11.03.2019
Haifa Subay: „Wir haben es mit zwei Feinden zu tun“
Haifa Subays jüngstes Wandgemälde trägt den Titel „Knochenkind“. - Eine Anklage an die Kriegsparteien im Jemen und die durch sie verursachte Hungersnot. Credit: Haifa Subay, Instagram
Haifa Subays jüngstes Wandgemälde trägt den Titel „Knochenkind“. - Eine Anklage an die Kriegsparteien im Jemen und die durch sie verursachte Hungersnot. Credit: Haifa Subay, Instagram

Seit vier Jahren ist der Jemen im Krieg versunken und ihre Heimatstadt Sanaa wird von den Houthi-Rebellen kontrolliert: Künstlerin Haifa Subay macht mit Streetart auf das Leid von jemenitischen Frauen und Kindern aufmerksam.

Dieser Text ist Teil der Serie Aufgehorcht. Darin stellen wir euch anlässlich des Internationalen Weltfrauentags am 8. März Einzelpersonen, Initiativen und NGOs aus der WANA-Region vor, die an den bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern rütteln. Alle Texte der Serie findet ihr hier.

Mit dreierlei Farbtöpfen und Pinseln im Schlepptau macht sich Haifa Subay an einem Tag im August 2017 das erste Mal auf den Weg zu ihrer Leinwand – die vom Krieg gezeichneten Straßen Sanaas. Ein paar Stunden später ist Haifas dunkle Abayya mit weißen Farbklecksen übersäht und die Künstlerin zufrieden: Eine Frau mit rotem Gesicht, die sich hinter einer Wand versteckt, schaut ihr ängstlich entgegen. Haifa wird das Bild „Hinter der Zerstörung“ nennen. Das Erste ihrer Reihe #Silent_ Victims, stumme Opfer.

Über zwei Jahre ist es zu diesem Zeitpunkt her, dass die Houthi-Rebellen Haifas Heimatstadt unter ihre Kontrolle gebracht und Präsidenten Abd-Rabbu Mansur Hadi zum Rücktritt gezwungen haben. Während sich der entmachtete Hadi in Aden und später im saudischen Exil in Sicherheit bringt, regnet es Bomben der von Saudi-Arabien geführten Militärallianz auf Haifa und die anderen Bewohner*innen Sanaas.

Mehr als 16 000 Luftangriffe in ganz Jemen fliegt die Allianz, die aus Ländern wie den Vereinten Arabischen Emiraten, Ägypten und Jordanien besteht, allein im Zeitraum März 2015 bis März 2017. Nachts hat die heute 28-jährige vor den Einschlägen besonders Angst: „Ich habe viel geweint und musste Schlaftabletten nehmen“, sagt sie. Bis heute sind etwa 4600 Zivilist*innen der insgesamt auf rund 60 000 geschätzten Kriegstoten durch Luftangriffe getötet worden. Viele von ihnen sind Frauen und Kinder: „Für mich sind sie die wahren Opfer des Krieges,“ sagt Haifa.

Seit ihrem ersten Bild im August 2017 hat sie diesen Kriegsopfern die Mehrzahl der Bilder ihrer #Silent_Victim Reihe gewidmet. Da ist etwa das Porträt eines einbeinigen Jungen mit starrem Blick, der ein mit roter Schleife verziertes Geschenk vor sich herträgt. Darin ein Bein. Sein Bein. „Er ist auf eine Landmine getreten“, sagt Haifa, „nun überreicht er es der Welt.“ Mindestens 920 Menschen sollen durch die seit Beginn des Krieges von den Houthis verstreuten Landminen gestorben sein. Tausende wurden durch sie verletzt. Auch wenn er irgendwann vorbei sein sollte, werden regelmäßige Minenexplosionen die Jemenit*innen noch für Jahre an den Krieg erinnern.

 Haifa Subay Facebook
Ihre Kunst ist für Haifa auch ein Mittel, die eigene Ohnmacht zu überwinden: 2016 verlor sie ihren Job in einer Import-Export Firma. Auch wenn die Weltbank für den Jemen aktuell eine Jugendarbeitslosigkeit von 26 Prozent angibt, dürfte der Wert aufgrund des Krieges deutlich höher sein. Im Gegensatz zu vielen anderen jungen Menschen, geht es Haifa finanziell trotzdem gut. Die Familie ist vergleichsweise wohlhabend und unterstützt sie bei der Finanzierung ihrer Straßenkunst. Außerdem sind einige ihrer Geschwister selbst kunstbegeistert und wie Haifa seit ihrer Kindheit gestalterisch tätig.

So auch ihr älterer Bruder Murad Subay. „Er war 2012 einer der Ersten, der Streetart im Jemen groß gemacht hat“, sagt Haifa stolz. Tatsächlich gehörten Stencils, Tags und Murals - also Wandbilder wie Haifa sie malt - bis zur Revolution 2011 nicht zum Standardrepertoire der jemenitischen Kunst. Inspiriert durch Länder wie Ägypten und den britischen Banksy, begann Murad, Gleichgesinnte für erste Kampagnen zu gewinnen. Sie bemalten zu Beginn von Einschusslöchern verunstaltete Gebäude. Seit 2015 ist Murad Hauptorganisator des jährlichen „Offenen Tages der Kunst“, an dem die Zivilbevölkerung in verschiedenen Teilen Jemens zur gemeinsamen Verschönerung ihrer Städte angehalten wird. Großer Hype um Einzelpersonen ist der Szene fremd.

Auch Haifa zieht zum Malen oft nicht allein los und wird von Freund*innen begleitet. Geschlechterrollen stellen dabei nur eine Herausforderung unter vielen dar. Vorbeilaufende Passant*innen wundern sich, woher das Geld für ihre kritische Kunst stammt. Auch die Houthis, die in Sanaa und weiten Teilen Nordjemens nach wie vor das Sagen haben, stehen ihr skeptisch gegenüber und bedrohen sie regelmäßig: „Neulich hat mich jemand kontaktiert und mir vorgeworfen, von Saudi-Arabien unterstützt zu werden.“

Sich auf eine Seite zu stellen, kommt für Haifa nicht in Frage. Für sie verüben alle am Krieg beteiligten Parteien Verbrechen. „Die Welt schaut auf Syrien, Palästina, den Irak,“ sagt Haifa: „Der Jemen wird ignoriert. Und die USA und Großbritannien beteiligen sich am Krieg.“ Auch aus Deutschland kommen Fahrzeuge und Waffenteile im Jemenkrieg zum Einsatz , wie das Rechercheprojekt #Germanarms vor Kurzem detailliert aufgedeckt hat. Haifas jüngstes Wandgemälde, das den Titel „Knochenkind“ trägt und auf die aktuelle Hungersnot aufmerksam macht, an der bisher 85 000 Kinder gestorben sein sollen, ist somit als eine internationale Anklage zu verstehen.

 Haifa Subay Facebook
Doch mit einem Portrait von Aseela Alnehmi, „Kindheit des Schmerzes“ genannt, äußert sich Haifa auch zu aktuellen innerjemenitischen Debatten. Der Fall des achtjährigen Mädchens aus der Nähe von Sanaa, das von seinem Vater zu Tode geprügelt wurde, erschütterte im August 2018 die jemenitische Gesellschaft. „Auch wenn der Vater mittlerweile in Haft ist, leben Aseelas Geschwister weiterhin im Hause des Täters.“ Und nicht bei der von ihm geschiedenen Mutter der Kinder. Dieser Zustand ist für Haifa unerträglich.

Gefragt nach ihren Wünschen für die Zukunft, gibt die Künstlerin drei Antworten: „Ich möchte, dass Frauen und Kinder im Jemen nicht mehr für Brot, Wasser und Gas anstehen müssen.“ Die Houthis hätten seit zwei Jahren keine Gehälter mehr gezahlt. Bettelnde Menschen seien im Stadtbild Sanaas allgegenwärtig. An die Welt gerichtet sagt sie: „Sie muss verstehen, dass wir es mit zwei Feinden zu tun haben: Die saudische Militärallianz und die Houthis.“ Für sich selbst wünscht sie sich „ein normales Leben zu führen. So wie jede Frau.“

Theresa ist freie Reporterin und Fotojournalistin mit Fokus Westasien und Nordafrika. Sie hat in Marbug, Kairo und Lund studiert, sowie eine Ausbildung an der Reportageschule Reutlingen absolviert. Seit November 2019 ist sie die Koordinatorin des dis:orient-Magazins.
Redigiert von Eva Hoffmann, Ayşe Çelik, Julia Nowecki