09.01.2014
Syrien: Gewalt gegen Journalisten 2013 erneut verschärft
Ein TV-Journalist berichtet von einem Pro-Assad-Protest. Bild: Zeinab Mohamed (CC BY-NC-SA 2.0)
Ein TV-Journalist berichtet von einem Pro-Assad-Protest. Bild: Zeinab Mohamed (CC BY-NC-SA 2.0)

2013 war das bisher brutalste Jahr im syrischen Bürgerkrieg, die Zahl der Todesopfer stieg immer schneller. Davon betroffen waren nicht nur die unzähligen getöteten Zivilisten und die Kämpfer aller Seiten, sondern auch diejenigen, die über den Krieg berichten: syrische und ausländische Journalisten und Bürgerjournalisten. Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen zeigt das ganze Ausmaß der Brutalität.

Selbst erfahrene Kriegsreporter verwenden Begriffe wie „Lotterie“ und „Russisches Roulette“, wenn sie über ihre Arbeit im syrischen Bürgerkrieg sprechen. Das Land ist für sie unberechenbar geworden. Zu der gezielten Gewalt von Seiten des Regimes ist eine weitere Bedrohung gekommen: islamistische Terrorgruppen, die gezielt Journalisten entführen – in letzter Zeit vor allem Auslandsjournalisten westlicher Medien. Reporter ohne Grenzen (ROG) hat dazu im Dezember einen ausführlichen Bericht vorgelegt. Der Titel ist bezeichnend für die Lage: „Journalismus in Syrien – Ein Ding der Unmöglichkeit?“[1] 

Syrien ist laut der Menschenrechtsorganisation das gefährlichste Land der Welt für Journalisten. 46  Medienschaffende haben dort allein im Jahr 2013 aufgrund ihrer Arbeit[2] ihr Leben verloren, unter ihnen neben 36 Bürgerjournalisten (Bloggern, Internetaktivisten) auch zehn professionelle Journalisten. Islamistische Terrorgruppen entführen vermehrt Auslandskorrespondenten westlicher Medien. Doch auch in den Kerkern des Regimes sitzen zahlreiche Berichterstatter. Schon zu Beginn des Jahres 2013, als die aktuelle „Rangliste der Pressefreiheit“ von ROG erschien, lag Syrien nur auf Platz 176 von 179 Staaten.

Das Regime trägt die Verantwortung für die meisten getöteten und entführten Journalisten

Diktator Baschar al-Assad versucht mit eiserner Hand, die Berichterstattung über den Aufstand zu kontrollieren. Der gewaltsame Konflikt begann im März 2011 und hat sich mittlerweile zu einem offenen Bürgerkrieg mit weit mehr als 100.000 Todesopfern entwickelt. Assad zählte von Anfang an zu den „Feinden der Pressefreiheit“, die ROG seit drei Jahren benennt. Wie der Bericht aufzeigt, sind bei Staatsmedien angestellte Journalisten fester Teil des Propaganda-Apparates des Regimes. Als dessen unbewaffneter Arm tragen die offiziellen Medien zur Kontrolle der Bevölkerung bei. Wer sich dieser Kontrolle widersetzt, wird oft verhaftet und bisweilen gefoltert. Eine Mitarbeiterin erzählt: „Unsere Aufgabe war es, mit Worten zu töten.”

So berichtet ein Journalist der staatlichen Nachrichtenagentur SANA, der im März 2011 die Proteste in Daraa dokumentierte, die letztlich den landesweiten Aufstand auslösten: „Ich war sehr überrascht, als ich hinterher gesehen habe, dass meine Artikel komplett umgedreht wurden. Es war plumpe Täuschung. Wo ich von 50 000 Demonstranten schrieb, machten sie ein Dutzend daraus. Wo ich von Sprechchören gegen die Regierung, für den Rücktritt Assads und für ein Ende der ausufernden Korruption schrieb, stand im Artikel nur noch ein Appell für Reformen und für Assad. Der Tod ziviler Demonstranten wurde geleugnet.”

Bereits Ende August 2013 meldete Reporter ohne Grenzen, dass seit Ausbruch des Bürgerkriegs mehr als 100 Berichterstatter in Syrien gestorben seien. In dem Bericht heißt es nun, dass 81 Prozent von ihnen durch das Regime und die mit ihm verbündeten Milizen ums Leben kamen. Aktuell halten die zahlreichen Kriegsparteien insgesamt 45 Journalisten, Medienassistenten (Kameraleute etc.) und Bürgerjournalisten gefangen; laut dem Bericht zeichnet das Regime dabei für mehr als drei Viertel der Gefangennahmen verantwortlich.

Auch ausländische Journalisten landen immer wieder in den staatlichen Gefängnissen, wie der deutsche Armin Wertz, der erst im Oktober nach monatelanger Haft entlassen wurde – angeblich wurde er verhaftet, weil er ohne gültiges Visum eingereist war. Er kam jedoch wieder frei, ohne geschlagen oder misshandelt worden zu sein. Damit hatte er Glück: Immer häufiger töten das Regime und die ihm verbundenen Milizen Journalisten ganz gezielt.

Ein umfassendes Bild der Lage ist für ausländische Korrespondenten schon allein deshalb nicht möglich, weil sie oft gar keine Einreisegenehmigungen in den vom Regime kontrollierten Teil erhalten, vor allem nicht, wenn sie zuvor schon über Rebellen berichtet haben. Gleichzeitig nimmt in den sogenannten befreiten Gebieten die Bereitschaft der Bevölkerung immer mehr ab, mit ausländischen Journalisten zusammen zu arbeiten. „Ein Teil der Bevölkerung glaubt inzwischen, dass wir sie belogen haben“, sagt die freischaffende französische Journalistin Marine Olivesi. „Am Anfang haben die Journalisten ihnen erklärt, wie wichtig sie seien, damit sich etwas ändert. Aber es hat sich nichts geändert.“

„ISIS verhält sich wie eine Verbrecherbande“

Anschläge gegen Berichterstatter verüben auch al-Qaida-nahe Gruppen wie Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIS) und die Jabhat al-Nusra, die von ROG ebenfalls zu den Feinden der Pressefreiheit gezählt wird. „Medienleute in den ‚befreiten Gebieten‘ haben mittlerweile mehr Angst vor ISIS als vor dem Regime“, sagt Lina Chawaf, die Chefredakteurin von Radio Rozana in dem Bericht. „Die Gruppe verhält sich eher wie eine Verbrecherbande und ist unberechenbar.“ Im September 2013 hatten mehrere dschihadistische Online-Foren offen dazu aufgerufen, „alle Journalisten gefangen zu nehmen“ – vor allem Ausländer, die als „vom Westen bezahlte Spione“ bezeichnet wurden.

Besonders bedroht sind auch syrische Bürgerjournalisten, die entgegen der Interessen der Islamisten berichteten. Erst letzte Woche überfielen ISIS-Kämpfer den Bürgerradiosender Fresh FM in Kfarnabel, zerstörten die Ausrüstung und entführten die Mitarbeiter. Seit Mitte des Jahres 2013 entführen die selbsternannten Gotteskrieger auch zunehmend ausländische Journalisten und halten sie als Geiseln, wie im September die beiden Spanier Javier Espinosa und Ricardo García Vilanova. Ein erfahrener französischer Journalist, der auch schon aus Afghanistan berichtet hat, erzählt in dem Bericht: „In Afghanistan kann man selbst in den gefährlichen Gebieten noch Reportagen organisieren und Taliban treffen, man kann auch mit ausländischen Truppen als ‚embedded journalist‘ unterwegs sein. Das lässt sich alles organisieren.“ In Syrien dagegen gebe es niemanden, um zu verhandeln – vor allem, weil es bei den Entführungen nicht zwangsläufig um Geld gehe. „Man kann ISIS nicht anrufen und um eine Erlaubnis bitten. Niemand weiß, was diese Leute überhaupt wollen.“

Auch für Syrer ist es unmöglich, unabhängig zu berichten

Ausländische Medien weigern sich daher mittlerweile häufig, Korrespondenten in das Bürgerkriegsland zu entsenden. Stattdessen greifen sie auf freie Journalisten zurück, für die sie keine Verantwortung tragen. Die sind zwar billig, aber oft fehlt ihnen auch die notwendige Erfahrung, und sie geraten schnell zwischen die Mühlen des Konfliktes. Doch auch erfahrene Kriegsberichterstatter verlieren in Syrien den Überblick, so schnell ändern sich die Allianzen und so zahlreich sind die Akteure. Im März 2013 wurde ARD-Journalist Jörg Armbruster angeschossen. Bereits ein Jahr zuvor, im Februar 2012, starb die britische Kriegsjournalistin Mary Colvin im Bombenhagel von Homs; kurz zuvor erschien noch ein beeindruckender Text von ihr aus der zerstörten Stadt.

Die Öffentlichkeit ist damit für Informationen aus Syrien auf syrische Berichterstatter angewiesen. Doch für diese ist es nahezu unmöglich, unabhängig zu berichten. Nicht nur sind sie und ihre Familien ständiger Gewalt und Gefahren ausgesetzt und stehen ideologisch oft einer der vielen Parteien nahe; ohne Geld von der einen oder anderen Seite ist auch kein Medium zu betreiben. Nur selten finden sich objektive Meinungen in den zahlreichen neu entstandenen Medien und Exilsendern, die Bürgerjournalisten und Online-Aktivisten mit viel Enthusiasmus betreiben.

Wie der ROG-Bericht zeigt, ist es sowohl für ausländische als auch für syrische Berichterstatter mittlerweile tatsächlich ein „Ding der Unmöglichkeit”, Journalismus zu betreiben. Sämtliche Informationen von vor Ort sind interessengeleitet oder durch äußere Umstände manipuliert. Da verlässliche Berichterstattung kaum mehr zu leisten ist, verändert sich zunehmend, wie wir Nachrichten konsumieren und einordnen. Wem man glaubt und wem nicht, ist in diesem Konflikt keine Frage von wahr und falsch mehr, sondern von der persönlichen Einstellung. Der Kampf um die Deutungshoheit über die Ereignisse tobt schon genau so lange wie die Kämpfe in Syrien. Der Bürgerkrieg wird auf allen Ebenen geführt; und am Ende wird auch seine Geschichte von den Gewinnern geschrieben.

 

Den Bericht „Journalismus in Syrien – Ein Ding der Unmöglichkeit?“ kann man hier in der kürzeren deutschen Version und hier im französischen Original herunterladen.

[1] Disclaimer: Der Autor dieses Artikels war zu der Zeit Praktikant bei ROG und hat maßgeblich an der Übersetzung des genannten Berichts mitgewirkt.

[2]Nach Erfahrung des Autoren recherchiert ROG sehr genau, aus welchen Gründen Journalisten starben – bei den hier genannten Zahlen handelt es sich soweit nachvollziehbar tatsächlich um Menschen, die aufgrund ihrer Berichterstattung getötet wurden.

Sein Journalistik-Studium führte Bodo vor einigen Jahren in den Libanon. Es folgten viele weitere Aufenthalte im Libanon und in anderen Ländern der Levante, auch als Reiseleiter für Alsharq REISE. Bodo hat einen Master in Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens in Marburg und arbeitet heute als Journalist, meist für die Badischen...