17.06.2014
Journalismus in Algerien: more of the same
Wohnblock in einem Vorort von Algiers. Foto: El Harrach, von Iñaki do campo gan (https://flic.kr/p/c18TgU), Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/)
Wohnblock in einem Vorort von Algiers. Foto: El Harrach, von Iñaki do campo gan (https://flic.kr/p/c18TgU), Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/)

„Dänemark in der Theorie, Nordkorea in der Realität“, so titelte die große arabischsprachige Tageszeitung al-Khabar in Algier anlässlich des Welttages der freien Presse Anfang Mai. Nicht restriktive Mediengesetze, sondern indirektes Eingreifen der Regierung erschwert heute kritischen Journalismus in Algerien.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Journalismus-Serie. Alle Texte finden Sie hier.

Es ist seit Jahren schlecht bestellt um kritischen Journalismus in Algerien. Zwar garantiert die Verfassung die Freiheit der Presse, aber die realen Indikatoren sprechen eine andere Sprache. Im international vergleichenden Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen 2014 liegt Algerien auf Rang 121 von 181.

Die offene Gefahr für Journalisten durch Drohung und Mord im „schwarzen Jahrzehnt“ ist heute einem verschleierten, subtileren Agieren der Regierung gewichen. Tatsächlich ist der Besucher, der die Zeitungen Algiers aufschlägt, von der Vielfalt und der Freiheit des „geschriebenen Wortes“ oder der Lockerheit der Karikaturen beeindruckt. aufin Arabisch, Französisch und Tamazight (Berber). Von den 2,5 Millionen gedruckten Exemplaren brachte die Zeitung al-Khabar allein 500 000 heraus. Es gibt Presseerzeugnisse für jede Meinung und jede soziale Gruppierung.[1]

Die audio-visuellen Medien sind dagegen stark von der Regierung kontrolliert. Das Fernsehen ist staatlich; die Radiostationen sind es ebenfalls. Es gibt kleine Initiativen von privaten Fernsehsendern, die für das Internet produzieren, aber von mehreren konkurrierenden algerischen Fernsehkanälen kann man nicht sprechen. Dafür verfügt jede algerische Familie über mehrere Satellitenschüsseln auf dem Balkon, mit denen arabische und europäische Programme empfangen werden können.

Viele leere Worte

15 Jahre Bouteflika-Regime haben keine Neuorientierung und Reform der algerischen Medienpolitik mit sich gebracht. Alle gut gemeinten verbalen Andeutungen zu Beginn seiner Amtszeit 1999 sind letztlich leere Worte geblieben. Das zeigt sich an der kurzen Verweildauer der für Medien und Kommunikation zuständigen Minister in den Kabinetten Bouteflikas.

Zum Beispiel Hamid Grine: Der neue Kommunikationsminister im Kabinett Sellal II ist mittlerweile der 13. Minister in 15 Jahren Bouteflika-Präsidentschaft. Praktisch jedes Jahr wurde ein Minister abgelöst, was den von der Regierung gewünschten Effekt hat, die nationale Medienpolitik in Scheinreformen zum Erliegen zu bringen. Al-Watan vom 6. Mai umschrieb diesen aktuellen Zustand als „Anarchie und gleichzeitig Brache der algerischen Medien“.

Der neue Minister Hamid Grine, von dem Beobachter sagen, dass er wieder nur eine auswechselbare Vorzeigeperson des Regimes ist, hat sich in seinem ersten Rundfunkinterview denn auch ganz als Protagonist des Status quo gezeigt: „Meine Road Map für die algerische Medienpolitik ist klar und einfach: Man braucht nur den Orientierungen des Staatspräsidenten vom 3. Mai zu folgen“ – da hatte Bouteflika angekündigt, die Presse „professionalisieren“ zu wollen, indem audio-visuelle und Printmedien umfassender „reguliert“ und ein Ethik- und Deonthologie-Rat gegründet werden sollten.

Doch all das ist nicht neu, sondern schon seit langem die offizielle Position des Regimes. Im Klartext bedeutet sie Stagnation. „Professionalismus“ sieht Minister Grine demnach als sprichwörtliche „Schere im Kopf“. In seinen Worten „gibt es keine Zensur in Algerien, es gibt nur die Selbstzensur eines professionellen Journalisten“. Für das Regime ist also alles in Ordnung.

Aktueller Stand der Diskussion um die Mediengesetzgebung

Das Regime beruft sich dabei auf die rechtlichen Grundlagen im Staat, die ein freies Medienwesen garantieren sollen: Die algerische Verfassung vom Februar 1989 schreibt den politischen Pluralismus und die Freiheit der Medien fest und das Informationsgesetz vom April 1990 bestätigt, dass jede Herausgabe und Produktion eines Presseerzeugnisses frei und unbehindert sein soll.

Doch tatsächlich erstickten die Ausrufung des Belagerungszustandes und die Machtübernahme durch das Militär 1992 die Demokratisierung im Keim. Das „schwarze Jahrzehnt“ dieser Zeit, geprägt von Terror durch die Islamisten und Gegenterror durch die Armee und Sicherheitskräfte, begründete eine Zensurwelle in den Redaktionen. Journalisten wurden verhaftet, gefoltert und umgebracht. Die Auflösung des Hohen Informationsrates durch den Obersten Staatsrat 1993 nahm einer freien Presseentwicklung jede Grundlage. Und auch seit dem nominellen Ende des „schwarzen Jahrzehnts“ mit der Wahl Bouteflikas 1999 dümpelt die Medienentwicklung in Algerien vor sich hin. Ein moderneres Mediengesetz zum Beispiel, das vom Staatssekretariat für Information immer wieder angekündigt wird, ist bis heute nicht verabschiedet worden.

Unterm Strich?

Die Freiheit der Presse wird heutzutage nicht mehr durch ein Gesetz eingeschränkt. Als viel restriktiver in der Praxis wirken die Vielzahl von Einzelvorschriften aus dem Strafgesetzbuch, aus der Charta für Frieden und Nationale Aussöhnung und anderen Dekreten, mit denen Staatsanwälte und Verwaltungen die Meinungsfreiheit einschränken können. Das wirksamste Mittel der Pressekontrolle ist die von der Regierung kontrollierte zentrale Vergabe der Werbemittel und Annoncen durch die staatliche Agentur ANEP. Diese kann kritischen Zeitungen ihren Werbeetat vorenthalten und dadurch ungeheuren Druck auf die Redaktionen ausüben. Darüber hinaus können auch die staatlichen Druckereien darüber befinden, ob die Druckkosten einer Zeitung bewilligt werden. Während nur wenige große Zeitungen über eigene Printanlagen verfügen, können die staatlichen Einrichtungen damit direkt über das Erscheinen oder Nichterscheinen der Blätter entscheiden. Dieses Schicksal hat zuletzt zwei auflagenstarke Tageszeitungen betroffen, die nicht mehr in Druck gehen.

Die algerische Öffentlichkeit rätselt seither, ob dieses Vorgehen eine neue Welle repressiver Medienpolitik einläute oder nicht. Minister Grine sagt, es habe keine Instruktionen der Regierung gegeben und der Vorgang sei rein wirtschaftlich begründet gewesen. Die Zeitung al-Watan kommentierte lapidar„Wait and see“.

 

Fußnote:

[1] Für weitergehende Informationen siehe: African Media Barometer (englisch/französische Fassung), Algérie 2009, Friedrich-Ebert-Stiftung (fesmedia Africa) Windoek, Namibia. African Media Barometer wird abgeleitet aus den Indikatoren der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte und Rechte der Völker (Organ der Afrikanischen Union), die 2002 eine Erklärung zu den Prinzipien der freien Meinungsäußerung verabschiedet hatte und für alle der AU angehörenden Regierung als Maßstab anerkannt ist.

Artikel von Klaus-Peter Treydte