12.11.2021
Eine letzte Chance, auch für Iran
Alles andere als rosig - die Zukunft Irans ist massiv durch den Klimawandel bedroht, doch die Regierung tut nichts. Illustration: Kat Dems
Alles andere als rosig - die Zukunft Irans ist massiv durch den Klimawandel bedroht, doch die Regierung tut nichts. Illustration: Kat Dems

Die globale Klimakrise trifft Iran besonders schwer. Trotzdem interessiert sich die Regierung wenig für Klimapolitik – und instrumentalisiert das Thema lieber für eigene politische Zwecke. Das hat verheerende Folgen, meint Omid Rezaee.

Dieser Text ist Teil der dis:orient-Kolumne Des:orientierungen, die jeden zweiten Freitag erscheint.

Auf der aktuellen UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow äußerte sich die neue Regierung Irans erstmals zum Pariser Klimaabkommen. Ali Salajegheh, der Leiter der iranischen Umweltschutzbehörde, verkündete am Dienstag, Iran werde das Abkommen umsetzen, wenn alle Sanktionen aufgehoben werden.

Bereits 2016 hat die Islamische Republik das Pariser Abkommen unterschrieben. Die damalige, moderate Regierung versprach die Treibhausgasemissionen bis 2030 um vier Prozent zu reduzieren. Für den Fall, dass die Wirtschaftssanktionen aufgehoben würden, sollten die Ausstöße sogar um acht Prozent sinken. Allerdings wies der Wächterrat, der die Übereinstimmung der Beschlüsse des Parlaments mit den schiitischen Vorschriften überprüft, das Abkommen zurück. Bis heute wurde es nicht ratifiziert, die einstigen Versprechen sind in Vergessenheit geraten. Selbst Ex-Präsident Rohani verkündete zwei Jahre nach der Klimakonferenz in Paris unverhohlen, die Verpflichtungen zur Treibhausgasemissionen wären sinnlos.

Salajegheh hätte im Rahmen der COP26 die Chance gehabt, eine ernsthafte Umsetzung des Pariser Abkommens voranzutreiben. Doch stattdessen entsteht der Eindruck, dass es ihm mehr um den politischen Streit der Islamischen Republik gegen die USA und die EU geht als um Klimaschutz. So behauptete der Leiter der Umweltschutzbehörde in seiner Rede auf der Klimakonferenz, Iran werde in Angelegenheiten internationaler Zusammenarbeit mit wirtschaftlichem Terrorismus konfrontiert – und kritisierte damit die Sanktionen, die Iran den Zugang zu globalen Umwelt- und Klimaprojekten verwehren würden. In seiner Rede auf der Konferenz, wie auch bereits zuvor in einem Interview mit der BBC deutete er mehrfach an, dass für den iranischen Staat das Thema Sanktionen im Vordergrund stehe. Ernsthaft bemüht, die Auswirkungen des Klimawandels aufs Land zu mindern, schienen er und seine Vorgesetzten hingegen nicht.

Zwischen Leugnung und leeren Versprechen

Während der Leiter der Umweltbehörde der amtierenden ultrakonservativen Regierung in Glasgow zwar auf die Notwendigkeit des Kampfs gegen den Klimawandel hinweist, lassen die konservativen Medien des Landes „Expert:innen“ zu Wort kommen, die entweder nach dem Vorbild der Verschwörungstheoretiker:innen einen Klimawandel komplett leugnen oder der Überzeugung sind, dass die Industrieländer die Schuld trügen und „Entwicklungsländer“ ihre Wirtschaft nicht opfern dürften. In einer „Reportage“ im staatlichen Fernsehen hieß es vergangenes Jahr, dass die globale Elite die Angst vorm Klimawandel instrumentalisiere, um Länder des Globalen Südens zu kontrollieren. Das eigentliche Ziel der EU-CO2-Kompensation sei Russland, China und die Staaten, die auf Öl-Exporte angewiesen sind, „aus dem Weg zu räumen“, schrieb die staatliche Nachrichtenagentur.

Iran hatte trotz seiner kleinen Wirtschaft im Jahr 2020 einen Anteil von 2,14 Prozent an den globalen Treibhausgasemissionen – und damit erstmalig sogar einen höheren jährlichen Anteil als das Industrieland Deutschland. Allerdings trägt das Land nicht nur zur globalen Erwärmung bei, sondern ist auch davon betroffen – und zwar überdurchschnittlich.

Ein Alltagsdrama

Das Thema Umwelt war in Iran noch nie so relevant wie heute. In den letzten 55 Jahren ist der durchschnittliche Niederschlag im Jahr um mehr als 40 Prozent gesunken. 80 Prozent iranischer Wälder sind in den letzten 50 Jahren vernichtet worden. Nach einer Prognose des iranischen Förstereienverband werden in den nächsten 30 Jahren alle Wälder im nördlichen Iran, wo sich derzeit die Hälfte der gesamten iranischen Waldfläche befindet, vom Erdboden verschwinden. Bereits im vergangenen Sommer erreichten die Temperaturen in der südöstlichen Provinz Khuzestan über 50 Grad - bis 2030 sollen die Temperaturen in ganz Westasien und Nordafrika um mehr als das doppelte des globalen Durchschnitts steigen.

Die Umweltkrise ist nicht nur medial sehr präsent, sondern betrifft mittlerweile auch den Alltag vieler Menschen. Die bis vor einigen Jahren wasserreichste Provinz Irans Khuzestan, im Westen des Landes, erlebte im vergangenen Sommer eine massive Protestwelle, denn den Landwirt:innen fehlte das Wasser für ihr Vieh und ihre Farmen. Im April diesen Jahres hieß es in einem Bericht des Magazins Scientific Reports, dass mehr als Dreiviertel der iranischen Landfläche von extremer Grundwasserüberlastung betroffen seien. In verschiedensten Teilen des Landes treibt die Wasserknappheit seitdem regelmäßig die ländliche Bevölkerung auf die Straße.

Eine politisch verursachte Krise

Zumindest teilweise lässt sich die Wasserknappheit auf die globale Erderwärmung zurückführen, die zu weniger Niederschlag führt. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit: Die Unfähigkeit der Politik verschärft die bestehenden Belastungen der Grundwasserleiter Irans durch eine ineffiziente Landwirtschaft noch weiter, analysiert die obengenannte Studie. Ohne dringende Maßnahmen stehe das Land vor einer multiplen nationalen Krise, attestieren die Wissenschaftler:innen.

Denn die umweltschädlichen Auswirkungen der Politik führen nicht nur dazu, dass das Grundwasser für die Bevölkerung knapp wird. Während der Proteste in Khuzestan ging ein Video viral, das zeigt, wie durstige Büffel im Hawizeh-Feuchtgebiet nach Wasser suchen und sich in den letzten verbliebenen Wasserlachen tummeln. In den vergangenen Jahren ist ein großer Teil dieses Gebiets auf iranischer Seite ausgetrocknet, da der Nationale Sicherheitsrat alle Aktivitäten einer chinesischen Erdölfirma auf dem Gebiet genehmigt hatte. Diese hatte versprochen, den Preis der Erdölgewinnung in der Region zu halbieren, falls sie das Feuchtgebiet trocken legen dürfe.

Auch dass Flüsse austrocknen, ist zum großen Teil auf staatliche Maßnahmen zurückzuführen, etwa weil das gesamte Wasser in Dämmen angestaut wird, statt dass es frei fließen kann. So ist die Zahl der Staudämme seit der Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 bis zum Jahr 2019 im gesamten Land von 26 auf 647 gestiegen.

Die Kosten der Ignoranz

Wer die Aussagen und die Maßnahmen der Funktionäre der Islamischen Republik in den letzten Jahrzehnten beobachtet hat, kann den Schluss ziehen, dass beide Hauptfraktionen, also die konservativen ebenso wie die moderaten, innerhalb des Staates Umweltthemen instrumentalisieren und je nach politischer Wetterlage gegeneinander oder gegen ausländische Mächte ins Spiel bringen. Die Revolutionsgarde hat im Winter 2018 über 55 Umweltaktivist:innen verhaftet, von denen einige noch eng mit der damaligen moderaten Regierung zusammenarbeiteten.

Dass Regierungen unterschiedlicher politischer Couleur es für Jahrzehnte als völlig unproblematisch erachteten, immer weiter Staudämme zu bauen, lag nicht nur an ihrem falschen Verständnis von Entwicklung. Zahlreiche Baufirmen, die dem Staat nahe stehen oder von ehemaligen Politiker:innen gegründet sind, haben von diesen Projekten profitiert.

Dass das Thema Umweltschutz in einem ohnehin halbtrockenen Land keine bedeutende Rolle in der Politik der schiitischen Geistlichen spielt, schadet nicht nur dem Leben von 84 Millionen Iraner:innen. Während international mehr und weniger ernsthaft diskutiert wird, wie man die globale Erwärmung verhindern kann, ist ein vom Klimawandel stark betroffenes Land von den internationalen Förderungen ausgeschlossen. Denn die Herrschenden verfolgen lieber ihre politischen Ambitionen, sei es das Atomprogramm, die Raketenentwicklungen oder politische und militärische Einmischung in der Region. Dadurch hat sich das islamische Regime von der Außenwelt abgeschottet.

Im Parlament der Islamischen Republik werden derzeit zwei Gesetzentwürfe heiß diskutiert: Bei dem einen geht es darum, wie man Frauen zwingen kann, mehr Kinder zu bekommen, das andere zielt darauf ab, die Internetzensur zu verschärfen. Weiterhin beschäftigt sich die Regierung damit, wie sie eine Aufhebung der internationalen Wirtschaftssanktionen erwirken könnte, mit der Corona-Krise oder aber damit, wie sich das Leben in der Republik „islamischer“ organisiert werden kann. Klimapolitik scheint iranische Politiker:innen hingegen nicht zu interessieren. Sie sind auf dem besten Wege die womöglich letzte Chance zu verpassen, das Land so zu erhalten, dass es für ihre Kinder und Enkelkinder bewohnbar bleibt, in einer Region, der eine Umweltapokalypse bevorsteht.

 

Mehr Arbeiten der Illustratorin Kat Dems finden sich auf ihrem Instagram-Account oder auf ihrer Webseite.

 

 

Omid Rezaee ist ein iranischer Journalist. 2012 verließ er seine Heimat, nachdem er aufgrund seiner journalistischen und politischen Tätigkeiten einige Monate im Gefängnis verbracht hatte. Bis Ende 2014 berichtete er aus dem Irak vor allem über den Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat. 2015 kam er nach Deutschland und schreibt seitdem...
Redigiert von Maximilian Ellebrecht, Johanna Luther