03.04.2022
Frühlingsfest im neuen Gewand
Shokoofas Mutter Ensieh und Schwester Newsha kurz vor Neujahrsbeginn, Babol, Iran 2020 Foto von Shokoofa Molana
Shokoofas Mutter Ensieh und Schwester Newsha kurz vor Neujahrsbeginn, Babol, Iran 2020 Foto von Shokoofa Molana

Das iranische Neujahrsfest Nowruz war im März 2020 besonders. Nur kurze Zeit vorher brach in Iran das Virus COVID-19 aus. Welche Erinnerungen haben Iraner:innen an das Fest? Ein Rückblick.

„Balatar az siyahi rangi nist“ („Es gibt keine Farbe jenseits von Schwarz“) – sagt mein Freund Parsa zu mir, als er sich an das Nowruz-Fest 2020 in Iran erinnert. Anfang des Jahres brach die Covid-19-Pandemie aus und entwickelte sich in Iran zum Höhepunkt eines Dramas, das schon Monate zuvor begonnen hatte. Die Farbe Schwarz begleitete die Menschen schon vor Nowruz.

Bereits seit 2016 wurden die Leben vieler Iraner:innen durch die US-Sanktionen in ihren Grundzügen erschüttert. Ausgeschlossen vom internationalen Handel, brachte die stetig steigende Inflation das Land in eine wirtschaftliche Schieflage, die im November 2019 schlussendlich zu landesweiten Protesten führte. Kurze Zeit später, am 03. Januar 2020 töteten US-Truppen Qasem Soleimani in Bagdad.

Soleimani war ein wichtiger iranischer Offizier und im ganzen Land hingen in den Städten riesige Banner, auf denen er als Märtyrer gefeiert wurde. Die iranischen Medien waren durchzogen von einer Kriegsrhetorik, die täglich mit militärischen Gegenschlägen drohte. Nur wenige Tage später stürzte das Flugzeug einer ukrainischen Airline in Teheran ab. Dabei kamen 176 Menschen ums Leben.

Und alles wurde still – Lockdown vor Nowruz

Es blieb den Menschen in Iran damals kaum Luft zum Atmen und kaum Zeit zu realisieren, was in den letzten Monaten passiert war. Viele freuten sich daher auf Nowruz (wörtlich übersetzt „neuer Tag“). Das Neujahrsfest Nowruz ist das wichtigste Fest im Land, es wird auch in vielen anderen Ländern, wie Afghanistan, Kurdistan oder Usbekistan gefeiert. Die Feierlichkeiten dauern 13 Tage und beginnen am Frühlingsanfang, dem 20. oder 21. März. Iraner:innen besuchen in dieser Zeit ihre Familie, Verwandte oder Freund:innen und verreisen im Land.

Ende Februar 2020 gab die Regierung die ersten offiziellen Coronafälle in Iran bekannt. Die Zahlen stiegen rapide an und überschritten Mitte März die Marke von 20.000 Infizierten. Damit die Zahlen nicht weiter anstiegen, verhängte die Regierung kurz vor Nowruz einen landesweiten Lockdown.

Am Abend von Chaharshanbe Suri, der letzte Mittwoch vor Nowruz, Iran 2020. Foto: Shokoofa Molana

Als ich einige Tage später in Teheran Lebensmittel einkaufte, bot sich mir ein apokalyptisches Bild. Die Millionenmetropole war wie leergefegt. Im Supermarkt war ich die einzige Kundin. Hastig packten Lieferboten die Lebensmittelbestellungen von Menschen ein, die sich nicht mehr auf die Straße trauten. Von einem Tag auf den anderen wurde die sonst so laute Stadt Teheran plötzlich still.

Neue Rituale gegen die Ungewissheit

Die Behörden forderten die Bevölkerung auf das Haus möglichst nicht zu verlassen. Viele Iraner:innen durften nicht mehr arbeiten gehen oder verloren ihre Beschäftigung. Die Fotografien in diesem Beitrag stammen von der Fotografin Shokoofa Molona. Sie wohnt mit ihrer Familie in Babol im Norden Irans. Ihre Mutter und Schwester betreiben dort ein Bekleidungsgeschäft. Während des Lockdowns durften sie es nicht öffnen, während ihr Vater persönlich bei seiner Arbeit als Buchhalter erscheinen musste.

Shokoofa sorgte sich um ihn, denn zu Beginn der Pandemie war nur wenig über das Corona-Virus bekannt. Niemand wusste, wie gefährlich das Virus ist, wie es übertragen wird und wie man sich vor ihm schützen kann. Im iranischen Fernsehen und in den Sozialen Medien zirkulierten unterschiedliche Informationen darüber, wie eine Infektion mit dem Virus abzuwehren sei. So machte das Gerücht die Runde, Vitamin D sei im Kampf gegen das Virus essenziell.

Shokoofas Vater Mohsen sitzt auf der Terrasse des Hauses, um Vitamin-D zu tanken. Foto: Shokoofa Molana

Die Iraner:innen waren bei der Bewältigung der Pandemie auf sich selbst gestellt und versuchten, sich so gut wie möglich zu schützen. Bevor sie nun die Haustür öffneten, setzten sie sich eine Maske auf; in der Handtasche war immer ein voll aufgefülltes Desinfektionsspray, um alles jeder Zeit reinigen zu können. Einige aus meiner Familie ließen ihre Einkäufe teils Tage vor der Haustür unberührt stehen – es hieß, dass so die gefährlichen Corona-Viren absterben würden.

Auch ich wusch jede einzelne Verpackung gründlich ab, bevor ich sie in die Schränke verstaute. Und ja, im Nachhinein wissen wir, dass es unnötig war. Doch so verschafften wir uns Kontrolle in einer Zeit, in der alles ungewiss war. Im Gegensatz zu all dem, was sich zuvor in Iran ereignet hatte, erschien Corona als etwas, dass man durch das eigene Handeln beeinflussen konnte, wie mein Freund Parsa feststellte: „Dieses Mal liegt es in unserer Hand. Dieses Mal können wir diese schreckliche Situation selbst abwenden und handeln.“

Das Zuhause als Rückzugsort

Neujahrsgratulationen werden 2020 digital versendet.  Foto: Shokoofa Molana

Denke ich an die Nowruz-Feiertage von 2020 zurück, erinnere ich mich daran, dass ich unser eigenes Zuhause anders empfunden habe. Während der Pandemie wurde es für mich zur Kulisse, in der sich das Leben neu anordnete. Die Fotografien von Shookofa dokumentieren die Pandemie-Momente ihrer Familie. Ihre Aufnahmen halten das Besondere in scheinbar trivialen Momenten fest. „Das Fotografieren half mir dem depressiven Gefühl, das mich schon länger verfolgt, nicht gänzlich zu verfallen – und natürlich wusste ich, dass dieses erste Nowruz im Kontext der Pandemie in unseren Köpfen bleiben wird“, beschreibt Shookofa ihre Motivation für die Bilder.

Zum Foto ihrer Mutter Ensieh und Schwester Newsha, die nur wenige Stunden vor Neujahrsbeginn im Pyjama auf dem Sofa sitzen, meint Shookofa: „Ich glaube, es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich meine Mutter und meine Schwester sehe, wie sie kurz vor Nowruz einfach nur dasitzen und auf ihre Telefone starren, weil viele der Rituale und Traditionen wegen Corona mehr oder weniger ausgefallen sind.“

Das Wohnzimmer von Shokoofas Familie.  Foto: Shokoofa Molana

Obwohl Shokoofa ihre Bilder in den ersten Wochen der Pandemie machte, sind sie keine Abbilder eines Ausnahmezustands. Sie zeigen, wie ihre Familie die Situation zum Positiven wendet. Ängste und Sorgen blendeten ihre Mutter, Vater und Schwester über die Feiertage aus. Das Wohnzimmer wurde zum Rückzugsort für die Familie, an dem sie zusammenkam und jede:r unterschiedlichen Aktivitäten nachging.

Einigen meiner Freund:innen schenkte der Lockdown auch einen Moment der Ruhe und sie waren erleichtert, dass sie ein Jahr einmal nicht den Konventionen von Nowruz folgen mussten. Normalerweise sind die Neujahrsfeiertage vollgepackt mit Besuchen, bei denen man nicht nur Gast ist, sondern als auch Gastgeber:in viele Menschen zu verköstigen hat. Viele entlastete der Lockdown daher finanziell. Sie mussten das sonst schon knappe Geld nicht für opulente Feiern mit viel Essen ausgeben.

Sizdah Be-Dar, der letzte Tag von Nowruz, den man normalerweise in der Natur verbringt, findet nun im Innenhof des Hauses statt.  Foto: Shokoofa Molana

Ein Augenblick, in dem die Welt zusammenzuwachsen schien

Viele Menschen in Iran feierten Nowruz im Jahr 2020 zwar allein zu Hause, dennoch entstand ein kollektives Gefühl der Verbundenheit. Für Parsa, der die Feiertage mit seiner Familie in Teheran verbrachte, war es das erste Mal, dass Iran nicht als einziges Land Negativschlagzeilen machte. Während der Nowruz-Feiertage, also zwischen 20. März und 1. April 2020, entwickelte sich die Situation zu einer globalen Katastrophe.

„Niemand hörte uns. Normalerweise hört niemand unseren Schmerz. Und jetzt spürt es die ganze Welt!“, beobachtete Parsa. Die Pandemie konfrontierte Menschen auf der ganzen Welt mit demselben Problem. Es schien, als seien die globalen Hierarchien für einen Moment außer Kraft gesetzt. Als Europa und die USA einige Monate später über die Verteilung der Impfstoffe entschieden, waren die alten Machtgefälle aber wieder da.

Trotz allem schaute Parsa optimistisch auf das neue Jahr. Mit der Farbe Schwarz lebe man schon lange und nun habe man genug Resilienz aufgebaut, um gewappnet ins nächste Jahr zu starten – denn eine Farbe jenseits von Schwarz existiere nicht.

 

 

Jasmin Holtkötter (M. A.) hat Islamische Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften in Bamberg, Leipzig und Teheran studiert. Sie beschäftigt sich mit zeitgenössischer Kunst und visueller Kultur aus WANA.
Shokoofa Molana ist 30 Jahre alt lebt und arbeitet in der Stadt Babol, in der nordiranischen Provinz Mazandaran. An der Universität Teheran hat sie Erneuerbare Energie studiert und bis zu den US-Sanktionen als Ingenieurin für ein internationales Unternehmen gearbeitet. Als Schülerin des iranischen Fotografens Farhad Babai, beschäftigt Shokoofa...
Redigiert von Eva Hochreuther, Clara Taxis