17.12.2014
Bashar al-Assad als Verbündeter im Kampf gegen ISIS?
"Keine Waffen für al-Assad" - Abgeordnete der Grünen-Fraktion im Europaparlament im Jahr 2012. Mittlerweile scheint es wachsende internationale Unterstützung für ein Bündnis mit dem syrischen Diktator zu geben. Bild: GreensEFA - Flickr (CC-BY-2.0).
"Keine Waffen für al-Assad" - Abgeordnete der Grünen-Fraktion im Europaparlament im Jahr 2012. Mittlerweile scheint es wachsende internationale Unterstützung für ein Bündnis mit dem syrischen Diktator zu geben. Bild: GreensEFA - Flickr (CC-BY-2.0).

Vermehrt melden sich Befürworter einer Kooperation mit dem syrischen Regime zu Wort. Rechtfertigt die Bedrohung durch die Terrormiliz einen solchen Schritt? Selbst wenn man letztere besiegen könnte: Hilft das, den Frieden in Syrien wieder herzustellen? Von Haid Haid

„Mittlerweile muss den Verteidigungsministern im Westen klar sein, dass es nur eine ernstzunehmende Streitmacht in Syrien gibt, die in der Lage ist, ISIS zu bekämpfen – und das ist das syrische Militär. Die Syrer (oder vielmehr das syrische Militär) haben alle Asse im Ärmel behalten ...“ (Kamal Alamal, Institute of Statecraft).

Ansichten wie diese sind in diplomatischen Kreisen geläufig. Neu ist aber, dass nun nicht mehr ausschließlich die Unterstützer und Verbündeten Bashar al-Assads, sondern auch andere internationale und regionale Politiker und Experten solche Aussagen tätigen. Der Feldzug gegen den Terrorismus schwächt die Entschlossenheit, Assad zu stürzen. Dies resultiert aus der Wahrnehmung, dass die internationale militärische Koalition gegen den selbsterklärten "Islamischen Staat im Irak und Groß-Syrien" (ISIS) ihre Ziele nicht erreicht und dass sie keine schlagkräftigen Partner hat, die die Arbeit der Koalition vor Ort zu Ende führen können.

Militärischer Sieg

Zumindest für manche ist eine Allianz mit Assad erstrebenswert, weil sie einen militärischen Sieg herbeisehnen, für den Assad der geeignetste Partner scheint. Er verfügt über eine starke Armee mit zentraler Kommandostruktur, mehr als genug Erfahrung bei der Bekämpfung terroristischer Organisationen und ist weiterhin die höchste Autorität im Land. Um beurteilen zu können, ob Assad tatsächlich ein militärischer Verbündeter sein könnte, muss man die Militäroperationen des Regimes während des Konfliktes genauer betrachten.

Assad begegnete den Bürgern, die in friedlichen Demonstrationen politischen Wandel verlangten, mit militärischer Gewalt – ein Vorgehen, das schon bald zu einem bewaffneten Konflikt führte. Doch trotz des massiven Militäreinsatzes konnte er der Freien Syrischen Armee (FSA) vielerorts nicht die Stirn bieten. Um den Status Quo überhaupt aufrechterhalten zu können, sah sich Assad gezwungen, immer mehr Unterstützung von den von ihm geschaffenen lokalen Milizen einzufordern, den Shabiha, die mittlerweile National Defense Force genannt werden. Zudem rief er die Baath-Brigaden sowie ausländische Kämpfer von der libanesischen Hisbollah, den irakischen Abou Fadl al-Abbas-Brigaden und Splittergruppen der iranischen Revolutionsgarden zur Hilfe.

Das Scheitern von Assads Bemühungen zeugt vor allem davon, dass die Regimetruppen geschwächt sind, weil so viele desertiert sind und die zentrale Kommandostruktur erodiert ist – eine Entwicklung, die durch weitere Faktoren beschleunigt wird: Immer mehr eigenständig handelnde „Warlords“ sind in den Reihen der Armee entstanden; gleichzeitig umgehen immer mehr Syrer den Militärdienst. Rekruten, die aus regimefeindlichen Regionen stammen, haben immer weniger Vertrauen in das Regime und es ist ein immer größerer Kraftakt, militärische Siege zu erzielen und eroberte Gebiete zu sichern. Daher ist es der Armee trotz der enormen militärischen Unterstützung in Form von Kämpfern und Waffen, die Assads Verbündeten ihm weiterhin regelmäßig zukommen lassen, nicht möglich, die bewaffneten Oppositionsgruppen zu besiegen – Gruppen, denen es ihrerseits an Erfahrung und Waffen mangelt, die untereinander verfeindet sind und die weder eine klare Organisationstruktur noch eine zentrale Führung haben.

Was den Kampf gegen ISIS betrifft, ist augenfällig, dass Assads Armee nur wenige Kämpfe gegen die Gruppe geführt hat. Beide vermeiden nach Möglichkeit die Konfrontation. Das liegt maßgeblich daran, dass ISIS sich in Regionen ausgebreitet hat, die sich nicht mehr unter Kontrolle des Regimes befinden. ISIS verfolgt in erster Linie die Strategie, andere Oppositionsgruppen zu vertreiben und von ihnen Gebiete zu übernehmen. ISIS' Präsenz ist ein willkommener „Beleg“ für die Behauptung des Regimes, dass sich in Syrien ein Kampf zwischen einem säkulären Regime und terroristischen Gruppen abspiele. Betrachtet man die wenigen Auseinandersetzungen zwischen ISIS und dem Regime, ist augenfällig, dass zumeist ISIS die Initiative ergreift – vor allem in Raqqa, Deir ez-Zor und Homs – und dass ISIS daraus bislang mehrmals siegreich hervorging (zum Beispiel am Luftstützpunkt Tabqa, an der Brigade-93-Armeebasis und an der Basis der 17. Division). An diesen Orten ging es ISIS darum, Kontrolle über strategische Standorte zu erlangen und nicht darum, das Regime an sich niederzuringen. So gesehen ist es höchst unwahrscheinlich, dass das Regime je den militärischen Sieg über ISIS suchen (oder erringen) wird oder dass es in der derzeitigen Konstellation seine Gebiete auch nur halten kann.

In die falschen Hände

Was den Westens am meisten daran hindert, die „moderate Opposition" zu bewaffnen, die Assad militärisch besiegen will, ist die Angst, dass Waffen in die Hände von Extremisten fallen könnten. Trotz Zusicherungen, dass dies nicht geschehen würde, besteht noch immer kein Konsens darüber, welche praktischen Schritte eingeleitet werden sollten. Das erklärt, weshalb bis heute keine nennenswerten Waffenlieferungen erfolgt sind, die die Opposition dabei unterstützen könnten, die Machtverhältnisse in Syrien maßgeblich zu beeinflussen.

Stellen wir uns aber einmal vor, dass die eifrigen Unterstützer Assads vom Regime die gleichen Zusicherungen verlangen würden – dass Waffenlieferungen nicht in die Hände terroristischer Gruppen fallen würden - so wäre das Ergebnis von vornherein absehbar. Das syrische Regime blickt auf eine langjährige Politik der Förderung terroristischer Gruppen zurück. Nach dem amerikanischen Einmarsch in den Irak 2003 duldete und unterstützte der syrische Geheimdienst jihadistische Gruppen bei deren Operationen im Irak. Bereits in den 1980er-Jahren spielte das Regime beim Einfädeln terroristischer Angriffe auf den Westen eine Rolle.

Nach 2011 blieben Tausende politischer Dissidenten, die bei friedlichen Demonstrationen festgenommen worden waren, hinter Schloss und Riegel, wohingegen Hunderte Extremisten vom Regime aus dem Gefängnis in Sednaya entlassen wurden. Viele von ihnen traten jihadistischen Gruppen bei oder wurden zur treibenden Kraft in deren Entstehung. Ein weiteres schlecht gehütetes Geheimnis ist die Rolle, die das Regime jahrzehntelang bei der Förderung von Waffenlieferungen an die Hisbollah spielte, deren militärischer Flügel am 22. Juli 2013 von der EU als terroristische Organisation eingestuft wurde. In der Vergangenheit hat das Regime mit terroristischen Organisationen und bewaffneten nicht-staatlichen Akteuren kooperiert, um damit Druck gegen andere Staaten auszuüben und sich einen politischen Vorteil zu verschaffen. Es ist unwahrscheinlich, dass Assad seine Strategie ändert. Wahrscheinlich ist vielmehr, dass er mit Waffenlieferungen an die Hisbollah fortfährt, da dies eine Bedingung für die anhaltende militärische und finanzielle Versorgung des Regimes aus Iran ist – ein Grundstein für das militärische Überleben Assads.

Fehlende Unterstützung

ISIS zu zerschlagen wird eine Anstrengung auf mehreren Ebenen erfordern. Wer ISIS ernsthaft bekämpfen will, muss einen Keil zwischen ISIS und die sunnitische Gemeinschaft treiben und Sunniten motivieren, sich dem Kampf gegen ISIS anzuschließen – in militärischer Hinsicht, aber auch in moralischer Hinsicht dahingehend, dass sie dem extremistisch-religiösen Diskurs der Organisation mit einem gemäßigten sunnitischen Diskurs entgegensteuern. Zugleich muss an den tief verwurzelten politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Problemen gearbeitet werden, die ISIS zum Aufstieg verhalfen. Letztlich muss eine stabile regionale und internationale Kooperation gefördert werden, um ISIS zu isolieren und die Organisation von ihrer Versorgung abzuschneiden.

Ohne die Unterstützung der sunnitischen Gemeindschaft besteht kaum eine Chance, den Kampf gegen ISIS zu gewinnen – das scheinen alle Versuche, in der Vergangenheit extremistischen Gruppen in Syrien zu begegnen, zu belegen. Positives Beispiel hierfür ist die Vertreibung von ISIS aus den ländlichen Regionen um Aleppo und Idlib sowie aus Ghouta am Stadtrand von Damaskus durch Oppositionsgruppen zu Beginn dieses Jahres. Ebenso die Erfolge, die die Milizen der sunnitischen „Söhne Iraks“ zwischen den Jahren 2006 und 2008 gegen al-Qaida erzielten.

Eine Allianz mit Assad wird die sunnitische Gemeinschaft nicht für den Kampf gegen ISIS gewinnen, sondern vielmehr dazu beitragen, dass sich noch viel mehr Menschen ISIS anschließen oder die Organisation zumindest gegen Assad unterstützen. ISIS stellt es so dar, als ob die neue internationale militärische Koalition dem (sunnitischen) Islam – nicht ISIS – den Krieg erklärt hat. Eine Zusammenarbeit mit Assad und Iran würde diesen Eindruck verstärken.

Die Feindseligkeit zwischen dem Regime und einigen regionalen und westlichen Staaten hat sich so verstärkt, dass es schwierig ist, sich eine erfolgreiche regionale und internationale Anti-Terrorismus-Koalition vorzustellen, die mit dem Regime kooperiert. Die wichtigsten regionalen Akteure – die Türkei, Saudi-Arabien und Qatar – würden es als persönliche Niederlage erachten, wenn Assad an der Macht bliebe. Die Türkei beispielsweise knüpfte ihre Unterstützung der internationalen Koalition an die Bedingung, dass die USA Assads Sturz erzwänge – ähnliches gilt auch für andere internationalen Akteure.

Die Herstellung von Sicherheit und die Verwaltung das Landes

Ob Assad wieder für Sicherheit sorgen und das Land verwalten können wird, hängt davon ab, ob es ihm gelingt, sein Regime wiederzubeleben, die Beziehungen mit seinen Verbündeten aufrechtzuerhalten und eine Lösung für den syrischen Konflikt zu finden, die es Flüchtlingen und Vertriebenen erlaubt, zurückzukehren. Angesichts dessen, dass es in den letzen dreieinhalb Jahren an vertrauensfördernden Maßnahmen gefehlt hat, ist schwer vorstellbar, wie jetzt noch Vertrauen geweckt werden könnte. Solch ein Vorgehen würde zu Zerwürfnissen in den inneren Kreisen des Regimes führen und es so maßgeblich schwächen, da die Architektur des Regimes starr ist: Jede kleine Veränderung in seiner Struktur wird eine Auswirkung auf das Regime als Ganzes haben.

Eine tragbare politische Lösung für den Konflikt wird bedingen, dass dem Regime – zusammen mit der sogenannten „patriotischen Opposition“ (die ausschließlich lokale politische Opposition, die nicht auf eine ausländische Intervention hinwirkt) – zumindest ein Teil der Macht zufällt. Über die gesamte Dauer des Konfliktes in Syrien hat das Regime aber nie ernsthaft versucht, mit der „patriotischen Opposition“ auch nur zu kommunizieren. Stattdessen hat es die meisten Anführer der Zivilgesellschaft und viele Angehörige der „patriotischen Opposition“ getötet, gefoltert und gefangengenommen.

Der Glaube, dass das Regime in der Lage ist, das Land zu verwalten, speist sich daraus, dass es trotz der Herausforderungen, mit denen es konfrontiert ist, in den von ihm kontrollierten Gegenden weitgehend fortfährt, als wenn es keinen Krieg gäbe und nichts wäre. Weshalb also sollte es nicht in der Lage sein, das auch in anderen Landesteilen zu tun? Diese Vorstellung ignoriert vieles, vor allem, dass sich die Verfügbarkeit und Qualität von Dienstleistungen für syrische Bürger im ganzen Land katastrophal verschlechtert haben. Die Infrastruktur insbesondere im Gesundheits- und Bildungssektor ist empfindlich getroffen, ganz zu schweigen von den Verschlechterungen im industriellen und Dienstleistungssektor.

Laut Vereinten Nationen benötigten am 17. Juni 2014 10,8 Millionen Menschen, ungefähr die Hälfte der syrischen Bevölkerung, humanitäre Hilfe. Die Rückführung syrischer Flüchtlinge und Vertriebener ist eine der Prioritäten der internationalen Gemeinschaft. Im Falle einer internationalen Allianz mit Assad spricht für einen Großteil der Menschen vieles gegen die Rückkehr in ihre Heimat: Angst vor Verhaftungen und Verfolgungen durch die Geheimdienste und assadtreue Milizen; die Sicherheitslage wird in weiten Teilen des Landes weiterhin instabil sein und durch einen militärischen Sieg ist Assad nicht vor weiteren bewaffneten Angriffen durch oppositionelle Kräfte mit regionaler und wahrscheinlich auch internationaler Unterstützung gefeit. Solange die Sicherheitslage schlecht ist, wird es an Investitionen mangeln. Assads Unterstützer werden insbesondere im wirtschaftlichen Bereich eine Belohnung für ihre Treue einfordern, sodass offen verfügbare Arbeitsplätze fehlen werden. Diese Umstände werden dazu führen, dass viele Syrer weiterhin auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden.

Fazit

Oft hört man, dass Politik und Moral sich nicht vertragen – üblicherweise, um strategische politische Entscheidungen zu entschuldigen, die sich über jegliche moralische Normen hinwegsetzen. Das ist auch im Falle der Erwägungen zu einer Kooperation mit Assad der Fall, wenn er als das „kleinere Übel“ zweier Möglichkeiten gehandelt wird. Wer für eine Kooperation mit Assad plädiert, übergeht zwei Dinge. Zum einen, dass Bashar al-Assad ein schwacher Diktator ist, der die an ihn gestellten Erwartungen nicht erfüllen können wird. Zum anderen, dass es nicht nur zwei sondern weitere Optionen gibt – nur sind sie komplizierter. Assad war und bleibt Teil des Problems und sein Fall ist der erste Schritt zur Lösung des Konfliktes.

Haid Haid ist Programmmanager im Regionalbüro der Heinrich Böll Stiftung in Beirut. Zuvor arbeitete er als "senior community services-protection assistant" im UNHCR-Büro Damascus. Er hat einen Master of Arts in Sozialpolitik und Entwicklung, ein Postgraduiertendipolm in Beratung und einen Bachelor of Arts in Soziologie.

Übersetzt aus dem Englischen von Christine F.G. Kollmar

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