29.06.2013
Elias Khoury: "Die Zeit ist nicht reif für einen libanesischen Bürgerkrieg"
Elias Khoury - Bild: CC Wikicommons / Suz
Elias Khoury - Bild: CC Wikicommons / Suz

Beim Beginn des libanesischen Bürgerkriegs im Jahr 1975 war Elias Khoury in Beirut, ein Aktivist auf Seiten der PLO. Im Gespräch mit Alsharq erklärt der libanesische Autor und Intellektuelle, warum im Libanon bis auf weiteres kein Bürgerkrieg zu erwarten ist - und warum geistliche Führer in dem konfessionellen Konflikt nichts ausrichten können.

Herr Khoury, letzte Woche kam es in Saida zu Gefechten zwischen der libanesischen Armee und Kämpfern des salafistischen Predigers Ahmad al-Assir - wie sind diese Ereignisse einzuordnen?

Die Zusammenstöße in Saida sind Teil einer ganzen Atmosphäre, in der sich der Konflikt zwischen den beiden großen konfessionellen Gruppen im Libanon, den Sunniten und den Schiiten, aufschaukelt. Sie müssen im regionalen Kontext gelesen werden, denn die Art und Weise, wie der Krieg - oder die Revolution - in Syrien geführt wird, führt zwangsläufig zu solchen Zusammenstößen, besonders seit der endgültigen Einmischung der Hisbollah in den syrischen Konflikt und den Truppen, die von schiitischen Milizen im Irak kommen und so weiter. Aber dies waren einfach nur kleine Phänomene, kein Zeichen für den Beginn eines Bürgerkriegs.

Warum nicht? Viele Leute ziehen zur Zeit Vergleiche zu 1975 und dem Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs - wir haben auch bewaffnete Kämpfe in Tripoli und kleinere Ereignisse in der Bekaa-Ebene, in Akkar, selbst in Teilen Beiruts...

Das in Beirut sind keine ernsthaften Zusammenstöße, und auch die anderen Kämpfe sind sehr klein. Ich glaube nicht, dass die Zeit reif ist für einen libanesischen Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten. Die Hisbollah ist sehr mächtig, und keiner will einen Bürgerkrieg mit der Hisbollah. Was wir bisher erleben, sind gewissermaßen Generalproben. Was in Saida passiert ist, war eine sehr schlimme Generalprobe. Aber die Salafisten haben überhaupt kein politisches Projekt, alles was sie können ist, auf Ereignisse zu reagieren und ein gewisses Unbehagen zu erzeugen.

Ist das Auftreten der Salafisten mit dem Machtvakuum in der sunnitischen Gemeinschaft erklärbar? Hariri hat das Land verlassen, Mikati ist entmachtet, Salam ist noch nicht im Amt...

Das Aufkommen der Salafisten ist mit dem oben erwähnten gegenseitigen Aufschaukeln zu erklären. Das Problem mit den Salafisten ist, wie man gerade auch in Syrien sieht: Es gibt viele Gruppen, aber die sind untereinander nicht einig. So kommt es, dass hier und dort kleine salafistische Phänomene auftauchen, aber sie können nichts ernsthaftes zustandebringen, keine wahre Gruppe bilden. Deshalb: Wir erleben bisher nur Generalproben, bedrohlich wird es erst, nachdem sich geklärt hat, wer in Syrien die Oberhand behält. Dann wird es im Libanon ernst - bisher ist die Zeit noch nicht reif. Der Vergleich mit 1975 ist bisher noch nicht angebracht.

Wir haben auch ein Vakuum an der Spitze des Staates - aktuell ist die libanesische Regierung außer Amt, das Parlament musste sein Mandat selbst verlängern, weil Wahlen unmöglich schienen, der Oberbefehlshaber der Streitkräfte muss bald von Gesetz wegen in Rente gehen und ein Nachfolger ist nicht in Sicht...

Dadurch, dass die Hisbollah in Syrien  "einmarschiert" ist, hat sie alle Fronten komplett verwischt. Das war ähnlich, als Syrien 1976 in den Libanon einmarschierte, aber der Unterschied war, dass die syrische Armee damals unter internationalem und regionalem Konsens handelte. Jetzt sind die Grenzen total verwischt, und das ist sehr neu und sehr gefährlich. Sehr gefährlich, denn es entscheidet über das Schicksal der Republik, die in den 1920ern von den Franzosen gegründet wurde, indem sie Teile Syriens zum Mount Lebanon hinzu-annektiert haben. Das Schicksal des Libanon hängt nun vollständig von Syrien ab. Die marginale Bewegungsfreiheit, die der Libanon selbst unter syrischer Hegemonie hatte, ist immer mehr begrenzt. So kommt dieses Vakuum zustande, und mit diesem Vakuum steht das ganze Land unter einem großen Fragezeichen.

Die libanesische Politik ist in der Regel sehr auf Individuen ausgerichtet. Gibt es denn jemanden, der im Libanon wieder die Situation beruhigen könnte - geistliche Führer, Intellektuelle...?

Das Problem ist, wir haben zwei große Gemeinschaften, es geht daher nicht um Individuen, es geht um Strukturen. Diese Strukturen sind komplett vom Ausland abhängig - die Schiiten vom Iran, die Sunniten von Saudi-Arabien. Ich glaube nicht, dass die sogenannten geistlichen Führer irgendetwas ausrichten können, das ist einfach nicht ihre Zeit. Meine einzige Hoffnung ist ein Wiedererstarken der Zivilgesellschaft und der säkularen Intellektuellen und so weiter. Sie sollten einen ethischen Code erarbeiten, der dieses Abgleiten in einen vollständig destruktiven Bürgerkrieg begrenzt.

Herr Khoury, vielen Dank für das Gespräch!

(Interview und Übersetzung aus dem Englischen: Bodo Straub)

Sein Journalistik-Studium führte Bodo vor einigen Jahren in den Libanon. Es folgten viele weitere Aufenthalte im Libanon und in anderen Ländern der Levante, auch als Reiseleiter für Alsharq REISE. Bodo hat einen Master in Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens in Marburg und arbeitet heute als Journalist, meist für die Badischen...