06.01.2011
Gewalt und Diskriminierung gegen Kopten in Ägypten
Ein Gastbeitrag von Daniela Schlicht
Weltweit hat der Selbstmordanschlag auf die koptische al-Qiddissin Kathedrale in Alexandria für Schlagzeilen gesorgt. Die über 20 Toten und 70 Verletzten der Neujahrsnacht markieren einen neuen Höhepunkt der Gewalt gegen die Kopten Ägyptens. Der Anschlag reiht sich ein in die massiven Anfeindungen, denen sich Christen im Nahen und Mittleren Osten seit George W. Bushs vermeintlichem „Kreuzzug gegen das Böse“ ausgesetzt sehen. So wundert es auch nicht, dass die regierende Nationaldemokratische Partei Ägyptens und ihr voran Präsident Hosni Mubarak hinter dem Anschlag von Alexandria ausschließlich „ausländische Kräfte“ wähnen, die sie in den irakischen Zellen al-Qaidas verorten.
Tatsächlich hatten mit al-Qaida sympathisierende militante Islamisten nach einem Überfall auf eine Bagdader Kirche im Oktober 2010 damit gedroht, Anschläge auf Christen im gesamten Nahen Osten, insbesondere aber in Ägypten zu verüben. Sie argwöhnten, dass die Koptisch-Orthodoxe Kirche zwei zum Islam übergetretene Frauen koptischer Herkunft in Ägypten gefangen halte. Jedoch ist es unwahrscheinlich, dass in Mubaraks Polizeistaat Fremde, allein und ohne die Unterstützung ägyptischer Helfer, einen solchen Anschlag wie in Alexandria organisieren können. Die Unzufriedenheit großer Teile der ägyptischen Bevölkerung mit Mubaraks korrupten, autokratischen Regime macht den Islam als gesellschaftspolitisches Gegenmodell populär – und so manches Mal verschwimmen die Grenzen zwischen einem friedlichen Islamismus und seiner militanten Übersteigerung. 
 
Mubarak, im Grunde Verfechter des Säkularismus, hat wie bereits sein Amtsvorgänger Anwar as-Sadad die Popularität des politischen Islam erkannt und begegnet der schwindenden Sympathie der Bürger mit der Islamisierung des ägyptischen Staates. Das manifestiert sich beispielsweise in der noch unter Sadad beschlossenen Verfassungsänderung von 1980, welche die Scharia, das islamische Recht, zur Hauptquelle der ägyptischen Gesetzgebung macht. Ihr folgten unter Mubarak eine Reihe von Gesetzesänderungen, welche die Islamisierung Ägyptens fortführen. 
 
Für die Kopten, die etwa zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung ausmachen, ist diese Entwicklung fatal. Seit Jahren sind sie unzähligen administrativen und rechtlichen Diskriminierungen, gedeckt durch den ägyptischen Staat, ausgesetzt. Ausschließlich durch die Konversion zum Islam oder durch die Migration ins Ausland können sie sich den Benachteiligungen entziehen. 
 
Massiv behindert der ägyptische Staat seine koptischen Bürger etwa an der Ausübung ihrer Religion: Der wohl politisch aufgeladenste Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen Kopten und Muslimen ist der des Kirchenbaus. Die Renovierung oder gar der Neubau von Kirchen ist nach ägyptischem Recht an eine Reihe kaum zu erfüllender Bedingungen geknüpft. Im Ergebnis erfolgt die Instandsetzung der Gebäude deshalb illegal, was regelmäßig zu Auseinandersetzungen zwischen Kopten einerseits und der ägyptischen Polizei und Muslimen andererseits führt. Seit Jahren klagen Kopten über die Gewaltbereitschaft und Willkür, mit der die ägyptische Polizei gegen sie vorgeht. Erst im November 2010 starb ein Kopte bei Demonstrationen gegen einen von den ägyptischen Behörden angeordneten Baustopp an einer Kapelle in Kairo.
Die Diskriminierungen beschränken sich aber nicht nur auf den Kirchenbau: Vor Gericht sind Kopten dem ägyptisch-islamischen Recht unterworfen. Eine Ausnahme sind Hochzeiten und Ehescheidungen. In diesen Fällen findet das sehr restriktive koptische Recht Anwendung, auch gegen den Willen der Betroffenen. Das islamische Recht wiederum diskriminiert alle Nicht-Muslime, darunter die Kopten, strukturell. Das ist vom ägyptischen Staat erwünscht, um die Bereitschaft zum Islam zu konvertieren zu fördern. In dem Maße, wie das ägyptisch-islamische Recht Kopten benachteiligt, schränkt es allerdings auch die Religionsfreiheit von Muslimen ein. Denn Apostasie, der Abfall vom Islam, hat auch für Muslime in Ägypten eine Reihe rechtlicher Diskriminierungen zur Folge, etwa die Zwangsscheidung, den Verlust sämtlicher Erbansprüche oder des Sorgerechts über die Kinder. 
 
Das Bekenntnis zur Koptisch-Orthodoxen Kirche hat für die Christen Ägyptens zudem Konsequenzen für das Berufsleben: Karrierechancen im Staatsdienst sind nahezu ausgeschlossen. Ebenso sind Kopten im Bildungssystem, in den Medien und weiteren gesellschaftlichen Schlüsselpositionen stark unterrepräsentiert. An eine Karriere in der Politik oder dem Militär ist für Kopten seit Jahrzehnten nicht mehr zu denken.
Der koptisch-orthodoxe Bischof Anba Gabriel erläuterte 2009 gar, dass das „koptische Martyrium“ in Ägypten bereits fester Bestandteil der koptischen Identität geworden sei. Neu ist allerdings die Gewaltbereitschaft, mit der militante Islamisten gegen Kopten vorgehen. Erst in der Nacht zum 7. Januar des letzten Jahres, am koptischen Weihnachtsfest, erschossen Islamisten vor einer Kirche im oberägyptischen Naj Hammadi acht Kopten und einen muslimischen Polizisten. Und wie der Anschlag in Alexandria an Neujahr beweist, dreht sich die Gewaltspirale weiter. Die Beziehungen zwischen der sunnitisch-muslimischen Mehrheit und der koptischen Minderheit sind inzwischen äußerst gespannt.
Für Mubarak, der trotz der religiös-politischen Konfliktkonstellation zwischen Kopten und Muslimen gern die Einheit der ägyptischen Nation beschwört, bietet der Anschlag von Alexandria neue Möglichkeiten für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Herbst: Trotz aller Proteste der politischen Opposition wird sie ihm den Vorwand liefern die allseits verhassten Notstandsgesetze aufrechtzuerhalten – und damit seinem Regime über die Wahlen hinweg das Überleben sichern. Ob die Demokratiebewegung unter Mohamed el-Baradei dennoch Erfolg haben und den Kopten eine gleichberechtigte Teilhabe im ägyptischen Staat sichern wird, steht in den Sternen.

Daniela Schlicht ist Politologin im Exzellenzcluster "Politik und Religion in den Kulturen der Vormoderne und Moderne" an der Universität Münster. Sie ist Mitherausgeberin des 2010 erschienenen Sammelbandes "Kollektive Identitäten im Nahen und Mittleren Osten: Studien zum Verhältnis von Staat und Religion"  und hat dort u.a. einen Beitrag über die Kopten Ägyptens verfasst.