09.02.2021
Verhaftet bei Heimatbesuch
Quelle: pixabay
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Der Student Ahmed Samir wurde bei einem Besuch in seiner Heimat Ägypten verhaftet und vermutlich gefoltert. Vorgeworfen wird ihm die Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung. Samirs Kommiliton:innen in Wien kämpfen um seine Freilassung.

Ahmed Samir Abdelhay Ali ist der jüngste Fall in einer Reihe von schockierenden Verhaftungen in Ägypten. Der 29-jährige ägyptische Student der Central European University (CEU) in Wien ist bei einem Heimatbesuch von der ägyptischen Sicherheitsbehörde verhaftet und gefoltert worden.

Bereits bei seiner Einreise aus Wien im Dezember 2020 wurde Samir am Flughafen in Kairo zu seinen Aktivitäten im Ausland befragt. Dabei gab er wahrheitsgemäß an, für seine Masterarbeit zur Geschichte von Abtreibungsgesetzen und Frauenrechten in Ägypten zu forschen – ein heikles Thema im autoritär geführten Land.

Wenige Wochen später brachen schwer bewaffnete Sicherheitskräfte ohne Durchsuchungsbefehl in das Haus seiner Familie in Kairo ein und konfiszierten Aufnahmen der Überwachungskameras im Haus. Samir war zu diesem Zeitpunkt nicht in Kairo. Am 1. Februar bestellte ihn die Polizei auf ihr Revier im Stadtteil El Tagamoa El Khamis, wo er in Begleitung seines Vaters erschien, der nicht mit hineinkommen durfte. Als Samir nicht nach Hause zurückkehrte, schickte die Familie mehrere Anfragen an den Generalstaatsanwalt und das ägyptische Parlament, mit der Bitte sie über sein Verschwinden zu informieren. Eine Antwort erhielten sie nicht.

Die Anklage: Ein bekanntes Muster

Nach knapp einer Woche Ungewissheit über Samirs Verbleib, verkündete die Staatsanwaltschaft für Staatssicherheit am vergangenen Samstag schließlich die unspezifisch formulierte Anklage: Ermittelt werde wegen Kontakten zu nicht näher benannten Terrororganisationen und der Verbreitung von Fehlinformationen.

Zu diesem Zweck soll Samir einen privaten Account in sozialen Medien betrieben haben. Der Haftbefehl gilt zunächst für 15 Tage, kann aber beliebig verlängert werden. Nach Angaben von Samirs Anwält:innen schlugen ägyptische Sicherheitskräfte ihm während der Verhöre ins Gesicht und auf seinen Körper ein, um ein Schuldgeständnis zu erzwingen. Außer einem Fake-Profil in sozialen Medien wurden allerdings keine Beweise für die Anschuldigungen angeführt. Seine Familie und Freund:innen fürchten nun, die Anklage gegen Samir sei erst der Beginn eines langwierigen Verfahrens, bei dem seine persönliche Sicherheit auf dem Spiel steht.

Samir, der seit 2019 Soziologie und Sozialanthropologie im Master an der renommierten CEU in Budapest und Wien studiert, kannte das Risiko seiner Rückkehr nach Ägypten. Alle in seinem engen Umkreis hätten ihm davon abgeraten, berichtet Rawda, eine Freundin: „Wir haben viel darüber gesprochen, dass er sich in Gefahr begibt. Er hat immer wieder gesagt, dass er seine Familie, seine Freunde und die Straßen von Kairo zu sehr vermisst. Er wollte nicht von der Angst beherrscht werden, verhaftet zu werden.“

Ahmed Samir Abdelhay Ali; Bild privat

Dabei zeigen die Verhaftungen der vergangenen Jahre laut Rawda ein klares Muster: Festgenommen wurden in den vergangenen Jahren auch der Doktorand Walid al-Shobaky der Universität Washington und Patrick George Zaki, der in Italien an der Universität Bologna studierte und im Februar letzten Jahres bei seiner Ankunft am Flughafen in Kairo verhaftet wurde. Wie Samir verurteilte man auch Zaki zunächst zu 15 Tagen Haft. Zaki, der mit Samir befreundet ist, befindet sich bis heute im Gefängnis.

Samirs Verhaftung weckt auch Erinnerungen an den italienischen Doktoranden Giulio Regeni in Ägypten, der für seine Doktorarbeit an der Universität Cambridge zur Gewerkschaftsbewegung geforscht hatte. Regenis mit Foltermalen übersäte Leiche war 2016 an einer Überlandstraße in Ägypten gefunden worden.

Aufgrund der Art der Wunden wird vermutet, dass Regeni Opfer ägyptischer Sicherheitskräfte wurde. Die italienische Staatsanwaltschaft hat bisher vier Mitarbeiter der Staatssicherheit identifiziert, die mit dem Mord an Regeni in Verbindung stehen sollen. In Kairo weigert man sich aber, das Strafverfahren einzuleiten. „Die Regierung hat Angst vor Akademiker:innen, die im Ausland studieren und dort von den Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten in Ägypten erzählen“, mutmaßt Rawda.

Europa schaut weg

Seit der gelenkten Wahl des früheren Militärchefs Abdel Fattah El-Sisi 2014 hat sich die Situation der Menschenrechte in Ägypten dramatisch verschlechtert. Geschätzte 60.000 Regimegegner:innen, Menschenrechtler:innen, Wissenschaftler:innen und Journalist:innen sind im Gefängnis. Unter ihnen ist etwa die Menschenrechtsanwältin Mahienour El-Masry sowie die Journalist:innen Solafa Magdi und Hossam Al-Sayyed.

In Europa, darunter in Österreich und Deutschland, ist dieses Vorgehen längst bekannt. Kritik am Führungsstil El-Sisis gibt es selten. „Ich nehme ihm – aus den vielen Gesprächen, die ich mit ihm geführt habe – ab, dass er sich für eine bessere Entwicklung seiner Heimat, wie er sagt, und seiner Mitmenschen in Ägypten einsetzt“, sagte Volker Kauder, Abgeordneter für die CDU im Bundestag, in einem kürzlich erschienen Feature des Deutschlandfunks: „Er [El-Sisi] will vor allem Stabilität; er will das Ägypten nicht im Chaos untergeht.“ Stabilität – ein Wort das man in Europa aus Angst vor weiteren Geflüchteten gerne hört.

Der neue US-Präsident Joe Biden hat indes angekündigt, dass Menschenrechtsbelange in Ägypten und anderen autoritären Staaten in WANA für die internationalen Beziehungen seiner Regierung wieder eine größere Rolle spielen werden. Dass Druck aus dem Ausland durchaus einen Einfluss hat, zeigte sich in Ägypten jüngst am Beispiel von drei verhafteten Mitgliedern der „Egyptian Initiative for Personal Rights“ (EIPR). Nach medialer Aufmerksamkeit und diplomatischen Bemühungen sind sie inzwischen wieder frei. 

„Warum wird ihm das verwehrt?“

Studierende der CEU haben nun in enger Zusammenarbeit mit Samirs Familie und Freund:innen eine Solidaritätskampagne gestartet. Sie fordern seine sofortige Freilassung und das Vorbringen des Falls vor den europäischen Unterausschuss für Menschenrechte. In einem Appell an die ägyptische Botschaft in Österreich sowie durch Kontaktaufnahme zur amerikanischen Botschaft in Kairo, versucht CEU-Direktor Michael Ignatieff, sich für Samir einzusetzen.

Auch Samirs Partnerin Souheila ist in ständigem Kontakt mit Anwälten und Medien. In einem privaten Post in sozialen Medien bringt sie den Schmerz um ihren Freund zum Ausdruck: „Ahmed liebt Ägypten, die Sonne und die Menschen hier. Er liebt das Café unter seinem Haus, wo er mit seinen Freunden Fußball schaut. Das sind die Dinge, die wirklich für ihn zählen und nie wollte er viel mehr als das. Warum wird ihm das verwehrt? Und warum darf ich ihn nicht sehen und ihn in den Arm nehmen?”

 

 

Marina ist in der Ukraine geboren und als Kind nach Deutschland eingewandert. Sie ist freie Journalistin, leitete bis zur Corona-Pandemie politische Studienreisen in Israel und Palästina und führte Gruppen durch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Im Moment besucht sie die Reportageschule in Reutlingen.