Sei es die Freedom Flotilla, der Soumoud-Konvoi aus Nordafrika oder die Aktivist:innen, die sich in Ägypten zum Marsch nach Rafah getroffen hatten: Alle Aktionen, um Hilfsgüter nach Gaza zu bringen, wurden von staatlicher Seite gewaltsam verhindert.
Die anfänglich euphorischen Bilder des Soumoud-Konvois auf den libyschen Autobahnen, geschmückt mit Palästinaflaggen, wichen jenen von einem tristen Lager am Straßenrand mitten in der Wüste. Nahe der libyschen Stadt Sirte sind die Busse und Autos zum Stehen gekommen, wo die Ägypten-nahe Haftar-Gruppe die Kontrolle innehat.
Mit 1500 Menschen machte sich der Soumoud-Konvoi (dt.: Standhaftigkeit) am 9. Juni in Tunesien auf den Weg nach Rafah, viele weitere schlossen sich an: „Das einzige Ziel des Konvois ist es, die ungerechte Belagerung unseres Volkes [des arabischen Volkes] in Gaza zu brechen und seinen Genozid zu stoppen“, heißt es in einer offiziellen Erklärung.
Auslöser der Aktion ist die Blockade der für den Gazastreifen bestimmten Hilfsgüter, mit der Israel seit Anfang Mai kaum Hilfsgüter nach Gaza lässt und somit die Menschen aushungert. Eine vermeintliche Lockerung der Blockade nannte der Vorsitzende von Ärzte ohne Grenzen, Christian Katzer, im ARD-Morgenmagazin „fadenscheinig“. Israel wolle lediglich den Vorwürfen entgehen, Hunger als Kriegswaffe zu verwenden, was ein Kriegsverbrechen darstellt. Die nun zugelassenen Hilfeleistungen seien bei weitem nicht ausreichend.
Ägypten setzt auf Repression
Der Soumoud-Konvoi ist aber nicht die einzige Aktion, mit der Aktivist:innen versuchen, das Hungern in Gaza zu beenden. Während der Landkonvoi in Sirte blockiert wird, erlebten die etwa 7000 Menschen, die auf anderen Wegen nach Ägypten kamen, Repressionen: Vielen Menschen wurde die Einreise verwehrt, andere erlebten physische Gewalt und Durchsuchungen ihrer Unterkünfte seitens der Polizei. Zwischen Kairo und der Stadt Ismailia schlug die Polizei auf Menschen ein, die sich auf dem Weg zum Startpunkt des Marsches in al-Arish befanden. Sie konfiszierten Pässe und machten Telefone kaputt, da keine Bilder der Gewalt an die Öffentlichkeit gelangen sollten. Die Teilnehmenden mussten daraufhin den Rückweg nach Kairo einschlagen.
„Wieder wurde eine Massenbewegung, um humanitäre Hilfe nach Gaza zu bringen, gewaltsam unterdrückt und die europäischen Staaten schweigen dazu“, kommentiert die französisch-palästinensische Europaabgeordnete Rima Hassan, die als Crewmitglied auf der Freedom Flotilla Madleen segelte. Dabei bezieht sie sich wohl unter anderem auf den Global Conscience Convoy, der im November 2023 von den ägyptischen Behörden verhindert wurde.
Früher Stopp für den Konvoi
Für den Soumoud-Konvoi scheint die Reise nach Ägypten im libyschen Sirte ein Ende zu nehmen. Seit Freitag, dem 13. Juni, hatten die Teilnehmenden in der Wüste um Sirte auf eine Weiterreisegenehmigung gewartet. Nun hat das ostlibysche Regime unter Haftar dem Konvoi ein 72-stündiges Ausreiseultimatum gestellt und sechs Aktivist:innen festgenommen. Der Konvoi wiederum verweigert die Rückreise, solange die Inhaftierten nicht freigelassen werden.
Ägypten scheint damit auf die Forderung des israelischen Außenministers einzugehen, der Mitte letzter Woche sagte: „Ich erwarte von den ägyptischen Behörden, dass sie die Ankunft der dschihadistischen Demonstranten an der israelisch-ägyptischen Grenze verhindern.“ Tatsächlich sind auf einigen Bildern des Soumoud-Konvois Hamas-Symbole zu erkennen. In Algerien, Tunesien und Libyen wird die Hamas nicht als Terrororganisation eingestuft. Die Organisator:innen des Soumoud-Konvois betonen in einem Statement, dass der Konvoi keine politische oder ideologische Couleur habe.
Vorhut durch Freedom Flotilla
Auch der Versuch über den Seeweg Hilfsgüter nach Gaza zu bringen war am 8. Juni gescheitert, als die israelische Armee das Schiff Madleen der Freedom Flotilla Coalition kaperte und die Crewmitglieder festnahm. Unter ihnen waren die Klimaaktivistin Greta Thunberg, die deutsche Aktivistin Yasemin Acar, sowie der brasilianische Aktivist Thiago Avila, der an der Beerdigung des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah teilgenommen hatte. Der Verfassungsschutz ordnet die Hisbollah als islamistische Terrororganisation ein. Aus der Haft schrieb das Crewmitglied Marco van Rennes: „Um ein weiteres Kriegsverbrechen seitens Israel zu verhindern, müssen sie [die Regierungen aller Länder] jetzt aktiv werden: Sie müssen sich dem Apartheidsregime Israels widersetzen und ein sicheres Geleit des Soumoud- Konvois garantieren [...]. Der Moment zu handeln ist jetzt!“ Van Rennes und neun weitere Crewmitglieder wurden mittlerweile aus Israel ausgewiesen und sind auf freiem Fuß.
Die Freedom Flotilla Coalition gründete sich 2010, um gegen die seit 2007 bestehende Blockade des Gazastreifens zu protestieren, die Israel als Reaktion auf den Wahlsieg der Hamas eingerichtet hatte. Damit sollte laut israelischen Behörden Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung verhindert werden, ohne eine humanitäre Krise auszulösen, wie sie der Zeitung Die Welt auf Anfrage mitgeteilt hatten. Bereits in den 1990er-Jahren hatte Israel einen Zaun um den Gazastreifen gebaut, den Personenverkehr sowie Im- und Exporte eingeschränkt.
Im Gründungsjahr der Freedom Flotilla Coalition brach ein Schiff aus der Türkei Richtung Gazastreifen auf und wurde ebenfalls illegalerweise in internationalen Gewässern von der israelischen Armee gekapert und neun Aktivist:innen umgebracht.
Europa schaut weg
Trotz der Hungerkatastrophe, die zu den Massentötungen und der nahezu kompletten Zerstörung der Infrastruktur hinzukommt, besteht Deutschland in seiner Erklärung am 21. Mai 2025 auf das Selbstverteidigungsrecht Israels, mahnt aber an, dass die humanitäre Hilfe Gaza erreichen müsse. Dazu möchte Bundeskanzler Merz einen Staatsbesuch Benjamin Netanjahus in Deutschland ermöglichen, den Bundespräsident Steinmeier unlängst in Israel getroffen hatte. Als Unterzeichner des Internationalen Strafgerichtshofs müsste Deutschland den israelischen Premierminister jedoch auf eigenem Staatsterritorium festnehmen.
Zur Inhaftierung der deutschen Staatsbürgerin Yasemin Acar, die an Bord der Freedom Flotilla war, äußert sich das Auswärtige Amt in der Presseanfrage des deutschen Journalisten Tarek Baé nichtsahnend: „Einzelheiten zu der aus den Medienberichten bekannten Freedom Flotilla Coalition sind uns nicht bekannt.“ Indes senden Deutschland und auch Frankreich weiter Waffen nach Israel.
Frankreichs Staatspräsident Macron gab im Mai bekannt, Palästina als Staat anerkennen zu wollen und nannte die Blockade Gazas „eine Schande“. Großbritannien, Australien, Kanada, Neuseeland und Norwegen verhängten Einreisesperren gegen Israels Finanzminister Bezalel Smotrich und Polizeiminister Itamar Ben-Gvir und froren deren Konten ein. Grund dafür war, dass die Minister „zu extremistischer Gewalt und schwerwiegenden Verstößen gegen die palästinensischen Menschenrechte“ aufgerufen hatten.
Eine neue Stufe des Aktivismus
Neben der Freedom Flotilla und dem Soumoud-Konvoi protestieren auch in der südfranzösischen Stadt Marseille Hafenarbeiter:innen gegen Israels Krieg. Sie weigerten sich, Rüstungsexporte der französischen Firma Eurolink auf ein israelisches Schiff zu verladen. Die Hafenmitarbeiter:innen „leisteten Widerstand gegen den Krieg, das Massaker am palästinensischen Volk und den fortlaufenden Genozid“, heißt es auf der Facebook-Seite der Gewerkschaft der Conféderation Géneral des Travailleurs (CGT). Seit Beginn des Krieges im Oktober 2023 widersetzen sich Hafenmitarbeiter:innen aus unterschiedlichen Ländern wiederholt der Verschiffung von Waffen Richtung Israel.
Die letzten Tage zeigen, dass sich weltweit Aktivist:innen für Gaza mobilisieren und dieses Engagement eine neue Form annimmt. Die UN-Sonderbeauftragte für die besetzen palästinensische Gebiete, Francesca Albanese, rief am 12. Juni in einem emotionalen Instagram Reel alle Staaten auf, am 15. und 16. Juli in Bogotà an der von Südafrika und Kolumbien organisierten Notfallkonferenz teilzunehmen. Dabei appelliert sie einerseits an europäische Länder, endlich Taten auf Worte folgen zu lassen, andererseits an Länder aus WANA. Bei weiterer Untätigkeit werden sie als Komplizen des Genozids in die Geschichte eingehen, so Albanese, „es geht um unsere gemeinsame Zukunft“.