25.05.2014
Vergessenes Erbe der Revolution – Pressefreiheit in Al-Sisis Ägypten

Eine bleierne Stimmung liegt über den Medien Ägyptens, wenn die Bevölkerung morgen und übermorgen einen neuen Präsidenten wählt. Der Favorit al-Sisi persönlich hat Journalisten erklärt, dass die nationale Sicherheit einstweilen Vorrang vor der Pressefreiheit genießt. Willkürliche Festnahmen sorgen für ein Klima der Angst und der Hetze, schreibt Christoph Dreyer von Reporter ohne Grenzen.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Journalismus-Serie. Alle Texte finden Sie hier.

Die ägyptische Revolution von 2011 scheint mittlerweile so weit entfernt, dass es fast in Vergessenheit geraten könnte: Die Massendemonstrationen gerade der jungen Ägypter, die zum Sturz Hosni Mubaraks führten, richteten sich auch gegen ein Regime, dessen dominierende staatliche Medien und Zensur jede öffentliche Kritik an der korrupten Machtelite erstickten. Nicht umsonst war der Tod des Bloggers Khaled Said in Alexandria eines der Schlüsselereignisse auf dem Weg zur Revolution. Und nicht umsonst waren viele der bekanntesten Gesichter der Protestbewegung selbst Blogger, darunter Wael Ghonim, Maikel Nabil Sanad und Alaa Abdel Fattah.

Das Ringen um mehr Presse- und Meinungsfreiheit war ein integraler Bestandteil der Revolution. Es ist folglich kein Zufall, dass die Zahl der Fernsehsender, Zeitungen, Talkshows und Politiksendungen nach dem Sturz Mubaraks förmlich explodierte. Die Ägypter wollten mit ihren Meinungen nicht länger hinter dem Berg halten, sondern offen über ihre sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme sprechen und streiten. Sie hatten ihre Angst vor dem lange übermächtig scheinenden Repressionsapparat verloren und wollten die neue Freiheit nutzen.

Gut drei Jahre später ist von dieser Aufbruchsstimmung nichts mehr zu spüren. Während sich die Ägypter anschicken, den vom Armeechef zur nationalen Heilsfigur mutierten Abdel Fattah al-Sisi zum Präsidenten zu wählen, hat sich eine bleierne Stimmung über die Medien im Land gelegt. Wer nicht in den patriotischen Jubel für Sisi einstimmt, macht sich verdächtig. Wer es gar wagt, öffentlich Sympathie für den 2013 gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi und dessen Muslimbruderschaft zu zeigen – oder auch nur ihre Kritik am derzeitigen Regime aufzugreifen – muss mit Haft und Verfolgung rechnen.

Während der De-facto-Herrschaft Sisis seit dem Putsch vom 3. Juli 2013 sind sechs Journalisten bei ihrer Arbeit getötet worden, viele weitere wurden verletzt. Mindestens 65 Journalisten saßen für kürzere oder längere Zeiträume im Gefängnis. Derzeit sind mindestens 16 Journalisten in Haft. Unter ihnen ist Abdullah Al-Shami, der am 14. August 2013 verhaftet wurde, als er für den Fernsehsender Al-Jazeera über die Auflösung eines Protestcamps von Mursi-Anhängern berichtete. Bis heute wurde keine formale Anklage gegen ihn erhoben. Seit dem 21. Januar ist Al-Shami aus Protest gegen seine willkürliche Haft im Hungerstreik; sein Gesundheitszustand ist mittlerweile lebensbedrohlich.

Al-Jazeera-Journalisten drohen bis zu 15 Jahre Haft

Bezeichnend für das derzeitige Klima in Ägypten ist der Fall dreier weiterer Al-Jazeera-Journalisten. In den staatlichen und staatsnahen Medien sind sie unter der Bezeichnung „Marriott-Zelle“ geläufig, weil sie am 29. Dezember im Kairoer Marriott-Hotel festgenommen wurden – und weil ihnen neben der Verbreitung „falscher“ Nachrichten die Mitgliedschaft in beziehungsweise Unterstützung einer „Terrororganisation“ vorgeworfen wird. Gemeint ist damit die islamistische Muslimbruderschaft, die aus den Parlaments- und Präsidentenwahlen von 2011 und 2012 als stärkste Kraft hervorgegangen war und deren Auslöschung zu den zentralen politischen Zielen Sisis zählt.

Den drei Journalisten drohen zwischen sieben und 15 Jahre Haft. Ihr eigentliches Vergehen: Sie suchten wohl Kontakt zu Vertretern der Muslimbruderschaft, um in ihren Berichten auch deren Sicht auf die Entwicklungen im Land aufgreifen zu können. Vor allem aber arbeiten sie für den aus Regime-Sicht falschen Sender. Al-Jazeera hatte während der Revolution 2011 ausführlich und wohlwollend über die Proteste berichtet und damit die staatlichen Zensurversuche konterkariert.

Al-Jazeera ist ein vom Regime klug gewähltes Ziel: Während der Präsidentschaft Mursis nahmen viele Ägypter die Berichterstattung des Senders als allzu Muslimbruder-freundlich wahr. Der Sender aus Katar sank im gleichen Maße in der Gunst des Publikums, in dem sich die öffentliche Meinung gegen die Islamisten und ihr unverhohlenes Streben – auch durch gravierende Eingriffe in die Pressefreiheit – nach einer dauerhaften Zementierung ihrer Macht kehrte.

Unmissverständliche Botschaft an alle Journalisten

Allerdings: Wenn tendenziöse Berichterstattung strafwürdig wäre, müssten die Al-Jazeera-Journalisten in ihren Zellen viel Gesellschaft von Kollegen staatlicher und privater ägyptischer Sender haben, die auf dem Bildschirm gegen einheimische Aktivisten und ausländische Medien hetzen – in einigen Fällen offenkundig vom Geheimdienst mit passendem Material munitioniert.

Unvergessen ist auch jene denkwürdige Pressekonferenz kurz nach dem Putsch von 2013, bei der aufgebrachte ägyptische Journalisten ein Jazeera-Team zum Verlassen des Saales zwangen (s. Video). Ausgewogene, differenzierende Berichte sind Mangelware im heutigen Ägypten. Die Medien und vor allem die Fernsehsender sind zum Schlachtfeld einer politisch heftig polarisierten Gesellschaft verkommen.

Die unmissverständliche Botschaft des Jazeera-Prozesses an alle Journalisten in Ägypten lautet: Der Zorn des Regimes kann jeden treffen – einschließlich Ausländer wie den australischen Jazeera-Reporter Peter Greste, der sich bei Medien wie CNN und BBC einen Namen erarbeitet hat und über jeden Verdacht einer persönlichen politischen Agenda für Ägypten erhaben ist.

Fortschritte in der Verfassung – jedoch nur auf dem Papier/h4>

Ebenso verzweifelt wie die Lage der Jazeera-Journalisten, aber international weit weniger beachtet ist die Lage ihrer inhaftierten Kollegen von anderen Medien. Viele von ihnen wurden verhaftet, als sie über Demonstrationen berichteten. Nun warten sie teils seit Monaten auf ihre Anklage: zum Beispiel der junge Fotograf Mahmoud Abu Zied (festgenommen am 14. August 2013), die Reporter Said Shihate und Ahmed Gamal von der Website Yaqin (festgenommen am 30. Dezember) und der Al-Masdr-Reporter Karim Shalabi (festgenommen am 25. Januar).

Ägyptens im Januar per Referendum verabschiedete Verfassung verbietet zwar ausdrücklich Haftstrafen für Mediendelikte. Was von solchen Garantien zu halten ist, zeigen aber die Festnahmen weiterer Journalisten seither. Im Übrigen liefert die Verfassung gleich eine Reihe von Tatbeständen mit, bei denen Haftstrafen doch möglich sein sollen.

Ähnlich verhält es sich auch mit den weiteren, eigentlich positiven Vorschriften der neuen Verfassung: Artikel 70 garantiert Pressefreiheit und Artikel 72 die Unabhängigkeit der Medien, Artikel 71 verbietet Zensur, und Artikel 211 schreibt die Unabhängigkeit des Nationalen Medienrates fest. Auf jede dieser Garantien folgen Ausnahmeregelungen, meist wird für die Details auf nicht näher bezeichnete Gesetze verwiesen.

Tägliche Einschüchterungen und Gewalt, Angriffe auf der Straße

Relevanter für die tägliche Arbeit der Journalisten in Ägypten ist ohnehin, was sie tagtäglich an Einschüchterungen und Gewalt erleben: Immer wieder erhalten kritische Journalisten mehr oder weniger subtile Drohungen. Regelmäßig werden Journalisten und Kamerateams auf den Straßen von aufgebrachten Menschenmengen bedrängt und angegriffen, nicht zu vergessen die ständige Beobachtung durch staatliche Sicherheitsbehörden. Für Journalistinnen kommt gerade bei Demonstrationen die Gefahr sexueller Übergriffe im Schutz der Menge hinzu. Befeuert wird all dies von einem staatlichen Diskurs, der ausländische Medien und andere Kritiker pauschal als Spione diffamiert.

Präsident in spe Abdel Fattah al-Sisi hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er Selbstzensur für erstrebenswert hält. Keine drei Wochen vor der Wahl bestellte er rund 20 Chefredakteure zum Rapport und erläuterte ihnen, dass die Pressefreiheit einstweilen hinter der nationalen Sicherheit zurückstehen müsse und dass die Medien die Öffentlichkeit auf das „strategische Ziel“ einzuschwören hätten, den Fortbestand des ägyptischen Staat zu sichern.

Inhaftierte Journalisten freilassen, Gesetze und Institutionen reformieren

Was geschehen muss, um diese verfahrenen Situation zu ändern, liegt auf der Hand: Die ägyptische Polizei muss willkürliche Festnahmen und Misshandlungen von Journalisten einstellen, die Justiz die inhaftierten Journalisten unverzüglich freilassen. Medienschaffende dürfen nicht mehr vor Militärgerichte gestellt und in Gerichtsverfahren müssen grundlegende Prozessregeln wie Zugang zu Anwälten und Einsicht in die Anklage eingehalten werden. Die Todesumstände der getöteten Journalisten müssen unabhängig untersucht und die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Sicherheitsbehörden müssen aufhören, Journalisten und ihre Redaktionen zu überwachen und zu gängeln.

Längerfristig sind Reformen an Verfassung und Gesetzen nötig, um einen gesetzlichen und regulatorischen Rahmen zu schaffen, der unabhängige Medien und freie Berichterstattung ermöglicht. Die staatlichen Medien müssen dem Zugriff der Regierung entzogen und unabhängigen Aufsichtsgremien unterstellt werden. Ebenso sind Reformen für die privaten Medien angezeigt, um deren Verflechtungen mit unternehmerischen und politischen Interessen aufzubrechen und ihre redaktionelle Unabhängigkeit zu gewährleisten. Nicht zuletzt ist ein Dialog über angemessene Mechanismen journalistischer Selbstkontrolle nötig, um hetzerische und polarisierende Berichterstattung zu unterbinden, ohne dem Staat neue Einfallstore für Kontrolle und Zensur zu öffnen.

Es gibt viel zu tun für den künftigen Präsidenten und seine Regierung.

 

Christoph Dreyer ist Pressereferent der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen, die sich weltweit für Pressefreiheit einsetzt. Weitere Informationen unter www.reporter-ohne-grenzen.de.

Artikel von Christoph Dreyer