12.03.2017
Freispruch für Mubarak: „Es ändert ja nichts am Leben“
Im Angesicht der Staatsgewalt: Eine Frau sitzt zu Beginn des Mubarak-Prozesses im Jahr 2012 vor der Polizeiakademie, in der das Verfahren stattfand. Nun wurde Mubarak freigesprochen - und die Uniformierten haben immer noch das sagen. Foto: Oxfamnovlb/Flickr, https://flic.kr/p/buvs4D, CC BY-ND 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/.
Im Angesicht der Staatsgewalt: Eine Frau sitzt zu Beginn des Mubarak-Prozesses im Jahr 2012 vor der Polizeiakademie, in der das Verfahren stattfand. Nun wurde Mubarak freigesprochen - und die Uniformierten haben immer noch das sagen. Foto: Oxfamnovlb/Flickr, https://flic.kr/p/buvs4D, CC BY-ND 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/.

Ägyptens oberstes Berufungsgericht hat Hosni Mubarak vom Vorwurf freigesprochen, dass Polizisten in seinem Auftrag Demonstranten erschossen haben. Die Reaktionen im Land sind gespalten – wie auch der Blick auf das Vermächtnis des einstigen Präsidenten.

Im ganzen Land versammelten sich die Menschen vor den Fernsehern, es herrschte eine Stimmung, als ob die ägyptische Nationalmannschaft spielte. Als das Urteil verkündet wurde – schuldig, der Angeklagte musste lebenslang in Haft – schrien viele vor Freude. Das Video der Urteilsverkündung landete tausendfach auf Facebook, überall diskutierten und kommentierten die Leute den Richterspruch. Die Nachricht, dass der Anwalt des Angeklagten in Berufung gehen will, ging fast unter.

Das war vor fünf Jahren. Nun, am 2. März 2017, hat das oberste Berufungsgericht Ägyptens Muhammed Hosni Mubarak freigesprochen. Dieses Mal gab es jedoch kaum sichtbare Reaktionen, wenige Kommentare und nur selten einmal Diskussionen.

Kurzer Rückblick: Am 25. Januar 2011 begann in Kairo und anderen ägyptischen Großstädten eine Protestwelle. Die Menschen riefen Parolen wie: „Runter, runter Hosni Mubarak!”, und: „Hau ab, hau ab!” Ägypten erlebte blutige Tage, in denen viele Demonstranten auf der Straße erschossen, mutwillig überfahren und festgenommen wurden. Nach einigen Wochen wurde Mubarak, der das Land dreißig Jahre lang regiert hatte, gestürzt. Die Ägypter feierten bis zum nächsten Tag. Zum ersten Mal benutzte man das Wort Ex-Präsident, bis dahin hatten alle Präsidenten bis zu ihrem Tod regiert.  Im Mai 2011 warf die Staatsanwaltschaft Mubarak dann Mittäterschaft an der Tötung hunderter Demonstranten vor, außerdem Machtmissbrauch und Korruption. Das Gerichtsverfahren galt als „Prozess des Jahrhunderts“. Das staatliche Fernsehen übertrug live, jeder in Ägypten sprach darüber.

Neue Feinde und alte Probleme

Aber in Ägypten hat sich viel geändert in den letzten sechs Jahren: Der Präsident heißt jetzt Abdelfatah al-Sisi und ist, ebenso wie Mubarak, ein Mann des Militärs. Der Feind ist jetzt nicht mehr das alte Regime, sondern Islamisten wie der sogenannte „Islamische Staat“ oder die Muslimbrüder. Der Feind ist eine Verschwörung von der Türkei, USA, Europa, Qatar, Israel, und Hamas gegen Ägypten. Diese wollen das aktuelle Regime angeblich stürzen, damit Ägypten zu einem zweiten Syrien oder Irak wird.

Für die Ägypter, die hin und wieder zu Nachrichten von Bombenanschlägen aufstehen und unter einer starken Wirtschaftskrise leiden, spielt das Urteil jetzt deshalb keine große Rolle mehr.

In der staatlichen Zeitung Al-Ahram wurde die Nachricht ganz unten auf der ersten Seite kurz zusammengefasst, mehr dazu kann man auf Seite 37 lesen. Im Fernsehen waren die Reaktionen unterschiedlich. Im Fernsehen kommentierte der Moderator Mostafa Bakry in seiner politischen Nachrichtensendung: „Heute schließt man das Kapitel des Mubarak-Prozesses, und dieses Urteil ist ein wichtiger Wendepunkt (…). Ich war von Anfang an sicher, dass Mubarak unschuldig ist.” Bakry bezeichnete das ägyptische Gericht als fair und ehrlich.

Der Moderator Tamir Amin, der Mubarak zu Beginn der Revolution 2011 noch als „letzte historische Führungspersönlichkeit Ägyptens” bezeichnet hatte, sagte in seiner Show: „Sechs Jahre lang haben wir geglaubt, dass Mubarak die Demonstranten umgebracht habe, und dass er schuldig sei. Sechs Jahre lang wurde der Fall untersucht. Ich habe sechs Jahre lang nicht darüber gesprochen, da wir ein Gericht haben, ein Gesetz und vor allem einen gerechten Gott. Heute erfolgte nun das endgültige Urteil, das nicht angreifbar und anfechtbar ist; Mubarak ist unschuldig.”

 

 Tamir Amin

Ein Urteil „gegen die Januar-Revolution“

Erboste Stimmen kamen dagegen aus dem Ausland. Seif El-Din Abdel Fattah, ein Politikanalyst, der das al-Sisi-Regime stark kritisiert hatte, kommentierte in Al Jazeera das Urteil mit: „Ein schwarzer Tag, aber ein guter für die Gegen-Revolution, die frech geworden ist (...). Als ob es keine Revolution gab (...)! Dieses Urteil ist gegen die Januar-Revolution.” Zum Hintergrund: Sicherheitskräfte hatten das Al-Jazeera-Büro in Kairo 2013 geschlossen. Deren Reporter, der weiter im Hauptbüro in Qatar gearbeitet hatte, wurde dann während seines Urlaubs im Dezember 2016 festgenommen. Der Vorwurf lautete: gefälschte Nachrichten, Reportagen und Dokumentarfilme zu verbreiten, um die Leute gegen staatliche Institutionen aufzuhetzen und Chaos in Ägypten zu fördern.

Moataz Mattar, der sowohl Mubarak als auch al-Sisi stark kritisierte, schrie regelrecht in seiner Show, die aus der Türkei gesendet wird: „Was mich stört, sind die Leute, die wirken, als seien sie völlig überrascht. (...) Alle Offiziere und Spitzel wurden freigesprochen. Keiner der Mörder wurde verurteilt, würde der Befehlshaber dann verurteilt?”  

Moataz Mattar

„Das Urteil ist fair und richtig“ 

Amal Ibrahim*, eine 47 Jahre alte Hausfrau, wohnt mit ihrer kleinen Familie in einem Slum in Kairo. „Das Urteil ist fair und richtig, ich habe es erwartet”, sagt sie. Die Leute hätten Mubarak vorgeworfen, dass er das Land zerstört, Ausbildung und Gesundheit völlig vernachlässigt habe und dass er ein Diktator gewesen sei, der keine freie Meinung erlaubt habe. „Das stimmt alles nicht. Die Geschichte wird auf seiner Seite stehen”, sagt sie. 

Mubarak habe sein Land geliebt und dafür viel erreicht, sagt Amal. Er habe den ersten Luftangriff gegen Israel im Oktoberkrieg 1973 gestartet, habe die Infrastruktur Ägyptens entwickelt und die S- sowie die U-Bahn gebaut. „Er hat auch dem Westen nicht erlaubt, sich in unser Land einzumischen, und hat Ägypten dreißig Jahre lang in Sicherheit gehalten.“ 

Die Schuld für die Revolution sieht sie bei „dieser Geschäftsmänner-Regierung. Diese Leute haben alles kontrolliert; Mubarak war damals krank und konnte nichts unternehmen.” Doch zu seiner Zeit sei es dem Land auf jeden Fall besser gegangen als heutzutage. 

„Unschuldig, trägt aber die Verantwortung“ 

Amals Sohn Ahmad Safwat*, der 25 Jahre alt ist, sieht das anders. „Fair ist es auf keinen Fall. Ich habe zwar erwartet, dass Mubarak freigesprochen wird, aber nicht so einfach und so direkt.” Es sei nicht gerecht, da niemand die Verantwortung übernommen habe. „Wer aber hat dann die Demonstranten umgebracht und erschossen?“, fragt Ahmad.  Mubarak habe bestimmt keine Befehle gegeben, die Demonstranten umzubringen, das wäre sonst ein unfassbarer Massenmord. „Er war aber verantwortlich für das, was im Land passierte. Und jeder Beamte, der einen Fehler gemacht hat, sollte verurteilt werden.” Ahmad will nicht ausschließen, dass womöglich korrupte Geschäftsmänner Kriminelle angeworben hätten, um die Demonstranten umzubringen, sagt er. 

Obwohl unter Mubarak Vieles schlimm gewesen sei, habe er doch die Rechte armer Menschen nicht berührt. „Eine arme Familie konnte mit fünf oder zehn Pfund Kartoffeln und Brot kaufen und weiterleben. Die Preise von Gas und Strom und Wasser waren immer noch bezahlbar.” Mubarak habe Charisma gehabt und auf wirtschaftliche Probleme reagieren können. „Er war aber auch korrupt und erlaubte, dass viele Leute schlecht behandelt wurden. Die Ausbildung und die Gesundheit waren sehr schlecht. Das sollte man auch nicht vergessen.”

Letztlich ist das Urteil für Ahmad nicht so wichtig, es ändere ja nichts am Leben in Ägypten. „Damals habe ich 900 Pfund verdient, heute verdiene ich 3000 Pfund. Aber das macht keinen Unterschied, weil alles viel teurer geworden ist.” 

Die Revolution wurde niedergeschlagen  

„Es wäre ja seltsam gewesen, wenn Mubarak verurteilt worden wäre“, sagt Muhammed Refaat*, ein 32 Jahre alter Journalist in Kairo. Mubaraks Männer und Minister seien schließlich auch alle freigesprochen worden, sagt er. Das alte Regime regiere Ägypten jetzt wieder, während die Rebellen im Gefängnis lägen. „Das Urteil hat keinen überrascht. Jeder weiß, dass die Revolution niedergeschlagen wurde.“

Heute laufe alles katastrophal, Mubaraks Urteil sei nicht der große Aufreger. „Es ging ja nicht um Mubarak, sondern um sein Regime. Wäre er verurteilt worden, hätte er seine Strafe in einem Fünf-Sterne-Krankenhaus verbracht.”

Muhammed, der 2011 an den Demonstrationen teilgenommen hat, wird nervös, wenn er über den früheren Präsidenten redet. „Mubarak ist ein Hund und dreckig. Er ist verantwortlich für all die Krisen, die Ägypten jetzt erlebt.” Innerhalb von Mubaraks knapp 30 Jahren habe sich der Staat in allen Bereichen extrem verschlechtert, Korruption sei weit verbreitet gewesen. Aber im Vergleich zum heutigen Regime sei Mubarak „niedlich“, deswegen wünschten sich viele, dass seine Zeit zurückkomme, sagt Muhammed.  

„Mubarak hätte die Todesstrafe bekommen sollen“

Heutzutage erlebe die Meinungsfreiheit ihre schlimmsten Phasen, Mord, willkürliche Verhaftungen und Folter seien weit verbreitet. „Die Wirtschaft ist am schlimmsten“, sagt Muhammed, „man regiert das Land viel schlimmer und die Gerichte werden vom Staat kontrolliert“.  Wäre der Prozess fair gelaufen, sollte Mubarak die Todesstrafe bekommen, findet Muhammed, „ganz einfach, weil er die Demonstranten umgebracht hat.“ Nicht zu vergessen seien „all die Menschen, die in seiner Zeit zu Tode gefoltert wurden und in Gefängnisse geworfen.” Mubarak habe Hochverrat begangen, als er das Gas „fast kostenlos“ an Israel abgegen und auch ägyptisches Land sehr günstig verkauft habe. „Allein wegen der ganzen Korruption sollte er lebenslang in Haft kommen.”

 

*Name geändert

Artikel von Aisha Abdelrahman
Redigiert von Bodo Straub