13.05.2022
Keine Freiheit für Ägypter:innen
Das Annehmen der britischen Staatsbürgerschaft soll Alaa Abd el-Fattah's Kampf für die Freiheit endlich voranbringen, doch zu welchem Preis? Grafik: Zaide Kutay
Das Annehmen der britischen Staatsbürgerschaft soll Alaa Abd el-Fattah's Kampf für die Freiheit endlich voranbringen, doch zu welchem Preis? Grafik: Zaide Kutay

Einer der prominentesten ägyptischen Dissidenten befindet sich im Gefängnis in Lebensgefahr. Die britische Staatsbürgerschaft soll seine Chancen auf Freiheit nun erhöhen. Ein bezeichnender Fall, findet Hannah El-Hitami.

Dieser Text ist Teil der dis:orient-Kolumne des:orientierungen, die jeden zweiten Freitag erscheint.

Der Hashtag #FreeAlaa ist inzwischen wohl einer der ältesten der ägyptischen Aktivist:innenszene. Seit 2006 haben wechselnde Regime in Ägypten versucht, Alaa Abd el-Fattah zum Schweigen zu bringen. Frei ist der regimekritische Blogger, Autor und Aktivist aber bis heute nicht. Seit der Machtergreifung des Ex-Generals Abdel Fattah al-Sisi im Sommer 2013 hat der inzwischen 40-Jährige nur wenige Monate außerhalb des Gefängnisses verbracht. Während seiner aktuellen Haft, die bereits mehr als zwei Jahre andauert, hat sich sein psychischer und körperlicher Zustand verschlechtert. Daher versucht seine Familie jetzt auf ungewöhnliche Weise, ihn freizubekommen: mithilfe einer britischen Staatsbürgerschaft.

Zehntausende politische Gefangene sind unter unmenschlichen Bedingungen in Ägyptens Gefängnissen eingesperrt. Viele von ihnen wurden gefoltert und ohne ein gerechtes Verfahren verurteilt. Immer wieder sterben Menschen in der Haft, wie erst im März der Wirtschaftsexperte Ayman Hadhoud. Diese Missstände sind bekannt, halten internationale Regierungen jedoch nicht davon ab, mit dem Sisi-Regime als Partner in der Migrationspolitik, Empfänger von Rüstungsexporten oder als Veranstalter der UN-Klimakonferenz im November zusammenzuarbeiten.

Anders verhält es sich wenn der:die Gefangene nicht aus Ägypten, sondern aus einem europäischen Land stammt. Als 2014 der italienische Promotionsstudent Giulio Regeni in Ägypten ermordet wurde, sorgte das für einen weltweiten Aufschrei. Italien zog seinen Botschafter aus Ägypten ab, die sonst sehr umfangreichen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Staaten standen – zumindest vorübergehend - still. Bis heute bemühen sich die italienischen Behörden um die Aufklärung des Todesfalls.

In der Regel läuft es eben so: Menschenrechtsverbrechen gegen Ägypter:innen sorgen international kaum für Aufsehen. Verbrechen gegen Staatsbürger:innen aus dem globalen Norden rufen hingegen deren Regierungen auf den Plan, und diese sind geopolitisch in der Position, Druck auf Ägypten auszuüben. Was aber passiert, wenn ein bereits inhaftierter Ägypter im Gefängnis zum britischen Staatsbürger wird? Ein ungewöhnlicher Fall, der nicht nur die Willkür der Haft in Ägypten deutlich macht, sondern auch die inkonsequente Haltung europäischer Regierungen.

Lebensgefährlicher Hungerstreik

Alaa Abd el-Fattah kommt aus einer Familie von Aktivist:innen. Sein Vater war Anwalt und Menschenrechtler, seine Mutter ging schon in den 70er-Jahren demonstrieren, seine beiden Schwestern sind politisch aktiv und setzen sich unermüdlich für seine Freilassung ein – dafür mussten sie auch schon selbst ins Gefängnis. Eine Familie also, die Haft und Repressionen gewohnt ist und trotzdem immer weiter macht. Nun aber scheint die Sorge um Alaa ein neues Level erreicht zu haben.

Seit September 2019 sitzt er wegen Verbreitung von Falschinformationen im Gefängnis – ein Vorwurf, der in Ägypten häufig gegen Regimekritiker:innen konstruiert wird. Direkt davor hatte er fünf Jahre wegen der Teilnahme an einer friedlichen Demonstration eingesessen. Nach seiner Freilassung konnte er gerade mal sechs Monate mit seiner Familie verbringen, bevor er erneut festgenommen wurde. Seit mehr als 40 Tagen befindet sich Alaa Abd el-Fattah im Hungerstreik, um sein Recht auf Bücher, Zeitschriften, ein Radio und sportliche Betätigung zu erwirken. Sein Gesundheitszustand hat sich seitdem extrem verschlechtert, zudem soll er von Suizid gesprochen und sich von seiner Familie verabschiedet haben.

Kein Wunder, dass diese nun alles versucht, um ihn freizubekommen. Seit April ist der inhaftierte Blogger offiziell britischer Staatsbürger. Auch seine Schwestern haben die britische Staatsbürgerschaft angenommen, „als klar wurde, dass Sisis Gefängnisse unsere Familie nicht freilassen würden und wir einen Ausweg aus dieser unmöglichen Tortur finden mussten“, hieß es in einem Statement der Familie.

Kampagne für den „britischen Staatsbürger"

Möglich war dieser Schritt, weil die Familienmutter Laila Soueif in London geboren wurde. Jetzt, da auch Alaa Brite ist, hat die Kampagne für seine Freilassung an Fahrt aufgenommen und richtet sich auch von britischen Bürger:innen an britische Politiker:innen.

Am 6. Mai schickte eine Parlamentarierin der Labour-Partei, Zarah Sultana, ein Schreiben an Außenministerin Elizabeth Truss, in dem sie ihre Regierung unter anderem dazu aufforderte, sich für Alaa Abd el-Fattah einzusetzen und grundsätzlich Demokratie und Menschenrechte in den diplomatischen Beziehungen zu Ägypten zu priorisieren.

Zahlreiche Medien und Privatpersonen teilten den Aufruf und wandten sich direkt an die britische Regierung, um den ägyptischen – nun auch britischen – Aktivisten zu unterstützen. Auffällig war, wie prominent dessen britische Staatsbürgerschaft dabei immer wieder genannt wurde: „Britischer Staatsbürger im Hungerstreik“, titelte die Zeitung Independent.

„Alaa ist ein britischer Staatsbürger, der in Ägypten unrechtmäßig inhaftiert ist“, schrieb eine britische Aktivistin auf Twitter. Auch der Anwalt der Familie sagte in einem Statement: „Hier wird ein britischer Staatsbürger unrechtmäßig unter entsetzlichen Bedingungen festgehalten, nur weil er seine grundlegendsten Rechte auf Meinungsfreiheit und Versammlung friedlich genutzt hat.“

Kein Ägypter mehr

Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass Alaa Abd el-Fattahs Familie den Weg über die Staatsbürgerschaft nutzt, um ihren Sohn und Bruder endlich in Sicherheit zu bringen. Und es ist pragmatisch sinnvoll, dass Unterstützer:innen sich auf die britische Staatsbürgerschaft berufen, um ihren Forderungen Gewicht zu verleihen. Sollten sie Erfolg haben, wäre das eine große Erleichterung. Die Chancen stehen gut: Schon öfter wurden in der Vergangenheit politische Gefangene mit doppelter Staatsbürgerschaft in Ägypten freigelassen. Im Gegenzug mussten sie aber die ägyptische Staatsbürgerschaft ablegen.

Dennoch hat der Fall einen bitteren Beigeschmack. Zum einen verdeutlicht er die perfide Politik der ägyptischen Regierung. Durch ihr Vorgehen in vergleichbaren Fällen und potenziell in diesem sendet sie eine Botschaft an alle, die sie kritisieren: Entweder du bist für uns oder du bist kein Ägypter.

Zum anderen ist es absurd, dass ein prominenter Menschenrechtsverteidiger, der seit vielen Jahren im Gefängnis sitzt, erst Brite werden muss, um eine Chance auf ein Leben in Würde und Freiheit zu bekommen. Das ist auch ein Problem einer Welt, in der manche Nationalitäten mehr wert sind als andere. Während eine britische Staatsbürgerschaft ein Leben retten kann, bleiben Tausende Ägypter:innen in den Gefängniszellen des Landes ihrem Schicksal überlassen. Die Menschenrechtslage in al-Sisis Ägypten wird zwar immer mal wieder von internationalen Regierungen thematisiert – ein Hindernis für die wirtschafts- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit dem nordafrikanischen Land stellte sie bislang jedoch nicht dar.

Ob Brite oder Ägypter: Lasst uns dafür sorgen, dass Alaa Abd el-Fattah endlich freikommt – und alle anderen politischen Gefangenen auch, egal mit welcher Staatsbürgerschaft.

 

Mehr Arbeiten der Illustratorin Zaide Kutay finden sich auf ihrem Instagram-Account.

 

 

Hannah El-Hitami, Jahrgang 1991, ist freie Journalistin in Berlin und schreibt vor allem über arabische Länder, Migration und koloniales Unrecht. Sie studierte Arabische Literatur und Kultur in Marburg und war Volontärin des Amnesty Journals. www.hannahelhitami.com/  
Redigiert von Johanna Luther, Sophie Romy