01.03.2019
Auf der Suche nach der Ursuppe des Islam
Überreste der sassanidischen Hauptstadt Ktesiphon im heutigen Irak. Aufgenommen 1932. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ctesiphon,_Iraq,_1932.jpg#/media/File:Ctesiphon,_Iraq,_1932.jpg
Überreste der sassanidischen Hauptstadt Ktesiphon im heutigen Irak. Aufgenommen 1932. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ctesiphon,_Iraq,_1932.jpg#/media/File:Ctesiphon,_Iraq,_1932.jpg

Vieles ist über den Propheten Muhammad, seine Gefährten und Nachfolger bekannt, aber nur wenig über das Umfeld, in dem sie sich bewegten. Der Althistoriker Glen W. Bowersock publizierte daher ein Buch, in welchem er gut leserlich den bisherigen Forschungsstand über die Jahre 560-660 n. Chr. zusammenträgt. Von Andreas Vogl

Dies ist ein Beitrag unserer Alsharq-Reihe Re:zension. Seit Mai 2018 stellen wir regelmäßig ein neu erschienenes Buch vor, das wir für besprechenswert halten. Wenn Ihr Vorschläge für solche Werke habt oder mitmachen wollt, schreibt uns gerne an [email protected].

Die Römer nannten den Süden der arabischen Halbinsel, dort, wo heute Jemen und Oman liegen, Arabia Felix – glückliches Arabien. Der Export von Weihrauch und anderen Produkten wie Tierhäuten bescherte den Menschen Wohlstand. In Abwesenheit eines starken Reiches im Inneren weckte die arabische Halbinsel daher Begehrlichkeiten bei den großen Nachbarn: dem christlichen Königreich von Axum im heutigen Äthiopien, dem ebenfalls christlichen oströmischen Reich, auch als Byzantinisches Reich bekannt, und dem altpersischen zoroastrischen Sassaniden-Reich. Alle drei waren mal mehr, mal weniger präsent und hatten vor Ort ihre Verbündeten. Und alle drei beeinflussten die Entstehung einer neuen Religion.

Der dunkle Fleck

Was genau sich in diesem umkämpften Teil der Welt zwischen 560 und 660 n. Chr. zugetragen hat, liegt weitgehend im Dunkeln. Glücklicherweise gibt es immer wieder kurze Zeitspannen, die den großen dunklen Fleck an kleinen Stellen erhellen. Die Aktivitäten der Sassaniden nach dem Tod des byzantischen Kaisers Mauritius im Jahre 602 und die Jahre der sogenannten vier rechtgeleiteten Kalifen, der Nachfolger Muhammads, 632-661 seien hier als Beispiele genannt. Aber selbst diese Stellen leuchten nicht durchweg hell. Wissenslücken wie die genaue Entstehung des Korans trüben unsere Sicht auf die Dinge.

Über das bisher Bekannte gibt der Althistoriker Glen W. Bowersock in seinem Buch Die Wiege des Islam (englischer Originaltitel: The Crucible of Islam) aus dem Jahr 2017 einen Überblick. Der emeritierte Harvard-Professor verwendet darin die neuesten Forschungsergebnisse der Philologie und der Archäologie. In neun Kapiteln auf 139 Seiten skizziert Bowersock den bisherigen Forschungsstand, die zur Entstehung des Islams publiziert wurden, und bewertet diese.

Bowersock beginnt seinen historischen Überblick chronologisch mit dem arabischen Reich König Abrahas, der sich zum Herrscher der äthiopischen Eroberungen auf dem Gebiet des heutigen Jemen aufschwang und anschließend unabhängig von seinem eigentlichen äthiopischen Befehlsgeber Kālēb regierte. Eine Jahreszahl fehlt an dieser Stelle leider. Anlass für die äthiopischen Eroberungen war 523 ein Massaker von himyarischen Juden, einem Reich auf dem Gebiet des heutigen Jemen, an Christen in Nadschrān, im heutigen Südwesten Saudi-Arabiens.

Die Juden, traditionell enge Verbündete der persischen Sassaniden, standen nun unter christlicher Herrschaft. Abraha versuchte, das Christentum unter anderem durch den Bau von Kirchen und einen erfolglosen Angriff auf Mekka, zu verbreiten. Abrahas Söhne zeigten sich weniger geschickt in der Verwaltung des Reiches, weshalb im Süden der Arabischen Halbinsel bald wieder jüdische Stämme im Schulterschluss mit den Sassaniden die Macht übernahmen. Dies war, wie Bowersock schreibt, „Für die Christen [...] keine gute Zeit.“

Äußere Kräfte wirkten auf Muhammad

Ebenfalls beleuchtet Bowersock den interessanten Glauben der polytheistischen Araber, die an eine Hierarchie von Göttern mit einem obersten Gott ähnlich Zeus glaubten. Anschließend folgt das spätantike Mekka, das unter anderem zum christlichen Reich von Axum in Äthiopien gute Kontakte unterhielt. Die religiöse Landschaft war ebenfalls sehr plural: christliche, jüdische und polytheistische Kulte bildeten das Geflecht, in welchem Muhammad als Prophet auftrat. Dass die Araber zu dieser Zeit empfänglich für eine neue religiöse Botschaft waren, belegen weitere Propheten, die während und nach Muhammads Lebzeiten ebenfalls auf der arabischen Halbinsel mit ähnlicher Botschaft auftraten.

Die äthiopische Präsenz in Arabien war zur Geburt Muhammads um 570 zwar schwach, aber „ein schlafender Riese“. Muhammads Botschaft von einem Gott wurde in Äthiopien positiv aufgenommen, sodass 615 eine Gruppe von Muhammads Anhängern dort sogar Asyl erhielt. Zur selben Zeit, 614, entrissen die Perser mit Hilfe jüdischer Verbündeter Byzanz die Herrschaft über Jerusalem und vertrieben Christen aus der Stadt.

Die Auswanderung Muhammads von Mekka nach Medina 622 stellt Bowersock mit Verweis auf den Arabisten Michael Lecker von der Hebrew University of Jerusalem in einen größeren Kontext. So habe das Byzantinische Reich die „arabische Flanke“ der Sassaniden zu schwächen versucht. Um den sassanidischen Einfluss auf die jüdische Bevölkerung in Medina zu mindern, habe der byzantinische Herrscher Heraklius sie daher stärker in ihr Umfeld einbetten wollen. Dies habe nur mit Muhammads Präsenz in der Stadt und dem Gemeinschaftsvertrag von Medina gelingen können. Also überzeugten arabische Klienten von Heraklius die Medinenser, Muhammad einzuladen. Im Jahr der Auswanderung griff Heraklius dann die Sassaniden an.

Eroberungen und eine Botschaft

Später stützt sich Bowersock auf neue Erkenntnisse der Archäologie, die untermauern, dass die frühen Eroberungen der Muslime nach Muhammad größtenteils friedlich verliefen. Zerstörungen sind kaum nachweisbar, das Leben blieb größtenteils intakt. Das letzte Kapitel ist dem Felsendom in Jerusalem gewidmet. Damit habe der Erbauer, der Kalif ʿAbd al-Malik, unter anderem versucht, die Christen zu bekehren. Die Inschriften richten sich gegen die Trinitätslehre, ein auch unter Christen heiß diskutiertes theologisches Konzept. Diejenigen, die sich dagegen wandten, wollte ʿAbd al-Malik erreichen.

Das Buch ist ein gelungenes Werk. Negativ fallen lediglich Kleinigkeiten auf, beispielsweise, dass es keine Übersicht zur Umschrift des Arabischen gibt und dass diese Umschrift zumindest an einer Stelle fehlerhaft ist: amīr al-muʾminim statt amīr al-muʾminīn (S. 102).

Wünschenswert wäre auch das ein oder andere Beispiel für die Verfolgung von Juden durch Christen gewesen. Bowersock schreibt dazu lediglich, dass das Königreich Himyar mit der Konversion zum Judentum im 4. Jahrhundert der Religion eine militante Form gab. Zur selben Zeit nahm das äthiopische Reich von Axum das Christentum an. So kam es dann zu „Bruderkriegen“ zwischen Juden und Christen auf der arabischen Halbinsel, angefacht auch von den Kriegen zwischen Byzanz und den Sassaniden. In diesem Kontext erwähnt Bowersock lediglich Massaker der himyarischen Juden an Christen.

Trotz dieser Kritikpunkte ist Bowersocks Buch durchweg zu empfehlen. Knapp aber fundiert und gut leserlich beschreibt Bowersock das Umfeld, aus welchem der Islam hervorgegangen ist. Es richtet sich an eine breite und interessierte Leserschaft, die eine Einführung in die Thematik oder eine Übersicht über den Forschungsstand wünscht. Es sollte daher in die Leseliste von Einführungsveranstaltungen der Altorientalistik und der Islamwissenschaft aufgenommen werden. Fachleser*innen, die neue Erkenntnisse erwarten, werden dagegen keine Überraschungen vorfinden.

Andi hat im Bachelor Islamischer Orient und im Master Islamwissenschaft in Bamberg studiert. Auslandsaufenthalte im Jemen, in Iran, Ägypten und Tadschikistan. Seit Oktober 2018 promoviert er an  der BGSMCS in Berlin zur Nacktheit im Islam. Bei dis:orient ist er seit 2017 aktiv. Interessensschwerpunkte sind Korankommentare, der Körper im...
Redigiert von Bodo Weissenborn, Julia Nowecki