13.11.2025
Der wachsende Secondhand-Buchmarkt in Tunesien
Mohamed Boumaiza auf der tunesischen Buchmesse 2025 im Gespräch mit einem Kunden. Foto: privat.
Mohamed Boumaiza auf der tunesischen Buchmesse 2025 im Gespräch mit einem Kunden. Foto: privat.

Das Internetzeitalter und die steigende Inflation bremsen die Lesekultur in Tunesien nicht, sondern fördern sie vielmehr. Mohamed Boumaiza, Gründer von Ktebi Ktebek, erzählt, wie sich sein Online-Buchladen an diese Veränderungen anpasst.

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In Tunesien befindet sich der Markt für gebrauchte Bücher in der Hauptstadt Tunis, hauptsächlich in der Dabbaghin Straße, dem Platz der Republik und der Avenue Habib Bourguiba, wo die Bücher verstauben. Obwohl die Bücher erschwinglich sind, ist der Konsum der Kund:innen zurückgegangen. Gründe dafür sind, dass sich der Markt nicht an die sich ständig verändernde Kundschaft und die Beliebtheit von Autor:innen und neuer Buchgenres anpasst. Dies hat dazu geführt, dass tunesische Leser:innen Bücher importieren, obwohl diese meist teurer sind. Die Preise reichen von 50 bis über 100 tunesischen Dinar.

Die Abschwächung des Dinars und die Auswirkungen auf die Buchkultur

Der heutige Wechselkurs von Euro zu tunesischen Dinar ist alarmierend, da ein Euro 3,42 TD entspricht. Nach Angaben des Observatoire Tunisien de l’Economie (dt. tunesisches Wirtschaftsobservatorium) hat der Dinar zwischen 2011 und 2022 52 % seines Wertes gegenüber dem US-Dollar verloren. Die Wertschwankungen des Dinar waren noch nie so konstant wie in den letzten zehn Jahren. Das CIDOB (dt. Zentrum für internationale Angelegenheiten in Barcelona) äußerte 2022, dass die aufeinanderfolgenden tunesischen Regierungen sich lange über die Gesetze des Haushaltsdefizits hinweggesetzt und magischem Wirtschaftsdenken hingegeben haben. Die Realität sieht jedoch anders aus: Auslandsverschuldung von 100 % des BIP, eine zweistellige Inflationsrate und Engpässe bei Grundnahrungsmitteln. In einem wirtschaftlich angeschlagenen Land wie Tunesien reagieren Verbraucher:innen preissensibel auf weniger essentielle Artikel. Dies könnte erklären, warum der Konsum von Büchern unter Tunesier:innen zurückgeht

Der Kampf um erschwingliches und nachhaltiges Lesen

Der 23-jährige Student Rihem äußert mit einer Mischung aus Wertschätzung und Realismus: „Jeder mag erschwingliche Bücher, aber die meisten Secondhand-Buchhandlungen in Tunis verkaufen sehr veraltete Bücher, und importierte Bücher sind sehr teuer, sodass Student:innen wie ich sie sich nicht leisten können.“ Außerdem sorgen sich Tunesier:innen um die Umwelt: „Es sind Plastikverpackungen, in denen Bücher und alle anderen Artikel heutzutage verkauft werden. Wir brauchen weniger Plastik, wir haben schon genug davon“, seufzte sie hilflos. 

Von der Zugänglichkeit über die Kaufkraft bis hin zu ökologischen Herausforderungen – sie schränken nicht nur den Zugang ein und machen Bücher für viele finanziell unerschwinglich, sondern führen auch zu einer neuen Hemmschwelle gedruckte Bücher zu kaufen, da sich die Leser:innen zunehmend der ökologischen Belastung durch Papier bewusst werden.

Positiv zu vermerken ist, dass diese Herausforderungen den Weg für Online-Märkte für gebrauchte Bücher wie Hebdo livres, coin lecture, Ktob, livres pour tous und Ktebi Ktebek geebnet haben, die bei einer Vielzahl von Leser:innen Anklang gefunden haben. Sie bieten eine große Auswahl an Büchern von Klassikern bis hin zu moderner Literatur in verschiedenen Sprachen wie Französisch, Arabisch, Englisch und Italienisch. Allerdings war es nur Ktebi Ktebek, das umsetzte was sich Tunesier:innen wie Rihem wünschten: Zugänglichkeit, Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit.  

Ktebi Ktebek: Wo Bücher ein zweites Leben finden

Wir sprechen mit Mohamed Boumaiza auf der tunesischen Buchmesse im November 2025. Er ist der Gründer von Ktebi Ktebek, was übersetzt „Mein Buch ist dein Buch" bedeutet, einer online Secondhand-Buchhandlung. Mohamed Boumaiza ist 35 Jahre alt, Spezialist für User Experience Design mit einem freundlichen Lächeln. Auf der Messe ist der junge Mann umgeben von Menschen, die sich freuen, von dem Buchunternehmen finanziell profitieren zu können und in einer einladenden Atmosphäre Bücher wie Schätze an andere Buchliebhaber:innen weiterzugeben. Anders als alle anderen auf der Buchmesse, stellt Mohamed gebrauchte Bücher anstatt brandneue Bücher aus. Sein Unternehmen bietet nicht nur eine zugängliche, budget- und umweltfreundliche Alternative für tunesische Leser:innen, sondern auch eine Verkaufsstelle für traditionelle Secondhand-Buchhändler:innen. 

Auf die Frage nach seiner Liebe zu Büchern antwortet Mohamed mit einem Leuchten in den Augen: „Sie bieten Stoff zum Nachdenken, sie bilden Menschen und haben die Kraft, sie zu Mitgliedern der Gesellschaft zu machen.“

Ein Foto des Buches „Destination Tokio Hotel“ aus der Buchhandlung Ktebi Ktebek. Foto: privat.

Sehnsüchtig blickt er zurück: „Als ich meine Bibliothek betrachtete, stellte ich fest, dass ich die meisten Bücher bereits gelesen hatte. Ich könnte sie genauso gut an jemanden weitergeben, der sie gerne lesen möchte – denn damals waren sie in Tunis nicht leicht zu bekommen.“ Mohamed hält inne, als würde er seine Entscheidung noch einmal überdenken: „Mir wurde jedoch klar, dass es Mühe und Geld kostet, damit Menschen Bücher wertschätzen.“ Er spricht mit der ruhigen Überzeugung eines Menschen, der gelernt hatte, dass das Teilen von Ideen genauso herausfordernd sein kann wie das Sammeln. Diese Entscheidung war der Beginn seiner Bemühungen, Bücher zugänglicher zu machen. Angesichts der steigenden Buchpreise in seinem Land arbeitete Mohamed an einem Konzept, das für Buchliebhaber:innen, ihn selbst und die Umwelt von Vorteil war. 

Eine Bereicherung für Leser:innen, Verkäufer:innen und den Planeten

Mohamed richtete einen Facebook-Account ein, auf dem er die gebrauchten Bücher zum Verkauf für einen Preis je nach Zustand zwischen 15 und 25 TD anbot. Zu seiner Überraschung erhielt er bereits am ersten Tag Bestellungen. Seit seiner Gründung im Jahr 2020 hat Ktebi Ktebek mehr als 1000 Bestellungen erhalten. Student:innen wie Rihem erhalten 10 % Rabatt auf ihre Bestellungen. Dabei ging die Interaktion mit den Kund:innen über eine reine Geschäftsbeziehung hinaus. Er nutzte die Gelegenheit, die gemeinsame Liebe zum Lesen zu pflegen: „Ich hatte eine Kundin, die unter schweren Depressionen litt und deren einziger Trost Bücher waren, da sie ihr halfen, ihren düsteren Gedanken zu entfliehen. Wir tauschten uns über psychische Gesundheit und Bücher aus, die einem helfen, Selbstmordgedanken zu überwinden.“

„Ich bin Malala“ aus der Buchhandlung Ktebi ktebek. Foto: privat.
Verkäufer:innen auf Facebook Marketplace fragten Ktebi Ktebek an, ob er ihre gebrauchten Bücher für wenig Geld, zwischen 7 und 9 Dinar pro Buch, ankaufen würde. Auch wenn dies nach einem Schnäppchen klingt, sah der CEO darin ein Problem, das es zu lösen galt. „Verkäufer:innen, die Bücher zu einem geringen Preis anbieten, sind sich selten des tatsächlichen Werts ihrer Bücher und der möglichen Gewinne bewusst“, erklärt Mohamed. Viele der Verkäufer:innen sind Student:innen oder Arbeiter:innen, die sich etwas dazuverdienen wollen und nur über begrenzte Transportmöglichkeiten verfügen. Sie vereinbaren ihre Geschäfte in der Regel über Facebook Marketplace, wickeln einen schnellen Austausch ab und fahren dann quer durch die Stadt für die Lieferung. Das Gleiche gilt für die Käufer:innen, die oft einen engen Zeitplan haben, unter logistischen und zeitlichen Druck stehen, aber dennoch versuchen sich ein Buch zu sichern“, erklärt er.

Deshalb bot Mohamed ihnen an, ihre Bücher über Ktebi Ktebek zu angemessenen Preisen zu verkaufen, wobei er die Seltenheit und den Wert der Bücher berücksichtigt und dafür 25 % des Gewinns erhält. „Auf diese Weise profitieren alle davon“, schlussfolgerte er. Zuvor stand Mohamed jedoch vor einer Reihe von “unternehmerischen” Herausforderungen, wie er selbst sagt.

In Tunesien können sich kleine Unternehmen oft keine privaten Lieferdienste leisten, sodass sie auf die Post angewiesen sind. Dies kann jedoch Kund:innen abschrecken, da sie ihre Pakete nicht nachverfolgen können, ihr voller Terminkalenders es schwierig macht zu den Postämtern zu gehen und sie zusätzliche Abholgebühren zahlen müssen. Anfangs lieferte Mohamed die Bücher selbst aus. Als das Geschäft wuchs, beauftragte er ein Unternehmen damit. Jetzt macht er sich jedoch mehr Gedanken über den dabei entstehenden Abfall. 

Aufbruch in eine nachhaltige Zukunft

An anderer Stelle sah Mohamed Hoffnung darin, Büchern ein zweites Leben und Zuhause zu geben. Diese Hoffnung entstand aus einer großen Sorge, nämlich der Papierverschwendung. „Die Papierherstellung ist sehr wasserintensiv. Im Durchschnitt werden in modernen industriellen Verfahren etwa 10 bis 20 Liter Wasser benötigt, um 1 Kilogramm Papier herzustellen, wobei Strom und andere für den Prozess benötigte Materialien nicht mitgerechnet sind.“ Für Mohamed tragen nachhaltige Praktiken nicht nur zum Schutz der Umwelt bei, sondern wirken sich auch tiefergehend auf die Kultur sowie auf die Systeme aus, die zu Papierabfällen führen. Mohameds Vision bietet zwar einen Hoffnungsschimmer für nachhaltigere Lesegewohnheiten, unterstreicht aber auch die umfassenden Herausforderungen, die die literarische Landschaft Tunesiens prägen: wirtschaftliche, logistische und kulturelle.

 

 

 

 

 

Rihab Amri is an ESL teacher at Intellect Academy X British Council, also a film translator and a journalist. She is majored in English studies and minored in Media and Journalism at the High Institute of Languages of Gabes and currently conducting her MA thesis on “The Role of Arab Women Reporters in Countering Media Stereotypes in The Arab World...
Redigiert von Henriette Raddatz, Filiz Yildirim, Nora Theisinger
Übersetzt von Regina Gennrich