09.12.2018
Gate of Tehran: Zeitgenössische iranische Musik in Berlin
Eine Performance beim Tadaex (Tehran Annual Digital Art Exhibition), bei dem House No. 4 aktiv im Bereich Musik mitgewirkt hat. Foto: Laura Overmeyer
Eine Performance beim Tadaex (Tehran Annual Digital Art Exhibition), bei dem House No. 4 aktiv im Bereich Musik mitgewirkt hat. Foto: Laura Overmeyer

Mehdi „Peter“ Pirhosseinlou lebt und arbeitet als Künstler in Teheran. Mit dem von ihm gegründeten Künstler*innen-Kollektiv „House No. 4“ organisiert er regelmäßig Konzerte und Festivals in der Hauptstadt und anderen Städten Irans. Nun bringen Peter und sein Team die zeitgenössische Musik-Szene Irans für ein Festival nach Berlin (14.-16. Dezember). Laura Overmeyer interviewte den Künstler für Alsharq.

GATE OF TEHRAN Days of Experimental Sounds (D.o.E.S.) by House No. 4  14.-16.12.2018, Silent Green Kulturquartier,Gerichtstraße 35, 13347 Berlin. Mit dabei sind iranische Künstler*innen aus Teheran, Berlin, London und Wien. Täglich finden sechs Performances statt, parallel dazu eine Ausstellung zu Iranian Digital Art. Darüber hinaus werden im Rahmen des Festivals Artist Talks veranstaltet, bei welchen das Publikum mit den iranischen Künstler*innen in direkten Austausch treten kann. Hier gehts zum Facebook-Event.

Alsharq: Peter, was genau ist „House No. 4“?

Mehdi „Peter“ Pirhosseinlou: Ursprünglich ist House No. 4 ein echtes Haus. Es liegt im Stadtzentrum von Teheran und trägt die Hausnummer 4. Für Teheraner Verhältnisse ist es ein recht altes Haus, etwa 100 Jahre, traditionell gebaut mit einem Innenhof. Es ist eine kleine Oase inmitten von Hochhäusern und Neubauten.

Ich fand es vor fünf Jahren und beschloss es gemeinsam mit einem Freund zu mieten. Wir beide waren zu dieser Zeit bereits als Künstler in Teheran aktiv: Er als Maler und Fotograf, ich als Musiker. Wir richteten ein Studio und eine Bühne im Haus ein und luden befreundete Künstler*innen ein, bei uns zu üben und praktizieren.

Unsere Tür stand immer offen und House No. 4 wurde nach und nach zu einem Treffpunkt der unabhängigen Kunstszene der Stadt. Es war ein bis dahin einzigartiger Ort, an dem Künstler*innen sich über Kunstgattungen und Genre-Grenzen hinweg frei austauschen, gemeinsame Projekte erarbeiten und auch private Verbindungen knüpfen konnten. Dieser Netzwerk- und Plattform-Charakter trägt das Projekt bist heute.

Das Projekt hat sich inzwischen jedoch über die Mauern des ursprünglichen House No. 4 ausgeweitet, richtig?

Ja, das Haus gibt es zwar immer noch als eine Art Hauptquartier, doch inzwischen sind wir als Künstler*innenkollektiv auch an anderen Orten tätig.

Wie kam es dazu?

Es begann damit, dass wir in unserem Haus vor allem Konzerte, aber auch Theateraufführungen, Ausstellungen und Workshops veranstalteten. Wir wurden professioneller. Das war nicht unser Ziel, es passierte einfach so. House No. 4 entwickelte eine Eigendynamik und für uns war das wie Magie!

Immer mehr Menschen kamen zu uns und der Platz reichte einfach nicht mehr aus. Deshalb mussten wir uns nach neuen Veranstaltungsorten umschauen. Und so gab es dann die ersten Konzerte und Musik-Festivals in kleinen privaten Galerien, Konzerthäusern, Bühnen, Cafés. Das war aber alles „underground“, also nicht offiziell angemeldet. Inzwischen sind einige unserer Veranstaltungen auch von den Behörden genehmigt.

Wo liegt der Unterschied zwischen der offiziellen und der „underground“ Szene in Iran?

Wenn man in Iran als Künstler*in offiziell auftritt, egal in welcher Kunstgattung, muss man die Arbeit von einer staatlichen Stelle überprüfen lassen. Zensur ist der Normalfall: Bücher, Theaterstücke, Liedtexte, Fotografien, Filme, Malerei – all dies darf weder aus politischer noch aus religiöser oder sonstiger Perspektive anstößig sein. Frauen sind besonders stark eingeschränkt was ihr öffentliches Auftreten angeht.

In der „underground“ Szene ist man freier in der künstlerischen Ausgestaltung, hat aber gleichzeitig viel weniger Reichweite und somit auch weniger Karriereaussichten. Die Grenzen verschwimmen jedoch, denn viele Künstler*innen sind sowohl offiziell als auch „underground“ tätig. Und auch als „underground“-Künstler*in muss man natürlich gewisse rote Linien beachten, denn letztlich kann man nie ganz im Verborgenen agieren.

Fühlst du dich dadurch nicht eingeschränkt in deinem künstlerischen Schaffen?

Nein, eigentlich nicht. Ich glaube Einschränkungen gibt es überall, auch wenn sie bei uns natürlich stärker sind. Aber wir Iraner*innen lernen von klein auf mit ihnen umzugehen. Ich persönlich akzeptiere die Situation und versuche, wie wir alle, flexibel und dynamisch mit ihr umzugehen.

Natürlich wäre ich manchmal gerne etwas freier – aber manchmal habe ich auch das Gefühl, dass die Situation, so wie sie ist, unser kreatives Potential steigert. Übrigens ist es in der letzten Zeit auch eher die wirtschaftliche Situation, die uns einschränkt, als die politische.

Peter Pirhosseinlou wurde 1978 geboren. Als Jugendlicher entdeckte er seine Leidenschaft für die Musik, seit 18 Jahren arbeitet er als professioneller Musiker in Teheran.

Wie hat sich die Musikszene Irans seit der Islamischen Revolution 1979 verändert und wo steht sie heute?

Vor der Islamischen Revolution gab es in Iran eine sehr aktive Pop-Szene mit einigen berühmten Sänger*innen. Es war jedoch, abgesehen von der „volksnahen“ traditionellen Musik, keine kreative partizipative Phase: Neben den wenigen Superstars existierte keine unabhängige Musikszene im Land. Durch die islamische Revolution und den achtjährigen Krieg mit Irak, brach die gesamte Kunstszene Irans völlig zusammen. Im Musikbereich wurde außer politisch-religiösen und patriotischen Kriegsliedern kaum etwas produziert. Viele der ehemaligen Superstars gingen ins Exil.

In den 90er Jahren begann die Kultur-Szene sich dann etwas zu erholen und in den frühen 2000ern wurde schon wieder mehr Kunst produziert. Einen richtigen Aufschwung erlebte die Szene in den letzten sieben bis acht Jahren. Das war eine Zeit, in der – auch dank politischer Lockerungen – insbesondere in Teheran private und unabhängige Veranstaltungsorte wie Pilze aus dem Boden schossen: Cafés, Theaterhäuser, Bühnen, Galerien. Und diese boten Raum für die Entwicklung einer unabhängigen Künstler*innen-Szene, auch im Bereich Musik.

Inzwischen hat Teheran eine sehr diverse und aktive Kultur-Szene. Jeden Tag gibt es Veranstaltungen. Das ist eine sehr positive und aufregende Entwicklung. Die Quantität ist dabei meiner Meinung nach besonders wichtig: Erstmal ging es uns darum, dass überhaupt Veranstaltungen stattfinden, dass es eine Vielfalt an Events gibt. Erst im nächsten Schritt geht es dann um Qualität. Wir entwickeln uns also von Quantität zu Qualität.

Hat House No. 4 eine tragende Rolle in dieser Entwicklung gespielt?

Das kann ich nicht wirklich bewerten, das müssten andere tun. Aber ich glaube schon, dass unser partizipatives und inklusives Projekt den Zeitgeist getroffen hat. Denn das tragende Element, was ich in der Kreativszene hier beobachte, ist der Zusammenhalt zwischen den Künstler*innen.

Eine Community wächst heran, die über Kunstformen und Genres hinweg geeint ist durch ihre Begeisterung und den Wunsch, gemeinsam etwas zu erschaffen. Offenheit, Partizipation und Austausch sind ungemein wichtig und die Basis, auf der House No. 4 steht. Geld und Bekanntheit, das ist zweitrangig für uns.

Wenn du auf die zeitgenössische Musikszene blickst, welche Genres sind da dominant?

Wie gesagt, die Szene ist sehr divers und Genres werden da auch gerne durchmischt. In der alternativen Musikszene, in der ich mich bewege, gibt es viel Jazz, Elektronisch und Experimentelle Musik, Rock, Punk… Das alles oft miteinander fusioniert und auch begleitet von visuellen oder darstellenden Elementen. Und natürlich hat auch die traditionelle iranische Musik einen großen Einfluss auf alle Stilrichtungen. Wir sind unserer Kultur sehr nahe und versuchen sie mit einzubinden.

Am kommenden Wochenende (14.-16. Dezember) organisierst du mit deinem Team das erste Mal ein Musikfestival außerhalb von Iran – und zwar in Berlin! Worum handelt es sich bei „Gate of Teheran – D.o.E.S.“?

D.o.E.S steht für Days of Experimental Sounds und ist ein Festival, das wir bereits vier Mal in Iran veranstaltet haben, das erste Mal 2016. Das Konzept ist weniger durch ein bestimmtes Genre als vielmehr durch einen bestimmten Ansatz charakterisiert: Die Künstler*innen sollen neu, kreativ und außerhalb der üblichen Gattungs- und Genre-Grenzen denken. Die tatsächlichen Performances fallen jedes Mal ganz unterschiedlich aus. Allgemein kann man sagen, dass Digital Art eine wachsende Rolle spielt. Aber die wichtigste Rolle spielen Kreativität und neue Ideen.

Und warum Berlin?

Oh, dafür gibt es einige Gründe. Es war immer ein Traum, die iranische Musikszene – von der außerhalb Irans kaum jemand eine Ahnung hat – einem internationalen Publikum vorzustellen. Zu zeigen, dass Iran noch mehr zu bieten hat als es die üblichen Schlagzeilen vermuten lassen. Deutschland hat sich als Pilotprojekt angeboten, da wir dort viele Freund*innen und damit einen Bezug zur deutschen Kulturszene haben. Wir haben auch schon Kooperationsevents mit deutschen Künstler*innen hier in Teheran veranstaltet und wurden von der Deutschen Botschaft unterstützt.

Das mit dem Festival jetzt hat sich dann irgendwie so ergeben: Vor sieben Monaten bin ich für eine Performance nach Berlin gekommen und habe dort einige Menschen und Organisationen kennen gelernt. Mit einem Freund aus Teheran, der seit einigen Jahren in Berlin lebt, habe ich darüber gesprochen, dort ein Festival zu veranstalten und er fand die Idee gut. Wir haben uns bei einer deutschen Stiftung um Fördermittel beworben und den Zuschlag erhalten.

Ohne die Unterstützung des House No. 4 Teams und vieler Freund*innen und Bekannten wäre dieses Projekt natürlich nie zustande gekommen. Ich glaube ganz fest daran, dass alles zur richtigen Zeit passieren wird, wenn man das tut, woran man wirklich glaubt.

Danke für das Interview!

 

Das Team von House No. 4 umfasst neben Peter: Majid Jamshidi, Parastou Manteghi, Pedram Babaiee, Sepideh Shayegan, Shaghayegh Haririan, Sina Cheraghi.

Tickets für das Festival "Gate of Tehran - Days of Experimental Sounds" findet ihr hier

Übrigens: Unsere Freund*innen von Alsharq REISE bieten im Februar eine einwöchige Reise nach Teheran an, die sich der Kunst- und Kulturszene der iranischen Hauptstadt widmen wird. Auch Peter und das Team von House No. 4 werden bei dieser Tour am Start sein.
Laura hat Islamwissenschaft, Soziologie und Entwicklungsstudien in Hamburg, Birzeit, Teheran und London studiert. Seit 2014 engagierte sie sich im Verein. Zunächst war sie vor allem im Bereich Magazin aktiv, inzwischen ist sie als Vorstandsmitglied vor allem in interne Kommunikations- und Organisations- prozesse eingebunden. Hauptberuflich...
Redigiert von Julia Nowecki