28.01.2021
Angst vor dunklen Zeiten
Blick auf Haifa. Quelle: pixaby
Blick auf Haifa. Quelle: pixaby

In Haifa werden seit einigen Wochen vermehrt palästinensische Aktivist:innen verhaftet. Einer von ihnen ist der Satiriker Mohannad Abu Ghosh, der seit Tagen ohne Anklage festgehalten wird.

Der 25. Januar 2021 ist ein milder Wintertag in Israels Hafenstadt Haifa. Asmahan Ataya* macht sich früh morgens von ihren Eltern aus auf den Weg, um die Kinder noch vor der Arbeit ihrem Mann, Mohannad Abu Ghosh, zu übergeben. Er kümmert sich tagsüber meist allein um die beiden und steht mit ihnen das digitale Lernen in COVID-Zeiten durch.

Pünktlich um sieben Uhr biegt sie mit ihrem Kleinwagen in die Hillel-Straße ein. Die Straße liegt im Herzen von Haifas angesagtem Hipster-Viertel Hadar. Das Viertel ist bekannt für seine Kneipen und Cafés. Hadar ist auch einer der wenigen Orte in Haifa, wo die Mieten noch erschwinglich und das Ausgehen günstig ist. Israelis und Palästinenser:innen leben und arbeiten hier Tür an Tür.

Normalerweise befindet sich die Hillel-Straße bis mittags im Tiefschlaf. Doch als sich Ataya dem Haus nähert, in dem ihr Mann seine Arbeitsräume hat, ist überall Polizei und Blaulicht. Sie beschließt, weiter zu fahren, nicht anzuhalten. Fieberhaft sucht sie in Gedanken nach einer Erklärung. Aus den Augenwinkeln sieht sie, wie Mohannad von der Polizei abgeführt wird und befürchtet Schlimmes.

Denn seit Wochen geht die Angst um unter den Palästinenser:innen in Haifa. Immer wieder kommt es zu Verhaftungen von zumeist jungen, politisch engagierten Mitgliedern der Gemeinde. Sie werden entweder per Einschreiben auf die Wache bestellt oder direkt im Morgengrauen von der Polizei abgeholt. Da die Polizei eine Nachrichtensperre verhängt hat, gibt es keine genauen Zahlen. In den sozialen Medien finden sich um die zehn Zeugnisse von Aktivist:innen – zumeist aus Furcht und Scham anonymisiert - die verhaftet, verhört und anschließend entlassen wurden.

Eine neue Verhaftungswelle

Ein prominentes Beispiel ist der 30-jährige Journalist Majd Kayyal und sein Bruder Ward. Kayyal hat Philosophie an der Hebräischen Universität in Jerusalem studiert. Er schreibt unter anderem für das Online Magazin Middle East Eye. Für seinen Debütroman „Die Tragödie des Herrn Matar“ wurde er 2015 von der palästinensischen Qattan-Stiftung als Nachwuchsschriftsteller des Jahres ausgezeichnet.

Sein Bruder studiert Filmwissenschaften an einer Hochschule im Norden Haifas. Um sechs Uhr früh stürmte die Polizei mit 20 Mann das Haus der Familie oberhalb der berühmten Bahai Gärten in Haifa, durchsuchte die Zimmer der beiden Brüder, beschlagnahmte Computer und Handys und führte die beiden Männer ab. Eine Erklärung, warum ihre Söhne mitgenommen wurden, blieb die Polizei Majds Mutter Suhair schuldig. Noch am selben Abend waren die beiden wieder frei. Es lag nichts Handfestes gegen sie vor.

Trotzdem sitzt die Angst tief – insbesondere, weil jegliche Erklärung ausbleibt. Auch Abu Ghosh wurde bereits Anfang Januar ohne Angaben von Gründen vor den Augen seines Sohnes zu Hause festgenommen und nach einigen Stunden Verhör wieder auf freien Fuß gesetzt. Sein Computer allerdings blieb in Polizeigewahrsam.

Grundlage dieser Verhaftungen ist das sogenannte Emergency Powers (Detention) Law (Gesetz zu Verhaftungsbefugnissen in Notfällen). Demnach kann der Staat Israel, der sich laut Definition seit 1948 in einer ständigen Not- und Bedrohungslage befindet, jederzeit Menschen ohne Gerichtsverfahren und ohne das Recht auf eine:n Anwält:in in Verwaltungshaft nehmen kann.

Die aktuelle Verhaftungsserie erinnert dabei an die Zeit von Ameer Makhoul. Makhoul leitete in Haifa die große arabische Nicht-Regierungs-Organisation Ittijh und setzte sich aktiv für die Politisierung der palästinensischen Gemeinde in Haifa ein. Er wurde 2010 verhaftet. Auf Anfrage des israelischen Geheimdienstes wurde seine Verhaftung unter eine Nachrichtensperre gestellt – aus Sicherheitsgründen und auf Grundlage des Emergency Power (Detention) Laws.

Erst eine Woche nach dem Gerichtsurteil – 10 Jahre Haft – wurde die Nachrichtensperre teilweise aufgehoben. Es wurde bekannt, dass Makhoul Spionage für die Hisbollah vorgeworfen wurde. Für viele Palästinenser:innen aus Haifa klang dieser Vorwurf konstruiert und sein Geständnis erpresst. Viele kritische Stimmen dieser Zeit verstummten aus Angst vor weiteren Verhaftungen.

Mohannad Abu Ghosh – der satirische Aktivist

Mohannad Abu Ghosh, der am 25. Januar verhaftet wurde, schreibt kritische Texte. 1977 geboren und aufgewachsen in Ost-Jerusalem, wird er zum Kind der palästinensischen Intifadas. Seine Jugend verbringt er demonstrierend auf den Straßen der Heiligen Stadt. Hier wird er politisiert. Er lehnt sich auf gegen die israelische Besatzungsmacht, die in Ost-Jerusalem fast übermächtig scheint.

Bereits als Jugendlicher wird Abu Ghosh immer wieder verhaftet. Unter Folter werden Namen und Geständnisse von ihm erpresst. Er studiert englische Literatur an der Birzeit Universität in Ramallah. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Übersetzter für Arabisch, Hebräisch und Englisch. Doch seine Leidenschaft ist das Schreiben.

Aufgrund seiner sogenannten Jerusalem ID hat Abu Ghosh zwar ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Israel, ist aber kein Staatsbürger. Für Reisen ins Ausland muss er Ausreise- und Wiedereinreisegenehmigung des Außenministeriums beantragen, die nur auf Grundlage von Einladungen und ausreichenden, finanziellen Mitteln erteilt werden. Oft ein Ding der Unmöglichkeit.

Um frei schreiben zu können, gründet Mohannad Anfang der 2000er-Jahre den Blog Wahad Ifteradi (jemand virtuelles). Hier nimmt er alle aufs Korn: Die palästinensische Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, die Türkei, den Libanon. Scharfzüngig und mit dem Blick fürs Detail, arbeitet er sich an den politischen Herrschern in WANA ab. Keiner bleibt von seinem Spot verschont. Was Alaa Abu Diab auf der Bühne ist, das ist Mohanned Abu Ghosh auf dem Papier. Die beiden sind nicht ohne Grund befreundet.

Nach der Verhaftung am Montag legte Abu Ghoshs Anwalt am Dienstag Einspruch gegen die Inhaftierung ohne Anklage ein. Das Gericht in Haifa lehnte diese ab. Grundlage war eine Konsultation von israelischen Geheimdienstmitarbeiter:innen, die unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Abu Ghoshs Anwalt stattfanden.

Am Dienstagabend versammelten sich Mitglieder der Gruppe Hirak Haifa, zu der auch Mohannad Abu Ghosh gehört, zu einer Demonstration vor dem Gerichtsgebäude in Haifa. Hirak Haifa ist ein Zusammenschluss von politischen Aktivist:innen, die sich unter anderem  für die Rechte politischer Gefangenen auf ein Gerichtsverfahren einsetzen. Vor dem Gerichtsgebäude wollen sie ihre Solidarität bekunden und zeigen: Abu Ghosh ist nicht allein. Er ist Teil der palästinensischen Gemeinschaft in Haifa. Er ist eine Stimme, die nicht vergessen wird.

Zu diesem Zeitpunkt ist unbekannt, wo Mohannad Abu Ghosh inhaftiert ist. Sein Anwalt durfte bisher nicht zu ihm.

 

* Name von der Redaktion geändert

 

 

Redigiert von Anna-Theresa Bachmann, Johanna Luther