02.06.2022
Die Kurzsichtigkeit der deutsch-emiratischen Energiepartnerschaft
Soll durch die Energiepartnerschaft grüner werden: Dubai. Foto: Anna Fuster (CC BY-NC-ND 2.0)
Soll durch die Energiepartnerschaft grüner werden: Dubai. Foto: Anna Fuster (CC BY-NC-ND 2.0)

Die Bundesregierung bezieht bald große Mengen an Wasserstoff aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das könnte eine Chance für die Beziehungen zwischen Deutschland und WANA sein, würde die Regierung mehr Kreativität wagen. 

Russlands völkerrechtswidriger Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 offenbarte schonungslos Deutschlands Energie- und Erdgasabhängigkeit von Russland. Denn Russland ist Deutschlands größter Erdgaslieferant. Diese Abhängigkeit ist die Achillesferse des deutschen Sanktionsarsenals und engt den Verhandlungsspielraum der Bundesrepublik maßgeblich ein. 

Als unglückliches Erbe der vergangenen Regierungen versucht sich die neue Koalition unter Olaf Scholz nun an einer Neuausrichtung der deutschen Energiepolitik. Dabei hat auch die SPD maßgeblich zur Abhängigkeit russischer Energieimporte beigetragen und die russischen beziehungsweise Putins Ambitionen in Osteuropa falsch eingeschätzt. So scheint die aktuelle SPD-geführte Regierung nicht aus ihrem und den Fehlern der Vorgängerregierung gelernt zu haben und bemüht sich auch jetzt nicht um eine kreativere Außenpolitik. 

Grünes Licht für Wasserstoff

Am 21. März 2022 beschlossen Deutschland und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), im Bereich Wasserstoff und Forschung enger zusammenzuarbeiten. Deutsche und emiratische Unternehmen sollen demnach gemeinsam Wertschöpfungsketten für Wasserstoff entwickeln und Lieferketten für grünen und blauen Wasserstoff aufbauen. 

Siemens, Lufthansa und das staatliche emiratische Unternehmen für erneuerbare Energiegewinnung, Masdar, werden gemeinsam an der Herstellung von synthetischem Kerosin arbeiten. So soll Deutschlands Kraftstoff, Heiz- und Energieversorgung unabhängiger von Russland werden. 

Diese neue Partnerschaft nährt aber Zweifel an den Werten der proklamierten feministischen Außenpolitik und zeigt, dass es der neuen Regierung an konsequenten Konzepten in der Energiepolitik mangelt. 

Verpasste Chance für ein Umdenken in der Außenpolitik

Dabei bietet diese neue Energieversorgungskrise, zusammen mit der sich verschlimmernden Klimakrise und der anhaltenden Demokratieforderungen der Bevölkerung in vielen Ländern Westasiens und Nordafrikas (WANA) eine einmalige Gelegenheit, um eine Neugestaltung der deutschen Außenpolitik in WANA anzustoßen und mit weniger autoritären Staaten zusammenzuarbeiten. 

Die Ziele der Kooperation mit der VAE klingen gut: Mit der Wasserstoff- und Forschungskooperation sollen Wasserstofflieferketten zwischen Deutschland und den VAE aufgebaut und Deutschlands Energietransformation von Erdgas zu blauem und grünem Wasserstoff eingeleitet werden. Auch ist es Teil der Kooperation, den Golf-Staat dabei zu unterstützen, seine fossilabhängige Wirtschaft zu diversifizieren. 

Obwohl diese Entwicklung zu begrüßen ist, stärkt sie auch die bestehenden repressiven Strukturen der VAE und schafft für Deutschland wiederum Abhängigkeiten von einem kriegstreibenden Regime. Denn in vielen regionalen Konflikten sind die VAE militärisch involviert. 

Der Jemenkrieg spielt keine Rolle

Seit März 2015 beteiligt sich das Land unmittelbar am Kriegsgeschehen in Jemen; zuerst im Rahmen der saudischen Kriegsallianz und später verstärkt mit eigenen Ambitionen in Südjemen. Da die Allianz den Krieg vor allem mittels Luftangriffe führt, treffen die Bombardements wiederholt zivile Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser und Wassereinrichtungen und zerstören sie meist vollständig. 

Der Krieg ist eine der schlimmsten humanitären Katastrophen unserer Zeit und kostete bislang 370.000 Menschen das Leben. Wenn aber Deutschland die Öl- und Gasbeziehungen mit Russland aufgrund des Ukraine-Krieges beendet und stattdessen diejenigen mit den VAE ausbaut, dann ist der Krieg in Jemen für die Bundesregierung nicht von gleichem Gewicht wie der russische Einmarsch in der Ukraine. Wie rechtfertigt die Bundesregierung dieses Messen mit zweierlei Maß?

Die Verlässlichkeit der emiratischen Entscheidungsträger ist außerdem äußerst brüchig. Zwar stimmten sie auf der Berliner Libyen-Konferenz im Jahr 2020 zu, keine Waffen an die Kriegsparteien in Libyen zu liefern. Im Anschluss ignorierten die VAE ihre Absprachen bewusst und unterstützen weiterhin General Haftar. 

Ein weiteres Argument gegen die Kooperation wäre, dass die Emirate dem von EU-Sanktionen betroffenen Vermögen von russischen Oligarch:innen Zuflucht bieten. So haben bereits eine Vielzahl von ehemaligen Abgeordneten und Provinzgouverneur:innen, sowie einflussreiche Oligarch:innen aus dem Stahl-, Öl- und Baugewerbe Russlands ihr Vermögen in die Emirate verlegt. Die Kooperation Deutschlands schadet also indirekt den internationalen Isolierungsbemühungen gegenüber Russland. 

Geht deutsche Energiesicherheit über Menschenrechte?

Warum die Bundesregierung angesichts dessen die VAE als einen verlässlichen Partner für eine langfristige Energieversorgung ansieht, ist mir unerklärlich. Deutschland kann nicht vorgeben, sich für Menschenrechte einzusetzen, wenn es gleichzeitig eine Regierung stärkt, die 2021 neue Todesurteile verhängte und Hinrichtungen ausführte

Welchen Stellenwert der Kampf um Menschenrechte in den VAE hat zeigt der Fall Ahmed Mansoors, der zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde und in Gefangenschaft grausame Behandlung zu erleiden hat.  Mansoor ist ein prominenter Menschenrechtsaktivist und klagte stets die Menschenrechtsverletzungen in den Emiraten an. 

Der Widerspruch zwischen den von Deutschland kommunizierten außenpolitischen Werten und der Praxis wird auch von Menschen in WANA wahrgenommen. In persönlichen Gesprächen mit Aktivist:innen, Politikanalyst:innen und Jugendlichen aus anderen Ländern der Region kam die Enttäuschung darüber immer wieder zur Sprache. Die Wahrnehmung ist, dass Deutschland sich nur oberflächlich um Frieden, Demokratie und Menschenrechte kümmert und sich eigentlich nur um europäische Interessen sorgt – und das auf Kosten der Menschen in WANA. 

Auch beklagten sich einige meiner Gesprächspartner:innen, dass die Kriege und Menschenrechtsverletzungen für Deutschland zweitrangig seien und europäische Energiesicherheit Vorrang vor Menschenrechten und demokratischen Entwicklungen habe. Was sich hier abzeichnet, ist: Kooperiert Deutschland mit Staaten, welche völkerrechtswidrige Handlungen begehen, dann riskiert die Bundesregierung das Vertrauen der Zivilgesellschaft in vielen Ländern der Region. 

Außenpolitik zur Unterstützung demokratischer Proteste

Auch wenn Deutschland auf erneuerbare Energien zählen muss, darf dies nicht auf Kosten von Menschenrechten erfolgen. Stattdessen sollte es Partnerländer suchen, in denen es Anzeichen von demokratischen Reformen gibt. Zum Beispiel Algerien oder Jordanien. In beiden Ländern gibt es Prozesse in Richtung einer partizipatorischen oder dezentralisierten Demokratie. 

Algerien ist von zentraler Bedeutung für Jugendliche und die Protestbewegungen in WANA. Im Jahr 2019 gelang es den Algierer:innen den langjährigen Herrscher Bouteflika zum Rücktritt zu bewegen. Die Hirak-Protestbewegung fordert auch weiterhin und trotz massiver Repression einen Regimewechsel, Freiheit und Würde

Daher sollte die Bundesregierung deutsche Unternehmen bestärken, auf die bestehende Gas- und Ölinfrastruktur in Algerien aufzubauen und den Ausbau von Wasserstofferzeugung und des großen Solar- und Windpotenzials im Land voranzutreiben. Gleichzeitig wäre Deutschland in der Lage, die algerische Regierung dazu zu drängen, legislative Veränderungen zur Diversifizierung der Energiequellen voranzutreiben. 

So gestaltete neue Energiepartnerschaften würden den Ausbau der Infrastruktur fördern, neue und notwendige Berufsperspektiven für Algerier:innen schaffen und die Mittelschicht im Land in ihren demokratischen Forderungen unterstützen. Das Image der demokratischen Staatesform könnte in der algerischen Bevölkerung verbessert und Anreize für weitere demokratische Reformen geschaffen werden.

Monarchie Light

Im Gegensatz zu den VAE punktet Jordanien aus der Sicht europäischer Außenpolitik durch seine geografische Nähe zu Europa, seine Verlässlichkeit im „Nahost-Konflikt“ und der engen Partnerschaft im Kampf gegen den IS-Terror. Seit 2011 bemüht sich die jordanische Regierung um eine zunehmende Dezentralisierung und Jugendpartizipation.

Im März 2022 fanden relativ freie Kommunalwahlen statt, die Regierung König Abdullahs II setzte das Mindestalter für Parlamentarier:innen auf 25 Jahre herab und auch die Zivilbevölkerung fordert mehr und mehr Mitspracherechte. Zwar bestimmt König Abdullah II die politischen Geschehnisse weiterhin, plädiert aber für eine Entwicklung hin zur konstitutionellen Demokratie im Laufe der nächsten zehn Jahre. 

Die aktuellen Entwicklungen entsprechen nicht den europäischen Erwartungen, könnten aber in Monarchien, wie Marokko, ähnliche Entwicklungen im Bereich der Dezentralisierung und Jugendpartizipation vorantreiben. Ein Ausbau der erneuerbaren Energien und Wasserstoffkapazitäten würde der gut ausgebildeten jungen Bevölkerung neue Berufsperspektiven bieten und die wirtschaftliche Selbstständigkeit der jordanischen Bevölkerung vorantreiben. 

Partnerschaften mit Algerien oder Jordanien wären langfristig stabiler als jene mit der VAE. Statt ein Land zu unterstützen, das in regionale Kriege verwickelt ist und Menschenrechte nicht als Wert vertritt, könnte in Demokratisierungsbemühungen der Menschen in WANA investiert werden. Eine solche Politik könnte auch dabei helfen, die Lücke zwischen politischer Praxis und dem oft beschworenen Einsatz für Frieden und Menschenrechte zu schließen. 

 

 

Alexander studierte im Bachelor Islamwissenschaften an der Freien Universität Berlin und der Amercian University of Cairo. Unter anderem arbeitete er in Jordanien. Seinen Master absolvierte er in Friedens- und Konfliktforschung. Momentan lebt und arbeitet er in Berlin. 
Redigiert von Eva Hochreuther, Clara Taxis