28.05.2013
Die Mahdī-Vorstellung – Ein schiitisch-sunnitischer Vergleich

Eschatologische Fragen sind ein zentraler Punkt unterschiedlicher Religionen. So fragen sich Juden, Christen und Muslime, wie sich ihr Leben nach dem Tod gestalten wird, aber auch, wie die Welt lange danach aussehen wird. Wird es einen Weltuntergang geben? Was wird nach dem Weltuntergang geschehen? Gibt es einen Tag des Jüngsten Gerichts?  All diese Fragen beschäftigen gläubige Menschen, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Im islamischen Zusammenhang sind diese Fragen vor allem mit der Rolle des Mahdī verbunden. Damit werden automatisch die Schiiten assoziiert, obwohl die Mahdī-Figur auch in der sunnitischen Theologie existiert. Najla al-Amin stellt in diesem Gastbeitrag die Vorstellungen der Mahdī-Figur aus der schiitischen und sunnitischen Sichtweise dar und vergleicht sie miteinander. 

Al-Mahdī – Der Rechtgeleitete

Der arabische Name Mahdī bedeutet „der Rechtgeleitete“. In der Bedeutung des Erlösers tauchte der Name bereits im 7. Jahrhundert während der Errichtung des Gegenkalifats in Mekka auf. Jener Mahdī entspricht allerdings nicht dem Imam Mahdī der Zwölferschiiten heute. Die Zwölferschiiten oder Imamiten führen ihren Mahdī auf den elften Imam Ḥasan al-ʿAskarī zurück, wodurch er in direkter Genealogie zum Propheten Muḥammad steht. Aber auch die sunnitische Theologie kennt einen Erlöser mit dem Namen Mahdī, der zu gegebener Zeit die Gerechtigkeit auf der Welt herstellen soll. Im Gegensatz zur schiitischen Sichtweise weist die sunnitische den Mahdī den Nachkommen Ḥasans Ibn ʿAlī Ibn Abi Ṭālib zu und damit dem Sohn des Imam und vierten Kalifen ʿAlī.

Die Schiiten hingegen gehen davon aus, dass er vonḤasans Bruder Ḥusayn Ibn ʿAlī Ibn Abi Ṭālib abstammt. Dieser Aspekt ist für die schiitische Lehre zentral, da sie die Führung der Muslime nur durch die Herrschaft der Nachkommen des Propheten Muḥammads akzeptieren und damit jede andere Führung als illegitim betrachten. Einen weiteren Bestandteil der schiitischen Lehre stellt die Erwartung des Mahdī dar. Demnach kann die Erde nicht ohne religiöse Führung bestehen. Ein Imam ist für den Bestand des Wahrheitsgehaltes der Offenbarung wichtig, aber ebenso für die Leitung der muslimischen Gemeinde. Umso schwieriger stellte sich die Situation der schiitischen Gelehrten dar, als sie sich mit der Tatsache konfrontiert sahen, dass niemand Kontakt zu ihrem Imam hatte. Nun war es an ihnen, die schiitische Lehre in Hinblick auf die Lehre der Verborgenheit auszuarbeiten.

Die Abwesenheit des Mahdī und ihre Problematik

Die schiitische Lehre teilt die Abwesenheit des zwölften Imams in eine kleine und eine große Verborgenheit, die damit beginnt, dass keine Stellvertreter für den Imam mehr benannt werden. Der Imam wurde in der Zeit der kleinen Verborgenheit durch vier gläubige Männer in religiösen Angelegenheiten vertreten. Seitdem der letzte von ihnen keinen Stellvertreter mehr ernennen sollte, befindet sich der zwölfte Imam in der großen Verborgenheit. Keiner weiß, wo er sich aufhält und wann er erscheinen wird. Diese Tatsache, aber auch die Stilllegung der Herrschaft stellen die Schiiten bis heute vor Schwierigkeiten.

Gemäß des schiitischen Verständnisses ist nämlich eine andere Herrschaft als durch die zwölf Imame aus der Nachkommenschaft des Propheten als illegitim zu betrachten. Da ihr letzter Imam jedoch nicht anwesend ist und somit nicht zur Herrschaft imstande ist, stellt sich für die Schiiten die Frage nach der Führung der Muslime. Nicht nur Khomeini hat sich im Zuge der islamisch-iranischen Revolution im Jahre 1979 damit beschäftigt und eine Lösung für sich und sein Land gefunden, indem er die Theorie der „Herrschaft des Rechtsgelehrten“ (persisch: velāyet-e faqīh) herausgearbeitet und im Iran durchgesetzt hat.

Auch zur Zeit der Safawiden (1501-1722) übertrugen die Herrscher den Gelehrten immer mehr Macht und somit Einfluss. Die „Herrschaft des Rechtsgelehrten“ legitimiert den höchsten anerkannten schiitischen Rechtsgelehrten, die Gemeinde während der Abwesenheit des zwölften Imams zu führen. Diese Theorie stößt jedoch nicht bei allen schiitischen Gelehrten auf Zustimmung und wird zum Teil strikt abgelehnt. Das Verständnis der Mahdī-Figur in der sunnitischen Tradition ist erheblich einfacher, da er erst zu gegebener Zeit geboren wird und die Problematik der Verborgenheit somit ausbleibt. Er wird unter dem Namen Aḥmad bekannt sein, aber auch den Beinamen Abū ʿAbdullāh tragen.

Die Rückkehr

Trotz der Abwesenheit des Mahdī glauben die Schiiten an ihren zwölften Imam und erwarten seine Rückkehr mit großer Sehnsucht. So wenig über die Abwesenheit des zwölften Imams bekannt ist, wird doch umso detaillierter seine Rückkehr beschrieben. Viele Überlieferungen beschäftigen sich mit den Zuständen zu dieser Zeit. Dabei handelt es sich sowohl um Überlieferungen des Propheten Muḥammad als auch um Überlieferungen der zwölf Imame der Schiiten. Sie beschreiben die herrschenden Verhältnisse und Zeichen für die Rückkehr des zwölften Imams. Es wird eine Zeit von unvorstellbarem Leid und unmoralischen Taten sein, die durch Intrigen geprägt sein wird.  Um die Rückkehr des Mahdī anzukündigen, sollen bestimmte Personen auftauchen, die in direkter zeitlicher Nähe zu seiner Rückkehr stehen.

Hierbei sind sich sunnitische und schiitische Quellen nahezu einig. An der Seite des Mahdī wird eine Person namens al-Yamani kämpfen, die die Menschen zur Rechtleitung aufrufen wird. Anders als häufig aufgrund des Namens angenommen, ist seine Herkunft nicht der Jemen. Derzeit kursieren im Internet zahlreiche Berichte über Personen, die behaupten, sie seien al-Yamani. Die sunnitische Tradition ergänzt die Erscheinung des Mahdī durch die Wiederkehr einer für alle Buchreligionen zentralen Persönlichkeit, nämlich Jesus. Die Wiederkehr des Propheten Jesus soll demnach der des Mahdī folgen.

Sunnitische Überlieferungen beschreiben, dass er hinter dem Mahdī das Gebet verrichten wird, nachdem der Mahdī ihm die Leitung des Gebets angeboten hat, er jedoch ablehnte. Darüber hinaus sollen einige Personen dem Mahdī seine Aufgabe erschweren, wie beispielsweise al-Dajjāl oder al-Sufyānī. Al-Sufyānī ist ein Gegenspieler des Mahdī, der aus Syrien kommen wird und dann mit gelben Fahnen aus dem Westen ziehen wird. Dies im Gegenspiel zu den schwarzen Bannern aus dem Osten, die ursprünglich als Zeichen der Ahl al-Bayt eingeführt wurden. Der zweite Gegenspieler al-Dajjāl, der sowohl von sunnitischer als auch von schiitischer Sicht überliefert wird, steht für den „Betrüger“. Seine Hauptaufgabe ist es, die Menschen irre zu führen. Er soll vor dem Ende der Zeit erscheinen und die Welt mit Tyrannei erfüllen.

Diese Vorstellung wird durch die christliche Eschatologie-Vorstellung ergänzt, weshalb er oft mit dem Anti-Christen in Verbindung gebracht wird. Die schiitische Tradition sieht ein zusätzliches Zeichen für das Erscheinen des Mahdī vor, das als „Ermordung der reinen Seele“ beschrieben wird. Bezüglich der äußerlichen Erscheinung des Mahdī herrscht zwischen den sunnitischen und schiitischen Quellen weitgehend Konsens. Er soll Muttermale auf dem Rücken besitzen und eine Lücke in den Vorderzähnen aufweisen. Des Weiteren ist seine Nase durch eine Erhöhung gekennzeichnet. Zusätzlich wird seiner Person eine herausragende Stärke zugewiesen, die durch einen robusten Körperbau sichtbar wird.

Sunnitische und schiitische Vorstellung im Vergleich

Allgemein betrachtet kann behauptet werden, dass sich die Mahdī-Vorstellungen der Schiiten und Sunniten doch sehr ähnlich sind. Beide glauben an eine Erlöser-Figur, die am Ende der Zeit erscheinen und mit verschiedenen Personen auftritt, die teils mit und teils gegen ihn kämpfen werden. Darüber hinaus weisen die Vorstellungen über die äußerliche Gestalt des Mahdī sehr viele Ähnlichkeiten auf. Nichtsdestotrotz gibt es zahlreiche Unterschiede, die eine Konvergenz zwischen Sunniten und Schiiten erschweren. Der wesentlichste Unterschied liegt wohl in der Geburt des Mahdī. Der Vorstellung der Schiiten, dass er bereits geboren und nun verborgen ist, können sich die Sunniten nicht anschließen.

Darüber hinaus scheint die Nachkommenschaft eine große Bedeutung zu haben, da sunnitische Überlieferer (etwa Ibn Hajar al-Haythamī) seine Genealogie zu Ḥasan Ibn Abī Ṭālib mit großem Nachdruck hervorheben. Dies aus dem Grund, da sie der Meinung sind, dass die Persönlichkeit von Ḥasan Ibn Abī Ṭālib durch den freiwilligen Verzicht auf das Kalifat an Bedeutung gewinnt und somit der Nachkommenschaft von Ḥusayn Ibn Abi Ṭālib vorzuziehen ist.

Die Herrschaft des Mahdī wird eine gerechte Herrschaft sein, in der das islamische Recht umgesetzt wird. Die Dauer der Herrschaft ist nicht genau bekannt, da sich sowohl schiitische als auch sunnitische Quellen nicht einig sind und ihre Angaben intern auch stark variieren. Das Ziel der Herrschaft wird sein, die Welt zu reislamisieren und die „perfekte islamische Gesellschaft“ herzustellen. Nach dieser Herrschaft wird der Mahdī seine Aufgabe erfüllt haben und anschließend den Tod finden. Auf welchem Wege, wird durch die Überlieferungen nicht angegeben.

Über die Autorin: Najla Al-Amin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück. Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung der Ergebnisse ihrer Bachelor-Arbeit über die Mahdi-Vorstellung im sunnitischen und schiitischen Islam. Das Beitragsbild zeigt den al-Askari-Schrein in Samarra im Jahr 1916. An dieser Stelle soll der zwölfte Imam in die kleine Verborgenheit eingetreten sein. Quelle: Nordisk Familjebok (1916) vol.24, S.564.

 

 

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