15.05.2014
Alsharq-Serie: Journalismus im und über den Nahen Osten - Chancen und Schwierigkeiten
Eine neue Alsharq-Serie beleuchtet den Journalismus im Nahen Osten und über die Region.
Eine neue Alsharq-Serie beleuchtet den Journalismus im Nahen Osten und über die Region.

Ab heute gibt es eine neue Serie auf Alsharq. Dabei wollen wir auf die Möglichkeiten und Schwierigkeiten eingehen, journalistisch über den Nahen Osten zu berichten. In einem kleinen Intro stellen wir Euch die Serie und deren Inhalte vor.

Die Schwierigkeiten, das haben wir schnell gemerkt, stechen unweigerlich hervor: Ob staatliche Restriktionen, die Komplexität der Region oder die eigenen Wissenslücken – alles Faktoren, die es schwierig machen, ebenso umfassend wie ausgewogen über den Nahen Osten zu berichten. Stattdessen sind viele Beiträge einseitig, tendenziös und oberflächlich. Obwohl wir versuchen, dem entgegenzuwirken, trifft diese Kritik teils auch auf unsere Artikel zu. Zum Beispiel berichten auch wir vor allem über negative Aspekte und Probleme, dabei gäbe es auch unzählige positive Themen hervorzuheben. Wenngleich wir nur ein kleiner Teil des Betriebes sind, so trägt auch Alsharq dazu bei, ein bestimmtes Bild des Nahen Ostens zu zeichnen.

Die Idee hinter dieser Serie ist deshalb zum einen, unsere eigene Arbeit zu hinterfragen. Alsharq ist ein junger Blog, der ehrenamtlich betrieben wird. Wir haben alle Regionalerfahrung, aber die gesamte Region ist natürlich mehr als die Länder, in denen wir leben oder gelebt haben. Wir kennen uns recht gut aus in Ägypten, dem Libanon, Iran, Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten. Aber im Sudan oder in Algerien dafür zum Beispiel kaum. Das bedeutet leider oft, dass manche Länder in unserer Berichterstattung zu kurz kommen. Die irakischen Parlamentswahlen Ende April haben bei uns zum Beispiel nicht stattgefunden. Unsere beschränkten Ressourcen sollten aber eigentlich nicht die Relevanz bestimmen, die einzelnen Themen zusteht. Doch können wir viele Themen nicht und andere erst dann aufgreifen, wenn in anderen Medien bereits über sie berichtet wurde.

Worum geht's?

Daher versuchen wir mit der Serie auch, journalistische Arbeit zum und im Nahen Osten aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Aktuelle Ereignisse und Entwicklungen in der Region stehen dabei im Mittelpunkt. Allen Schwierigkeiten zum Trotz gibt es viele Möglichkeiten, mehr voneinander zu lernen. Darauf wollen wir aufmerksam machen. Der wichtigste Punkt dabei ist, dass nicht „wir“ über „den“ Nahen Osten schreiben – weil wer „wir“ sind und was „den“ Nahen Osten ausmacht viel mehr vom gegenseitigen Austausch abhängt als von grundsätzlichen Unterschieden zwischen „uns“ bei Alsharq oder Deutschland und „dem“ Nahen Osten.

Schon seit langem schreiben daher Gastautorinnen und Gastautoren für Alsharq, darunter auch immer wieder Menschen aus dem Nahen Osten selbst, die ihre eigenen Perspektive beitragen. Diese wertvollen Kooperationen wollen wir auch in Zukunft ausbauen. So kommt zum Beispiel ein Beitrag zu dieser Serie von 7iber aus Jordanien, einer Plattform junger Journalistinnen und Journalisten. Die Situation in Ägypten nach dem Militärcoup schildert der ägyptische Photojournalist Roger Anis. Aus Beirut beschreibt uns Nabil Dajani die polarisierte libanesische Medienlandschaft. Außerdem berichten Experten aus Deutschland über ihre Erfahrungen vor Ort: Wie man immer wieder die Stereotypen im eigenen Kopf hinterfragt, erklärt uns etwa Markus Bickel, der Nahost-Korrespondent der FAZ. Zudem gibt es einen Beitrag von Reporter ohne Grenzen über die praktischen Grenzen und Räume für Pressearbeit.

Im Bemühen, einen gegenseitigen Austausch über den Nahen Osten anzuregen, müssen wir uns aber auch immer fragen, unter welchen Vorzeichen das geschieht und was das eventuell für unsere Berichte bedeutet. Wir verfolgen keine bestimmte politische Agenda, aber persönliche Eindrücke bringen wir dennoch unweigerlich in unsere Arbeit mit ein. Konkret wollen wir kritisch gegenüber Machtkungeleien sein und gleichzeitig glaubwürdig über zivile Alternativen berichten. Die Frage zum Verhältnis von Aktivismus und Journalismus, wie beides ineinandergreifen, sich aber auch behindern kann, behandeln wir in dieser Serie daher in Bezug auf Syrien. Dieses Thema liegt uns am Herzen. Wie gefährlich es ist, den Konflikt zur Konfrontation zwischen dem Assad-Regime und Islamisten zu reduzieren, heben wir darum besonders hervor.

Macht mit!

Wir hoffen, mit dieser Serie Euer Interesse am Nahen Osten – jenseits von Plattitüden und Stereotypen – zu bestärken. Dabei geht es auch kontrovers zu. So haben wir zum Beispiel Davidi Hermelin interviewt, der das israelische Institut für Public Policy und Hasbara leitet. Das Institut soll die israelische Regierungspolitik einer ausländischen Öffentlichkeit „erklären“, um so ein „positives Bild“ Israels zu fördern. Für seine Kritiker handelt es sich dabei allerdings um „zionistische Staatspropaganda“.

Es ist schwer, bei solchen Themen einer Meinung zu sein. Umso wichtiger ist es, einen Rahmen dafür zu finden, sich inhaltlich auszutauschen. Dass das bei offiziellen „Kulturdialogen“ jedoch nur sehr bedingt möglich ist, weil der „Austausch“ dort besonderen repräsentativen Kriterien entsprechen muss, haben wir bei einer Veranstaltung der saudi-arabischen Botschaft in Berlin erlebt. Auch darüber berichten wir in dieser Serie im Bestreben, andere Möglichkeiten zu finden, um mehr von Saudi-Arabien und dessen Bevölkerung zu erfahren.

Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Einige davon können wir vielleicht in einer nächsten Serie aufgreifen. Deshalb wäre es toll, wenn Ihr uns Eure Meinung zum Thema mitteilt: Braucht es mehr Vernetzung oder eher Professionalisierung, um besser über den Nahen Osten zu berichten? Wie können wir das Internet besser dafür nutzen? Gibt es einen einheitlichen Maßstab für die Berichterstattung – was gilt überall, was ist relativ? Wie lässt sich das über Grenzen hinweg vermitteln? Und welche Rolle spielen persönliche Erfahrungen dabei? Die Zielgruppe? Wer ist die überhaupt?

Wir freuen uns auf Eure Rückmeldungen und wünschen Euch eine gute Lektüre.

Johannes kam 2011 zu Alsharq und freut sich sehr, dass daraus mittlerweile dis:orient geworden ist. Politische Bildungsarbeit zur WANA-Region, die postkoloniale Perspektiven in den Vordergrund rückt und diskutiert, gibt es im deutschsprachigen Raum nämlich noch viel zu wenig. Zur gemeinsamen Dis:orientierung beschäftigt sich Johannes daher vor...