08.05.2018
Netanjahus Beweise gegen Iran: Viel Show, nichts Neues
Netanjahus Präsentation in Tel Aviv Foto: Screenshot (https://www.youtube.com/watch?v=qmSao-j7Xr4)
Netanjahus Präsentation in Tel Aviv Foto: Screenshot (https://www.youtube.com/watch?v=qmSao-j7Xr4)

In einer Präsentation an die Weltöffentlichkeit warf der israelische Ministerpräsident Netanjahu der iranischen Führung vor, die Welt über die militärischen Dimensionen ihres Atomprogramms getäuscht zu haben. Das 2015 geschlossene Abkommen müsse daher revidiert werden. Nur: Viel Neues bietet Netanjahus Darstellung aber nicht. Von Adrian Paukstat.

„Iran lied“ – In Times New Roman, Schriftgröße 72, ließ Benjamin Netanjahu seine Botschaft an die Welt an die Wand projizieren, als er am vergangenen Montag die Ausbeute des neuesten Coup des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad präsentierte.

Offensichtlich war es israelischen Nachrichtendiensten gelungen, mehrere hundert Ordner und CDs voll brisanter Informationen zum iranischen Atomprogramm aus Iran zu entwenden und nach Israel zu überführen.

Mit dem mittlerweile von ihm gewohnten Pathos der öffentlichen Enthüllung stellte Netanjahu besagte Dokumente am Montagabend auf einer Pressekonferenz in Israel vor. Und tatsächlich zeichnen die Dokumente ein eindeutiges Bild: Unter dem Namen „Projekt Amad“ führte Iran in den Jahren 1999 bis 2003 eine geheimes Programm zur Planung, Konstruktion und Test atomarer Waffensysteme durch.

Die Beweise könnten expliziter nicht sein. So präsentierte Netanjahu Computersimulationen nuklearer Implosionen, Pläne zur Bestückung der iranischen Shahab 3-Rakete mit einem Nuklearsprengkopf, geographische Karten möglicher Testgebiete in Iran, sowie auch Konstruktionspläne für Waffenkerne aus spaltbarem Material.

Im Kontext dieser Informationen werden auch die Struktur und der Zweck der atomaren Infrastruktur Irans deutlich. Die Simulationen nuklearer Implosionen verweisen auf ein Waffendesign, das in der Regel mit Plutonium arbeitet. Letzteres ist ein Abfallprodukt des (mittlerweile durch das Atomabkommen modifizierten) Schwerwasserreaktors in Arak. Ebenso verweisen die Unterlagen auf die Tatsache, dass die bombensichere, unter Tage gelegene Anreicherungsanlage in Fordow weniger medizinischen Zwecken, sondern der Produktion von hochangereichertem Uran 235 für eine Atomwaffe diente.

All das ist richtig und es besteht wenig Grund, an der Authentizität der Dokumente zu zweifeln, schließlich decken diese sich mit bereits vorhandenen Erkenntnissen. Hier liegt allerdings auch der Knackpunkt: Neu sind diese nicht. Netanjahus Beweise bestätigen im Wesentlichen das, was bereits als Ausgangslage des 2015 nach jahrelangen Verhandlungen unterzeichneten „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA), wie das Atomabkommen mit Iran offiziell heißt, bekannt war.

Niemand hat die Absicht, eine Atomwaffe zu bauen

Die offiziellen Verlautbarungen Irans, keine atomaren Waffen zu fertigen, oder sich zumindest die Infrastruktur und das Know-How hierfür anzueignen, um zu einem Zeitpunkt seiner Wahl die Fertigung zu forcieren, hat aus guten Gründen schon vor zehn Jahren kaum jemand geglaubt.

Schon allein die Heimlich- und Dringlichkeit des gesamten Projektes, dessen Ursprünge bis in die Zeit des Shah zurückreichen, weckten spätestens seit 2003 den Verdacht der internationalen Gemeinschaft. Nicht ganz zu Unrecht fühlte man sich von den in geheimen unterirdischen Anlagen Tag und Nacht arbeitenden Wissenschaftlern an das US-amerikanische „Manhattan Projekt“ erinnert. Ebenso musste das kategorische Insistieren Irans auf die autarke Beherrschung des gesamten Brennstoffkreislaufs zumindest verdächtig erscheinen.

Bedenkt man weitere Elemente des Programms, wie die Produktion von hochangereichertem Uran für „medizinische Zwecke“ in ungewöhnlich großen Mengen, sowie die spezifische Konstruktion des Schwerwasserreaktors in Arak, die sich zur Plutoniumextraktion eignete, so häuften sich die Verdachtsmomente.

Zwar konstituierte keiner der besagten Sachverhalte an und für sich eine „smoking gun“, doch zusammengenommen ergaben sie ein Bild, das die „rein zivile“ Natur des iranischen Atomprogramms als mindestens unwahrscheinlich erscheinen ließ.

Spätestens seit 2011 fanden sich jedoch auch definitive Belege für die militärische Dimension des Programms: Seitdem sind die von Netanjahu präsentierten Pläne zur Bestückung einer Shahab 3-Rakete mit einem Atomsprengkopf bekannt. Ebenso wusste man, dass Iran bereits vor langer Zeit Pläne zum Bau von Waffenkernen aus spaltbarem Material aus Pakistan erworben hatte. Der damalige Erklärungsversuch des Regimes, man habe die besagten Dokumente nicht bestellt und sie müssen wohl „aus Versehen“ mitgeliefert worden sein, grenzte an Lächerlichkeit.

Ebenso wissen wir bereits seit 2011, dass Iran mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die jetzt von Netanjahu belegten Experimente auf dem Militärstützpunkt in Parchin durchgeführt hat und anschließend deren Spuren verwischte. Wie im Annex des Berichtes der internationalen Atomenergiebehörde vom November 2011 nachzulesen ist, sind also alle von Netanjahu angesprochenen Punkte seit Jahren bekannt.

Um es zusammenzufassen: Ja, Iran hat gelogen. Das weiß man seit Jahren und diese Erkenntnis floss explizit in die Struktur des Atomabkommens ein. Es lohnt sich, den Vertrag noch einmal aufzuschlagen und sich das Verifikationsregime, das ihm zugrunde liegt, genau anzusehen. Dem präzedenzlos strengen Kontrollmechanismus liegt eindeutig die Annahme zugrunde, dass man es mit einem, gelinde gesagt, notorisch unzuverlässigen Vertragspartner zu tun hat.

Eine strengere Überwachung gab es noch nie

Unter den Bestimmungen des Abkommens kann, vereinfacht gesprochen, jeder einzelne Teilaspekt der atomaren Infrastruktur Irans nahezu lückenlos überwacht werden. Von den Uranminen, über die Verwertung verbrauchter Brennelemente, bis hin zu den Fabriken, die Maschinenteile für Zentrifugen fertigen, stehen alle Anlagen entweder durch elektronische Messvorrichtungen oder durch die physische Präsenz der Inspektoren unter dauernder Beobachtung.

Auch Netanjahus Feststellung, dass Iran eigentlich zur Offenlegung aller PMDs (possible military dimensions) seines Atomprogramms verpflichtet sei, ist zwar sachlich richtig, geht jedoch am Kern des Abkommens vorbei. Dass man gegen die offensichtliche Verschleierung der PMDs von Seiten der Iraner wenig einzuwenden hatte, dürfte nämlich vor allem verhandlungstaktischen Erwägungen geschuldet sein und macht in diesem Kontext durchaus Sinn: Man erlaubt den Iranern, weiterhin Märchen zu erzählen (was niemandem wirklich schadet) und erhält im Gegenzug die Etablierung des invasivsten Verifikationsregimes in der Geschichte der Non-Proliferation. Eigentlich kein schlechter Deal. Demnach ist es wohl kein Zufall, dass Irans Verpflichtung, die PMDs offen zu legen, in ein separates Abkommen mit der internationalen Atomenergiebehörde ausgelagert wurde.

Interessanter als das, was Netanjahu sagte, ist jedoch, was er nicht sagte: In Bezug auf die Einhaltung des Abkommens von iranischer Seite besteht seltene Einmütigkeit in der Weltöffentlichkeit und auf dem diplomatischen Parkett. Sowohl die internationale Atomenergiebehörde, wie auch das US-Außenministerium bestätigten wiederholt, dass der Iran sich an alle Auflagen halte. Bekräftigt wird dies durch den offenen Brief führender ehemaliger israelischer Militärs, mitverfasst unter anderem vom ehemaligen Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ami Ayalon, in dem die USA aus einer explizit sicherheitspolitischen Perspektive heraus dazu aufgerufen werden, sich an den Vertrag zu halten. Dies entspricht ebenso der Einschätzung der israelischen Oberbefehlshabers Gadi Eisenkot, wie er jüngst in einem Interview mit der Tageszeitung Haaretz darlegte: „Right now the agreement, with all its faults, is working and is putting off realization of the Iranian nuclear vision by 10 to 15 years.“

Das Gerede von einem „besseren Deal” ist ein Vorwand – und gefährlich

Es ist nicht und war wohl nie die Absicht der Gegner des Vertrags, weiter reichende Zugeständnisse von Seiten der Iraner, einen „better deal“, zu erwirken. Den Protagonisten, allen voran Israel und Saudi-Arabien, scheint es im Wesentlichen darum zu gehen, die multilaterale Einbindung des Iran prinzipiell zu verhindern. Nicht weil dieser oder jener Aspekt des Vertragstexts nicht weit genug geht, dieses oder jenes Detail im Verifikationsmechanismus nicht robust genug ist, sondern weil die möglichst vollständige außenpolitische Isolation Irans das Paradigma ihrer Außenpolitik ist. Man stört sich nicht am Inhalt der Verhandlungen, sondern am Prinzip diplomatischer Einigung schlechthin.

Dieses Prinzip vor allem israelischer Außenpolitik wurde von Natan Sachs, außenpolitischer Analyst des Think Tanks Brookings Institution, treffend als „Anti-Solutionism“ beschrieben. Einer, aus israelischer Sicht, suboptimalen „Lösung“ der Probleme internationaler Politik wird hierbei eine gewaltbewehrte „Verwaltung“ vorgezogen. Ob diese Strategie tatsächlich sicherheitspolitisch effizient ist, ist zumindest zu bezweifeln und so wundert es nicht, dass wesentliche Akteure des sicherheitspolitischen Establishments in Israel unterkühlt auf Netanjahus konfrontativen Kurs reagieren.

In diesem Kontext steht auch Netanjahus kaum verhohlene Aufforderung an Trump, das Abkommen platzen zu lassen, was bei der gegenwärtigen Regierung in Washington durchaus Anklang finden dürfte: Heute Abend will Präsident Trump, der das Abkommen jüngst wieder einmal als „worst deal ever“ bezeichnet hat, über Ausstieg oder Verbleib der USA im Vertrag informieren. Bereits mehrfach hatte er großspurig angekündigt, der Vertrag müsse entweder nachgebessert werden, oder er werde aufgekündigt. Letztlich bleibt abzuwarten, inwiefern es Trump mit dieser Ankündigung, entgegen aller realpolitischen Einschätzungen, Ernst ist. Dass nämlich tatsächlich ein „better deal“ ausgehandelt werden könnte, ist reine Fantasie.

Es ist noch immer erstaunlich, wie vergleichsweise wenig Widerstand sich in Iran gegen das Atomabkommen regt – trotz anhaltend schlechter Wirtschaft, trotz erheblichen Eingriffs in die nationale Souveränität des Landes und trotz weiter bestehender und teilweise ausgeweiteter Sanktionen gegen Iran. Die Vorstellung, dass die Iraner in dieser Situation zu noch weiter gehenden Zugeständnissen gebracht werden könnten, grenzt an Realitätsverlust.

Und so wäre ein Ende des bestehenden Abkommens mit einer Rückkehr zum Status Quo Ante gleichzusetzen. Ein Status Quo, wohlgemerkt, bei dem Iran nicht 10 bis 15 Jahre, sondern einige Monate vom Bau einer Atomwaffe entfernt war.

Adrian hat Anglistik, Geschichte und Konfliktforschung in Augsburg studiert. Von 2012 bis 2014 war er mehrmals in Israel/Palästina 2012-2014 und studierte Hebräisch in Jerusalem. Sein Regionalschwerpunkt liegt auf Bilad ash-Sham im Allgemeinen und Israel/Palästina im Speziellen. Seit 2017 ist Adrian bei dis:orient und dort vor allem im...