10.07.2017
Die Folgen von 1967 in Ägypten: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg
Auch nach dem offiziellen Kriegsende kam es noch über Jahre zu Kampfhandulungen entlang der ägyptisch-israelischen Front. Hier der Luftangriff eines ägyptischen Kampffliegers auf israelische Stellungen im Sinai im Jahr 1967, genaues Datum unbekannt. Foto: unbekannt, gemeinfrei.
Auch nach dem offiziellen Kriegsende kam es noch über Jahre zu Kampfhandulungen entlang der ägyptisch-israelischen Front. Hier der Luftangriff eines ägyptischen Kampffliegers auf israelische Stellungen im Sinai im Jahr 1967, genaues Datum unbekannt. Foto: unbekannt, gemeinfrei.

Während Israel das Ende des Juni Krieges 1967 als maßgeblichen Erfolg der jungen Geschichte des Landes feierte, herrschte auf der arabischen Seite Fassungslosigkeit und Trauer. Insbesondere für Ägypten unter Gamal Abdel Nasser markierte das Kriegsende eine Zäsur.

Dieser Text ist Teil einer Serie zum Krieg von 1967. Die Folgen des Krieges für Israel haben wir hier skizziert. Alle Beiträge der Serie findet Ihr hier

Tagelang hatten die arabischen Kriegsparteien im Juni 1967 Falschmeldungen und Beschönigungen über den Kriegsverlauf verbreitet. Mit Ende des Krieges am 10. Juni 1967 offenbarten sich allerdings die wirklichen Konsequenzen1. Die Führungsebenen in Damaskus und Kairo waren sich darüber im Klaren, dass man unter gewissen Bedingungen, etwa mit Unterzeichnen eines Friedensvertrages und der Anerkennung des israelischen Staates, die Sinai-Halbinsel und die Golan-Höhen zurückerhalten würde. Sie lehnten diesen Schritt allerdings ab, da ihre oberste Priorität darin bestand, auf Finanzhilfen aus den anderen arabischen Staaten – vorwiegend aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten – zu hoffen, um ihre jeweilige Wirtschaft wieder anzukurbeln.2

Die solidarische Erklärung folgte bereits im September desselben Jahres auf der Konferenz in Khartum, wo alle anwesenden arabischen Länder das dreifache Nein (Nein zur Anerkennung, Nein zu Verhandlungen, Nein zum Frieden mit Israel) verlautbarten.3

Ein klarer Sieger auf arabischer Seite

Auf dieser Konferenz wurde auch deutlich, dass es auf der arabischen Seite gewisse Nutznießer des Krieges gab. Saudi-Arabien beispielsweise, welches bereits im Jahrzehnt davor in dem nach Malcolm Kerr sogenannten „Arabischen Kalten Krieg“ um die Hegemonialbestrebungen mit Ägypten konkurriert hatte, besaß durch den seit Beginn der 1960er Jahre einsetzenden Ölboom die finanziellen Mittel, um die Kriegsverlierer zu unterstützen. Selbstverständlich nach den ganz eigenen Konditionen des aufstrebenden saudischen Königs Faisal, was sich in der radikalen Ablehnung jeglicher Verhandlungen mit Israel ausdrückte.

Dementsprechend offenbarte die Konferenz von Khartum, dass sich innerhalb der arabischen Welt ein neues Gravitationszentrum auf der arabischen Halbinsel gebildet hatte. Im Gegensatz zu traditionellen Mächten setzte Saudi-Arabien nicht auf konventionelle Militärgewalt, sondern auf seinen immensen Ölreichtum, um seinen Einfluss zu vermehren, und konnte dies auch als strategische „Waffe“ einsetzen. Die Welt spürte das bei der Ölkrise keine sechs Jahre später, während des Oktoberkrieges 1973.4

Nasser und der Rücktritt vom Rücktritt

Ägypten war auf die externe finanzielle Unterstützung aus Saudi-Arabien sowie Libyen und Kuwait immens angewiesen, da die Niederlage des Krieges nicht nur materielle Verluste und eine psychologische Demütigung bedeuteten, sondern auch gravierende wirtschaftliche Folgen hatte. Mit der Besetzung der Sinai-Halbinsel durch Israel verlor Ägypten schlagartig alle Einnahmen durch die dortigen Ölfelder und den Tourismus. Auch der Suez-Kanal sollte für Jahre geschlossen bleiben, was zusätzliche finanzielle Verluste bedeutete.

Aus politischer Sicht übernahm Gamal Abdel Nasser für den Sieg Israels über die arabischen Kriegsteilnehmer die alleinige Verantwortung und setzte noch am Tag des Kriegsendes seinen politischen Beratungsstab über seinen Verzicht auf die präsidiale Regierung in Kenntnis.5 Daraufhin wandte er sich über Rundfunk und Fernsehen an das ägyptische Volk und die arabische Welt, um seinen Rücktritt zu verkünden:

Trotz aller Faktoren, auf die ich meinen Standpunkt während der Krise gestützt hatte, bin ich bereit, die ganze Verantwortung zu übernehmen. Ich habe einen Entschluss gefasst und ich bitte euch alle, mir bei seiner Ausführung zu helfen. Ich habe beschlossen, ganz und definitiv von jedem Amt und jeder politischen Rolle zurückzutreten und in die Reihen des Volkes zurückzukehren, um mit ihm wie jeder andere Bürger meine Pflicht zu erfüllen“6

Für die bereits durch den Krieg desillusionierte ägyptische Bevölkerung war das ein weiterer Schock. Im direkten Anschluss kam es zu landesweiten Massenprotesten und Solidaritätsbekundungen aus vielen arabischen Staaten, die Nasser veranlassten, im Amt zu bleiben. Auch Moskau sicherte politische und militärische Unterstützung zu und brach alle diplomatischen Beziehungen zu Israel ab.

Jahre der Abnutzung

Im darauffolgendem Jahr begann Nasser den sogenannten Abnutzungskrieg („war of attrition“) gegen Israel, um die Demütigung des Juni-Krieges vergessen zu machen und die Reputation der ägyptischen Streitkräfte, die bis 1967 als die stärkste Armee in der arabischen Welt gegolten hatten, wiederherzustellen. Allerdings hatte Nasser auch innerhalb des Militärs an Ansehen eingebüßt. Das lag vor allem an dem nach dem Krieg initiierten Schauprozess gegen Nassers langjährigen Freund und Feldmarschall, Abd al-Hakim Amr, der als Sündenbock für die militärische Niederlage herhalten sollte. Noch vor der Urteilsverkündung beging der unter Hausarrest gestellte Amr Suizid. Auch weitere enge Unterstützer Amrs wie der Verteidigungsminister und der Geheimdienstchef sowie der Innenminister wurden unter Hausarrest gestellt. Amr hatte jedoch hohes Ansehen innerhalb des ägyptischen Militärs genossen, was Nasser vor große Probleme stellte, wieder Kontrolle über seine Armee zu erlangen. 

Ungeachtet der internen Probleme begann Ägypten – mit großer sowjetischer Unterstützung – im Juni 1968, die israelische Frontlinie östlich des Suezkanals, die sogenannte Bar-Lewi-Linie, mit vereinzeltem Artilleriebeschuss zu attackieren. Im Jahr darauf intensivierte sich der Abnutzungskrieg, indem beide Seiten auch auf Luftstreitkräfte und flächendeckende Bombardements setzten, die tausende weitere Menschenleben forderten. Allerdings charakterisierte sich der Abnutzungskrieg nie durch eine direkte und breite Konfrontation, sondern vielmehr durch ein psychologisches Element, um die jeweils eigene Moral zu stärken und die des Gegners zu schwächen, weshalb Ahmed S. Khalidi auch von einem „Krieg der Nerven“ spricht.7 Ohne einen Kriegsgewinner wurde am 7. August 1970 eine durch die Supermächte initiierte dreimonatige Waffenruhe geschlossen, deren Ende Nasser nicht mehr erleben sollte.8 Nie gänzlich erholt von der Niederlage im Juni 1967 verstarb der ägyptische Präsident am 28. September 1970.

Sadat plante den Überraschungsangriff

Unter Nassers Nachfolger Anwar as-Sadat begann ein neues Kapitel ägyptischer Geschichte, welches sich vor allem in einer westlich orientierten Politik offenbarte. Doch auch Sadat wusste, dass er nur in der Überwindung der Schmach von 1967 und der Rückeroberung der Sinai-Halbinsel als legitimer Präsident regieren könne, weshalb er bereits während des Abnutzungskrieges in seiner Funktion als Vizepräsident mit der Vorbereitung eines neuen Kriegs begann. In einem syrisch-ägyptischen Überraschungsangriff am 6. Oktober 1973 wurden diese Pläne in die Tat umgesetzt. Der Welt ist dieser vierte arabisch-israelische Krieg (auch Ramadan-Krieg genannt), der als direkte Folge von 1967 betrachtet werden muss, als Jom-Kippur-Krieg bekannt, da Israel am Tag des Kriegsbeginnes den höchsten jüdischen Feiertag beging.

Diesen Krieg, den beide Seiten mit hohen Verlusten führten, betrachtete die ägyptische Führung in Kairo dennoch als politischen Durchbruch, da sie im Rahmen internationaler Friedensverhandlungen, die nicht zuletzt auch durch die „Ölwaffe“ maßgeblich beeinflusst waren, eine zumindest begrenzte Souveränität9 über die Sinai-Halbinsel zurückerlangte. Ferner führte das Kriegsende auch zu ägyptisch-israelischen Friedensverhandlungen, die mit Anwar as-Sadats spektakulären „Reise nach Jerusalem“ eingeleitet wurden.10  

 

Fußnoten:

1 Vgl. Ägyptens Präsident Ğamāl ʿAbd an-Nāṣirs Abdankungsrede, (9. Juni 1967) [online verfügbar unter: http://www.usna.edu/Users/history/tucker/hh362/The%20Six-Day%20War.htm ] (28.01.2013); Rogan, Eugene: Die Araber. Eine Geschichte von Unterdrückung und Aufbruch, Berlin 2012, S. 456ff.

2 Vgl. Hozayel, Amer: Die Friedensdiplomatie in der US-Strategie im islamisch arabischen Raum zwischen Sechstagekrieg und Carter-Administration, Marburg 1992 (Inaugural Dissertation), S. 57ff.

3 Vgl. The Khartoum Resolutions, (September 1, 1967): Document 26, in: The Arab-Israeli Conflict. An Introduction and Documentary Reader, hrsg. von Alden R. W. Mahler / Gregory S. Mahler, Cornwall 2010, S. 132.

4 Al-Rasheed, Madawi (2012): A History of Saudi Arabia, Cambridge.

5 Ğamāl, ʿAbd an-Nāṣir: Waṯāʾiq (1973). Markaz ad-dirāsāt as-siyāsïya wa ʾl-istirātïğïya biʾl-Aḥram, al-Qāhira, S. 239.

6 Zitiert aus: Botschafter Freiherr von Braun, New York (UNO) an das Auswärtige Amt, in: Blasius, Rainer A. (Hrsg) (1998): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1967. 1 Januar bis 31. März, München, S. 883,

7 Khalidi, Ahmed S. (1973): The War of Attrition, in: Journal of Palestine Studies, Band 3, S. 60-87, hier S. 85.

8 Vgl. Brecher, Michael / Wilkenfeld, Jonathan (2000): A Study of Crisis, Michigan, S. 284; Khalidi, Ahmed S. (1973): The War of Attrition.

9 In dem Sicherheitsarrangement für die Sinai-Halbinsel wurde diese in vier Zonen eingeteilt, in denen detailliert festgesetzt wurde, in welchem Maße Ägypten Hoheitsgewalt ausüben dürfe.

10 Asseburg, Muriel / Perthes, Volker (2008): Geschichte des Nahost-Konflikts, Bundeszentrale für politische Bildung, [online verfügbar unter: https://www.bpb.de/izpb/9603/geschichte-des-nahost-konflikts] (01.07.2017).

 

Ebenfalls in dieser Serie erschienen:

Alsharq-Serie „1967: 50 Jahre danach.“ Eine Art Vorwort.

Die Vorgeschichte: Wie es 1967 zum Krieg zwischen Israel und seinen Nachbarn kam

Die Kampfhandlungen: Wie Israel 1967 seine Nachbarn überrumpelte

Der Kriegsbeginn 1967 in der Nahost-Presse: Euphorie überall

Fortsetzung der Presseschau: Stell Dir vor, es ist Kriegsende und kaum einer schreibt es

Die Folgen des Juni-Kriegs 1967, Teil I: Israel

1967: Wendepunkt für die arabische Linke – am Beispiel von Georges Tarabischi

Artikel von Tobias Zumbrägel