21.04.2024
Passpflicht: Deutsche Behörden schenken dem Assad-Regime Steuergelder
Protestierende gegen die Finanzierung des Assad-Regimes in Berlin. Foto: Kampagne #DefundAssad.
Protestierende gegen die Finanzierung des Assad-Regimes in Berlin. Foto: Kampagne #DefundAssad.

Nicht genug, dass Deutschland syrische Geflüchtete zwingt, dem Assad-Regime Pässe für hunderte Euros abzukaufen. Statt das Verfahren zu ändern, finanzieren deutsche Behörden auch noch die Passgebühren mit – und damit den Krieg in Syrien.

Zwei, eins, sieben und eine Null neben einem Eurozeichen in blauer Tinte, gekritzelt auf ein Stück Papier. Den Scheck überreicht der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde Tamer Saleh*. Im Betreff-Feld steht, fast unleserlich: „Passgebühren für syrische Nationalpässe“.

Als Tamer später in der Woche frierend in der Schlange vor der syrischen Botschaft den Geldumschlag in der Hand hält, zählt er die Scheine. Zweitausendeinhundertsiebzig Euro in roten, grünen und gelben Scheinen. Über ihm thront das in den vom syrischen Regime kontrollierten Gebieten allgegenwärtige Bild von Baschar Al-Assad – dem Mann, wegen dem Tamer vor Jahren mit seiner Familie aus Syrien fliehen musste. Als er dem Beamten hinter der Glasscheibe das Geld der deutschen Behörde überreicht, sträubt sich alles in ihm. Zweitausendeinhundertsiebzig Euro an einen Kriegsverbrecher. Zweitausendeinhundertsiebzig Euro – das Jahresgehalt einer wohlhabenden Familie in Syrien – für Reisepässe eines Landes, in das er nicht zurückkehren kann. Zweitausendeinhundertsiebzig Euro aus deutschen Steuergeldern wandern in die Taschen des Assad-Regimes.

Wie er sich damals gefühlt hat? „Ängstlich, vielleicht sogar schmutzig“, erinnert sich Tamer heute, ein paar Monate nach dem Gang in die Botschaft. Er ist einer der Syrer:innen, die sich wegen der Passbeschaffungspflicht bei Adopt a Revolution gemeldet hat. Im Rahmen ihrer #DefundAssad-Kampagne macht die Menschenrechtsorganisation auf die Problematik der Passbeschaffungspflicht aufmerksam.

Denn Tamer ist kein Einzelfall. Nach Deutschland geflüchtete Syrer:innen werden tausendfach von deutschen Behörden aufgefordert, einen nationalen Reisepass bei der syrischen Botschaft zu beantragen – beispielsweise wenn es um Aufenthaltsverlängerung oder Einbürgerung geht. Durch die immer weiter willkürlich steigenden Passgebühren nimmt das Assad-Regime so jährlich zwei- bis dreistellige Millionenbeträge ein. Für syrische Geflüchtete eine unzumutbare Praxis. Teilweise werden dabei, wie im Beispiel von Tamers Familie, die Kosten für die Pässe mit deutschen Steuergeldern bezahlt.

Den Pass haben oder nicht haben

Tamers Familie wird 2021 aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit für ein humanitäres Aufnahmeprogramm des Landes Brandenburg ausgewählt. Die Familie besteht aus Tamer, seiner Frau Alia und ihren fünf Kindern. Das älteste war damals elf, das jüngste ein Jahr alt. Gemeinsam mit Hunderttausenden Geflüchteten aus Syrien lebten sie bis dahin in einem der größten Flüchtlingslager in Jordanien.

Wer ausgewählt wird, muss sich als nächstes auf ein Einreisevisum bewerben. Die Prüfung ihres Antrags erfolgte durch die deutsche Botschaft in Amman. Tamer schickte Dokumentenstapel an die Botschaft. Er sprach über einen Bildschirm mit einem Mitarbeiter der Botschaft, der Tamer viele Fragen zu seinem Leben und der Situation der Familie stellte. Dass sie alle keine Pässe besaßen, nie besessen hatten, war damals kein Problem.

Erstmal lief alles nach Plan: Im Oktober 2021 kommt die Familie in Deutschland an und wird sofort in einer Gemeinschaftsunterkunft in Brandenburg untergebracht. Doch dann die Überraschung: Sechs Monate nach ihrer Einreise soll die Familie Pässe besorgen. Tamer wundert sich.

Es gehe Deutschland um die Identitätsfeststellung, erklärt die Sozialarbeiterin, die einmal wöchentlich in die Gemeinschaftsunterkunft kommt. Das versteht er nicht. Wenn Deutschland doch bei der Einreise wusste, wer er ist, warum hat sich das plötzlich geändert? Er ist doch immer noch derselbe Tamer, geboren 1984 in Syrien. In der Ausländerbehörde sagte man ihm, dass für die Einreise eine Ausnahme gemacht wurde, jetzt gelte ein anderes Gesetz: die Passpflicht.

Tausende Euro für den syrischen Diktator, tausende Euro Finanzierung für den Krieg

300 bis 1.000 Euro, so viel kostet ein syrischer Pass in der Botschaft in Berlin, meist sind diese Pässe nur für zwei Jahre gültig. In Deutschland leben mehr als 800.000 syrische Staatsbürger:innen. Selbst konservativ gerechnet bedeutet das Einnahmen von über 60 Millionen Euro pro Jahr für Assads Kriegskasse. In einem Bericht aus dem Jahr 2019 zeigt das Syrische Netzwerk für Menschenrechte (SNHR) auf, wie das Regime die Ausstellung von Reisepässen nutzt, um seinen Krieg gegen das eigene Volk zu finanzieren und Dissident:innen zu demütigen. Lukrativer ist wohl nur der Schmuggel der illegalen Droge Captagon, an dem nachweislich hochrangige Regimeangehörige verdienen.

Tamer möchte nicht Teil dieser Finanzierung des Regimes sein. Gibt es einen Ausweg? Ein Anwalt erklärt ihm: Wenn ein Besuch in der Botschaft ihm nicht zumutbar oder schlicht nicht möglich sei, könne Deutschland ihm ein Passdokument ausstellen. Also stellt Tamer einen Antrag auf einen „Reiseausweis für Ausländer“, umgangssprachlich auch „grauer Pass“ genannt. Es ist ein Ersatzdokument für nichtdeutsche Staatsbürger:innen, die nachweislich keinen Reisepass haben und denen die Beschaffung nicht zumutbar ist.

Tamer argumentiert gegenüber der Behörde, dass er Angst habe, in die Botschaft zu gehen. Auch davor, dass das Assad-Regime mit dem Geld für die Passgebühr den Krieg gegen seine in Syrien verbliebene Familie und Freund:innen finanziert. Ohne Erfolg. Die Behörde bleibt ungerührt: Es sei ihm „selbstverständlich möglich sowie durchaus zumutbar“ in die syrische Botschaft zu gehen und die Pässe zu beantragen. Eine Begründung für ihre Behauptungen liefert die Ausländerbehörde nicht.

Weil er sich trotzdem weigert, bekommt die Familie anstatt eines Aufenthaltstitels eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt. Die Bescheinigung bekommen sie als vorübergehende Legitimation ihres Aufenthalts, während ihr Fall bearbeitet wird. Das grüne, schlecht bedruckte Papier birgt allerdings viele Probleme. Mit der Fiktionsbescheinigung kann die Familie kein Konto eröffnen, weil Banken das Dokument meist nicht als Identitätsnachweis akzeptieren. Ohne ein eigenes Bankkonto ist es fast unmöglich, eine Wohnung zu mieten oder ein Gehalt zu bekommen.

Die Behörde entscheidet nicht im luftleeren Raum

Tamer wird immer verzweifelter. Letztendlich gibt er nach. Das nächste Problem: Wegen des fehlenden Kontos kann er die horrenden Passgebühren nicht bezahlen. Aber auch das will die Ausländerbehörde nicht gelten lassen. Anstatt seiner Familie einen Aufenthaltstitel auszustellen oder eine Ausnahme von der Passbeschaffung zu genehmigen, entscheidet sich der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde, ihnen einen Scheck in Höhe von 2.170 Euro für die Passgebühren auszustellen.

Zweitausendeinhundertsiebzig Euro wandern so aus dem steuerfinanzierten Sozialbudget der Ausländerbehörde an den syrischen Kriegstreiber Assad. Gegen die finanzielle Hilfe für Syrer:innen ist an sich nichts einzuwenden, allerdings gibt es mit der Unzumutbarkeit schon längst eine Alternative im Gesetzestext selbst, von der viel zu selten Gebrauch gemacht wird. Wie in Tamers Fall, entscheidet die Behörde selbst, was zugemutet werden kann und was nicht. Obwohl die einzelnen Sachbearbeiter:innen entscheiden, passiert auch das nicht im luftleeren Raum, sondern in einem vom Bundesinnenministerium vorgegebenen Interpretationsrahmen.

Dabei gäbe es genug Argumente gegen die Passbeschaffungspflicht bei Syrer:innen. Neben der Finanzierung durch die Passgebühren profitieren auch die syrischen Geheimdienste. Durch die persönliche Vorsprache in der Botschaft sammelt das Assad-Regime Informationen zu den Antragsstellenden und ihren Familien. Viele sorgen sich deshalb – zu Recht – um die Sicherheit ihrer Verwandten in Syrien.

Zwei, eins, sieben und eine Null neben einem Eurozeichen, handgeschrieben, daneben der Stempel der syrischen Botschaft, der syrische Adler und das Wort „Quittung“ – dieses Papier überreicht Tamer dem Sachbearbeiter der Ausländerbehörde. Der scheint zufrieden, Tamer ist es nicht. Denn den Aufenthaltstitel stellt die Behörde erst aus, wenn die Pässe vorliegen. Das heißt für Tamer wieder warten, auf die Pässe oder bis der politische Wille da ist, die Passpflicht für Syrer:innen endlich abzuschaffen.

*Name geändert

 

 

 

„ Adopt a Revolution" ist eine im Zuge der syrischen Revolution entstandene deutsch-syrische Solidaritätsintiative zur Unterstützung der syrischen Zivilgesellschaft. Seit 2012 unterstützen sie gewaltfreie emanzipatorische Projekte in Syrien und in der syrischen Diaspora.
Koordinatorin der Kampagne #Defund Assad bei Adopt a Revolution
Redigiert von Clara Taxis, Wanda Siegfried