12.09.2013
“Politik ist ein schmutziges Geschäft” – Interview mit dem Generalsekretär der palästinensischen Regierung Dr. Fawaz Akel
Fawaz Akel (Mitte) an der Al Najah Universität in Nablus, 2009. Foto: Henk Eijkman (CC)
Fawaz Akel (Mitte) an der Al Najah Universität in Nablus, 2009. Foto: Henk Eijkman (CC)

Die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland ist seit bald fünf Monaten ohne vereidigte Regierung. Im Übergangskabinett laufen seit Juni die Fäden der Politik bei Dr. Fawaz Akel zusammen. Alsharq sprach in Nablus mit dem neuen Generalsekretär der Regierung, der sich mit Stolz einen Technokraten nennt.

Seit Salam Fayyad im April sein Amt niederlegte, führt ein Interimskabinett die Regierungsgeschäfte der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Der von Präsident Mahmud Abbas favorisierte Kandidat für den Premiersposten, Rami Hamdallah, trat keine zwei Wochen nach seiner Ernennung zurück, nahm aber den Posten wenig später wieder auf.

In der Führungsriege um Abbas' Fatah hatte man sich auf ein Technokraten-Kabinett verständigt, um einer möglichen Wiedervereinigung mit der Hamas-geführten Regierung in Gaza keine Steine in den Weg zu legen. Weil es aber diesbezüglich seit Jahren keine Fortschritte gibt, erscheint - so heißt es aus Parteikreisen - auch eine politischere Besetzung der Posten wieder möglich. Innerhalb der Führung des Westjordanlandes bewegt sich jedoch seit Monaten kaum mehr etwas.

Hamdallah war viele Jahre Präsident der größten Universität in der Westbank, der Nabluser Al Najah. Als Interimspremier ernannte er seinen Universitätskollegen Dr. Fawaz Akel zum Generalsekretär der Regierung. Damit hat der Professor für Linguistik und Pädagogik, der zuvor nie auf der politischen Bühne erschienen war, nun einen der zentralen Posten für politische Angelegenheit der PA inne, ähnlich dem des Kanzleramtsministers der deutschen Bundesregierung.

Akel, wie viele seiner Regierungskollegen, versteht sich selbst als Technokrat. Nach seinem politischen Hintergrund gefragt, sagte er: “Ich habe mich immer aus der Politik rausgehalten. Ich mag Politik nicht. Für mich ist sie ein schmutziges Geschäft.” Als Statement eines der hochrangigsten Entscheidungsträger der palästinensischen Politik mag eine solche Aussage befremdlich wirken. Doch spiegelt sie deutlich wider, wie festgefahren die Lage in Palästina unter anhaltender israelischer Besatzung und tiefer innenpolitischer Spaltung ist. Die PA-Regierung verkörpert in den Augen der Mehrheit der Palästinenserinnen und Palästinenser inzwischen Kapitulation und politische Visionslosigkeit. So wird das Fehlen einer politischen Perspektive auch in unserem Gespräch mit Dr. Akel deutlich. 

Alsharq: Was verspricht sich Ihre Regierung von den Friedensverhandlungen, die nach jahrelangem Stillstand wieder aufgenommen wurden?

Fawaz Akel: Wir wollen unsere Aktivitäten zukünftig auch auf die C-Gebiete ausweiten können, die bislang unter israelischer Kontrolle stehen. Aber die großen politischen Fragen überlassen wir den höheren Politikern und Unterhändlern wie Saeb Erekat. Unsere Aufgabe ist es, die sozioökonomischen Herausforderungen anzugehen und entwicklungsorientiert zu handeln.

Und wie sieht Ihre persönliche Erwartungshaltung aus?

Von erfolgreichen Verhandlungen profitiert nicht nur eine Seite: Frieden und Wohlstand kommt allen zu Gute. Ich hoffe auf endgültige Ergebnisse und einen dauerhaften Frieden – darauf, dass uns unsere Rechte gewährt werden und wir einen unabhängigen palästinensischen Staat bekommen.

In den sogenannten C-Gebieten darf Ihre Regierung gemäß der Oslo-Verträge nicht aktiv werden, die zivile und militärische Verantwortung liegt bei Israel. Wie kann die Autonomiebehörde das Westjordanland zusammenhalten?

Trotz der Teilung des Westjordanlands in A-, B- und C-Gebiete versuchen wir, unserer Regierungsverantwortung in allen Regionen direkt oder indirekt gerecht zu werden. Für die Schaffung von Arbeitsplätzen, das Bildungswesen oder die Gesundheitsversorgung spielen internationale Akteure eine wichtige Rolle. Dadurch können wir zum Teil das Vakuum in den C-Gebieten füllen. Die Deutschen helfen uns bei der Wasserversorgung, die Briten beim Bau von Schulen. Dafür bestehen Absprachen zwischen unseren internationalen Freunden und den Israelis.

Die Problematik der C-Gebiete ist nun auch Teil der Verhandlungen. Diese politischen Fragen aber überlassen wir der höheren Ebene und konzentrieren uns auf die Bedürfnisse der Bevölkerung.

Welche Ziele hat sich Ihre Regierung gesetzt?

Unser Hauptanliegen sind soziale Themen und Entwicklung. Wir suchen den direkten Kontakt mit der Bevölkerung und arbeiten mit lokalen Institutionen wie Gemeinderäten und sozialen Einrichtungen zusammen. Wir konzentrieren uns unter anderem auf die Förderung der Landwirtschaft. Außerdem wollen wir mehr Arbeitsplätze für Hochschulabsolventen schaffen. Das Bildungsministerium verzeichnete in diesem Jahr 2.500 freie Stellen – bei insgesamt 37.000 Bewerbungen. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, brauchen wir die Hilfe unserer lokalen und internationalen Freunde.

Ihre Regierung ist nicht demokratisch legitimiert, sondern wurde von Präsident Mahmud Abbas ernannt. Wird es in naher Zukunft Wahlen in Palästina geben?

Präsident Abbas tritt vehement für baldige Wahlen ein. Hoffentlich können sie bald stattfinden, aber wir wissen nicht, wann dies geschehen wird. Zunächst müssen sich die wichtigsten politischen Kräfte verständigen, dann können wir mit den Vorbereitungen beginnen.

Wie steht es denn um die Gespräche zwischen den rivalisierenden politischen Führungen im Westjordanland und im Gazastreifen?

Auch diese Angelegenheit wird auf der politischen Ebene verhandelt.

Gaza ist offiziell unter der Verantwortung der Palästinensischen Autonomiebehörde. Wird Ihre Regierung dort auf irgendeine Weise immernoch tätig, und wie sehen die Kontakte aus?

Diese Frage möchte ich lieber nicht beantworten.

Das Fatah-Zentralkomitee und das Hamas-Politbüro haben de facto mehr Macht als die palästinensische Regierung. Ist das nicht frustrierend?

Generell ist unser Verhältnis zu diesen Organen von fruchtbarer Zusammenarbeit geprägt. In unserer Regierung betrachten sich die meisten als Technokraten.

Vielen Dank für das Gespräch Dr. Akel.

Lea ist seit 2011 bei Alsharq. Sie hat Internationale Politik und Geschichte in Bremen und London (SOAS) studiert und arbeitet seitdem als Journalistin. Mehrere Jahre hat sie in Israel und Palästina gelebt und dort auch Alsharq-Reisen geleitet. Lea ist heute Redakteurin bei der Wochenzeitung Die Zeit.