09.06.2017
Alsharq-Veranstaltungen: Graffiti in Iran, Politische Ökonomie der Hisbollah
"Unsere Gegner sind gut organisiert; wir müssen lernen, uns ebenfalls effektiv zu organisieren", sagte Joseph Daher (Mitte) bei der Veranstaltung zur Hisbollah. Links Christoph Dinkelaker, rechts Ansar Jasim. Foto: Tobias Pietsch
"Unsere Gegner sind gut organisiert; wir müssen lernen, uns ebenfalls effektiv zu organisieren", sagte Joseph Daher (Mitte) bei der Veranstaltung zur Hisbollah. Links Christoph Dinkelaker, rechts Ansar Jasim. Foto: Tobias Pietsch

Gleich zwei Mal lud Alsharq e.V. vor kurzem in Berlin zu Veranstaltungen. Die Themen: Street Art in Iran und die Hisbollah. Das Interesse war beide Male groß. Für alle, die nicht dabei sein konnten, berichten wir hier in Text und Ton.

Alsharq-Veranstaltung: „Writing on the City“ – Film und Diskussion

Wer schon einmal in Teheran war, kennt die Szene: Wandmalereien, Poster, Werbebanden, Graffiti – die iranische Hauptstadt mag voller Autos sein, aber sie ist auch eine einzigartige, große Leinwand für verschiedenste Bildformen. Ihren Entwicklungen während der vergangenen vierzig Jahren widmet sich Keywan Karimis Dokumentation „Writing on the City“ (Neveshtan bar shahr, 2016), die Alsharq e.V. nun in Berlin vorführte.

Woher er die aktuellsten Nachrichten beziehe? Von den Wänden selbstverständlich, antwortet der Passant im revolutionären Teheran auf die Frage des Reporters der BBC. Diese Szene aus der Dokumentation von Keywan Karimi unterstreicht am deutlichsten, welch zentrale Rolle dem öffentlichen Raum – genauer: den Wänden der Stadt – als gewissermaßen basisdemokratisches Medium im Iran jener Tage zukam. Es ist 1978/79 und die iranische Hauptstadt, aus der der britische Reporter berichtet, steckt mitten in den Tumulten der Revolution, die zum Sturz des Herrscherhauses Pahlavi führen wird. Die Straßen sind gesäumt von politischen Botschaften – von Slogans, angeschlagenen Postern, ikonografischen Skizzen wichtiger Persönlichkeiten wie Ali Shariati, Mahmud Taleghani oder Gholamreza Takhti.

Nicht ohne Grund wurde das Teheran dieser Beschreibung in der wissenschaftlichen Literatur als „museum of furious art“ bezeichnet, wie Sharqist Daniel Walter in seiner einleitenden Bemerkung den rund 50 BesucherInnen, die sich am 31. Mai in den Räumen der co.up Coworking-Projektes eingefunden hatten, darlegte. Nach der Eröffnung des Abends durch Alsharq-Vorstandsmitglied Tobias Pietsch waren es Daniel und Maryam Roosta, die durch die Veranstaltung führten. Herrschaftliche und religiöse Bilddarstellungen seien kein Phänomen des modernen Iran, sondern könnten bis zu den Palastreliefen der Achämeniden (ca. 550-330 v. Chr.) oder den Kaffeehausmalereien der Qadjaren (1897-1925 n. Chr.) zurückverfolgt werden. 

In der gut einstündigen Dokumentation, gefilmt zwischen 2012 und 2015, gelingt es Regisseur Karimi, mit unaufgeregten, in ihrer Collagenhaftigkeit und im Rückgriff auf Archivaufnehmen stellenweise an Adam Curtis erinnernden Bildern, eine nahbare Geschichte der Wände Teherans mit Landesgeschichte zu verquicken.

Die Revolution 1978/79, der Krieg gegen den Irak von 1980-88, der Wiederaufbau der Stadt in den 1990ern, die Entwicklung eines konsumbasierten Kapitalismus und die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten zehn Jahre stellen die Wegmarken des Filmes dar. Neben diesem historischen Abriss vollbringt es Karimi auf subtile Art, die Vielfalt und Widersprüche der Bildformen aufzuzeigen. Revolution neben Kommerz, idyllisches Dorfgemälde neben der fünfspurigen Autobahn – solche Szenen gehören in der Stadt mit ihren rund 13 Millionen Einwohnern zum Alltag.

Maryam machte in der anschließenden Diskussion deutlich, dass Street Art und Graffiti heutzutage noch immer vitale Formen der öffentlichen Kommunikation darstellen, wenngleich die Behörden sehr auf solche illegalen Aktivitäten achteten. Länger als einen Tag seien Graffitis in der Innenstadt in der Regel nicht zu sehen, bevor sie von offizieller Seite übermalt würden. Keywan Karimi (geb. 1985) war wegen „Writing on the City“ im Oktober 2015 zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, bevor er im April 2017 nach fünf Monaten vorzeitig aus der Haft entlassen wurde. Sein Spielfilmdebüt „Drum“ lief im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele in Venedig 2016.  

Veranstaltung: „Politische Ökonomie der Hisbollah“

  Die libanesische Hisbollah wird in aller Regel als militärische Kraft wahrgenommen – sei es im Konflikt mit Israel oder als Akteur im Syrien-Krieg. Dabei lohnt ein Blick auf die politische Ökonomie der „Partei Gottes“, die viel mehr als nur eine Miliz darstellt. Deshalb widmete sich Alsharq e.V. mit einer Podiumsdiskussion der sozio-ökonomischen Entwicklung der schiitischen Bewegung.

Joseph Daher ist nicht nur syrisch-schweizerischer Sozialwissenschaftler und Gründer des Blogs „Syria Freedom Forever“, sondern auch Verfasser des Buchs The Political Economy of Hisbollah. Und darum sollte es vor allem gehen, bei der Diskussion am 1. Juni in den Räumen des arabischen Bibliotheksprojekt بيناتنا/ Baynetna in Berlin. Etwa 75 Menschen kamen zur Veranstaltung, davon waren mindestens 30 arabisch-sprachig. Wir sind ein wenig stolz darauf, dass wir dank der Übersetzungskünste von Ansar Jasim, die gemeinsam mit Christoph Dinkelaker für Alsharq moderierte, dieses Thema Menschen mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen zugänglich machen konnten.

Hier kann man einen Audio-Mitschnitt von der Veranstaltung anhören. Eine Zusammenfassung der zweieinhalb Stunden hat Harald Etzbach für uns aufgeschrieben:

Die Hisbollah stellt sich selbst gerne als Widerstandsbewegung und Wächterin der islamischen Moral gegen weltliche Dekadenz dar. Inzwischen ist die „Partei Gottes“ aber auch ein politischer Akteur, sowohl in der Regierung als auch im Parlament des Libanon vertreten, außerdem auch eine Art Unternehmensdachverband, der über einige seiner Mitglieder einen bedeutenden sozio-ökonomischen Einfluss ausübt, sowie eine schlagkräftige militärische Miliz. Die Kämpfer der Hisbollah finden sich nicht nur in der Grenzregion zu Israel, sondern auch in Syrien, wo sie an der Seite des syrischen Regimes kämpfen. 

Für Joseph Daher ist die Hisbollah all das (politischer Akteur, Unternehmen, Miliz), aber auch eine Repräsentantin der schiitschen Bourgeoisie und eine Vertretung des Iran in der Region. Vor allem aber ist die Hisbollah seiner Meinung nach – ganz im Gegensatz zum von ihr proklamierten Selbstverständnis – zutiefst konterrevolutionär. Sie strebe keine Veränderung der politischen und ökonomischen Ordnung an, sondern versuche, im Rahmen des bestehenden Systems ihre vergleichsweise engen politischen Interessen durchzusetzen. Die reaktionäre Rolle der Organisation zeige sich auch in ihrer Gegnerschaft zu Protestbewegungen wie der Bewegung „You Stink“ im Sommer vor zwei Jahren. In Syrien hat die Hisbollah seit dem Beginn ihrer Intervention 2012/2013 etwa 1500 bis 2000 Kämpfer verloren. Der Einmarsch der Hisbollah in Syrien hat, so Joseph Daher, auch zu einer Verstärkung des Konfessionalismus im Libanon geführt, dort haben salafistische Gruppen mittlerweile einen verstärkten Einfluss. Die Hisbollah rechtfertigt ihren Kampf in Syrien mit der Verteidigung der Schia, tatsächlich gehe es aber schlicht darum, die iranischen Waffenlieferungen über den Landweg zu sichern, sagt Daher. 

Das Argument, der Hauptfeind sei doch eigentlich Israel, wird dabei zurückgedrängt mit dem Verweise auf die Existenz sunnitisch-dschihadistischer Gruppen in Syrien. Auch wenn die Hisbollah bisher von der Intervention in Syrien wirtschaftlich nicht profitiert habe, so könne sich dies in Zukunft ändern. So sei die Hisbollah etwa im Immobiliengeschäft engagiert und könne sich am „Wiederaufbau“ Syriens beteiligen. Wichtig sei aber vor allem der politische und kulturelle Einfluss, den die Hisbollah in Syrien künftig ausüben wolle. Das Hauptproblem in der gesamten Region sei, so Daher, die Schwäche der progressiven und demokratischen Alternativen zu den beiden Seiten der Reaktion (islamistische Gruppen auf der einen Seite, autoritäre Regime auf der anderen). Der Aufbau einer solchen Alternative und die Herstellung von Kontakten zwischen Aktivist*innen jenseits von nationalen und „ethnischen“ Grenzen sei die zentrale Aufgabe der politischen Linken in der Region. Unsere Gegner sind gut organisiert, so Daher, wir müssen lernen, uns ebenfalls effektiv zu organisieren.

Alsharq - das sind viele Menschen. Manchmal posten wir aber auch als Team, zum Beispiel bei Veranstaltungsankündigungen oder Dingen in eigener Sache.