10.05.2013
Libanesische Kämpfer im Syrien-Krieg: Die Stellvertreterschlacht um Al-Qusayr
Scheich Ahmad al-Assir in Syrien (Screenshot)
Scheich Ahmad al-Assir in Syrien (Screenshot)

Libanesische Milizen kämpfen in Syrien. In dem Land, dessen Regime in der Vergangenheit Stellvertreterkriege im Libanon gefochten hat. Nun wanderte auch der sunnitische Sheich Ahmad al-Assir über die Berge, um dort seinen „Heiligen Krieg“ gegen die Hizbullah zu führen. Ein Gastbeitrag von Juliane Metzker.

Am 1. Mai veröffentlichte der libanesische Fernsehsender LBC ein Amateur-Video, das Scheich Ahmad al-Assir und seine Kampfgefährten auf Mission in Syrien zeigen soll. Es ist ein sonniger Tag. Das Video beginnt mit einer verwackelten Nahaufnahme Assirs, dann sieht man, wie der ganze Trupp stolz und bis an die Zähne bewaffnet einen Graben passiert. Plötzlich schlägt die Stimmung um. Die Männer ducken sich, Gefahr scheint im Verzug. Der Kameramann bewegt sich trotzdem frei, fängt die Gruppe einmal dramatisch von hinten und von vorne ein, wie sie herannaht. Die Spannung löst sich in einem Kugelhagel aus Maschinengewehren. Der Scheich und seine Kumpanen feuern ihre Munition von einem Dach aus, sodass die leeren Hülsen nur so um sie fliegen. Ein, wenn auch fragwürdiges, Statement an die Hizbullah-Miliz. Deren Anführer Hassan Nasrallah hatte sich erst in der vergangenen Woche an die Öffentlichkeit gewandt und geschworen, die Rebellen im syrischen Grenzgebiet zurückzuschlagen.

Scheich Assirs Name mag noch nicht in aller Munde sein, doch der Imam der Bilal ibn Rabah-Moschee aus der südlibanesischen Provinzhauptstadt Saida mauserte sich zu einem der lautesten und mittlerweile gefährlichsten Kritiker der Hizbullah. In etlichen Youtube-Videos wurde der Vorzeige-Salafist mit langem Bart und weißem Gewand verlacht, beim Frühsport oder beim (erfolglosen) Versuch, seine vier Frauen zum Skifahren auszuführen. Nicht zuletzt wurde er belächelt, da er der dominanten Hizbullah-Miliz und deren Verbündeten, Syrien und Iran, aber zugleich auch Israel und dem Westen den Kampf ansagte. Diese zugegeben ehrgeizige Positionierung erntete von vielen Libanesen nur Kopfschütteln. Doch die angespannte politische Lage im Libanon kam ihm zugute und steigerte seine Popularität.

„Ich habe den Mut aufgebracht und in Syrien gekämpft. Ich fühle mich geehrt.“

Besonders die Sunniten büßten seit 2011, mit dem Zusammenbruch der Regierung Saad Hariris, dem sunnitischen Anführer des Parteienbündnisses 14. März, viel Macht ein. Denn unter dem darauffolgenden Premierminister Najib Mikati konnte die pro-syrische Allianz des 8. März, die sich im Wesentlichen aus der christlichen Freien Patriotischen Bewegung, der Hizbullah und der Amal-Bewegung zusammensetzt, ihren Einfluss auf die libanesische Politik ausbauen. Nachdem auch die Regierung Mikati Ende März 2013 abdankte, wurde der 68-jährige Tammam Salam als Übergangspremierminister bis zu den Wahlen im Juni bestimmt. Der Nominierung des Emporkömmlings einer alteingesessenen Beiruter Notabeln-Familie stimmten überraschenderweise alle Parteien zu – wahrscheinlich, weil Salam als eher profilloser Pausenfüller gehandelt wird.

Bereits im Oktober 2012 hatte sich die Stimmung nach dem Anschlag auf den sunnitischen Geheimdienstchef Wassim al-Hassan im Beiruter Distrikt Ashrafieh verdüstert. Hassans Behörde hatte noch im August 2012 frühzeitig ein Komplott aufgedeckt, in welches der ehemalige libanesische Minister Michel Samaha und einer der engsten Vertrauten des syrischen Präsidenten involviert waren. Assads Sicherheitsberater Ali Mamlouk hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Anschlagsserie im Libanon geplant. Und auch mit der Hizbullah legte sich Hassan an, da er in Richtung einer Mittäterschaft der „Partei Gottes“ am Bombenattentat auf den Regierungschef Rafiq Hariri 2005 ermittelt hatte. Der Tod des Geheimdienstchefs goss Öl ins Feuer der besonders seit Sommer 2012 lodernden Kämpfe in Tripoli, der zweitgrößten Stadt im Nordlibanon. Beeinflusst vom syrischen Bürgerkrieg geraten dort Sunniten und Alawiten seit über anderthalb Jahren aneinander.

Den Sunniten im Libanon fehlte es lange Zeit an einer charismatischen Leitfigur

Das Aggressionspotenzial und das Machtvakuum innerhalb der sunnitischen Gemeinschaft nutzte der bis 2012 eher unauffällige Scheich aus Saida für sich. Assir lenkte den öffentlichen Druck auf die Forderung vieler Sunniten: die Entwaffnung der Hizbullah-Miliz – obwohl er bei vielen Auftritten selbst das Maschinengewehr schwenkt. Er beließ es auch nicht bei verbaler Provokation. Im November 2012 entzündete sich ein Streit um die Aschura-Plakate der Hizbullah, welche in den sunnitischen Gegenden Saidas abgenommen werden sollten. Nach kleineren Zwischenfällen eskalierte die Situation dann zwischen den Anhängern des Scheichs und der Hizbullah, wobei ein 14-jähriger Junge und zwei Bodyguards Assirs im Kugelhagel ums Leben kamen.

Innerhalb des vergangenen halben Jahres reagierte der Scheich medienwirksam auf politische Ereignisse und organisierte etliche Großdemonstrationen in seiner Heimatstadt sowie in Beirut und Tripoli, wobei die Behörden stets allerhöchste Sicherheitsvorkehrungen treffen. Mit seinen Aktionen stärkte er den Zusammenhalt der ansonsten sehr heterogenen sunnitischen Gemeinschaft und schuf sich eine neue Machtbasis. Sein bis dahin größter Coup gelang ihm Anfang Mai, als er seine Anhänger dazu aufrief, die syrischen Rebellen in ihrem Kampf gegen die Hizbullah-Miliz in der Region Homs zu unterstützen.

Lange Zeit bestritt Hassan Nasrallah vehement die Vorwürfe der syrischen Opposition und internationaler Beobachter, dass seine Milizen Assad aktiv zur Seite stünden. Nun aber bestätigte er in einer Fernsehansprache, dass seine Kräfte Dörfer, in denen Libanesen wohnten, in der syrischen Grenzregion sichern: „Wir werden die Libanesen in der Gegend um al-Qusayr vor Attacken schützen (…) Syrien hat wahre Freunde in der Region, die nicht zulassen werden, dass das Land in die Hände (…) der Abtrünnigen fällt.“

Die FSA feuert Raketen auf den Libanon

Seit über einem Jahr ist al-Qusayr in den Händen der Rebellen. Die 50.000-Einwohner-Stadt birgt strategische Vorteile und ist stark umkämpft, unter anderem wegen der Nähe zur libanesischen Grenze. Der Direktor der „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“, Rami Abdel Rahman betont: „Die [syrische] Armee setzt ihren Feldzug an der nördlichen und östlichen Front fort, während die Hizbullah an der südlichen und westlichen Front kämpft.“ Im April begannen die syrischen Rebellen mit dem Raketenbeschuss der Region Hermel im Osten Libanons, in der sie einen Hizbullah-Stützpunkt ausgemacht hatten.

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Scheich Assir ist von der Anwesenheit der Hizbullah-Miliz in Syrien überzeugt: „Mit dem nackten Auge kann man die Hizbullah-Kämpfer in al-Qusayr entdecken.“ Nolens volens ist Assir so zum zweiten libanesischem Akteur im syrischen Bürgerkrieg avanciert. Es war nur sein erster Schachzug, Nasrallah und seine Widerstandsgruppe auf offenem Feld zu attackieren. Die logische Frage stellt sich, ob und wann die beiden Kontrahenten das Feuer flächendeckend auch im Libanon eröffnen.

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