06.01.2014
Quo vadis Zypern? Showdown auf der Insel
Die "Green Line" in Nikosia, die Zypern in zwei politische Entitäten teilt. Nikosia besitzt den Status als letzte geteilte Hauptstadt der Welt. Bild: Peter Collins (CC BY-SA 2.0)
Die "Green Line" in Nikosia, die Zypern in zwei politische Entitäten teilt. Nikosia besitzt den Status als letzte geteilte Hauptstadt der Welt. Bild: Peter Collins (CC BY-SA 2.0)

Seit 1974 verläuft mitten durch Zypern eine Demarkationslinie, welche die Insel in zwei Sektoren teilt – die völkerrechtlich anerkannte griechische Republik Zypern im Süden und die isolierte türkische Republik Nordzypern. Seit vergangenem Monat verhandeln die Vertreter beider Gruppen wieder einmal über die Wiedervereinigung des Inselstaates. Diesmal jedoch mit einer realen Chance auf die Verwirklichung des Zieles. Ein Gastbeitrag von Nurettin Yigit.

Unumstritten standen im Fokus der diesjährigen UN-Vollversammlung im September die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm. Doch hinter den Kulissen gab es auch Fortschritte zu einem anderen chronischen Streitpunkt: dem seit knapp einem halben Jahrhundert schwelenden Zypernkonflikt. Dabei einigten sich der türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu und sein griechischer Amtskollege Evangelos Venizelos darauf, Sondervertreter aus der Republik Zypern und der Türkischen Republik Nordzypern zu Verhandlungen nach Ankara und Athen zu schicken. Dem ins Stocken geratenen Friedensprozess auf der Insel soll das neuen Elan verleihen.

Bereits kurz nach dem Ende der Vollversammlung traf sich Alexander Downer, der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Zypern, mit Politikern und Vertretern beider Inselteile, um eine neue „Roadmap“ bei der Konfliktlösung vorzustellen. Diese Entwicklung bedeutet normalerweise noch keinen Durchbruch, handelt es sich dabei doch um eine immer wiederkehrende Phase in den in den zypriotischen Verhandlungen.

Umstürze in arabischen Staaten haben Zypern von der Bildfläche verschwinden lassen

Aktuell erscheint die Situation auf Zypern im Hinblick auf die Geschehnisse im südlichen Mittelmeerraum einerseits zwar vergleichsweise friedlich. Die zum Teil gewaltsamen Transformationsprozesse in der arabischen Welt verdrängen den Zypernkonflikt aus der Bildfläche der internationalen Aufmerksamkeit. Andererseits prägt die Teilung der Insel und der gewaltsam geführte Konflikt bis heute die Menschen auf der Insel, obwohl sie sich so gut sie können mit dem Konflikt arrangiert haben und der letzte blutige Zwischenfall vor über einem Jahrzehnt stattfand.

Seit der ersten Osterweiterung 2004 ist die Republik Zypern zudem Mitglied der Europäischen Union. De facto betrifft das jedoch nur 67 Prozent der gesamten Insel. Seit der türkischen Intervention von 1974 ist die Mittelmeerinsel in zwei politische Entitäten geteilt – der international anerkannten griechisch-dominierten Republik Zypern und der Türkischen Republik Nordzypern. Wie kam es zu der Teilung Zyperns und welche Entwicklungen haben sich bezüglich einer zukünftigen Wiedervereinigung ergeben?

Von der Kronkolonie zur Unabhängigkeit

1878 verpachtete das Osmanische Reich die Mittelmeerinsel an das Britische Empire. Zypern hatte zuvor mehr als drei Jahrhunderte unter der Kontrolle der Hohen Pforte gestanden. Im Gegenzug stellte London militärische und politische für den Kampf des Sultans gegen das aufstrebende zaristische Russland bereit. Mit dem Eintritt des Osmanischen Reiches in den ersten Weltkrieg auf Seiten der Mittelmächte annektierte Großbritannien dann die Insel und erklärte sie 1925 zur Kronkolonie.

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs wurde Zypern zunehmend zur Basis für die Truppen der NATO. So erhielt die Insel einen prominenten Status in der sich anbahnenden bipolaren Weltordnung. Der Widerstand gegen die britische Herrschaft trieb allerdings die griechischen Zyprioten dazu, den eigenen militärischen Widerstand zu forcieren. Das Ziel der wichtigsten Untergrundorganisation von griechisch-zypriotischen Kämpfern, genannt EOKA, war der Anschluss an Griechenland.

Die türkisch-zypriotische Minderheit, die Ende der 50er Jahre nur 18 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, befürchtete daher, im Falle eines Anschlusses an Griechenland diskriminiert zu werden. Unter Duldung der Briten bauten die türkischen Zyprioten deshalb mithilfe des türkischen Militärs ein Pendant zur EOKA auf, die TMT mit dem Motto Taksim - Teilung.

Als sich die geopolitische Lage durch die Suez-Krise 1956 veränderte, verlor Zypern an Bedeutung für die Briten. 1960 erlangte die Insel dann unter Zustimmung des Vereinigten Königreichs und der beiden Garantiemächte Griechenland und Türkei seine Unabhängigkeit.

Innenpolitische Krise und die türkische Intervention

Mit der Unabhängigkeit Zyperns 1960 verstärkte sich der Kampf zwischen den beiden Volksgruppen. Weil die griechische Führung Zyperns auf den Anschluss an Griechenland drängte während die türkische Seite „Taksim“ (Teilung) forderte, begann ein bürgerkriegsähnlicher politischer und militärischer Konflikt. Bombenanschläge und Attentate auf die jeweils verfeindete Volksgruppe gehörten in Zypern zum Alltag. Es entstanden im Zuge dieser Entwicklung immer mehr separierte Enklaven für die beiden Volksgruppen, begünstigt durch die Flucht aus ehedem ethnisch gemischten Städten und Dörfern.

Die Situation auf Zypern eskalierte im Sommer 1974 mit dem Putschversuch der aus Griechenland unterstützten Obristen gegen die Regierung des zypriotischen Staatsoberhaupts Erzbischof Makarios III. Die Militärjunta in Griechenland, die 1967 die Macht an sich gerissen hatte, zerstritt sich mit Makarios III., der sich für ein unabhängiges Zypern aussprach und offen die Haltung Athens in Zypern kritisierte. Dagegen berief sich Ankara auf seinen Status als Garantiemacht und sah sich genötigt, zum Schutz der türkischen Minderheit Truppen auf die Insel zu schicken.

Der rasche türkische Vormarsch auf Zypern und ein drohender militärischer Konflikt mit Griechenland führten zum Sturz der Militärjunta in Griechenland und zur Auflösung der Putschregierung in Nikosia. Erst durch die Waffen- und Erdölsanktionen des Westens kam der türkische Vormarsch zum Erliegen. Seit 1974 sind jedoch etwa 36 Prozent des Territoriums, die völkerrechtlich der Republik Zypern zustehen, von der Türkei besetzt und an die Türkische Republik Nordzypern übergeben worden.

EU-Beitritt der Republik Zypern und Annan-Plan

Besonders mit dem EU-Beitritt der südlichen Republik Zypern im Jahr 2004 kam es zu intensiveren Gesprächen, weil damit auch die Verhandlungen um einen Beitritt der Türkei zur EU verbunden waren. Im Anschluss an den Erdrutschsieg der neugegründeten AKP in den Parlamentswahlen von 2002 unter dem Vorsitz von Abdullah Gül und Recep Tayyip Erdoğan, die ihrerseits fest den EU-Beitritt der Türkei anvisierten, zeigte die neue Regierung Interesse an der Wiedervereinigung Zyperns. So wurde im Frühjahr 2003 die „grüne Linie“ geöffnet, die den Nord- und Südteil der geteilten Hauptstadt Nikosia trennte. Dies ermöglichte den sozialen Austausch zwischen Griechen und Türken nach Jahrzehnten der Isolation.

Im November 2003 präsentierte zudem der damalige UN Generalsekretär Kofi Annan nach monatelangen Verhandlungen einen detaillierten Wiedervereinigungsplan. Der nach ihm benannte Plan beinhaltete die stufenweise Konfliktlösung mit dem Ziel von zwei Teilstaaten innerhalb einer Föderation unter dem Dach der EU. Der Annan-Plan sah für jeden Teilstaat ein eigenes Parlament und auf gesamtstaatlicher Ebene ein Unter- und ein Oberhaus vor. Im Unterhaus sollten die Zyperngriechen zwei Drittel der Abgeordneten stellen, die Zyperntürken ein Drittel. Der Senat sollte jeweils zur Hälfte aus Vertretern beider Volksgruppen bestehen. Bei Komplikationen und Streitfragen sollte ein hohes Gericht angerufen werden können, dem neben Vertretern beider Volksgruppen auch ein Bürger eines neutralen Drittstaates angehören sollte.

Die endgültige Fassung des Annan-Plans wurde im April 2004 den Bürgern der Republik Zypern und der Türkischen Republik Nordzypern zum Referendum vorgelegt. Obwohl die Türken mit 65 Prozent für den Plan stimmten, lehnten die Griechen mit 76 Prozent mehrheitlich den Plan ab. Die bis heute einzige reale Gelegenheit zur Lösung des Konflikts scheiterte daher durch das Votum der Wähler.

Das Scheitern des Annan-Plans bestärkte die Hardliner beider Inselteile und stellte eine große Hürde für die friedenswilligen Kräfte dar. Ankara war von dem Referendum und dem EU-Beitritt des griechisch-zypriotischen Inselteils wenige Monate später zutiefst enttäuscht. So war das Ergebnis unter anderem ein Abflachen der türkischen Reformpolitik.

Auf der Insel nichts Neues?

Was also bedeutet die aktuelle Verhandlungsrunde? Wichtig ist zunächst, dass sie ein neues Element beinhaltet: Die Repräsentanten des Nordens und des Südens werden zum ersten Mal Gespräche in Athen und Ankara mit den Vertretern ihrer jeweiligen Garantiestaaten führen. Ob und wie sehr Griechenland und die Türkei auf die Bedürfnisse und Vorschläge der zypriotischen Vertreter reagieren werden, steht dabei jedoch auf einem anderen Blatt. Fakt ist, dass seit 1963 beide Länder größtenteils für die jeweilige Entwicklung der Gesellschaft und Politik auf Zypern verantwortlich sind.

Generell wird der Zypernkonflikt dabei als Katalysator und psychologische Barriere in den griechisch-türkischen Beziehungen betrachtet. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Ein gravierender Paradigmenwechsel in den griechisch-türkischen Beziehungen würde die Lösung auf Zypern beschleunigen. Die positiven Begleiterscheinungen würden dann Nikosia betreffen, wo griechisch- und türkisch-zypriotische Akteure selbstbewusster und präziser in den Verhandlungen zur Lösung des jahrzehntealten Konflikts agieren könnten.

Auch die schwere Finanzkrise auf Zypern erschwert eine Einigung zwischen beiden Akteuren auf der Insel. Obwohl der Süden stärker von der Krise betroffen ist, sind die Auswirkungen auch im Norden zu spüren. Die Regierung von Präsident Nikos Anastasiadis hofft daher auf die kürzlich vor der Küste Zyperns entdeckten riesigen Erdgasvorkommen. Die griechisch-zypriotische Regierung in Nikosia geht davon aus, dass die Einnahmen aus den Erdgasreserven die enormen Schulden des Mittelmeerstaates begleichen und die Staatskasse wieder auffüllen könnten.

Vor Zypern wurde Erdgas gefunden - wer soll profitieren?

Die ersten Probebohrungen Ende 2011 führten jedoch zu harschen verbalen Reaktionen in Ankara und der Entsendung der Kriegsflotte in das östliche Mittelmeer. Die Türkei besteht nämlich ihrerseits darauf, dass die Erlöse aus den Erdgasvorkommen allen Menschen auf der Insel zu Gute kommen sollten, sprich auch den türkischen Zyprioten.

Auch die zukünftige Förderung des fossilen Brennstoffs und die Lieferung sind ein Politikum. Die günstigste Variante ist die Pipelineverbindung von Zypern an die nur 70 Kilometer entfernte türkische Südküste und den Anschluss an die schon vorhandene Pipelinetrasse in Richtung Europa. Jedoch ist diese Variante aufgrund der angespannten Situation in dem türkisch-zypriotischen Verhältnis nicht denkbar. Alternativ wird der Transport von Erdgas nach Europa über Schiffe mit Verflüssigungsanlagen geplant, was die Kosten sprengen würde.

Die Chancen für eine Einigung scheinen endlich einmal gut zu stehen

Anhand des Treffens von Präsident Anastasiadis mit seinem türkischen Amtskollegen Eroğlu Anfang Dezember ist allerdings erkennbar, dass die Chancen auf eine Einigung auf der Insel recht hoch sind. Mit den wiederbegonnenen EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei könnte die Regierung aus Ankara eine kooperativere und konstruktivere Rolle bei den Verhandlungen zur Wiedervereinigung Zyperns spielen – seit jeher ein Lackmustest für den EU-Beitritt der Türkei. Obwohl die politischen Repräsentanten der griechischen und türkischen Zyprioten im Dezember noch kein gemeinsames Communiqué in Form einer detaillierten Roadmap vorgestellt haben, kam es zu der Einigung, sich noch regelmäßiger zu treffen, um die umstrittenen Punkte weiter zu verhandeln.

Anfang des Monats kam es dabei bereits zu einem historischen Schritt. In der Hauptzentrale des Weltfußballverbandes FIFA haben die beiden strikt getrennten griechischen und türkischen Fußballverbände eine Vereinbarung zur schrittweisen Wiedervereinigung getroffen. „Es ist ein historischer Tag für den zyprischen Fußball. Nach 60 Jahren der Trennung ist es jetzt möglich, dass wir unseren Fußball wiedervereinigen“, erklärte Costakis Koutsokoumnis, der Präsident des international anerkannten griechisch-zypriotischen Verbandes.

Es bleibt zu hoffen, dass der Fußball der Diplomatie in Zypern einen Anstoß gibt und damit eine Vorreiterrolle in der Normalisierung der Beziehungen einnimmt.

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