26.03.2021
Imazighen in Deutschland und das B-Wort
Quelle: Meme - Riffian.memes, Grafik: Maryna Natkhir.
Quelle: Meme - Riffian.memes, Grafik: Maryna Natkhir.

N-Wort. Z-Wort. I-Wort: Die Debatte über sogenannte „racial slurs“ ist in Deutschland zuletzt lauter geworden. Doch was ist eigentlich mit dem B-Wort? Wie Deutsch-Marokkaner:innen mit amazighischer Herkunft für ihre Selbstbezeichnung kämpfen.

Heißt es [Triggerwarnung] „Berbisch“ oder „Berberisch“ [im Folgenden B-Sprache genannt]? Für die Community, die es betrifft, fühlt sich beides falsch an. Betroffene verwenden diese Begriffe untereinander nur, wenn sie Deutsch sprechen. Eine beliebte, aber eigentlich bedenkliche Frage in sozialen Netzwerken ist: „Bist du [Triggerwarnung] Berber:in [im Folgenden B-Wort genannt] oder Araber:in?“. In der Kommunikation mit der Mehrheitsgesellschaft weichen Betroffene auf Bezeichnungen aus, wie beispielsweise „Marokkaner:in“ und „Deutsch-Marokkaner:in“. Als Muttersprache wird „Marokkanisch“ angegeben. Der Amazigh-Exkurs wird seit der „Gastarbeiter:innen-Generation“ umgangen. Heute ist jedoch ein deutlicher Wandel zu bemerken, der durch die sozialen Netzwerke vorangetrieben wird.

„Imazighen“ [1] ist eine Eigenbezeichnung und bedeutet „freie Menschen“. Sowohl in Deutschland als auch in ihren nordafrikanischen Herkunftsländern bzw. denen ihrer (Groß-) Eltern zählen sie zur marginalisierten Minderheit. Inspiriert durch den Amazigh-Aktivismus on- und offline in europäischen Ländern, wie Belgien und Spanien, setzen sie sich allerdings zunehmend gegen diese Marginalisierung ein. Und auch hierzulande erfährt die Bewegung spätestens seit Black Lives Matter und im Zuge antirassistischer Sprachdebatten einen neuen Aufschwung: Was steckt hinter dem B-Wort, von wem wird diese Fremdbezeichnung genutzt und wieso sollte man ein Umdenken anstreben?

Das B-Wort als „racial slur“

Sprache kann Wirklichkeit schaffen, dessen ist sich der antirassistische (Netz-) Aktivismus bewusst. Auch die amazighischen Stimmen werden immer mehr, immer lauter. Die Menschen sollen aufgeklärt und sensibilisiert werden. Den Anfang muss die Community selbst machen, indem sie keine Fremdbezeichnungen verwendet und sich nicht mehr durch solche wahrnimmt. Vielen Imazighen in Deutschland ist dies gar nicht bewusst. Sie bezeichnen sich bis heute mit dem B-Wort, welches griechischen („bárbaros“) beziehungsweise lateinischen („barbarus“) Ursprungs ist und den Amazigh entmenschlicht und als Barbar ohne richtige Sprache darstellt. Die „Generation Gastarbeiter:innen“ kannte die Tragweite des B-Wortes, doch sah sie sich nicht im Stande daran etwas zu ändern.

Umso willkommener sind die Tendenzen im vergangenen Jahr 2020: Es wird intensiv über die Verwendung von sogenannten „racial slurs“ (rassistischen Beleidigungen) diskutiert und verschiedene kleinere gesellschaftliche Gruppen fordern, dass ihre Selbstbezeichnungen in die deutsche Sprache Eingang finden: Neben der N-, Z- und I-Worte soll nun eben auch das B-Wort ersetzt werden. „Die Beste Instanz“ von Enissa Amani zeigte es: Wird man nicht nach seiner Meinung gefragt, muss man sich eigene Räume schaffen, um als Betroffene und für die Community sprechen zu können.

Im Falle der Imazighen bedeutet das Aufklärungsarbeit, auch hinsichtlich ihrer Sprache, deren Eigenbezeichnung Tamazight oder auch Thmazight lautet [2]. Die Benennung der Sprache als Thmazight spielt eine wichtige Rolle in der Diskussion um Fremdbezeichnungen: So veröffentlichte beispielsweise der offizielle Instagram-Account des Ministeriums für Kinder, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen im Oktober 2020 ein Video zur Aufklärung über das Corona-Virus auf Thmazight (Sprecher: Mohamed El Boujaddaini). Unter dem Video wurde Thmazight im Erklärtext als B-Sprache bezeichnet. Eine Followerin machte hierauf aufmerksam und die Bezeichnung wurde angepasst – vor ein paar Jahren wäre das undenkbar gewesen. Nicht nur, dass ein solches Video gar nicht existiert hätte, auch das Bewusstsein der Sprecher:innen wäre nicht derart ausgeprägt gewesen.

Besonders Instagram und YouTube sind Schauplätze verschiedener Bemühungen, das Bewusstsein für amazighische Identität zu schärfen und die Eliminierung des B-Wortes zu erreichen. Diese Vielzahl von Beiträgen von meist amazighischen Deutsch-Marokkaner:innen und das gemeinsame Netzwerken führen zu einem zunehmenden Erfolg und immer mehr Unterstützer:innen im Netz.

Amazighische (Netz-) Aktivist:innen machen sich stark

Benaissa Lamroubal, der bekannteste Comedian amazighischer Herkunft in Deutschland, nutzt seine Reichweite, um auch solche Themen in dem „RebellComedy“-Podcast „Bruder was?!“ zu behandeln. Er berichtet von den Erfahrungen als Deutsch-Marokkaner in Marokko, klärt über den Unterschied arabischer und amazighischer Marokkaner:innen auf und gibt einen Überblick zur Geschichte der Imazighen. Auch Boujemaa, Stand-Up Comedian, veröffentlicht auf YouTube, TikTok und Instagram unter „aoual_amzuar“ seine humorvollen und lehrreichen Videos auf und über Thmazight. Seinen Follower:innen bringt er so beispielsweise recht trockene Inhalte wie Possessivpronomen oder Verbkonjugation in erfrischender Weise näher. Beide Unterhaltungskünstler verweisen auf das B-Wort als Fremdbezeichnung, die es abzulegen gilt.

Mit ihrem Instagram-Profil und dem dazugehörigem Podcast liefert „Amazigh_XBerberIn“ einen weiteren wichtigen Beitrag zur länderübergreifenden amazighischen Identität, bedeutenden Persönlichkeiten und geschichtlichen Hintergründen. Sie erwähnt und nutzt unter anderem auch die sprachwissenschaftliche Alternative nach Dr. Mohamed Tilmatine [3]. Demnach könne das B-Wort auch durch „Masiren“ (Imazighen) und die B-Sprache durch „Masirisch“ (Thmazight) ersetzt werden, wodurch sie sich besser ins Deutsche integrieren ließe. Ein weiteres Beispiel des neuen Aktivismus ist „Limala“, ein Online-Shop, der marokkanische Handwerkskunst vertreibt. Daneben animiert die Betreiberin zur Rückbesinnung auf die indigene Bezeichnung und fordert die Dekolonisation des Mindsets.

Aber auch außerhalb des Internets werden rassismuskritische Inhalte mit der amazighischen Identität in Deutschland und der damit verbundenen Frage nach der angemessenen Bezeichnung verknüpft. Beispiele hierfür sind Karima Benbrahim, Leiterin des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen (IDA-NRW), die sich als „Black Amazigh Feminist“ bezeichnet sowie der Journalist und Autor Mohamed Amjahid.

Es gibt noch viel zu tun

Auch wenn die Debatte rund um die Imazighen in Deutschland keine große Präsenz erfährt, so sollten zumindest die entmenschlichenden Fremdbezeichnungen stärker ins Bewusstsein rücken, damit diese „racial slurs“ endgültig abgeschafft werden können. Denn für die Betroffenen macht es einen enormen Unterschied: Das Selbstbild und die alltägliche Praxis verändern sich, Imazighen können mit ihrer Herkunft sicherer umgehen, gerade auch sprachlich. Dadurch können sie in der hiesigen Gesellschaft bewusster den eigenen Platz finden. Sie bringen eigene Narrative mit ein und die Teilhabe kann nicht mehr durch Begrifflichkeiten verstellt werden.

Denn im Fokus muss stets die Darstellung der Vielfalt der in Deutschland lebenden Menschen stehen, statt sie nur unter „Migrant:innen“ zu subsumieren. Stattdessen wollen sie in ihrer Verschiedenheit wahr- und ernstgenommen werden. Junge Deutsch-Marokkaner:innen setzen derzeit genau diese Impulse, unbeachtet von der Mehrheitsgesellschaft.

Doch es gibt noch immer viel zu tun. Etwa im akademischen Kontext in Deutschland, wo die Verwendung von Selbstbezeichnungen der „Forschungsobjekte“ nicht selbstverständlich und ausschließlich ist. Die scheinbare Neutralität des B-Begriffs wird damit begründet, dass er so viel verwendet würde. Druck auf die Wissenschaft würde die Anstrengungen gegen das B-Wort daher weiter voranbringen. Wenn wir uns Gedanken um das I-Wort machen, dann eben auch um das B-Wort, welches immer noch Menschen, die in diesem Land leben, beschreibt.

 

[1] „Imazighen“ (Pl. m.), „Thimazighin“ (Pl. f.). Die Selbstbezeichnung wird üblicherweise nicht gegendert.

[2] Nordmarokkanische Eigenbezeichnung.

[3] Tilmatine, Mohamed: „Zum Wortpaar »Berber« – »Amazigh«. Ein Beitrag zur terminologischen Vereinheitlichung und Klärung eines nicht lexikalisierten Terminus.“, in: Muttersprache. Vierteljahresschrift für deutsche Sprache, Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS). Wiesbaden,1995 (Heft 1/105).

 

 

Hanan Karam ist Islam-& Religionswissenschaftlerin und promoviert derzeit mit einem Stipendium des Avicenna-Studienwerkes zum Thema „Transnationales Leben nordmarokkanischer Imazighen im Ruhrgebiet“ an der Ruhr-Universität Bochum. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Marokkaner:innen in Deutschland & Europa, Imazighen, Thmazight &...
Redigiert von Maximilian Menges, Anna-Theresa Bachmann, Johanna Luther