Im frisch unabhängigen Syrien der 1940er-Jahre wurden ehemalige, teils schwerstbelastete Nazi-Offiziere angeworben, um am Aufbau des Sicherheitsapparats mitzuwirken. Im Gegenzug erhielten sie neben Lohn auch Schutz vor der Nachkriegsjustiz.
Damaskus, Dezember 1953:
„Habe leider im Amt recht Ärger. Stelle bei Prüfung des neuen syrischen Wehrgesetzes fest, daß dieselben Fehler wieder eingearbeitet sind, gegen die ich schon im alten mehrfach Stellung genommen habe. Anscheinend hat man meine Stellungnahme überhaupt nicht gelesen, anders kann ich mir derart widersinnige Fehler nicht vorstellen, die man bei einiger Überlegung einsehen muß. Hie und da weiß ich nicht, wozu ich hier bin und bezahlt werde. Ich hoffe, daß das im nächsten Jahr nicht in dieser unsinnigen Weise mit unserer Verwendung weitergeht.“[1]
Unsere Verwendung - damit meint der Verfasser Georg Gartmayr sich und die anderen Mitglieder der vierten und letzten deutschen Militärberatermission in Syrien. Als er im Dezember 1953 diesen Eintrag in sein Militärtagebuch schreibt, lebt Gartmayr bereits seit zweieinhalb Jahren in Damaskus. Er war einer von hunderten Deutschen, die ab 1948 von den wechselnden syrischen Regierungen rekrutiert wurden.
1946 endete das zwei Jahrzehnte andauernde französische Mandat in Syrien und das nun unabhängige Land stand vor großen Aufgaben: Es galt, aus dem Stand einen Staat aufzubauen, der die langersehnte Souveränität verteidigen kann. Bereits im selben Jahr entsandte Staatsoberhaupt Schukri al-Quwatly zu diesem Zwecke zwei ehemalige syrische SS-Offiziere nach Deutschland und in europäische Kriegsgefangenenlager. Said Fattah Imam und Akram Tabara (auch Homsi genannt) hatten folgenden Auftrag: ehemalige Kameraden aus den Reihen von Hitlers SS und Wehrmacht für den Dienst in Syrien anwerben.
Was machte die Rekrutierung von Deutschen für Syrien attraktiv?
Wenngleich der Antisemitismus der deutschen Nationalsozialisten eine Schnittstelle mit dem Antizionismus in Syrien aufwies, war die ideologische Einstellung nicht das zentrale Merkmal für das Interesse Syriens an den besiegten Nazis. Neben der traditionellen Freundschaft zu Deutschland sprach man den Deutschen vielmehr eine gewisse Expertise, in jedem Fall aber Erfahrung in moderner Kriegsführung sowie dem Aufbau eines Heeres, zu. Darüber hinaus waren die ehemaligen NS-Offiziere keiner Regierung mehr verpflichtet – angesichts des sich zuspitzenden Kalten Kriegs ein günstiger Umstand für das blockfreie Syrien.
Auch für viele Nazis war es ein vielversprechendes Angebot. Neben einem regulären Gehalt ihnen für ihre vertraglich geregelte Tätigkeit zusätzlich Ausländerzulagen, kostenfreie medizinische Versorgung, Unterkunft, Fluchthilfe inklusive Finanzierung der Flugtickets und Reisespesen sowie der Erhalt ihres militärischen Ranges zugesichert. Nicht zuletzt bedeutete die Anstellung auch Schutz vor der Nachkriegsjustiz, denn ihre Anwesenheit vor Ort wurde stets von den syrischen Behörden verleugnet und internationale Ausweisungsbemühungen mit ebendieser Begründung abgewiesen.
Diese Zusammenarbeit brachte jedoch auch Nachteile für Syrien mit sich, da einige Deutsche in Bezug auf ihre Kompetenzen logen. Um der Kriegsgefangenschaft, Strafverfolgung oder Perspektivlosigkeit zu entgehen, erfanden sie Qualifikationen. Andere wiederum standen parallel im Auftrag ausländischer Geheimdienste, etwa der Org. Gehlen, der Vorläuferorganisation des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND).
Die Zusammenarbeit verlief nicht wie erhofft
Von 1948 bis 1956 agierten vier aufeinanderfolgende Missionen ehemaliger SS- und Wehrmachtsoffiziere in Syrien. Geleitet wurden sie von Hyazinth Graf Strachwitz (Wehrmacht), Walther Rauff (SS), Rudolf Roestel (SS) und schließlich Rainer Kriebel (Wehrmacht). Während die ersten drei Gruppen aufgrund der instabilen politischen Lage in Syrien jeweils nur kurz vor Ort waren, verblieb Kriebels Gruppe etwa fünf Jahre im Land. Alle Missionen hatten dieselbe Aufgabe: Aufbau, Reorganisation und Modernisierung der syrischen Armee und Geheimdienste.
Hierzu wurden sie in sämtlichen militärischen Bereichen eingesetzt: von Maschinenbau und Beschaffung von Rüstungsgütern über Ausbildung, Spionageabwehr und Funkkommunikation hin zu Gefängnisbauplanung, Personenschutz des Präsidenten und dem Aufbau der Luftwaffe. Darüber hinaus trug insbesondere Walther Rauff als persönlicher Berater des Machthabers Husni al-Zaim zur Weiterentwicklung der geheimdienstlichen Infrastruktur in Tradition der Gestapo bei.
Trotz der wichtigen Rolle, die man den Deutschen übertrug, machte sich auf beiden Seiten schnell Unzufriedenheit breit: Die ältere Generation der syrischen Militärs hielt an den französischen Strukturen fest, einige der Soldaten empfanden die Deutschen als unerwünschte Konkurrenz. Die Deutschen wiederum hatten häufig unbedeutendere Positionen inne als erwartet, ihre Verbesserungsvorschläge wurden ignoriert.
Gartmayr vermerkte im März 1955 etwa: „Immer wieder dasselbe: Mangelhaftes oder gar kein Begriffsvermögen. Die sogenannten ‚Erfahrungen‘ des Palästina-‚Feldzugs‘ sind schlimmer als gar keine, denn sie veranlassen zu falschen Schlußfolgerungen. Wenn ich auch nicht verantwortlich bin für das Ergebnis im Ernstfall, so lege ich Wert darauf, nicht später mit Mißerfolgen belastet zu werden, vor denen ich ausdrücklich gewarnt habe.“ Laut CIA mangelte es den Deutschen nicht nur an Sprachkenntnissen, sondern auch an „Verständnis für die orientalische Mentalität“ (CIA 1949).
Politische Instabilität, eine hohe Fluktuation, interne Konflikte und die teilweise nur geringen Kompetenzen der deutschen Berater beschränkten ihren tatsächlichen Einfluss. Dennoch unterstützten die exilierten Nazis den Aufbau eines repressiven Sicherheitsapparats, für den das sogenannte Dritte Reich insbesondere in den Anfangsjahren nachweislich als Referenz galt. Ein System, das nicht nur der Kontrolle und Unterdrückung der Bevölkerung diente, sondern spätestens unter Hafiz al-Assad der Vernichtung politischer Gegner:innen.
Nicht alle wurden angeworben: unabhängige NS-Gemeinschaft in Syrien
Viele der deutschen Berater unterrichteten an der Kriegsakademie in Homs und bildeten angehende Soldaten und Offiziere aus. Unter ihren Schülern, so schrieb Jahre später der ehemalige Wehrmachtsoffizier Joachim Tzschaschel, „soll sich auch ein Major Hafez al Assad (der spätere Staatspräsident?) befunden haben“. Tzschaschel kam 1950 für knapp drei Jahre nach Syrien, bevor er seine Karriere im Anschluss bei BND und Bundeswehr fortsetzen konnte. Nach eigenen Aussagen hat Assad tatsächlich zumindest Flugstunden von einem der deutschen Ausbilder erhalten. Wer ihn und seine spätere Geheimdienstriege aber zweifelsfrei schulte, war Alois Brunner – Adolf Eichmanns rechte Hand.
Parallel zu den Missionsmitgliedern lebten er und zahlreiche weitere Exil-Nazis unter Tarnidentitäten in Syrien, oft ohne direkte staatliche Anstellung. Stattdessen nutzten sie das Land als Basis für Waffengeschäfte. Eher zufällig fanden auch einige von ihnen Arbeit im Sicherheitsgefüge. So arbeiteten Alois Brunner und Franz Rademacher nach einigen Jahren Aufenthalt im Land für das Deuxième Bureau, aus dem später der syrische Militärgeheimdienst hervorging und das bereits zu dieser Zeit der Unterdrückung und Folter der politischen Opposition diente. Der ‚Euthanasie‘-Arzt Emil Gelny behandelte in Syrien zunächst die rekrutierten Europäer und leitete später eine psychiatrische Einrichtung in Damaskus. Wilhelm Beisner, Otto Ernst Remer, Franz Stangl, Gustav Franz Wagner, Kurt Witzke, Karl-Heinz Späth, Ernst-Wilhelm Springer und viele weitere Nazis waren in Syrien.
Alois Brunner starb zu Beginn der Präsidentschaft von Baschar al-Assad. Somit gewährte jede syrische Regierung seit der Unabhängigkeit – mit Ausnahme der heutigen Übergangsregierung – Exil-Nazis einen sicheren Hafen und im Regelfall ein entlohntes Anstellungsverhältnis.
[1] Dieser Artikel beruht auf der Masterarbeit der Autorin. Alle Quellennachweise und weiterführende Literatur sind dort zu finden: Pindus, T. (2025). Syriens Sicherheitsapparat: Rolle und Einfluss exilierter Nationalsozialisten im Aufbau von Militär und Geheimdiensten zwischen 1945 und 2001. Philipps-Universität Marburg. https://doi.org/10.17192/ed.2025.0005