußball und alles, was dazugehört. Vor allem gefällt mir, wie der Sport Menschen zusammenbringen kann. Ich bin 39 Jahre alt und die meisten meiner engen Freunde kenne ich über den Fußball.

Ein Fan von Al-Ahly zu sein, ist etwas Besonderes. Er war der erste Verein, der unter britischer Besatzung zu hundert Prozent ägyptisch war und der Verein in Ägypten, der die meisten Titel gewonnen hat. Darauf ist man als Fan natürlich schon auch irgendwie stolz. Auf mein Auto habe ich Sticker von Al-Ahly geklebt. Manchmal trage ich Kleidung von meinem Verein auch an Tagen, an denen kein Fußballspiel ist. Dann habe ich zum Beispiel eine Kette oder Jacke an, wenn ich mich mit Freunden treffe. Ich habe mir auch ein Tattoo mit dem Namen „Al-Ahly“ und dem Gründungsjahr stechen lassen. Also der Verein ist in meinem Leben ständig präsent und spielt eine sehr wichtige Rolle.

Als Araber freue ich mich für Katar, dass sie das größte Fußball-Ereignis der Welt zu Gast haben. Ich freue mich, weil die Weltmeisterschaft nach Asien kommt und ich es super finde, wenn Asien oder Afrika große Ereignisse ausrichten. Beide Kontinente wurden lange Zeit überhaupt nicht als Option angesehen. Aber ehrlich gesagt interessiert mich der Vereinsfußball mehr als die Wettkämpfe zwischen den einzelnen Ländern.

Neben Fußball gab es auch viel Diskussion um die Arbeitsbedingungen der Stadionarbeiter:innen. Ich finde, das sollte noch genauer untersucht werden. Soweit ich mich erinnern kann, gab es Untersuchungen durch Katar und die FIFA. Aber sie haben nie etwas berichtet! Man müsste eigentlich zuerst die Machenschaften der FIFA genauer unter die Lupe nehmen, bevor die Teams nach Katar fahren.

Kiko (44)

Kiko ist Teil der Ultra-Fan-Szene von Al-Ahly Kairo.  

„Für mich bedeutet es sehr viel, ein Fan zu sein. Ich erlebe dadurch viele schöne Momente und trage auch Verantwortung. Ohne Fans kann das Fußballspiel nicht so ablaufen, wie es sollte. Wahre Fans schauen für mich nicht nur Fußball, sondern schließen sich der Gemeinschaft an, treffen Entscheidungen und beteiligen sich an der Organisation. Dass es Fans gibt, ist also sehr wichtig für den Sport.

Als Unterstützer von Al-Ahly schaue ich jedes Spiel an. Ich fahre zu jedem Spiel meiner Mannschaft – egal, wo sie spielt. Ich bin zudem Mitglied in Fan-Clubs und Ultra-Gruppen meines Teams, das im Jahr 2000 sogar den Titel „Afrikanischer Verein des Jahrhunderts“ erhalten hat. Manche der Gruppen habe ich auch mitgegründet. Daneben schreibe ich Artikel über die Fan-Kultur und den Sport an sich. Auf Twitter teile ich meine Gedanken und Meinungen. Über die Plattform informiere ich mich auch, was gerade in meinem Verein passiert und halte so meine Leidenschaft am Leben.

Für die arabische Welt ist die Weltmeisterschaft in Katar ein Riesending. Vor allem, weil zum ersten Mal ein arabisches Land Gastgeber ist. Die Stadien aber wurden auf dem Blut tausender asiatischer Arbeiter:innen gebaut. Diese Arbeiter:innen kamen vor einigen Jahren, um gute Arbeitsbedingungen zu finden und höhere Löhne, mit denen sie ihre Familien zuhause unterstützen wollten. Doch am Ende sind sie zu ihren Familien in Särgen zurückgekehrt. Daran sind die grauenhaften Bedingungen schuld, mit denen sie während ihres Aufenthalts in Katar zu kämpfen hatten. Ehrlich gesagt glaube ich, das, was den armen toten Arbeiter:innen und ihren Familien passierte, ist gegen das von der FIFA weltweit proklamierte „Fair Play“. Es ist traurig, dass die internationale Gemeinschaft die Weltmeisterschaft feiern wird, ohne den asiatischen Opfern zu gedenken. Die FIFA spielt eine wichtige Rolle in diesem Drama. Sie haben den Ausverkauf von Fußball als Industrie verstärkt. Denn für die FIFA ist nur das Geld wichtig. Kein Wunder, ist doch die FIFA wesentlich mitverantwortlich dafür, dass sich Fußball immer mehr wandelt und von einem wunderschönen Sport zum kapitalistischen Konsumprodukt wird.

Wegen all dem sind die wahren Fußballfans besonders gefordert. Denn hier beginnt die Auseinandersetzung. Sind wir als Fans nur am Ball interessiert, wenn er ins Tor geht? Oder betrifft uns auch das, was vor und danach passiert?!“

 

 

Eva Hochreuther studierte Nah- und Mitteloststudien in Mabrug und Migrationswissenschaften in Schweden. Während ihrer Studienjahre verbrachte sie einge Zeit in Kairo, Amman und Beirut.
Redigiert von Rebecca Spittel, Clara Taxis