06.06.2014
Vier Päpste, vier Besuche im Heiligen Land – Entwicklung zur Normalität

Jerusalem, die Stadt der drei monotheistischen Weltreligionen ist Anziehungspunkt für viele Gläubige aus aller Welt. Dies gilt auch für den obersten katholischen Bischof. Papst Franziskus hat gerade Jordanien, Israel und die Palästinensischen Autonomiegebiete besucht, die alle teilweise im so genannten Heiligen Land liegen. Anders als seine Vorgänger überraschte er viele.

Zeit für einen Rückblick: Haben vergangene Papstbesuche im Heiligen Land Verständigung und Frieden gefördert, dienten sie der Ökumene der christlichen Konfessionen untereinander, reduzierten sie den Judenhass oder ging es eher um Macht und Einfluss auf Heilige Stätten?

1964: Paul VI.
Israel als temporäres Phänomen und nicht im Fokus

Papst Paul VI. bei Megiddo nachdem er den extra geschaffenen Taanach Grenzübergang von Jordanien nach Israel überquerte. © Fritz Cohen / Government Press Office Israel 1964
Papst Paul VI. bei Megiddo, nachdem er den extra geschaffenen Grenzübergang von Jordanien nach Israel überquerte. © Fritz Cohen / Government Press Office Israel 1964

Als erster Papst im Heiligen Land schrieb Paul VI. 1964 Kirchengeschichte. Jerusalem teilte eine Mauer und Niemandsland entzwei. Der Ostteil der Stadt war jordanisch besetzt, der Westteil gehörte zu Israel. Im Krieg 1948 waren alle Juden aus dem jüdischen Viertel der Altstadt und allen östlichen Vierteln vertrieben worden. Folglich konnten Juden zwischen 1948 und 1967 nicht die Altstadt betreten oder an der Westmauer beten. Der einzige Übergang zwischen West- und Ostjerusalem war Diplomaten und anderen Ausländern nur am „Mandelbaumtor“ möglich – dem Checkpoint Charlie Jerusalems.

Erste Begegnung zwischen christlicher Orthodoxie und Katholizismus seit 1439

Hauptgrund für den Besuch des Papstes war die Begegnung mit dem Patriarchen Athenagoras von Konstantinopel, dem Oberhaupt der damals 350 Millionen Gläubige zählenden orthodoxen Christenheit. Die beiden trafen sich zweimal zum gemeinsamen Gebet und Gespräch.

Paul VI. verbrachte 1964 gerade einmal zwölf Stunden in Israel, ohne den Namen des Staates auch nur einmal in den Mund zu nehmen. Zur Anreise über Nablus und Jenin wurde ein eigener Grenzübergang bei Megiddo geschaffen, wo Paul VI. von Spitzenvertretern des israelischen Staates empfangen wurde. Die Beziehungen waren noch ziemlich frostig, Paul VI. sprach den israelischen Präsidenten Salman Schasar nicht als Präsidenten, sondern als „Your Excellency“ an, und Schasar betitelte den Papst als „religiösen Führer“. Als de-facto Anerkennung durch den Kirchenstaat verstand die israelische Führung den Besuch dennoch.

Papst Paul VI. begleitet von Staatspräsident Zalman Shazar und Mitgliedern des diplomatischen Corps auf dem roten Teppich nach der offiziellen Willkommenszeremonie in Megiddo. © David Eldan / Government Press Office Israel 1964
Papst Paul VI. begleitet von Staatspräsident Zalman Shazar und Mitgliedern des diplomatischen Corps auf dem roten Teppich nach der offiziellen Willkommenszeremonie in Megiddo. © David Eldan / Government Press Office Israel 1964

Die als größte Kirche des Nahen Ostens damals geplante und sich im Bau befindliche Verkündigungsbasilika in Nazareth wurde Papst Paul VI. gewidmet. Der imposante Bau ist heute Wahrzeichen Nazareths und von weitem zu sehen – auch wenn die Christen gegenüber den Muslimen in der Stadt deutlich in der Minderheit sind.
1964 stand für Paul VI. weder die Shoah noch der Staat Israel, die vertriebenen Araber oder ein möglicher Frieden im Fokus des Besuchs, sondern die Begegnung mit der Orthodoxie. Es sollte noch bis Ende 1993 dauern, bis der Kirchenstaat und der Judenstaat sich voll gegenseitig anerkannten und diplomatische Beziehungen aufnahmen.

2000: Johannes Paul II.
Der Popstar des Friedens gewinnt die Herzen der Israelis

Papst Johannes Paul II. in Israel. Der Papst winkt Tausenden von Pilgern aus dem Papamobil zu nach seiner Ankunft zur Messe in Korazin. © Moshe Milner / Government Press Office Israel 2000
Papst Johannes Paul II. in Israel. Der Papst winkt Tausenden von Pilgern aus dem Papamobil zu nach seiner Ankunft zur Messe in Korazin. © Moshe Milner / Government Press Office Israel 2000

Den Besuch von Johannes Paul II., der oft auch „Medienpapst“ tituliert wurde, übertrugen das israelische Fernsehen und viele andere Sender in der ganzen Welt live. Im Durchschnitt verfolgten etwa zehn Prozent der Israelis die übertragenen Auftritte, den Besuch in Yad Vashem sogar 20 Prozent.

Kurz vor dem Besuch hatte der Papst um Vergebung für Personen und einzelne Christen gebeten, die gegenüber Juden während der Shoah schuldig geworden waren. Mangels eines direkten Schuldeingeständnisses der Kirche als Institution zeigten sich führende israelische Persönlichkeiten enttäuscht, die Mehrheit der Israelis wusste zudem gar nicht, dass der Papst zuvor den Antisemitismus verdammt hatte. Mit Spannung und der Hoffnung auf eine deutlichere Botschaft wurde daher von allen Seiten der Besuch des polnischen Papstes in Yad Vashem erwartet. Premierminister Ehud Barak, dessen polnische Großeltern in Treblinka ermordet wurden, dankte dem Papst in einer viel beachteten Rede für seinen Einsatz gegen Rassismus und Antisemitismus.

Nach seinem Gebet an der heiligsten Stätte des Judentums, der Westmauer des zerstörten Tempels, bat der Papst Abrahams Volk des Bundes – die Juden – um Vergebung für die Verbrechen einzelner Christen und Kirchenangehöriger. Die immense Symbolik rührte viele Israelis, wie auch das Zugehen des Papstes auf die Oberrabbiner und auf ehemalige jüdische Bewohner seiner polnischen Heimatstadt Wadowice. Trotz einer Bitte des aschkenasischen Oberrabbiners Lau, einem Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald, doch auch „die zu erwähnen, die geschwiegen“ haben, blieben weitergehende Worte zu Papst Pius XII. und seiner Rolle bei der nationalsozialistischen Judenvernichtung aus. Wer sich deutlichere Worte von Johannes Paul II.. erwartet hatte, wurde bitter enttäuscht, wie einige Leserbriefe in israelischen Zeitungen zeigten.

Die politische Elite und die israelische Presse lobten den Besuch als bedeutenden und wichtigen Schritt der Anerkennung des jüdischen Staates in Eretz Israel. Viele Israelis zeigten sich beeindruckt von der ruhigen, gar „heiligen“ Gestalt des Papstes. Die gut angekommenen Symbole verdeutlichten den Eindruck einer niemals vorher dagewesenen Begegnung in respektvollem Umgang zwischen der katholischen Kirche und den Juden.

Papst Johannes Paul II. in Israel. Begegnung des Papstes mit den Oberrabbinern Israel Lau und Eliyahu Bakshi Doron in der "Heichal Shlomo" in Jerusalem. © Amos Ben Gershom / Government Press Office Israel 2000
Papst Johannes Paul II. in Israel. Begegnung des Papstes mit den Oberrabbinern Israel Lau und Eliyahu Bakshi Doron in der "Heichal Shlomo" in Jerusalem. © Amos Ben Gershom / Government Press Office Israel 2000

Medienevent und political correctness

2000 Medienvertreter aus aller Welt berichteten über „Seine Heiligkeit" und die israelische Regierung bemühte sich um absolute political correctness. In den Presseunterlagen waren sogar die nur überflogenen palästinensische Autonomiegebiete als solche gekennzeichnet, was sonst eher selten der Fall ist.

Die für den Aufenthalt in Bethlehem verantwortliche Palästinensische Autonomiebehörde nutzte den Besuch dagegen, um ihre Sicht der Dinge im Heiligen Land darzustellen. In den Tourismus-Prospekten, die den Journalisten ausgehändigt wurden, ließ sich nicht einmal auf einer Überblickskarte des Nahen Ostens die Kennzeichnung des jüdischen Staatsgebietes mit dem Wort „Israel" finden. Stattdessen gab es Propaganda-Heftchen der PLO, die über die "Israelischen Verletzungen von islamischen und christlichen heiligen Stätten" berichteten. Das Minenfeld der nahöstlichen Diplomatie, in dem jede Geste und Aussage von beiden Seiten für sich reklamiert werden kann, bekam auch der Papst zu spüren, der durch regelmäßige Treffen mit Arafat bald als Palästinenser-Freund galt.

Der Mufti von Jerusalem, der 1994 von Arafat eingesetzte Scheich Sabri, ließ die Gelegenheit am Tag vor seinem Treffen mit dem Papst nicht aus und erklärte in deutlichen Worten, dass er es unmöglich finde, wie „Israel den Holocaust ausnützt, um Sympathien zu gewinnen“, und im Übrigen sei „die Zahl von sechs Millionen Opfern doch absolut übertrieben." Angesichts der üblichen Spannungen lehnte es der islamische oberste Kleriker ab, sich an einem interreligiösen Treffen mit den jüdischen Oberrabbinern zu beteiligen. Die päpstliche Botschaft der Versöhnung und Verständigung zwischen den Religionen stieß auf taube Ohren.

Was blieb: Erinnerung an eine Woche Frieden – kurz vor Ausbruch der zweiten Intifada

Was blieb vom Besuch des weiß gekleideten alten Mannes aus Rom, der den Frieden predigte, aber doch keine Patentlösung vorzuweisen hatte für die weiter schwelenden Auseinandersetzungen im Nahen Osten? Sowohl Israelis als auch Palästinenser zeigten sich zufrieden angesichts des erfolgreichen Besuches.

Bleiben wird die Erinnerung an einen gutmütigen Popstar des Friedens, der in Bezug auf diplomatische Gesten die Erwartungen erfüllte, viele Besucher und eine Woche Frieden brachte. Israelische Sicherheitsexperten erinnern sich gerne an die einzige Woche, in der die PA alle Sicherheitskräfte in Bewegung setzte, um jegliche Art von Anschlägen zu unterbinden. Kurz darauf folgte Camp David und im September 2000 begann die Intifada, die nicht nur das gegenseitige Vertrauen zerstörte, sondern durch Gewalt und Terror auf allen Seiten Hass und Ohnmacht säte. Und die katholische Kirche hat ein neues Kapitel im Umgang mit dem Judentum und dem Staat Israel aufgeschlagen.

2009 : Benedikt XVI.
Professorale emotionslose Distanz: hohle Worthülsen des deutschen Papstes in Israel

Muslime wie Juden hatte der deutsche Papst schon vor seinem Besuch im Heiligen Land gegen sich aufgebracht. In der muslimischen Welt löste seine Regensburger Rede 2006 einen Sturm der Entrüstung aus, weil er zur Gewaltfrage im Islam den spätmittelalterlichen byzantinischen Kaiser Manuel II. Palaeologos mit „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“ zitierte. Neben Versuchen der konstruktiven Auseinandersetzung mit offenen Briefen islamischer Gelehrter nutzten Fundamentalisten in verschiedenen muslimisch geprägten Ländern den Anlass zu teilweise gewalttätigen Demonstrationen gegen Christen und den Papst. Kein Wunder, dass der Imam der Schihab-e-Din-Moschee von Nazaret, Scheich Nazim Abu Salim zum Besuch Benedikts XVI erklärte: „Der Papst hat dem Islam den Krieg erklärt“. Die Moschee des Imams sollte eigentlich über dem Grab von Schihab A-Din, dem Neffen Saladins, direkt neben der markanten Verkündigungsbasilika entstehen und diese überragen. Nach Protesten der israelischen Christen und des Vatikans hat dies der Staat Israel untersagt, weshalb es kein Wunder ist, dass dieser extremistische Imam gegen den Papst wetterte, und den päpstlichen Besuch Jerusalems und insbesondere an der Westmauer des jüdischen Tempels als Legitimierung der israelischen Besatzung Jerusalems geißelte.

Auch ein bayerischer Papst muss sich seinen deutschen Wurzeln und der Vergangenheit stellen

Die jüdische Welt erboste der deutsche Papst, dessen Mitgliedschaft in der Hitlerjugend und Wehrmacht Fragen offen ließen, in vielerlei Hinsicht. Er zeigte wenig Gespür für eine kritische Auseinandersetzung der Institution Kirche mit dem auch auf kirchlich gefördertem Antisemitismus fußenden Nationalsozialismus und seinem in die Endlösung führenden Rassenwahn. Benedikt XVI. führte die von seinem Vorgänger Johannes Paul II. gestrichene Karfreitagsfürbitte zur Judenmission wieder ein („Lasset uns auch beten für die Juden, auf dass Gott unser Herr ihre Herzen erleuchtet, damit sie Jesus Christus erkennen, den Retter aller Menschen.“). Anfang 2009 hob Benedikt XVI. die Exkommunikation von Bischöfen der offen antisemitisch agierenden Piusbruderschaft auf, wobei der zuständige Kardinal angeblich naiv übersehen hatte, dass Piusbruder-Bischof Richard Williamson den nationalsozialistischen industriellen Massenmord in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern leugnete. Aus kirchenpolitischen Gründen machte der deutsche Papst einen Shoah-Leugner wieder gesellschaftsfähig, was zu Verwerfungen nicht nur mit der jüdischen Welt, sondern auch zu einem gegenüber der katholischen Kirche bisher unbekannten öffentlichen Widerspruch der deutschen Bundeskanzlerin Merkel führte.

Papst Pius XII. gilt wegen seines Schweigens während des Dritten Reiches, trotz guter Kenntnisse der Massenvernichtung, als stark umstritten. Dennoch würdigte Benedikt XVI. seinen Vorgänger anlässlich dessen 50. Todestages und hätte fast die Reise nach Israel abgesagt, weil im Museum von Yad Vashem ein Bild Pius XII. hängt mit der Erklärung, der Papst habe die Entrechtung und Vernichtung der Juden ohne Protest mit angesehen.

Papst Benedikt XVI. in Israel. Premierminister Benjamin Netanjahu begrüßt den Papst am Ben-Gurin-Flughafen. Dahinter Staatspräsident Shimon Peres. © Avi Ohayon / Government Press Office Israel 2009
Papst Benedikt XVI. in Israel. Premierminister Benjamin Netanjahu (links) begrüßt den Papst am Ben-Gurin-Flughafen. Dahinter Staatspräsident Shimon Peres. © Avi Ohayon / Government Press Office Israel 2009

Bei seiner Ankunft in Israel geißelte der Papst Antisemitismus und Rassenwahn allgemein als „inakzeptabel“ und „abscheuerregend“. Dies wurde jedoch ob seiner bereits genannten Taten eher als hohle Phrase wahrgenommen. Seine Rede in Yad Vashem geriet zum Fiasko nicht nur für „deutsche Ohren“ (Ulrich Sahm). Enttäuscht von der „allgemein gehaltenen Rede ohne Leidenschaft, Anteilnahme und Gefühl“ zeigte sich Oberrabbiner Meir Lau, ein Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald.

Knesset-Sprecher Reuven Rivlin wartete vergeblich auf eine Benennung der Verantwortlichen für die Shoah, denn „zu ihnen gehören auch die Deutschen und die Kirche“ und ergänzte: Der Papst „sprach zu uns, als ob er ein Historiker wäre, jemand, der von der Seitenlinie zuschaut. Und was soll man da machen? Er gehörte zu ihnen. Mit allem Respekt für den Heiligen Stuhl, wir können nicht die Bürde ignorieren, die er trägt als ein junger Deutscher, der der Hitlerjugend beitrat und als Person, die in Hitlers Armee eintrat.“

Der bekannte israelische Historiker Tom Segev kritisierte in der Zeitung Haaretz die Rede über die Shoah als „zu kalkuliert, zu diplomatisch und zu professionell“. Segev zeigte sich befremdet, dass der Papst nur sagte, dass Juden „getötet“ worden wären – wie „durch einen unglücklichen Unfall“, anstatt deutlich zu benennen, dass die Juden ermordet und vernichtet wurden. Segev beurteilte die von Benedikt XVI. erwähnten Lehren aus der Shoah als „wenig mehr als leere Banalitäten“.

Palästinenser zufrieden mit Benedikt XVI.

Solidarisch zeigte sich der Papst gegenüber dem Leid der Palästinenser. „Ich weiß, wie sehr Sie an der seit Jahrzehnten in diesem Land herrschenden Unruhe gelitten haben und weiter leiden“, sagte Benedikt XVI. und an die Flüchtlinge gerichtet: „Mein Herz wendet sich all jenen Familien zu, die kein Zuhause mehr haben.“. In Betlehem rief er die junge Generation dazu auf, auf Gewalt und Terror zu verzichten und betete für ein Ende der Blockade des Gazastreifens, ohne – wie einige Israelis kritisierten – die dauernden Raketenangriffe als Ursache zu benennen.

Benedikt XVI. unterstützte Palästinenser-Präsident Abbas und seine Bemühungen für eine Zwei-Staaten-Lösung und betonte, dass der Heilige Stuhl „das Recht des Volkes auf eine eigenständige palästinensische Heimat im Land seiner Vorfahren in Sicherheit und in Frieden mit seinen Nachbarn innerhalb von international anerkannten Grenzen“ unterstützt.

Der deutsche Papst kann nicht über seinen deutschen Schatten springen

Was bleibt? An den Besuch Benedikt XVI. erinnern sich viele Israelis mit sehr gemischten und enttäuschten Gefühlen, denn der Papst hat es in seiner professoralen Art nicht verstanden, durch ehrliches Mitgefühl zu überzeugen und sich seiner eigenen und der kirchlichen Vergangenheit während des Dritten Reiches zu stellen.

2014: Franziskus
Emotionale Gesten und klare Worte: „Alle wollen wir den Frieden!“

Papst Franziskus in Israel. Logo zum Papstbesuch 2014
Papst Franziskus in Israel. Offizielles Logo zum Papstbesuch 2014
Der eigentliche Fokus der Reise des 2013 gewählten Jesuiten Franziskus lag auf den Begegnungen, unter anderem einem gemeinsamen Gebet mit dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus von Konstantinopel, in Erinnerung an den bahnbrechenden Besuch 1964.

Auf seiner politischen „Pilgerreise“ ins Heilige Land ging der Papst mitfühlend auf alle einen Schritt zu. Franziskus überraschte immer wieder, fuhr trotz der Sicherheitsbedenken im offenen Wagen und brachte einen Rabbiner und einen Imam aus Argentinien mit. Gleichzeitig verkörperte er einen katholischen Aufbruch mit politischem Anspruch auf Seiten der Armen und Entrechteten.

Flüchtlinge leiden – Waffenproduzenten profitieren

In Jordanien traf der Papst mit syrischen Flüchtlingen zusammen und machte so darauf aufmerksam, dass in diesem kleinen Land mit nur etwas mehr als 6,3 Mio. Einwohnern derzeit etwa 610 000 registrierte syrische und geschätzte 200 000 irakische Flüchtlinge leben. Für Franziskus ist der Bürgerkrieg eine Tragödie, verursacht von Hass und der „Geldgier in der Herstellung und im Verkauf der Waffen“. Ohne es direkt auszusprechen klagt der Papst die westliche Welt an, die einerseits den Krieg mit ihren Waffen befeuert und andererseits mit Migranten und Flüchtlingen skandalös umgeht.

Betlehem: Spontaner Stop an der Trennmauer – Einladung zum Friedensgebet

Wie fast alle Menschen auf der Welt träumt der Papst vom Frieden im Nahen Osten. Machtlos außer in Worten und Gesten bewegte er sich auf heiklem Terrain. Unterwegs in Betlehem ließ er seine Wagenkolonne anhalten, berührte mit seiner Hand die Mauer, die von den Palästinensern als Apartheidmauer und von den Israelis als Schutzwall vor Terroranschlägen bezeichnet wird. Die erste Mauer-Geste eines betenden Papstes wird wohl das bleibende Bild von dieser Reise werden.

 

Nach dieser symbolischen Überraschung folgte in Betlehem eine Einladung an die Präsidenten zum gemeinsamen Gebet, um „von Gott das Geschenk des Friedens zu erflehen.“ Sowohl Peres als auch Abbas haben laut Haaretz sofort zugesagt, auch wenn die israelische Regierung alle Kontakte mit der Palästinensischen Autonomiebehörde aufgrund der Versöhnung zwischen der radikal-islamischen Hamas und der säkular-nationalistischen Fatah abgebrochen hat. Franziskus unterstützte klar die Zweistaatenlösung, Verhandlungen und Abbas: „Präsident, Sie sind als Mann des Friedens und als Friedenstifter bekannt“.

Begegnung mit Juden – Normalität für Franziskus

Im Gegensatz zu den europäischen Päpsten der Kriegsgeneration kam der Argentinier unbelastet in den Judenstaat. Franziskus ging locker und offen auf die Vertreter der anderen Religionen zu. Das Judentum sieht der Papst, wohl auch aufgrund seiner Freundschaft mit dem argentinischen Rabbi Skorka, als Mutter seines Glaubens. 200.000 Juden leben in Buenos Aires, weshalb der Kontakt zu ihnen für Franziskus natürlich und normal gewesen sei.
Die zweite Mauer-Geste des betenden Papstes an der Westmauer ist bisher einmalig, denn er wurde vom Rabbi und Imam aus Argentinien begleitet. Das Bild will wohl vermitteln, dass es erst einer persönlichen wertschätzenden Freundschaft bedarf, bevor man offiziell kooperieren kann. Symbolisch war auch der Inhalt des Zettels, den Franziskus, wie es an der Westmauer üblich ist, zwischen zwei der Steinquader steckte: Ein jüdisches Gebet, das Vaterunser, vom Papst persönlich mit der Hand in seiner Muttersprache Spanisch geschrieben.

Papst Franziskus lud den israelischen und palästinensischen Präsidenten zum Friedensgebet in den Vatikan ein. Im Bild der Papst und der israelische Staatspräsident Shimon Peres in Jerusalem. © Screenshot / Government Press Office Israel 2014
Papst Franziskus und der israelische Staatspräsident Shimon Peres in Jerusalem. © Government Press Office Israel 2014

In Yad Vashem zeigte Franziskus in seiner Meditations-Ansprache, dass er den Schmerz des jüdischen Volkes angesichts der Katastrophe der Vernichtung teilt und Antisemitismus bekämpfen will. Mit sechs Überlebenden sprach er kurz und küsste ihnen als Zeichen des Respekts jeweils die Hand.

Erstmals besuchte ein Papst den Herzlberg und legte am Grab des zionistischen Visionärs und Vordenkers einen Kranz nieder, verharrte kurz im Gebet und legte nach jüdischer Tradition einen Stein nieder. Für den Staat Israel ist mit diesem Besuch des israelischen Heldenfriedhofs die Anerkennung durch den Vatikan symbolisch wohl abgeschlossen.

Die dritte Mauer-Geste des betenden Papstes ist etwas untergegangen, doch wird ihr in Israel am meisten Bedeutung beigemessen: Netanjahu führte den Papst auf dem Herzlberg abseits der festgelegten Route zum Mahnmal für die israelischen Opfer des palästinensischen Terrors. Netanjahus wollte das symbolträchtige Bild des Papstes an der Trennmauer mit dem Bild der Terror-Opfer kontern. Der israelische Premier erklärte dem Papst, dass die Trennmauer viele Terroranschläge verhindert habe, und daher notwendig sei für die Sicherheit. Franziskus betete auch an dieser Mauer und sagte, dass Terrorismus immer böse sei und keinen Platz in der Welt habe.

Umarmungen und Gesten in alle Richtungen

Was bleibt? Beide Seiten hat der Papst mit menschlichen Gesten bedacht und ernst genommen. An den Besuch von Franziskus werden sich die Palästinenser gerne erinnern, denn der Papst erkannte ihr Leiden an und unterstützt ihre Staats-Ambitionen. Franziskus erinnerte an die Verantwortung der Politik, Frieden zu stiften. Diese Mahnung ist nötig, denn auch Palästinenserpräsident Abbas glorifizierte in der Vergangenheit immer wieder den bewaffneten Kampf oder stachelte den Hass an und auch der arabische Obermufti, dem der Papst auf dem Tempelberg begegnete, propagierte in Predigten die Ermordung von Juden als islamisches Ziel.
In Israel sehen die meisten Juden den christlichen Papst distanziert kritisch. Im Unterschied insbesondere zu seinem deutschen Vorgänger nehmen die Israelis seine Anteilnahme an ihrem Schicksal und der Shoah als ehrlich mitfühlend wahr. Beeindruckt hat viele die Verneigung und der Handkuss vor den letzten Shoah-Überlebenden in Yad Vashem sowie die eindeutige und unmissverständliche Verurteilung von Terrorismus. Untergegangen sind ob der großen politischen Symbolik die Probleme der Christen im Heiligen Land, die ob der muslimischen Mehrheitsgesellschaft in den palästinensischen Gebieten wie in Israel mehr Schutz und Unterstützung suchen.

50 Jahre mit vier Papstbesuchen zeigen, wie sich der Nahe Osten verändert hat. 1964 – wenige Jahre vor dem Sechstagekrieg – gehörte die Westbank zu Jordanien und Papst wie Vatikan waren nicht überzeugt, dass der Judenstaat langfristig bestehen würde. Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. prägten der Krieg und der kirchliche Antisemitismus, bis mit dem II. Vatikanischen Konzil offiziell ein Umdenk- und neuer Lehrprozess in Gang gesetzt wurde. Der kirchliche Dialog mit Juden erlebt mit Franziskus einen neuen Höhepunkt. Der Papst sprach sich deutlich gegen Terror und Gewalt aus – und um einen Hoffnungskeim zu setzen an die Stelle des Schweigens, lud er in sein Haus zum Gebet ein. Ein wichtiges Zeichen in einem Land, in dem die Realpolitik häufig vergessen lässt, warum es den Namen „Heilig“ trägt.